www.fromthewilderness.com, From the Wilderness – Stan Goff, 20.5.2004, Übersetzung: Info-Verteiler
Stan Goff’s Karriere als Soldat in Spezialoperationen (Delta Force, Rangers und Special Forces) brachte ihn von den Invasionen in Vietnam, Grenada und Haiti zu den Trainingslagern der unmenschlichen und korrupten kolumbianischen und peruanischen bewaffneten Kräfte. Er unterrichtete Militärwis­sen­schaft an der US-Militärakademie in West Point, nahm an Geheimmissionen in El Salvador und Guatemala teil, und er wurde als Task Force Ranger in Mogadischu eingesetzt.
Aber das ist keine typische Soldatenge­schichte. Goff engagiert sich weder in Machismus noch in weinerlicher Seelensuche, und er möchte auch nicht gerne Geschichten erzählen. Er interpretiert seine eigenen Erfahrungen durch Jahre des Studiums, seit er das Militär verlassen hat, und versucht, über Politik, über Weltsystemtheorien, Außenpolitik, Krieg, ökologische Katastrophen zu unterrichten – indem er die Zusammenhänge mit dem schärfsten Werkzeug, das er in einer Waffenkammer aus Militärgeschichte, Chaostheorie, Ökologie, Feminismus, revolutionärem schwarzen Nationalismus und Marxismus finden kann, herausarbeitet. Von hier aus zieht er einige sehr brutale Schlussfolgerungen über die Risiken, denen wir alle in den gefährlichen letzten Tagen eines instabilen Empire ausgesetzt sind.
Das Buch Full Spectrum Disorder von Stan Goff ist eine starke Herausforderung an die politische Linke und das Militär selbst, einander gegenseitig als mögliche Verbündete zu begreifen, es fordert die vorherrschende intellektuelle Trennung von Arbeit im Fäulnisstadium des späten Imperialismus heraus, es fordert sowohl die linke Orthodoxie und den „moralischen Imperialismus“ der Liberalen heraus, und es dient als Zünder für die Rebellion im „Neuen Amerikanischen Jahrhundert“. Hier eine Rede von Goff bei einer Kundgebung gegen den Irak-Krieg:
Die Kriegsdoktrin von Rumsfeld ist gescheitert
Als ich mit einem Zwölfpunkteprogramm begann, um meinen Alkoholismus zu beenden, war eines der ersten Dinge, die ich hörte: „Wahnsinn heißt das selbe Ding immer und immer wieder zu tun und sich immer ein anderes Ergebnis zu erwarten.“
Obwohl ich nicht glaube, dass das mit irgendetwas im Amerikanischen Lexikon über Psychiatrie korrespondiert, und dass das mehr eine Binsenwahrheit als die Wahrheit ist, scheint es zur Besetzung des Irak zur Zeit zu passen.
Der US-Krieg gegen den Irak steht vor einem Desaster, und die einzigen Tricks, die die USA auf Lager haben, scheinen immer die gleichen zu sein. Nicht nur die gleichen Dinge, die sie im Irak bereits tun, sondern die gleiche Politik, die sie in diesen ganzen politischen Sumpf geführt haben.
Es gibt 2,4 Millionen Amerikaner, die in irgendeiner Weise offiziell unter Waffen stehen. Donald Rumsfeld hat mehr als einmal ausgeführt, dass davon bloß 134.000 US-Soldaten im Irak sind, ca. 20.000 Söldner, 11.000 britische Soldaten, und die unzuverlässigen Truppen der anderen Mitglieder der sogenannten Koalition. Genau deshalb hat er seine Abneigung gegen eine allgemeine Wehrpflicht betont. Der Plan sieht vor, so weit wie möglich alle Aufgaben, die nicht direkt mit Kämpfen zu tun haben, zu privatisieren, und von den Uniformierten so viele wie nur möglich in direkte Kampfaktionen zu schicken.
Teil dieser personellen Umstrukturierung war die Rumsfeld’sche Sequenzen-Theorie über Kriegsführung: Nimm dir ein wichtiges Ziel zu einem Zeitpunkt, fokussiere die Kräfte auf diesen einen Punkt, und wenn dann eine Reduktion der militärischen Truppenstärke erreicht wird, gehe weiter zum nächsten Punkt – im Großen Plan war das Afghanistan, Irak, und dann sucht euch das Ziel der Woche aus: Venezuela, Syrien, Iran etc. Darin spielt natürlich Öl eine große Rolle, wenn ihr also auf Öl sitzt oder ihr habt das Pech, zwischen Öl und einem wichtigen Hafen zu sitzen, dann fallt ihr in diese „Oh Scheiße!“-Kategorie.
Nachdem das Bekanntwerden dieser Theorie für die Bush-Regierung nicht gerade günstig war, wählten sie genau die selbe Theorie in einem kleineren Maßstab ... Falluja und Najaf. Wenn sie erstmal auf Jenin reduziert sind, können sie wieder zu größeren und wichtigeren Dingen übergehen.
Das Problem ist – und ich streiche das hervor in vollem Vertrauen darauf, dass niemand in der Regierung dieser kleinen Einsichtnahme Beachtung schenken wird –, dass militärischer Erfolg nicht am Schlachtfeld entschieden wird, sondern politisch. Wenn du das nicht kapiert hast, dann wirst du immer auf die alte Formel des Zählens der Toten zurück geworfen sein.
Robert McNamara, sind Sie hier?
Die Bush-Regierung setzt immer noch auf eine militärische Lösung an Stelle einer politischen, grob gesagt, weil sie niemals damit begonnen hat, eine politische Lösung zu suchen.
Die gegenwärtige Niederlage der USA in Falluja, und bis zu einem bestimmten Grad auch in Najaf, ist nicht eine kleine Niederlage innerhalb eines Erfolgs. Es hat System, und es war bereits beschlossen in der Minute, da Dick Cheney und der militärisch-petroleumsche Komplex damit begannen, die Besetzung des Irak zu planen.
Colin Powell hat sie gewarnt, aber diese Jungs hören nicht auf ihre Hausneger, sogar wenn die Hausneger dreimal so schlau sind wie Meister Dick. Tut leid, Colin, aber du weißt, dass das so stimmt. Ansonsten würdest du nicht für diese Blödmänner weiter arbeiten.
Während die US-Streitkräfte sich beispielloser technologischer Überlegenheit in der Kriegsführung erfreuen, ist diese Überlegenheit dreidimensional in einer fünfdimen­sionalen Welt. Reichweite und Tödlichkeit sind der Stoff konventioneller Militärdoktrinen, und diese Doktrinen zielen darauf ab, was ein Staat einem anderen auferlegen möchte. Wiederholte Warnungen von Impe­ria­listenkollegen, dass die Invasion des Irak in ein staatenloses Schlachtfeld münden könnte, wurden ignoriert, und nun sind die vierte und die fünfte Dimension Kultur und regionale Politik. Die Cheney-Rumsfeld-Clique glaubte tatsächlich, dass militärische Überlegenheit diese Realität hinwegfegen könnte.
Nun gibt einer der engagiertesten Imperialisten auf der Welt, der Währungsspekulant George Soros, sein großes Geld aus, um Bush zu verteidigen, ehe die Neokonservativen den späten Imperialismus in die Sackgasse führen.
Dem Rachefeldzug gegen Falluja, der hunderte von toten Zivilisten zur Folge hatte (jeder Iraker, der nun durch die Hände der US-Truppen umkommt, wird „Aufständischer“ genannt) wurde mit hartnäckigem Widerstand begegnet, der die gesamte Operation verzögerte. Der sogenannte Waffenstillstand war nicht mehr als eine Kampfpause, und falls jemand die Punkte der Resolution durchlesen möchte: sie beinhalten, dass alle Kämpfer ihre Waffen abgeben und sich selbst einem Pseudo-Gerichtshof stellen. Das ist eine Forderung, die extra aufgenommen wurde, um abgelehnt zu werden – mit anderen Worten, es gab kein Angebot. Die USA versuchen herauszufinden, wie sie das, was sie begonnen haben, zu Ende führen könnten, die „Befriedung“ von Falluja ... und nun Najaf.
Während die US-Medien folgsam die Behauptungen des CENTCOM nachbeten, dass die Kämpfe in und um Falluja irakische Verletzungen des Waffenstillstands bedeuten, berichten unabhängige Journalisten, dass die Marines immer noch in Falluja stehen, im Schutz des Waffenstillstands, und dass das eine erfolglose offensive Operation zu sein scheint.
Tatsächlich ist die Feuerkraft eine große Macht. Sie muss taktisch eingesetzt werden, um effizient zu sein. In einem konventionellen Krieg wird die Zielbestimmung von Schlachtfeld-Ingenieuren betrieben: Größe, Zusammensetzung, Disposition, Stärke und Moral der feindlichen Kräfte. Wenn diese Variablen nicht bestimmt werden können, ist das das taktische Äquivalent zu Blindheit. Ein starker Gegner, der blind ist, kann extrem destruktiv und gefährlich sein, denn dieser Gegner schlägt wild um sich. Aber dieser Gegner kann von einer kleineren, agileren Truppe erfolgreich ausgeschaltet werden.
Im Irak leben fast 80% der Bevölkerung in Städten und über 60% der Bevölkerung, so wird geschätzt, sind jünger als 20 Jahre. Diese massive Ausdehnung von städtischer Jugend hat die Bedingungen geschaffen für den an vielen Punkten ausbrechenden, städtischen Aufstand, der nun nahezu jegliche US-Militärdoktrin neutralisiert hat. Der Staat, der immer das prinzipielle Ziel von konventioneller Kriegsführung ist, hat sich im Irak aufgelöst. Im Kielwasser des langen irakisch-iranischen Kriegs, der von westlichen Provokateuren aufgerüstet wurde, wurden die Waffen in den Irak gebracht. Nun ist der Widerstand allgegenwärtig, und es wimmelt von diesen Waffen.
Die tollpatschige Taktik, die die Rebellion der Schiiten entfachte, die sich nun auf Najaf konzentriert, aber von 60% der Iraker genau beobachtet wird, hat die Fähigkeiten der Coalition Provisional Authority (CPA), Gegenschläge auszubrüten, überstiegen. Die CPA versteht weder die irakische Gesellschaft noch den Widerstand. Die Angriffe der Aufständischen auf Kollaborateure haben effizient das einzige Fenster, das dem US-Militärgeheimdienst offen stand, geschlossen. Die CPA ist nun ein blinder Gigant.
Bei einem weiteren CENTCOM-Briefing am 26.4. forderten Brigadegeneral Mark Kimmett – der aussieht wie ein trainiertes Frettchen – und Dan Senor, der den Ausdruck einer in die Ecke getriebenen Ratte hatte, die irakischen Guerillas zur Kapitalution auf, sie erzählten ihnen bereits den zehnten Tag hintereinander: „Gebt jetzt auf, oder wir werden euch morgen kriegen.“
Kimmett besaß die Frechheit zu sagen, dass die US-Marine Corps sicher stellen würden, dass „Falluja wieder unter irakische Kontrolle kommt“, als die Marines wie pop-up-Ziele in den Vororten von Falluja einquartiert waren, genau weil Falluja unter irakischer Kontrolle ist.
Aber das ist keine Kontrolle, für die es irgendeine effektive US-Militärdoktrin gibt. Es ist vor allem eine soziale und politische Organisation, und eine, die eine Synthese aus Vormodernität, Moderne und Postmoderne darstellt gegen den „radikal technologischen Optimismus“ von Donald Rumsfelds Militär.
Der irakische Widerstand ist in der Nachbarschaft. Er ist aufgabenspezifisch organisiert durch Verwandtschaft und Umstände. Er ist kulturell organisiert durch die ländlichen com­mu­nities seit einer Generation.
Die militärische Struktur ist nicht zentralisiert, sie ist keine bürokratische Struktur weder eines modernen konventionellen Militärs noch einer modernen politischen Partei. Sie ist nicht hierarchisch angeordnet wie eine Pyramide, sondern wie ein Netz koordiniert, und die Koordination kann nun via Fathwa stattfinden, durch die dieses anwachsende Meer von jungen, städtischen Enteigneten ihre Grunddirektiven erhalten: Kämpft, bleibt, verschwindet, versteckt euch. Das beläßt jeder Nachbarschaft ihre Autorität (und die entsprechende Kreativität), eine taktische Agilität zu entwickeln, die kein konventionelles Militär behandeln oder niederschlagen kann, und die – paradoxerweise – sich mit zunehmend höheren Levels von politischer Einheit verbinden wird als Antwort auf jeden imperialistischen Rückschlag.
Während dies geschrieben wird, und Kimmett den Fehdehandschuh hingeworfen hat, naht für Falluja bereits ein neues Geschwür, und Najaf bereitet sich auf einen großen Kampf vor. In einem letzten Versuch, ihr Stück vom Kuchen zu erhalten, und es auch zu essen, wurden die Baathisten von der CPA eingeladen, wieder in die Regierung einzutreten – wie sogar der Unocal-Angestellte und Präsident von Kabul, Hamid Karzai, die Taliban wieder in eine nicht existierende afghanische Regierung einlädt – und Ahmed Chalabi, Dick Cheneys Aktivposten im Irak, erhält einen Fußtritt.
Derselbe Dick Cheney, der in vielerlei Hinsicht der Architekt der sogenannten Bush-Doktrin ist, schrieb vor dem 11.9. Memos, die eine sinkende heimische Ölproduktion hervorstrichen, zusammen mit einem projektierten Sprung der Ölkonsumtion von 19,5 auf 25,5 Millionen Barrel in weniger als 20 Jahren. Wie Michael Klare unlängst in einem Artikel mit dem Titel „Die USA beschaffen sich das Öl der Welt“ beschrieb: „diese Steigerung um 7,5 Millionen Barrel ist das Äquivalent für den Gesamtkonsum von China und Indien.“
Sogar unter den Sanktionen importierten die USA 5% ihres ausländischen Öls aus dem Irak (2002), 566.000 Barrel pro Tag. Am 25.4. wurde ein Selbstmordkommando eingesetzt – eine neue Taktik – um den Ölterminal von Basra im Südirak in die Luft zu jagen, was zu einer Panik auf den Märkten führte.
Rund die Hälfte der weltweit nachgewiesenen Ölreserven liegen in dieser Region, in der die wichtigsten produzierenden Staaten US-Marionetten sind, wie die Monarchen in Saudi-Arabien und Kuweit. Nun sehen sie sich einer zunehmend städtischen, zunehmend jungen Bevölkerung gegenüber, deren Unruhe von Apartheid-Israel genährt wird. Deshalb werden die USA nicht nur ihre Marionetten im Irak mit den bevorstehenden Militäroperationen in Najaf und Falluja unterminieren, sie werden ihre gesamten regionalen autokratischen Diener in Gefahr bringen.
Daheim mag es gute Nachrichten für die Regierung an der politischen Front geben. Sie werden vermutlich wiedergewählt werden, und so werden sie ihren Bluff weiter betreiben können. John Kerry hat sich selbst in einen noch schlimmeren Kriegstreiber verwandelt, der nach mehr Truppen für den Irak schreit, sogar die Demokraten rufen nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Eine kleine, aber wichtige Fraktion des Anti-Bush-Lagers hätte einen Demokraten wählen können, wenn dieser Demokrat nur die Invasion abgebrochen hätte, so aber werden sie diesmal daheim bleiben oder Nader wählen.
Mir passt das, solange wir verstehen, dass wir, wenn wir das einmal geschafft haben, wenn wir erst die Demokraten bestraft haben, lernen müssen, den Republikanern nicht zu gehorchen. Wir kriegen kein Stück vom Kuchen.
In der Zwischenzeit haben die vielfachen Bombenangriffe zu schwarzem Rauch über den Vierteln von Falluja geführt. Menschen werden von hochexplosiver und Hochgeschwindigkeitsmunition getroffen. Zerschlagene Körper und zerschlagene Gemüter werden durch Walter Reed fließen. Und die Kisten mit den Fahnen darauf werden nach Dover zurückkehren.
Das ist Rumsfelds Torheit, das Verbrechen einer Regierung, und eine Schande, dass wir alle es nicht wahrhaben wollen.