Kämpfe in Griechenland 2008/091
Krisen, Korruption, Angriffe auf die Arbeits- und Sozialbedingungen ziehen sich seit langem durch die griechische Gesellschaft. Griechenland ist eines der teuersten Länder Europas, in dem selbst einheimische Produkte zu höheren Preisen als im Ausland verkauft werden, und das bei einem gesetzlichen Mindeststundenlohn um 3 Euro.
Die „700-Euro-Generation“ sowie die MigrantInnen, die sich aus halblegalen Leuten (z.B. aus Bulgarien) und vollständig Illegalen bis örtlich Geduldeten zusammensetzen, stehen vor derselben Zukunft als Prekäre.
Die polizeiliche Aufrüstung mit der Olympiade 2004, Polizeiwillkür, Abschiebepraxis, die Bedingungen in den Gefängnissen, die regelmäßig zu Revolten führen, gehen einher mit der ständigen Verschlechterung der Lebensbedingungen der ArbeiterInnen in allen Sektoren.
Das staatliche Bildungssystem ist nicht in der Lage dafür zu sorgen, daß die SchülerInnen den Lehrstoff auch erlernen können. Die „Reform“ 2007 sah neben der Einführung privater Hochschulen auch vor, die Studienzeit auf sechs bis sieben Jahre zu begrenzen. Fazit: StudentInnen, die sich durch Jobben ihr Überleben finanzieren, brauchen Repetitorien, SchülerInnen kommen ohne Nachhilfestunden nicht aus.
Während junge Erwachsene in anderen Ländern Südeuropas wie Spanien oder Frankreich zuweilen wenigstens noch auf familiäre Unterstützung hoffen können, trifft die Prekarität in Griechenland auch die Elterngeneration. 14% der Beschäftigten gelten als working poor – so viele wie in keinem der 26 anderen EU-Staaten. 40% der ArbeiterInnen verdienen weniger als 1.100 Euro brutto im Monat. Obendrein rechnen Ökonomen für 2009 mit dem Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen. Eine ganze Generation sieht die Verarmung und Verschuldung ihrer Eltern und hat das Gefühl, dass sie von der Zukunft nichts erwarten darf.
Mit der Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung hatte das Kredit- und Ratengeschäft geblüht. Die Banken hatten großzügig sowohl Kreditkarten verteilt als auch mittels Werbung den Leuten Urlaubskredite, Weihnachtskredite, Hochzeitskredite und Ausbildungskredite aufgedrängt.
Im Herbst 2008 Jahres wurden höhere Steuern angekündigt, sogar eine Kopfsteuer, die auch von BürgerInnen mit Einkünften unterhalb des relativ niedrigen, staatlich festgelegten Existenzminimums zu zahlen ist. Enorme Strompreiserhöhungen wurden angekündigt und mit steigenden Energiekosten entschuldigt, während zur gleichen Zeit der Ölpreis auf dem Weltmarkt von 144 Dollar pro Barrel auf 44 Dollar sank.
Gleichzeitig zeigten die Banken ihr anderes Gesicht: Kredite wurden reihenweise gekündigt und den KreditnehmerInnen, die mittlerweile entweder ihre Arbeitsplätze verloren haben oder um diese bangen müssen, wurde eine Weiterführung der Kredite nur zu erheblich höheren Zinsen gewährt. Je tiefer die Europäische Zentralbank die Zinsen senkt, umso mehr erhöhen die griechischen Banken ihre Kreditzinsen. Kontoüberziehungen kosten 23%.
Das staatliche Gesundheitswesen existiert de facto nicht mehr. Versicherte müssen bei Kassenärzten das Honorar zunächst aus eigener Tasche vorfinanzieren, die Medikamente bezahlen und dann die bürokratischen Hürden der Rückerstattung durchlaufen. Die staatlichen Krankenhäuser, staatlich gesicherte Sozialversicherungen und die öffentliche Hand haben einen Schuldenberg von mehreren Milliarden angehäuft und ÄrztInnen, ApothekerInnen sowie Krankenhauszulieferer nicht bezahlt. Aufgrund erstellter Rechnungen müssen diese allerdings die Mehrwertsteuer sowie ihren Einkommensteueranteil auch für die geschuldeten Rechnungen bezahlen.
Griechenland gehört zu den Ländern Europas, die eine relativ hohe Rate an AkademikerInnen vorweisen können. Trotzdem herrscht gerade unter Jugendlichen und 30 bis 40jährigen eine hohe Arbeitslosigkeit. Viele IngenieurInnen, RechtsanwältInnen und sogar ÄrztInnen müssen mit Monatslöhnen von brutto 800 Euro in einem Status der Scheinselbstständigkeit überleben.
28 Milliarden Euro direkte Wirtschaftshilfe der Regierung an die Banken werden weder den KundInnen noch den für 800 Euro arbeitenden Bankangestellten zugute kommen.
Der Mord an Alexandros Grigoropoulos traf punktgenau ins Zentrum der Misere. Genau einer jener Jugendlichen, der als Schüler vor diesem Hintergrund in eine Zukunft ohne Zukunft hineinwuchs, wird von einem Streifenpolizisten erschossen.
Blitzschnell wurde landesweit mobilisiert. Besetzungen, Angriffe auf Banken, Luxusgeschäfte, Demonstrationen folgten so schnell, daß selbst die Bullen oft erst später als die DemonstrantInnen erfuhren, warum sie angegriffen wurden. Über die riots nach diesem Mord wurde selbst hierzulande berichtet, was aber regelmässig unter den Tisch fällt, sind die vielfältigen Arbeitskämpfe in Griechenland.
ErdbeerarbeiterInnen Streik April 20082
In Manolada werden 25.000 Tonnen Erdbeeren jährlich produziert, die auf den europäischen Märkten verschleudert werden. Die ArbeiterInnen stammen meistens aus Bulgarien, Bangladesh, Pakistan und leben in einem Zustand absoluter Willkür. Sie arbeiten ohne Sozialversicherung. Viele ArbeiterInnen sind „illegal“ im Land, viele sind „halblegale“, denen die vorläufige Aufenthaltserlaubnis leicht entzogen werden kann. Die Bosse „vergessen“ gerne mal die mickrigen 18 Euro Lohn pro (bis zu 12stündigem) Arbeitstag zu zahlen, achten aber darauf, ihre bis zu 120 Euro im Monat für die elenden Behausungen pünktlich einzuheben. Drei Euro Provision pro Tag für die Vermittler sind keine Seltenheit.
Ausbeutung und Repression gegen MigrantInnen ist keine Spezialität der ländlichen Regionen. Eine Woche zuvor waren in Thessaloniki drei junge Leute aus Afghanistan zusammengeschlagen worden. Einer von ihnen ist am 25.4. noch in Haft.
Einer der ersten Streiks von ca. 2.000 – 3.000 MigrantInnen in den Erdbeerfeldern Griechenlands in Manolada bei Olympia gegen die erniedrigenden Löhne und die elenden Lebensbedingungen wird am 19.4.08 von den Grundbesitzern gewaltsam angegriffen. Die ArbeiterInnen hatten eine Versammlung einberufen, in der die Fortsetzungen des Kampfes besprochen werden sollte. Die örtlichen Grundbesitzer griffen die ArbeiterInnen an, ausgerüstet mit Stöcken und Feuerwaffen begannen sie auf die Leute einzuschlagen um sie zur Arbeit zurückzutreiben.
Vier ArbeiterInnen kamen ins Krankenhaus. Aber die Versammlung ging weiter. ArbeiterInnen aus anderen Bereichen, strömten herbei. Gewerkschafter, die die Streikenden unterstützen, wurden selbst zusammengeschlagen, sie sprechen von Terrormethoden der Großbauern und davon, dass die Grundbesitzer ihre Vorarbeiter auf die TaglöhnerInnen gehetzt haben. Die örtlichen Grundbesitzer handeln bei ihrem Terror gegen die ArbeiterInnen in Absprache mit der Polizei; ungefähr 10 ArbeiterInnen, die meisten von ihnen MigrantInnen, wurden festgenommen.
Nach diesem Vorfall war klar, dass nur wenige MigrantInnen an der Mobilisierung am darauffolgenden Sonntag teilnehmen würden. Da die meisten von ihnen zur Arbeit zurückgekehrt waren, kam man überein, die vorgeschlagenen 26 Euro am Tag (der gesetzliche Mindestlohn beträgt 30 Euro für einen Achtstundentag) anzunehmen – die Bosse hatten keine große Wahl, denn die Erdbeeren drohten zu verfaulen.
Attentat auf eine Gewerkschafterin3
Auf die Schriftführerin des unabhängigen Syndikats der Reinigungskräfte und Haushaltshilfen im Großraum Athen, Constantina Cuneva, wurde am 23.12.2008 ein Säureanschlag verübt. Sie wird seitdem im Krankenhaus behandelt und ist mittlerweile außer Lebensgefahr. Ihre Gesundheit wird bleibend geschädigt sein, auf einem Auge hat sie ihre Sehkraft komplett eingebüßt, nach wie vor leidet sie unter schwerer Atemnot, innere Organe sind schwer angegriffen.
Obwohl unklar ist, wer die Täter des Mordanschlages waren, deutet vieles auf eine Auftragstat von Arbeitgeberseite hin, da sich ihr kämpferisches Syndikat seit Jahren in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen gegen die systematische Verletzung ihrer ArbeitnehmerInnenrechte durch das Reinigungsunternehmen OIKOMET des Unternehmers, Sportfunktionärs und bekannten PASOK-Mitglieds Nikítas Oikonomáki befindet. Erst vor einer Woche hatte sie die vollständige Auszahlung des Weihnachtsgeldes für sich und ihre KollegInnen eingefordert. Ihre Mutter wurde von OIKOMET entlassen, sie selbst strafversetzt. Aufgrund ihres Widerspruchs war für den 5.1.09 vor dem Arbeitsgericht Athen ein Schiedstermin anberaumt.
Mitverantwortung trifft die beiden staatlichen Betriebe EBO (Griechische Wagonbauindustrie) und ISAP (Elektrische Bahnen Athen-Piräus), für die OIKOMET als Subunternehmen tätig ist und die den wiederholten öffentlichen Beschwerden des Syndikats genauso mit Desinteresse begegneten wie die Verantwortlichen des Transport- und des Arbeitsministeriums. OIKOMET beschäftigt offiziell 800 ArbeiterInnen – fast alle sind Migrantinnen – und ist als Generalunternehmer für die Reinigung der U-Bahnwagons und U-Bahnhöfe zuständig.
Weder von staatlicher Seite noch von der GSEE (Allgemeiner Griechischer Gewerkschaftsbund) gibt es bisher Stellungnahmen zu dem Anschlag.
Am 26.12. versammelten sich um 15 Uhr ca. 200 solidarische Menschen vor dem Krankenhaus Evangelismós. Es handelte sich um AnarchistInnen, Linksradikale, unabhängige GewerkschafterInnen, Mitglieder von SYRIZA (Allianz der radikalen Linken) und ArbeitskollegInnen von Constantina. Eine Kollegin hielt eine kurze Rede und informierte über den Kampf des Syndikats in den letzten Jahren. Ein Transparent mit der Aufschrift: „Constantina du bist nicht alleine – der Terror der Arbeitgeber wird nicht siegen!“, drückte die Solidarität der Versammelten aus. Spontan wurden 1.400 Euro für Constantina, die alleinerziehende Mutter eines 10 jährigen Sohnes ist, gesammelt.
Solidarische ArbeiterInnen haben am 27.12. in Athen das Zentralgebäude der staatlichen ISAP (Elektrische Straßenbahnen Athen-Piräus), dem Betrieb, in dem Constantina Cuneva arbeitete, besetzt. Ihr Ziel ist die Unterstützung des Kampfes der ArbeiterInnen des Syndikats der Reinigungskräfte und Haushaltshilfen Athens und die persönliche Unterstützung von Constantina Cuneva. Am 30.12. wurde das Gewerkschaftshaus in Thessaloniki besetzt. Demonstrationen fanden in Athen, Piräus und Thessaloniki statt.
Die UnterstützerInnen von Constantina betonen, dass sich der Mordanschlag nicht nur gegen eine widerständige Gewerkschafterin richtet. Als ebenso bedeutend wird die rassistische Komponente gewertet, da Constantina Cuneva als bulgarische Migrantin eine von zehntausenden ausländischen Arbeitskräften ist, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in Reinigungsfirmen ausgebeutet werden. Der Anschlag zeige, wie gefährlich die Bosse werden, wenn die von ihnen Ausgebeuteten beginnen, sich unabhängig von bürokratischen Gewerkschaften zu organisieren.
Constantina und ihre MitstreiterInnen des Syndikats hatten sich unter anderem aktiv an den Vollversammlungen der aufständischen ArbeiterInnen während der Besetzung der GSEE-Zentrale in Athen beteiligt.
Eine der Hauptforderungen des Syndikats war seit Jahren die Bezahlung ihrer Arbeit nach der Kategorie der „schweren und gesundheitsschädlichen Berufe“, was u.a. zu höheren Löhnen, früherem Renteneintritt und höheren Renten führt. Als „schwer und gesundheitsschädlich“ wird ihre Arbeit nur bei einer täglichen Arbeitszeit von sechs Stunden (wöchentlich 30 Stunden) anerkannt. Alle ArbeiterInnen bei OIKOMET erhalten jedoch nur Arbeitsverträge über viereinhalb Stunden pro Tag, um unterhalb der erforderlichen 30 Wochenstunden zu bleiben.
Am 28.12. beteiligten sich 500 solidarische Menschen an einer Demonstration vom besetzten ISAP-Zentralgebäude zum Krankenhaus Evangelismós. RednerInnen machten deutlich, dass die Täter ihr Ziel – nämlich die kämpferischen Frauen des Reinigungssyndikats zur Aufgabe zu zwingen – nicht erreichen werden: „Wer eine von uns angreift, bekommt Ärger mit uns allen!“ Am 29.12. begleiteten 400 Personen eine Arbeiterin von OIKOMET zu einem Disziplinargespräch im OIKOMET Hauptgebäude in Piräus. Da die Firmenleitung wohl Wind davon bekommen hatte, war das Gebäude leer, verschlossen und von Polizeieinheiten geschützt. Nach einer kurzen Auseinandersetzung gelang es diese in die Flucht zu schlagen. Mehrere Helme, Schilde und Schlagstöcke gingen dabei verloren.
AktivistInnen in Thessaloniki besetzten am 30.12. das Gewerkschaftshaus. In einer Erklärung fordern sie die Aufklärung des Anschlags und die Bestrafung der Täter und ihrer Auftraggeber. Auf riesigen Transparenten an der Forderfront des Gebäudes heißt es: „Ihre Gewinne – unser Blut, Generalstreik! Alle auf die Straße“ und „Kein Vertrauen in GSEE und Parteien – Selbstorganisierung in den Syndikaten – Dauerstreik jetzt!“ Täglich um 19 Uhr fanden Vollversammlungen statt. Die Arbeit der einzelnen Syndikate im Haus werde nicht behindert, einzig das GSEE-Zentralbüro sei bis auf weiteres geschlossen.
Am 3.1. demonstrierten 1.000 Menschen in Áno Petrálona, wo Constantina wohnt, ihre Solidarität mit der Syndikalistin. Auch in Thessaloniki zogen am 5.1. 500 Menschen von der nach wie vor besetzten Gewerkschaftszentrale in einer Demonstration durch die Innenstadt.
Die BesetzerInnen der Aristoteles Universität in Thessaloniki fordern in einer Erklärung vom 3.2.2009:
„Weder hier noch irgendwo – Leihfirmen raus aus den Universitäten, Nieder mit der Leih-Sklaverei in der Aristoteles Universität!
Die Universität beschäftigt die Leihfirma OEKOLOGIKI, eine Reinigungsfirma desselben Konsortiums wie OIKOMET. Diese Firmen setzen ihre Belegschaft mit deren eigener Ausrüstung für die betreffenden Tätigkeiten ein. So ergeben sich zwei Arten von Vertragsverhältnissen: Eines zwischen der Universität und der Vertragsfirma, ein anderes zwischen der Firma und ihren Angestellten. Prekarität, Unsicherheit und Ungewißheit, ob die Zeitverträge verlängert werden, sowie Drohungen, Einschüchterung und Verletzung der Arbeitsrechte. (…)
Wir, die StudentInnen, ArbeiterInnen und arbeitslosen Leute haben eine Inititative gegen Leiharbeitsfirmen auf der Aristoteles Universität gesetzt. Unser Ziel ist es, unsere Solidarität mit Constantina Cuneva auszudrücken und wirksame Aktionen gegen die Leiharbeitssklaverei zu setzen. Wir fordern das Aus für alle Leiharbeitsfirmen in der Aristoteles Universität Thessaloniki und die volle reguläre Anstellung der ArbeiterInnen durch die Universität.
Wir fordern das Ende aller Leihverträge, dauerhafte Anstellungen für alle ArbeiterInnen, GriechInnen und MigrantInnen an unserer Universität, neue Verträge, die eine dauerhafte, ordentliche und stabile Beschäftigung garantieren.
Raus mit den Mördern von OIKOMET-OIKOLOGIKI! Raus mit allen Leih- und Privatfirma aus den Universitäten!“
Kretische BäuerInnen in Athen4
Am 2.2.2009 versuchten ca. 2.000 protestierende BäuerInnen aus Kreta, begleitet von hunderten Traktoren, von Piraeus zum Parlament zu marschieren, um gegen die Agrarpolitik der Regierung zu protestieren. Sie wurden mit Tränengas und Pfefferspray empfangen. Im Zuge der darauffolgenden Auseinandersetzungen kam es zu zwei Festnahmen. Am 3.2. kamen noch 100 weitere Bauern und Traktoren in Piraeus an. In Kreta antworteten die BäuerInnen mit Straßenblockaden in den wichtigsten Städten Kretas und der Besetzung von Regierungsgebäuden.
Obwohl die Blockade der wichtigsten Autobahnen in den vorangegangenen Tagen nachgelassen hatte, waren die Grenzübergänge nach Bulgarien bis dahin noch für einen Großteil des Verkehrs blockiert.
Die BäuerInnen verlangten Garantien der Regierung, dass die Produkte der Insel in das 500 Millionen-Euro-Hilfspaket einbezogen werden. Verhandlungen hatten zu keinem Ergebnis geführt und so beschlossen die BäuerInnen, nicht nach Kreta zurückzukehren. Im Gegenteil. Es reisten immer mehr BäuerInnen an. Und die griechische Gewerkschaft der Handelsschiff-Maschinisten kündigte an, dass sie streiken werde, wenn die Aufstandsbekämpfungspolizei nicht aus dem Hafen zurückgezogen wird.
Kurze Geschichte eines Aufstands5
Im Zuge einer gewöhnlichen Auseinandersetzung in der Nähe des Exarchia-Platzes wird der 15jährige Alexis-Andreas Grigoropoulos am 6. Dezember 2008 gegen 21:10 Uhr von einem Polizisten einer Sondereinheit kaltblütig erschossen. Sofort versammelt sich eine größere Menge – überwiegend Antiautoritäre – in der Gegend, um herauszufinden, was vorgefallen ist, und um ihre Wut über die Polizeibrutalität zum Ausdruck zu bringen. Mehrere hundert Polizeibeamte versuchen die Gegend abzuriegeln, um weitergehende Reaktionen auf den Vorfall zu unterdrücken, was ihnen jedoch nicht gelang: Die Leute beginnen spontan, die Polizei mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln anzugreifen. Binnen weniger als zwei Stunden versammeln sich mehr als 10.000 Menschen auf den Straßen, um den Vorfall publik zu machen und die Polizei zu attackieren. Einige anarchistische Gruppen besetzen das nahe gelegene Polytechnikum sowie die Wirtschaftsfakultät, um sie als Zentren für den Kampf zu nutzen. Auch die Rechtsfakultät, die weniger als einen Kilometer vom Tatort des Mordes entfernt liegt, wird von Linken besetzt. In diesem Bezirk dauern die Zusammenstöße mit der Polizei und die Angriffe auf Banken und Geschäfte bis 4 Uhr morgens an.
Per Internet und Handy wird die Nachricht über den Mord in Windeseile verbreitet. Etwa 150 Leute, die sich bereits am Monastiraki Platz befinden, gehen spontan dazu über, fast alle Geschäfte in der Ermou-Straße anzugreifen und zu plündern, die im weltweiten Ranking der Luxus-Einkaufsstraßen Platz 11 belegt. Auch viele Besucher der Kneipen und Clubs in der Gegend schließen sich dem an. In der Athener Innenstadt wird die Polizeistation nahe der Akropolis bei einem Angriff schwer beschädigt. Die Nachricht vom Mord an dem Jungen erreicht auch sofort andere Städte, in denen es ebenfalls zu Angriffen auf Banken, Polizeiwachen und Geschäfte kommt.
In den folgenden Tagen und Wochen greifen die Proteste auf ganz Griechenland, auch auf die Inseln, über. Tausende gehen auf die Strasse, greifen Polizeiwachstuben an, besetzen Schulen und Universitäten und liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei.
Unter den Aufständischen befinden sich nicht nur jugendliche SchülerInnen und StudentInnen, oft schließen sich auch deren LehrerInnen und Eltern den Demos an. Im Parlament sind sich Regierung und Opposition einig darüber, dass es sich um „Kriminelle“ handelt, die die Straßen und Plätze besetzen. Auch die KKE, die griechische kommunistische Partei, denunziert die DemonstrantInnen und phantasiert über „Geheimagenten dunkler ausländischer Mächte“, die üblichen RädelsführerInnen. Die Geschichte wiederholt sich: Seit 35 Jahren ergeht sich diese Partei in dem immergleichen monotonen und gefährlichen Mantra über „Provokateure“; so hielt sie es schon mit den Studenten und Arbeitern, die 1973 das Polytechnikum besetzten und damit den Sturz der Diktatur einleiteten. Kader des kommunistischen Studentverbandes versuchen, Versammlungen an Athener Universitäten, in denen über die Besetzung derselben gesprochen werden soll, zu verhindern, scheitern jedoch. Die Besetzungen dehnen sich über ganz Griechenland aus.
8. Dezember: Man könnte zwar sagen, dass die Initiative von den griechischen Jugendlichen – StudentInnen und prekären ArbeiterInnen – ausgeht und sich die MigrantInnen ihnen anschließen, aber im Straßengeschehen sind die einen kaum von den anderen zu unterscheiden. Die albanischen MigrantInnen der zweiten Generation greifen vor allem Polizisten und Geschäfte an, während andere MigrantInnen sich weitgehend auf Plünderungen beschränken. Etwa das halbe Stadtzentrum von Athen ist von Riots und Plünderungen betroffen. Die Polizei ist weit entfernt davon, die Lage unter Kontrolle zu bekommen, da zu viele Leute auf der Straße sind und in 10- bis 20köpfigen Kleingruppen vorgehen.
Vor allem in Athen und in Heraklion (Kreta) bilden MigrantInnen einen großen Teil der Aufrührer, so dass sich die Unruhen mit Recht als erster multinationaler Riot in Griechenland bezeichnen lassen. Die Medien versuchen ihre Propaganda dieser vollkommen neuen Situation anzupassen und sprechen von „griechischen Protestierern“ und „ausländischen Plünderern“, um den Rassismus anzuheizen. Bis zum 14.12. ist etwa die Hälfte der Festgenommenen MigrantInnen, der Vorwurf lautet in den meisten Fällen Plünderung. In ganz Griechenland handelt es sich bei der großen Mehrheit der Inhaftierten um Jugendliche.
Am 10. Dezember findet ein Generalstreik statt, der bereits vor einem Monat beschlossen wurde und sich vor allem gegen den Staatshaushalt für 2009 richtet. Aufgrund der anhaltenden Riots sprechen sich die Gewerkschaftsführer jedoch auch gegen die Polizeibrutalität aus, wobei sie zwischen „Krawallmachern“ und „verantwortungsvollen friedlichen Demonstranten“ trennen. An der Kundgebung auf dem Syntagma Platz nehmen über 7.000 Menschen teil. Einige Protestierende greifen die Polizei mit Brandsätzen an; der Generalstreik legt Griechenland lahm und verstärkt den Druck auf die bereits wankende Regierung.
Die Riots haben sich inzwischen auf 42 Regierungsbezirke in Griechenland ausgeweitet, selbst auf Städte, wo zuvor nicht einmal Demonstrationen stattgefunden haben. Das Muster ist überall das gleiche: Vor allem StudentInnen und Jugendliche greifen Polizeiwachen, Banken, Geschäfte und staatliche Gebäude an. Sie kommunizieren per Handy miteinander und versammeln sich spontan. AnarchistInnen und Politniks machen nur einen kleinen Teil der Aufständischen aus und sind oftmals selbst von der Heftigkeit, der Ausweitung und der Dauer der Ausschreitungen überrascht.
Am Morgen des 11. Dezember besetzt eine Gruppe von Libertären das Rathaus von Aghios Dimitrios, eines Vorortes im Süden Athens. Abends findet dort eine Versammlung statt, an der sich auch viele AnwohnerInnen aus der Nachbarschaft beteiligen; die örtlichen ArbeiterInnen aus dem öffentlichen Dienst unterstützen die Besetzung. Das Rathaus dient seitdem als Versammlungsort und Zentrum der Gegeninformation. Sechs Tage später besetzen ArbeiterInnen die Gewerkschaftszentrale in Athen und veröffentlichen folgendes Kommunique:
Generalversammlung der aufständischen ArbeiterInnen, 17. Dezember 2008
Entweder werden wir unsere Geschichte selbst bestimmen oder sie wird ohne uns bestimmt
Wir – ArbeiterInnen, Angestellte, Arbeitslose, ZeitarbeiterInnen, einheimische wie migrantische – sind keine passiven FernsehzuschauerInnen. Seit dem Mord an Alexandros Grigoropoulos nehmen wir an den Demonstrationen, den Auseinandersetzungen mit der Polizei, den Besetzungen im Stadtzentrum und den anderen Vierteln teil. Immer wieder mussten wir die Arbeit und unsere anderen Verpflichtungen stehen lassen, um mit den SchülerInnen, StudentInnen und den anderen kämpfenden ProletarierInnen auf die Straße zu gehen.
Wir haben beschlossen, das GSEE-Gebäude zu besetzen
* um es in einen Raum für freie Diskussion und in einen Treffpunkt für ArbeiterInnen zu verwandeln.
* um neben anderen Märchen den von den Medien verbreiteten Mythos aufzulösen, die ArbeiterInnen hätten sich bis jetzt aus den Zusammenstößen stets herausgehalten und die Wut dieser Tage sei bloß die Angelegenheit einiger 500 „Vermummter“ und „Hooligans“ gewesen. Und während einem auf den Fernsehbildschirmen die ArbeiterInnen als Opfer dieses Kampfes präsentiert werden, führt die kapitalistische Krise in Griechenland und weltweit zu zahllosen Entlassungen, die von Medien wie Managern als ein „Naturphänomen“ behandelt werden.
* um die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie zu entlarven, die den Aufstand – und nicht nur diesen – untergräbt. Der GSEE und der gesamte ihn unterstützende Apparat unterminieren seit Jahrzehnten die Kämpfe, verschachern unsere Arbeitskraft für Brosamen und verewigen das System der Ausbeutung und der Lohnsklaverei. Die Haltung des GSEE letzten Mittwoch sagt alles: er blies die von Streikenden geplante Demonstration ab und veranstaltete stattdessen eine kurze Versammlung auf dem Syntagmaplatz. Dabei stellte er sicher, dass die Menge sich eiligst auflöste, da er befürchtete, dass sie vom Virus des Aufstandes angesteckt werden könnte.
* um erstmalig einen Ort zu öffnen, der durch unsere Beiträge zwar gebaut wurde, von dem wir aber bislang ausgeschlossen waren. Dies in Fortsetzung der vom Aufstand selbst geschaffenen sozialen Öffnung. All die Jahre vertrauten wir unser Schicksal Errettern aller Art an, um schließlich unsere Würde zu verlieren. Als ArbeiterInnen müssen wir anfangen, die Verantwortung für uns selbst zu übernehmen, statt unsere Hoffnungen auf weise Führer oder „fähige“ Repräsentanten zu richten. Wir müssen unsere eigene Stimme erlangen, uns treffen, reden, entscheiden und handeln. Dem generalisierten Angriff werden wir standhalten. Die Schaffung von kollektivem „Graswurzel“-Widerstand ist der einzige Weg.
* um die Idee der Selbstorganisation und der Solidarität am Arbeitsplatz, der Streikkomitees und einer kollektiven Graswurzel-Arbeit zu verbreiten, um die Gewerkschaftsbürokraten zu entmachten.
All diese Jahre haben wir das Elend, die Zuhälterei, die Gewalt in der Arbeit geschluckt. Wir haben uns daran gewöhnt die Verkrüppelten, und unsere Toten – die sogenannten „Arbeitsunfälle“ – zu zählen. Wir haben uns daran gewöhnt zu ignorieren, dass MigrantInnen – unsere Klassenbrüder und -schwestern – getötet werden. Wir sind es müde, mit der Angst um den Lohnerwerb, die Steuerabrechnung und die Rente, die sich jetzt wie ein ferner Traum ausmacht, zu leben.
So wie wir darum kämpfen, unser Leben nicht den Händen der Bosse und der Gewerkschaftsvertreter zu überlassen, so werden wir auch keine der inhaftierten Aufständischen den Händen des Staates und der Justizmaschine überlassen.
Sofortige Freilassung der Inhaftierten!
Keine Anklage gegen die Festgenommenen!
Selbstorganisation der ArbeiterInnen!
Generalstreik!
Anmerkungen
1 www.heise.de, www.hintergrund.de, international.koel.gr, www.jungewelt.de
2 athens.indymedia.org, www.fr-online.de, www.nrhz.de
3 balkans.puscii.nl, www.fau.org
4 www.nowpublic.com
5 http://www.klassenlos.tk/