Nach der Wahl in Griechenland: Möglichkeiten und Grenzen linker Regierungspolitik

Transkript einer Veranstaltung der Grundrisse vom 9.2.2015 im Amerlinghaus, Teil 1.1

Nach der Wahl in Griechenland: Möglichkeiten und Grenzen linker Regierungspolitik

Teil 1

Moderator: Zum Thema heute, der Regierungsübernahme von Syriza in Griechenland könnte man mit Badiou sagen, es handelt sich um ein Wahrheitsereignis. So sagt man das theoretisch. Alltagssprachlich gesagt, es ist ein historischer Wendepunkt. Und zwar nicht nur für Griechenland, sondern die EU, den Euro dann, sondern also welthistorisch. Die Latte ist jetzt ein bisschen hochgelegt. Ich sage aber jetzt mal trotzdem so. Weil der Badiou sagt, das Letzte, das so ein Wahrheitsereignis war, das war - als Maoist - die chinesische Kulturrevolution als letzter und recht bald gescheiterter Versuch, in Herrschaftsform eines Staatenkommunismus das Projekt der Oktoberrevolution zu retten. Was aber nicht gelungen ist.

Als 68er Bewegung, wenn man es als Bewegung sieht, europa-intern jetzt, dann war das halt diese Kreisky-Brandt-Palme-Sozialdemokratie. Dieser Reformschub, den sie da gebracht haben, um den Kapitalismus ein bisserl gesellschaftlich abzumildern oder so. Das ist die Periode, seit der ich tätig bin und politisch gekämpft habe. Das war das Letzte, das habe ich gerade noch mitgekriegt. Diese Schritte vorwärts. 68 einerseits, dann die sozialdemokratische Domestizierung, und dann die Niederlage, wie der Putsch in Chile war. Wie wir ja alle wissen, war dieser Putsch in Chile ja der Punk - also erst war der Putsch, dann hat der Pinochet die Arbeiterbewegung und die revolutionäre Bewegung weggeschossen. Und dann sind die Chicago-Boys gekommen und haben dort, unter dem Pinochet, als erstes dieses neoliberale Regime ins Werk gesetzt. Das seit damals immer weiter vormarschiert ist. Und unter dem wir bis heute leiden.

Wir haben die ganze Zeit immer wieder gekämpft. Das war immer gegen irgendwelche Verschlechterungen. Da sind wir meistens nicht durchgekommen. Manchmal haben wir was zwei, drei Jahre aufgehalten. Aber dann ist es trotzdem gekommen. Aber es waren ständige Rückzugsgefechte.

Und jetzt ist aus einer sehr prekären Situation heraus einmal wieder ein Schritt nach vorn - ein sehr zögerlicher, ein sehr kleiner, aber halt in die andere Richtung. Das muss man auch einmal sehen. Weil immer zurück, zurück, zurück, 40 Jahre lang. (...)

Ich finde, das ist ungeheuer wichtig. Und man merkt schon, das hat Auswirkungen. Weil das zeigt, dass man auch unter den gegenwärtigen Bedingungen einen Schritt in die andere Richtung machen kann. Also da kannst du einem jeden sagen "wenn die das in Griechenland schaffen mit so und so viel Schulden, warum geht das in Österreich eigentlich ned? Das ist kein Hirngespinst." Und man merkt ja auch, dass sich das auswirkt. Gut, das war ein bisschen philosophisch. (...)

Anfangen wird einmal die Caterina, um ein gleiches Ausgangsniveau der Information - das Beste, was es gibt - darzustellen. Wo wir anfangen können zu diskutieren. Unsere Überlegung war, man kann ja irrsinnig viele Sachen diskutieren und Aspekte. Und uns würde besonders, deshalb haben wir auch Leute von Mosaik und (...) eingeladen. Dieser Aspekt Bewegung - Organisation - Partei und Staat. Wie verhält sich das? Früher? Und unter den neuen Bedingungen? Das ist unser Schwerpunkt.

Genosse: Ich würde sagen, dass ihr eure inputs macht, und ich dränge mich dann auch noch auf. Weil ich tatsächlich eine Partei aufbauen will.

Syriza-Vertreterin: Erstmal herzlichen Dank für die Einladung. Ich werde versuchen, euch erstens zu informieren darüber, was jetzt tatsächlich gerade passiert. Aber auch meine persönliche Einschätzung der Dinge auch geben. Ich werde auch versuchen, das nicht zu lange zu halten, nur seit gestern gibt es auch die programmatischen Äußerungen der neuen Regierung. Und ich nehme an, nachdem das noch nicht ausführlich beschrieben worden ist in der deutschsprachigen Presse, wollt ihr mehr darüber hören.

Am 25.1. hat Syriza die Wahlen gewonnen. Es war ein sehr kurzer Wahlkampf. Es war auch vorgezogener Wahlkampf. Begründungen dafür gibt es viele. Wahrscheinlich stimmt ein bisschen was von allem. Es gab die Termine, die die vergangene, die alte griechische Regierung einhalten musste. Oder Griechenland als Land, gegenüber den Geldgebern. Andererseits war die Situation schon so verheerend in Griechenland, dass es nicht mehr ging.

Die letzten 2 Jahre hat man ständig von der ehemaligen griechischen Regierung gehört, dass alles gut wird, die Arbeitslosigkeit gerade wieder stagniert - das waren gute Nachrichten. Oder dass die (...) klappen und so weiter. Das hat alles keinen Ausdruck in der Lebensqualität der Menschen gefunden. Es ist sogar die Situation wirklich schlimmer geworden.

Die Regierung war dann plötzlich nicht nur mehr für Austerität, sondern sie hat die Korruption bevorzugt. Die Demokratie hat in Griechenland eigentlich nicht mehr funktioniert. Aus Anlass des Falles des Staatspräsidenten ist die Regierung tatsächlich daran gescheitert. Und es ist zu Neuwahlen gekommen.

Diese kurze Vorwahlzeit war sehr hart. Das haben wir in Österreich auch mitbekommen. Wenn man griechische Medien beobachten könnte, hätte man die tatsächliche Wucht dieser Gegenpropaganda gesehen. Für 20 Tage hat man im Fernsehen nichts seitens der Regierung nichts anderes gehört als "sobald Syriza gewinnt, werden wir bankrott gehen", "die Geldautomaten geben kein Geld mehr her", sofort. Ohne jegliche Diskussion.

Tatsache ist - und da ist eine Verbindung zu Chile - dass diese Angstpropaganda, die Griechenland gegenüber geführt wurde, nicht funktioniert hat. Syriza hat 20 Tage lang Wahlkampf mit Hoffnung gemacht. Und das haben die Leute gebraucht. Und sie haben auch daran geglaubt. Die emotionale Ebene.

So, wie sich die Tage nach dem Sieg entwickelt haben, hat sich auch diese Hoffnung bestätigt. Nur ein paar Beispiele. Vor den Wahlen gab es natürlich verschiedene Umfragen. Tsipras war damals immer an 2. Stelle hinter Samaras, dem ehemaligen Premierminister, und hat nicht mehr als 30% erhalten. Und jetzt, 2 Wochen nach der Wahl, hat er eine Zustimmung von 70%. 70% der Leute glauben, er ist der beste Premierminister, den wir jetzt haben können. Was natürlich hilft.

Am Sonntag gab es eine große Mobilisierung. Die erste große Mobilisierung für die Regierung. So wie du vorher richtig gesagt hast, meistens finden sich Linke in den letzten Jahren auf der Straße, um gegen was zu demonstrieren. Und es gab plötzlich eine pro-Regierungs-Demo. Innerhalb von 24 Stunden. Die nicht von Syriza gesteuert war. Es gab sogar sehr viele Leute, die sich beschwert haben. Weil die Partei nicht die Initiative genommen hat. Tatsächlich, von null aus, sind Leute auf die Straße gegangen, um die Regierung zu unterstützen. Und das ist auch ein positives Zeichen.

Es gab heute auch eine kleine Demo in Wien. Und es gibt europaweit diese Woche Mobilisierungen, um die Syriza-Regierung zu unterstützen. Die meisten finden am Mittwoch und am Sonntag statt. Hier in Wien machen wir eine Kundgebung vor dem Omofuma-Denkmal, um 17 Uhr. Und gleichzeitig demonstrieren wir auch gegen die Gesetzgebung in Spanien, die Demonstrationen verbietet.

Wenn man unter Linken über den Sieg sprechen will, spreche ich gleich direkt die Koalition mit ANEL an. Ich war auch nicht glücklich. Erstens war ich am Sonntag nicht glücklich, als um 11 am Abend klar war, dass wir diese 2 Mandate nicht mehr bekommen. Wir haben es echt knapp verpasst. Die Sitzverteilung ist jetzt 149 Mandate für Syriza, wir bräuchten 151 für die Absolute. Die meisten von uns waren baff. Es war ein Sieg, und eine große Zustimmung der Gesellschaft einerseits. Andererseits, was machst du jetzt?

Was willst du machen? Weil hätten wir 143, 142 Mandate bekommen, könnten wir sagen, wir orientieren auf Neuwahlen. Wir nehmen es nicht an. Die Möglichkeit wäre noch da.

Frage: Und die ist diskutiert worden?

Syriza-Vertreterin: Die ist parteiintern diskutiert worden, ich war nicht dabei. Bei 149 Mandaten sagst du dann "ok., die Leute wollen, dass du das jetzt machst"! Du kannst nicht "nein" sagen. Das Land wieder in Neuwahlen einzuwickeln wäre extrem gefährlich, vor allem unter diesem internationalen und nationalen Druck, innerhalb Griechenlands.

Die KKE [Kommunistische Partei] hat sich geweigert, Tsipras zu treffen. Und das schon am Freitag vor der Wahl. Das ist eine Information, die nicht bis nach Österreich gekommen ist. Also Syriza vorzuwerfen, dass sie kein Linksbündnis versucht haben, ist einfach nicht wahr. In jeder öffentlichen Stellungnahme hat jeder von Syriza gesagt "wir wünschen uns ein Linksbündnis". Und die KKE hat sich da konsequent distanziert. Das Hauptargument der KKE ist, dass Syriza innerhalb der Europäischen Union bleiben will, weil sie [die KKE] als imperialistisches Konstrukt sehen und so weiter.

Nur, Syriza hat die Wahlen gewonnen mit dem Versprechen an die WählerInnen, dass sie sich um eine Lösung der Situation bemühen wird - innerhalb der EU. Also dass Syriza jetzt für 2 Mandate da einen Rückzug macht, das wäre auch undemokratisch.

Die Koalition mit ANEL und was ANEL überhaupt sind. Ich möchte da auch über deren Programm POTAMI sprechen, weil falscherweise in mehreren österreichischen Magazinen und Nachrichtensendungen die als "linksliberal" beschrieben worden sind. Das sind sie nicht. Sie sind alles andere als links. ANEL ist eine Abspaltung von der Nea Dimokratia. Diese Abspaltung hat 2012 stattgefunden, als die ND das Zweite Memorandum ratifiziert hat. Ein paar ND-Abgeordnete haben sich abgespalten, weil sie sich geweigert haben, dieses Memorandum zu unterzeichnen.

Aus mehreren Gründen. Erstens gab es keine offene Diskussion. Niemand wusste, was dieses Memorandum ist. Man wusste: Wir bekommen Geld, weil wir das Memorandum unterzeichnet haben. Dafür mussten aber die Kollektivverträge abgeschafft werden, oder die Pensionen auf 50% gekürzt werden. Aber die tatsächlichen Verhandlungen wurden nie im öffentlichen Diskurs dargestellt. Noch dazu muss man sagen, dass vor 2012 ND selbst, als Partei, als Teil der Europäischen Volkspartei gegen das Memorandum war. Bis sie die Macht ergriffen haben. Da waren sie plötzlich dafür.

Abgesehen von den ND-Leuten sind da PASOKler, sind ein paar Schauspieler dabei, die sich davor nicht politisiert haben. Das könnt ihr übrigens auch im Internet nachlesen, die haben auch eine englische Zusammenfassung von ihrem Programm und ihren Forderungen.2 Sie bezeichnen sich als patriotisch, aber nicht nationalistisch. Sie sind dafür, dass die Schulden gestrichen werden, dass für eine internationale Kontrolle über diese Schulden aufgerufen wird, also ein internationales, unabhängiges Komitee, das die Entstehung dieser Schulden überprüft.

Sie sind auch für die Reparationszahlungen, die Deutschland Griechenland schuldet. Und sie sind auch für eine weitere Kontrolle der Politik. Zumindest im öffentlichen Dialog positionieren sie sich so. Man hat in den letzten 2 Wochen viel über ANEL und Antisemitismus gelesen. Ich kann euch sagen, das stimmt nicht.

Ich habe die Aussagen auf griechisch gelesen, das sagt Kammenos Kouvelis nicht. Was er sagt ist "die jüdische Gemeinde, die moslemische Gemeinde und so weiter, die zahlen keine Steuern in Griechenland". Weil religiöse Gemeinden davon ausgeschlossen sind. Wieso sollte dann plötzlich die griechisch-orthodoxe Kirche Steuern zahlen? Das ist ihr Gegenargument.

Wir natürlich als eine linke Partei sind dafür, dass sich Staat und Kirche endlich trennen. Dass die griechisch-orthodoxe Kirche endlich Steuern bezahlt, was sie bislang nicht macht.

Frage: Die jüdische Religionsgemeinschaft zahlt keine Steuern?

Syriza-Vertreterin: Keine religiöse Gemeinde in Griechenland zahlt Steuern. Er sprach über die Kirchen, die verschiedenen Institutionen, die Statuten und ihre Glaubensräume haben. Die zahlen keine Steuern, so wie die griechisch-orthodoxe Kirche. Sie zahlen z.B. keine Grundsteuer. Die Pfarrer in Griechenland werden vom Staat bezahlt. Das wissen auch die wenigsten, dass der Staat die Pfarrer bezahlt. Aus welchem Anlass? Und vor allem für eine Kirche, die Unmengen an Land besitzt in Griechenland, die den Bauern das Land nicht zur Verfügung gestellt hat in diesen Jahren, und die den Staat zusätzlich belastet mit Gehaltszahlungen. Das ist eine klare Differenzierung zwischen links und rechts.

Für Syriza war es wichtig, eine Regierung zusammenzustellen, die verhandeln kann. Wenn ich verhandeln sage, dann meine ich, die das ökonomische Programm durchsetzen kann. Die Regierung mit ANEL gibt uns nicht nur diese zwei Mandate, sondern 165 Sitze im Parlament. Das ist eine sehr, sehr starke Mehrheit. Es ist jedem in Syriza klar, dass ANEl uns mit ziemlicher Sicherheit bei der Durchsetzung der sozialen Agenda nicht unterstützen wird.

Um aber etwa das Migrationsgesetz, das gestern auch angekündigt wurde und über das am 12. abgestimmt wird, durchzusetzen, bräuchten wir nur 2 Stimmen. Für das Gesetz, das es endlich den Kindern von MigrantInnen ermöglichen wird, die Staatsbürgerschaft in Griechenland zu bekommen. Dafür brauchen wir 2 Mandatare. Entweder die PASOK, oder die KKE, oder das "linksliberale" Podtami sollen hier Verantwortung zeigen und mit Ja stimmen. Wir sind hier nicht abhängig von den Stimmen von ANEL. Das ist jedem bewusst. Niemand in Syriza hat die Illusion, dass wir eine Chance haben, diese soziale Agenda durchzusetzen mit Hilfe von ANEL. Die Regierung wird aber auch nicht daran scheitern, weil wir trotzdem diese Gesetze in das Parlament bringen werden, und diese Gesetze trotzdem abgestimmt werden - ob ANEL mitstimmt oder nicht.

Moderator: Eine konkrete Frage zum Modus. Bei uns wird z.B. vereinbart in der Koalition, es wird nur das als Gesetz eingebracht, was einstimmig davor unter den Regierungsparteien vereinbart worden ist. Also wenn es so einen Vertrag gibt, dann hätte ANEL ja ein Vetorecht.

Syriza-Vertreterin: Es gibt keinen solchen Vertrag. Es gibt nicht so einen Koalitionsvertrag wie in Österreich, den man einhalten muss, um die Koalition zu erhalten. Sondern es gibt gemeinsame Sitzungen und eben die Programmankündigung der Regierung. Die hat gestern stattgefunden. Man sieht, da sind überall die Syriza-Positionen drinnen. ANEL ist prinzipiell abwesend. Wie eben das Migrationsgesetz. Oder wenn es um die Außenpolitik geht: Es wird versucht, dass Zypern wieder ein einheitliches Land wird, zweisprachig und so weiter. Oder das Problem mit Mazedonien und Griechenland. Jetzt wird versucht, eine gemeinsame Lösung zu finden. Wenn es eine ANEL-Position wäre, dann würde man gar nicht darüber diskutieren. Aber das Programm dieser Regierung sagt, dass wir auf jeden Fall mit denen sprechen wollen. Das ist eine neue Position für Griechenland.

Grundrisse: Ich hätte eine Bitte, dass man schon auch zur Problematik "was ist als Regierung umsetzbar", "was kann nicht umgesetzt werden" und welche Schranken gibt es, dass das auch besprochen wird.

Syriza-Vertreterin: Ja, das habe ich auf meiner Liste. Ich lasse ANEL mal so stehen und wir können in der Diskussion darüber weiterreden. Wichtig ist, Syriza braucht ANEL nicht, um die Änderungen in der Innenpolitik durchzusetzen. ANEL ist ein Partner, wenn es um die Verhandlungen wegen der Wirtschaftspolitik mit den Außenpartnern geht.

Was gibt es jetzt für Fronten? Und inwiefern wird es möglich sein, sich da durchzusetzen? Prinzipiell sollte man das teilen in Inland und Ausland. Innerhalb Griechenlands ist erst einmal die humanitäre Krise. Umgesetzt wird da einiges. Am Mittwoch wird beispielsweise ein Gesetz umgesetzt für Gratisstrom, -essen und -unterkunft für die 300.000 Leute, die jetzt sehr bedürftig sind. Die Kollektivverträge werden schon nächste Woche im Parlament wieder besprochen. Alle aus dem Staatsapparat Entlassenen, die verfassungswidrig entlassen wurden, werden wieder eingestellt. Das inkludiert die Putzfrauen, die Schulwarte und die Akademiker, die entlassen wurden. Dann haben wir das Hauptproblem der Oligarchie in Griechenland, die nicht besteuert wurde in den letzten 40 Jahren.

Die Oligarchie, der Staatsapparat, Wiedergutmachung aller verfassungswidrigen Maßnahmen. Da haben wir ein paar, wie z.B. die Schließung von ERT3. Und gleichzeitig muss natürlich eine linke Regierung auch schauen, dass die Gesellschaft transformiert wird. Dass daraus eine faire und linke Gesellschaft wird. Und der Sozialismus ist nach wie vor in den Syriza-Statuten. Also wir sind noch nicht Sozialdemokraten, wie es manche glauben.

Im Ausland gibt es erst einmal Verhandlungen. Die laufen gerade. Jetzt gibt es die Gegenpropaganda, verschiedene Obskuritäten gegen Syriza, die in der Presse gedruckt werden. Dann die ökonomische Erpressung, wie Dijsselbloem [Vorsitzender der Euro-Gruppe], der verlangt hat, dass die griechische Regierung sich bis zum 16. Februar quasi niederkniet, sonst wird das Geld überhaupt abgedreht.

Und gleichzeitig gibt es die europaweiten Bewegungen, die sich gegen Austerität stellen wollen. Da ist Syriza auch sehr wichtig. Also man muss Vorreiter sein, das ist bei allen Linken das Paradigma.

Ich kann nur sagen, was bis jetzt passiert ist und was die nächsten Probleme sein werden. Was tatsächlich geschehen ist, schon am Sonntag: Alle 93 Ausschussakten, die in den letzten Jahren im Parlament verreckt sind, sind wieder hervorgeholt worden. Parlamentspräsidentin ist jetzt übrigens Zoe Konstantopoulou, eine Frau. Es wurde deklariert, dass kein einziges Gesetz per Dekret durchgehen wird. Das hat die vorige Regierung gemacht. Mit Notfallsgesetzen haben sie regiert.

Und die Gesellschaft nimmt eine Kontrollposition im Parlament wahr. Es wird BürgerInnenkomitees geben, die das Parlament direkt kontrollieren. Diese Statuten werden in den nächsten 2 Wochen geändert. Das werden sie auch schaffen durchzuziehen. Man hat erste Zeichen gesehen, wie es plötzlich keine Barrikaden mehr vor dem Parlament gegeben hat. Die wird es unter der Syriza-Regierung auch nicht mehr geben.

Es hat erstmals eine Antifa-Demo ohne Polizeibegleitung gegeben am letzten Samstag. Die Goldene Morgenröte hat protestiert, und es hat eine Gegendemo gegeben. Es war gar keine Polizei da oder die, die dabei waren, waren nicht bewaffnet. Wer schon mal auf einer Demo in Griechenland war, weiß, das ist schon mal ganz gut. Die Goldene Morgenröte wird rechtlich verfolgt, wie es sein sollte.

Es war die erste Regierung seit der Diktatur, die in Griechenland einen "politischen Eid" geschworen hat. Ich meine, das klingt kleinlich, ist es aber nicht in einem Land, das eigentlich konservativ ist. Wer sich einbildet, dass jetzt plötzlich 36% links geworden sind, weil sie Syriza gewählt haben, der irrt sich massiv. Ein Teil der Gesellschaft, vor allem der jungen Leute, wurde natürlich radikalisiert. Und die Mehrheit der jungen Leute, die sich politisiert haben, sind links, das stimmt. Aber es sind jetzt nicht 36% der Gesellschaft in Griechenland links, oder versteht, was das heißt. Das muss die Regierung jetzt schaffen, die Gesellschaft irgendwie nach links zu lenken.

Um diesen politischen Eid als Beispiel zu nehmen: Es gab eine Riesenempörung der Opposition, der vorigen Regierung "mein Gott, die sind keine Christen", "die haben ihre Kinder nicht getauft", "die legen einen politischen Eid ab"! Da, wo alle traditionell den Eid auf das Evangelium schwören. Dann hat man Nachrichtensendungen gehört, wo einfache Bürger der Regierung gratuliert haben. Mit dem Argument "so viele Jahre hat man den religiösen Eid genommen, und die haben uns genauso bestohlen. Da ist es mir lieber, man nimmt einen politischen Eid". Also man sieht schon eine Transformation in der Gesellschaft.

Die Regierung in ihrer jetzigen Zusammensetzung, so vermute ich, wird es nicht schaffen, Kirche und Staat zu trennen. Dafür brauchen sie eine absolute Mehrheit. Und es braucht eigentlich eine neue Verfassung. Das kann eine Regierung mit 149 Mandataren, unter diesen Verhältnissen in Griechenland nicht durchziehen. Sie werden es versuchen. Das weiß ich. Das steht auch im Parteiprogramm. Aber sie werden es nicht durchziehen können.

Das Migrationsgesetz kommt durch. Da bin ich fest davon überzeugt. Genauso wie die Kollektivverträge durchkommen werden. Was will die KKE da machen? Gegen die Wiedereinführung der Kollektivverträge stimmen? Seit 2011 sind die Kollektivverträge in Griechenland ausgesetzt. Der Mindestlohn wird erhöht bis Ende 2015. Das werden sie nicht einen Schlag machen und das haben sie auch gesagt. Damit die Kleinunternehmer nicht darunter leiden. Damit der, der 3 Leute beschäftigt, Zeit hat, sich zu adaptieren. Das ist die offizielle Aussage. Aber das passiert bis Ende 20164.

Nächste Woche - das geht mit Sicherheit auch durch - führen sie eine Steuergrenze bei 12.000 Euro ein. Es gibt eh keinen, der zur Zeit so viel verdient in Griechenland. Und sie werden versuchen, die Reichen zur Kassa zu bitten. Das wird der härteste Kampf werden, tatsächlich mit der Oligarchie zu brechen. Das wird das Schwierigste sein. Da wird man auch sehen, wie sich die anderen Parteien verhalten.

Ganz wichtig, und auch das wird in Österreich kaum besprochen: Es gab in Griechenland seit dem Memorandum eine sogenannte "Catastroika" [?]. Das war eine Kasse, in die das ganze Eigentum des Staates übertragen wurde. Und von dort aus wurde privatisiert. Für die Leute der griechischen Nationalbank und der Stabilitätskassa - das ist die Kassa, die innerhalb Griechenlands Kredite dirigiert hat - gab es Immunität. Also man konnte sie nicht klagen, egal was sie gemacht hätten. Und es ist zu Aktionen gekommen wie bei der Privatisierung in Chalkidiki5 - das sowieso umweltmäßig eine Frechheit war - da drinnen sind 11 Milliarden Kupfer und Gold und sie haben es um 11 Millionen Euro privatisiert.

Sie haben die Kasinos in Griechenland privatisiert, und die Lotterie, die eigentlich Geld lukriert hat. Um ein Drittel ihres Preises. Und alle diese Privatisierungen werden jetzt wieder kontrolliert, und ich glaube, das schaffen sie auch in der ANEL-Koalition. Teils sollen die Privatisierungen rückgängig gemacht werden. Aber nicht alles, das haben sie auch gesagt. Zum Beispiel DEI, das ist die Energie, das Öl, Wasser, das wird nicht mehr privat sein in Griechenland.

Der Hafen von Piräus Cosco ist eine sehr, sehr große Frage. Sie haben es geschafft, [den Privatisierungsprozess] erst einmal zu stoppen, weil es ging in Richtung 70% Privatisierung. Das haben sie jetzt erst einmal gestoppt. Es steht auch in den programmatischen Erklärungen, dass alle privatisierten Betriebe kontrolliert werden. Also arbeitsrechtlich, steuertechnisch und so weiter. Wir werden sehen, wie das vorangeht.

Forderungen der Kleinbauern und KleinunternehmerInnen sind auch stark im Programm vertreten. Ich glaube, das wird auch durchgezogen werden. Beziehungsweise einen legislativen Rahmen zu schaffen, so dass VIOME6 etwa ganz legal funktionieren kann, auf Kooperativenbasis.

Und natürlich die Reparationszahlungen. Das ist auch ein Punkt, so ANEL sich mit Syriza findet.

Moderator: (...) Uns geht es darum, auch zu besprechen, was meint ihr - Podemos - ist unterschiedlich zwischen Syriza und Podemos? Es ist ja ein bisschen zu kurz gekommen: Die Ansage der Syriza-Regierung war eine reformistische Ansage. Also keine revolutionäre, dass sie sagen "zum Kommunismus" oder "zum Sozialismus", sondern "Schluss mit der Sparpolitik". Aber auch z.B., das muss man dazusagen "nieder mit der Oligarchie". Die in den alten politischen Parteien organisiert ist.

Syriza-Vertreterin: Eine der Hauptparolen war auch "zurück mit der [= zurück zur] Demokratie". Das unterschätzt man sehr.

Moderator: Das hat ja auch dazu geführt, dass man etwa mit PASOK-Kräften nicht mehr kann und will. Das ist schon eine zentrale Ansage gewesen: Mit den alten Kräften nicht mehr! Die sich jahrzehntelang die griechische Gesellschaft untereinander aufgeteilt haben und halt abwechselnd vorne gestanden sind, hinten aber beide kassiert haben.

Jetzt zu Podemos, ihr habt ein wenig gehört, was Syriza ist. Was ist im Unterschied dazu Podemos, und was glaubt ihr, ist besser, was schlechter?

Podemos-Vertreter: (spricht englisch) Ihr wisst, zur Zeit ist Podemos in der Position, in die Regierung kommen zu können. Die nächsten Wahlen werden vermutlich Ende dieses Jahres stattfinden. Erst müssen sie einmal gewonnen werden. Wie wir auch bei Syriza sehen: Du kannst an die Regierung kommen, aber damit hast du noch nicht die Macht errungen. Darüber müssen sich die Menschen in Spanien auch klar sein. Was kann getan werden am Tag danach, wenn die Wahlen gewonnen wurden?

Welche Strukturen gibt es, die die Macht haben? Die Massenmedien, ... Welche Allianzen kann es geben? Wir sagen, was wir immer beachten müssen ist, es muss ein Ziel geben für das, was nach den Wahlen geschehen soll. Für uns bedeutet das eine Art verfassungsgebenden Prozess einzuleiten.

Erst muss über alles und jeden debattiert werden, damit die Menschen einen neuen Bewusstseinsstand erreichen können. Dass sie an der politischen Agenda teilnehmen können. Denn die Leute glauben, es reicht, wenn eine bestimmte Partei gewinnt, und die wird dann alle unsere Probleme lösen. Die Leute können sich eine Partizipation am politischen Prozess kaum mehr vorstellen. Aber die brauchen wir, um die Gesellschaft zu transformieren. Für Spanien ist so ein verfassungsgebender Prozess auch deshalb sehr wichtig, weil abgesehen von dem, was uns mit Griechenland vergleichbar macht, gibt es in Spanien auch das Problem mit Katalonien, und wir haben einen König.

Es ist zwar unglaublich, dass wir heutzutage noch solche Diskussionen führen müssen. Aber in Spanien ist auch die Frage offen, ob die Menschen eine Monarchie bevorzugen oder eine Demokratie. Wir müssen also eine Debatte über eine Verfassung führen.

Zum Verhältnis der Bewegungen. Wir haben in Spanien Bewegungen der BürgerInnen gegen die Austeritätspolitik der Regierung, der alten Parteien. Diese Parteien können nicht mehr als Werkzeug zur Lösung der Probleme betrachtet werden. Wir haben daher keine Bewegungen, die die Regierung unterstützen, wie Syriza. Es ist natürlich schön, wenn man in einem Land zur Unterstützung der Regierung demonstrieren kann.

Podemos kommt aus den Bewegungen, der Bewegung Indignados7, die Bewegung 15. Mai vor vier Jahren. Wir kommen aus den assambleas, den Bewegungen auf der Straße. Aber du brauchst eine Balance, eine Partei, die diese beiden Formen von Konstituierung kombiniert. Die Bewegung der Indignados und die Bewegung 15. Mai waren aus den gleichen Gründen erfolgreich, wegen denen sie auch bald wieder verschwunden sind. Die Indignados hatten keine Führer, sie hatte kein Programm, und sie hatte auch keine Struktur. Deshalb konnte die Bewegung aber auch nicht lange überleben. Und das ist ein Problem.

Natürlich wurde uns erklärt, wir sollten eine Partei gründen. Wir haben ein demokratisches System, also warum gründet ihr nicht eine Partei und beteiligt euch Wahlen? Also haben wir das gemacht. Zur Zeit haben wir eine große Debatte in der Partei, denn offenbar ist der Geist heute ein anderer als vor zwei Jahren. In zehn oder zwölf Monaten werden wir Wahlen haben, und dieses unser System ist nicht sehr effizient, wenn es darum geht, um die Macht in einem Land zu kämpfen.

Dann gibt es die Kommunisten. Die meinen, zum Überleben braucht es eine vertikale Struktur in der Partei. Dann gibt es wiederum das Risiko, dass sie nicht mehr sehr demokratisch funktioniert. Das ist den Leuten von Podemos sehr bewusst. Deshalb ist es gut, dass wir diese Debatte haben: "nicht so traditionell, nicht so schnell". Wieder einmal geht es darum, dass die Leute an der Basis der Partei die Macht innehaben. Dass sie ihre FührerInnen kontrollieren können.

Was die politischen und die ökonomischen Forderungen der Menschen betrifft, so haben eine weitgehende Übereinstimmung mit Syriza und den GriechInnen, wenn vielleicht nicht in demselben Ausmaß. Wir teilen uns eine Menge Gründe, denn die Politik in den beiden Ländern weist ebenfalls Ähnlichkeiten auf.

In Griechenland haben sie Syriza, sie haben die KKE. Und die ersten Pläne, die wir in Podemos gemacht haben, waren auch eine Art von keynesianischem Plan. Also nichts Revolutionäres, es ist immer noch Kapitalismus: "Wenn die Leute mehr produzieren, können sie mehr konsumieren." Das klingt nicht revolutionär. Aber solange die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen nicht befriedigt werden können, ist es unmöglich, in einem Land auch nur über Demokratie zu sprechen.

Es gibt also in Bezug auf Podemos sehr viele Debatten unter den Menschen, die sich an Demonstrationen beteiligen. Es gibt da so viele unterschiedliche Auffassungen, dass es echt schwierig ist, zu einem gemeinsamen Nenner zu finden. Die einen meinen "wie ist das mit den Autos? Der Umweltverschmutzung?" Aber du musst die Produktion und den Konsum verbessern.

Die kommunistische Partei - weil zuerst die Rede von der KKE war - hat in Spanien vielleicht 1% der Stimmen. Das ist eine traditionelle kommunistische Partei, seit dem spanischen Bürgerkrieg. Das ist also nicht vergleichbar mit Syriza. Und die Politik der Widersprüche, ja, wenn du 1% der Stimmen hast, kannst du sagen, du bist Purist, niemals Verräter an deinen Ideen.

Was jetzt diese Widersprüche angeht in der Bewegung, ist eben die Debatte so wichtig, damit wir mit diesen Widersprüchen umgehen können. Wir machen das mittels offener Debatten, öffentlicher Debatte. Aber die ist oft so konfus: "Das Problem ist die Korruption!" Wir haben tatsächlich eine Menge Korruption, was nicht bedeutet, dass Spanien der perfekte Ort wäre, gäbe es keine Korruption.

Moderator: Es gibt ja in Spanien auch noch die Izquierda Unida8, also so was Ähnliches wie Syriza. Mit denen wollt ihr aber nicht zusammenarbeiten, während ihr auf internationaler mit Syriza schon zusammen arbeitet.

Podemos-Vertreterin: Ich muss da etwas ergänzen und erklären. Die Izquierda Unida war die ganze Zeit über da, also seit 1978 oder 1977. Ich habe [bei der IU] genauso - proportional - Korruptionsskandale mitverfolgt, und bewegt haben sie nicht so viel, wie wünschenswert gewesen wäre. Aber das Gleiche kann ich auch von den Gewerkschaften sagen. Die haben uns verraten. Und die Partei, die wir früher als "Sozialisten" kannten, die paktiert schon seit längerer Zeit mit der PP9.

Vor zwei oder drei Tagen haben die Sozialisten mit der PP, mit den Rechten gemeinsam ein Gesetz verabschiedet, das endgültig das Recht auf Demonstrationen, Versammlungen und so weiter einschränkt. Man kann jetzt unter "Terrorismus" eine SMS schicken. Und dann - ich verstehe nicht viel von Gesetzen - haben sie das so geändert, dass die Richter keine Meinung mehr haben [dürfen]. Sie schalten die juristische Ebene einfach aus.

Mitdiskutantin: Aber das ist eine Blaupause für Anti-Terror-Gesetze. Das versuchen sie in ganz Europa durchzusetzen. Das kommt von wo anders.

Podemos-Vertreterin: Zur Frage der Gemeinsamkeiten von Syriza und Podemos. Zum ersten hat Syriza die Wahlen gewonnen, Podemos noch nicht. Und wie ich es verstanden habe, haben sie auch bei den Kommunalwahlen und Regionalwahlen kandidiert und schon länger regiert. Wie viele Jahre? Ich habe das in der Zeitung gelesen.

Syriza-Vertreterin: Nein, wir nicht. In Attika schon, da ist Syriza seit September in der Regierung.

Podemos-Vertreter: Das haben wir auch noch nicht. Und Podemos will auch sehr vorsichtig sein mit den Kommunalwahlen. Die größten Chefs haben sich überlegt, dass es besser ist, gleich bei den nationalen Wahlen anzutreten, hoffentlich schon im November, nicht erst im Dezember.

Syriza-Vertreterin: Das finde ich gut, weil wir haben die Kommunalwahlen verkackt.

Podemos-Vertreterin: Als Letztes noch, wir verstehen uns weder als links noch als rechts. Und das ist vielleicht auch ein Unterschied zu allen anderen. In einem großen Land, uns Spanien hat ungefähr 50 Millionen EinwohnerInnen – die Wahlen gewinnt man in der Mitte. Wir wollen ja gewinnen. Außerdem versteht sich Podemos als Club mit den Grundprinzipien soziale Gerechtigkeit, Schluss mit der Korruption und so weiter. Ob das links oder rechts ist, ist eigentlich unwichtig.

Was wir vielleicht gemeinsam haben, auch wenn Syriza sich als links versteht, wir verstehen es als unten gegen oben. Und oben nennen wir „la casta“. Die Kaste. Das ist, glaube ich, der grundlegende Unterschied zu Syriza. Ein überraschend großer Prozentsatz von den Podemos-Wählern kommen zum Beispiel von der PP. Die haben auch einmal die Augen aufgemacht und gesehen, wie sie von ihren eigenen Leuten beklaut werden. Da haben sie gesagt „nie wieder“. Also „erstmal nie wieder“.

Zum Programm: Auf jeden Fall mit der Korruption ist das ein wichtiger Punkt. Die Korruption und das ganze Rechtswesen, die Magistrate und Richter, die richtig reichen Familien, die Großunternehmer und die Großbanker, das sind alles ex-Franco-Leute. Das sind nicht ex-Franco-Leute, die waren unter Franco da, und im Grunde denken sie immer noch genau das Gleiche wie damals. Die haben das Geld. Denn im Bürgerkrieg sind die Linken entweder ermordet worden, oder sie mussten fliehen und wurden auf jeden Fall enteignet. Das heißt, wer die Kohle hat, und die Ländereien, und die Fabriken, und wer Zeit und Geld und Möglichkeiten hatte, die Banken aufzubauen – die Banca Santander hat sogar hier in Wien an jeder Ecke eine Filiale – das waren die Leute, die mit Franco gingen. Die sind immer noch an der Macht.

Wenn du dir die Richter anschaust, die über die Korruptionsfälle und so Sachen entscheiden, die gehören zum gleichen Club. Das ist, glaube ich, ein Unterschied zu euch. Ihr hattet Franco nicht so lange.

Syriza-Vertreterin: Wir hatten auch eine Militärdiktatur.

Moderator: Das war jetzt ein kleiner Input. Jetzt von den erfolgreichsten zu den erst am Anfang stehenden – dass es auch in Österreich Versuche gibt, in diesem Feld zu agieren. Da hätten wir jemand eingeladen gehabt jemand von der Interventionistischen Linken. Das ist ein Zusammenschluss, der dezidiert nicht auf Wahlen hin orientiert, sondern – wie sie sich nennen, Interventionistische Linke – um eine Allianz aufzubauen, die in der Lage ist, politische Bewegungen, die intervenieren, voranzutreiben. Was nicht heißt, dass das in eine absolute Konfrontation geht mit der Linkspartei. Aber sie sagen dezidiert, das Entscheidende ist die Bewegung. Sie ist die Basis von möglichen Erfolgen. Und die versuchen wir aufzubauen.

Wieder ein bisschen ein anderes Projekt sitzt jetzt hier. Der Genosse von „Wir wollen alles anders“-Plattform der Unabhängigen. Die ist schon gegründet. Und die wird in einer größeren Koalition mit der KPÖ und mit den Piraten, mit dem Nachlass von „Europa anders“ versuchen, bei den Wiener Gemeinderatswahlen, die im Sommer oder davor oder im Herbst stattfinden werden, anzutreten.

Vor dem Sommer wird das eher eine harte Arbeit werden. Aber dazu wird der Genosse etwas sagen. Was mich noch interessiert, so ein Gedankenspiel: Wenn du dich in die Situation in Griechenland hineindenkst, wo wärst denn du persönlich da? Oder diese Wahlallianz, die sich da bildet, wo täte die stehen?

Genosse: Wir sind ja eine philosophische Zeitung. Man erklärt nicht allzu viel ganz konkret. Aber zu den Voraussetzungen. Wir haben natürlich den Punkt, dass wir von der Krise, im Verhältnis zu Griechenland und Spanien, in einer „privilegierten“ Situation waren. Und, das hat nur zum Teil damit zu tun, wir hatten nur kleinere soziale Bewegungen in den letzten Jahren.

Beginnend mit der großen Bewegung gegen die schwarz-blaue Regierung 2000 gab es seither eine Vielzahl von sozialen Bewegungen, aber keine Massenbewegung. Mit einer kurzen Ausnahme unter den Studierenden. Aber ansonsten gibt es das hier nicht. Der zweite Unterschied ist, dass in Ostereich in der ganzen Zeit bürgerlich-demokratischer Verhältnisse es nie eine Organisation links der Sozialdemokratie gegeben hat, die einen nennenswerten Einfluss hatte.

Ich weiß jetzt nicht, was das beste Wahlergebnis der KPÖ war, wenn wir nicht die Zeit der Besatzung rechnen. Aber unter 5%, würde ich sagen. Das hat ganz viel damit zu tun, dass die Sozialdemokratie seit 120 Jahren es geschafft hat, sehr viele linke Strömungen zu integrieren. Beginnend mit den frühen Anarchisten über kommunistische Kräfte und libertäre.

Was auf einer bestimmten Ebene ähnlich ist, wir haben ebenfalls ein Zweiparteiensystem, das nach dem Tod Francos auch existiert hat mit diesen beiden Parteien. Wo die Rechte aus dem Faschismus kommt. Das ist bei uns sozusagen die ÖVP. In Griechenland ist es ähnlich, weil die ND aufs Engste verbunden war mit der Diktatur der Obristen. Diese Zweiparteiengeschichte gibt es in allen drei Ländern.

Und es gibt diese Frage der kompletten Hegemonie über die Gesellschaft eigentlich schon. Obwohl die Linke in Spanien wie in Griechenland bedeutender ist als in Österreich. Hat aber nie die Dimension gehabt, meines Wissens nach, wie in Frankreich oder Italien.

Syriza-Vertreterin: Der historische Kontext ist in Griechenland sehr eigen.

Genosse: Der zweite Punkt, die politische Position, von der ich spreche und die die Grundrisse auch ein wenig tragen, ist die der Interventionistischen Linken. Wir sehen schon, wirkliche Veränderung, revolutionäre Transformation passiert nicht im Parlament, passiert nicht über die Regierung, und passiert nicht durch eine Partei. Ich würde ganz klar widersprechen einer wie auch immer gearteten Arroganzposition der Partei. Das, glaube ich, ist falsch.

Ich würde so weit gehen – da müssen wir dann um den Begriff streiten – dass ich glaube, dass heute, mehr noch als früher, keine Partei jenseits dessen agieren kann, was wir den sozialdemokratischen Horizont nennen. Ich glaube, jede Partei muss sozialdemokratisch sein in dem Sinn, dass sie als Partei in einer bürgerlichen Staats- und Gesellschaftsstruktur agieren muss.

Etwas, das über diesen Rahmen hinausgeht, muss sich außerhalb der Parteien befinden. Und da stellt sich dann die Frage: Kann es eine Organisationsform geben, die nicht parteimäßig ist, die so etwas entwickeln kann? Oder ist das sozusagen eine Bewegungssache? Da bin ich unentschlossen, ich weiß es nicht. Aber ich glaube, eine Partei, die auf represäntativ-demokratischer Ebene agiert, kann letztlich diesen Rahmen des bürgerlichen Rechts, des bürgerlichen Eigentums nicht oder nur sehr bedingt überschreiten.

In diesem Sinn werde ich auch illusionsloser. Und da wäre dann noch die Frage, die wir für die Vergangenheit stellen müssen. Die letzten drei linken Parteiprojekte in Westeuropa, oder Transformationsprojekte wurden letztlich auch über diese Figur der Partei begonnen, mit der Nelkenrevolution, dann die zweite die französische Volksfront in den frühen 80er Jahren bis hin zum Projekt der Rifundazione Comunista, was ich zum Teil live in Italien miterlebt habe. Das waren sehr interessante Projekte. Sie sind aber entlang einer Linie ganz klar gescheitert. Nämlich, dass sie eigentlich aufgegangen sind im Apparat. Und man könnte zur Debatte stellen, ob sie vielleicht die neoliberale Herrschaftsform noch ein wenig perfektioniert haben. Natürlich ohne das zu wollen.

Der düstere Teil meiner Prognose wäre also: Egal wie eine Partei konstituiert ist, wenn sie auf der Ebene der repräsentativen Politik bleibt und wenn das, was konstituierender Prozess genannt wurde, nicht funktioniert, dann glaube ich, dass jede Partei an der Regierungsmacht dazu verdammt ist, den Kapitalismus zu verwalten.

Dessen muss man sich auch bewusst sein. Denn wenn du vorher mit Prozentzahlen gesagt hast, die Leute wollen, dass Syriza regiert: Syriza hat ja das Glück, aufgrund eines extrem antidemokratischen und beschissenen Wahlrechtes (gewonnen zu haben). Es sind nicht 36%, weil man immer einfordern muss die, die nicht gewählt haben und die, die nicht wählen dürfen. Dann schaut das ganz anders aus. Aber natürlich müssen wir mit den Strukturen arbeiten, die gegeben sind. Dort müssen wir ansetzen, weil dort sind wir jetzt. Dann müssen wir sie verändern.

In Österreich haben wir nicht eine Austeritätspolitik, die eine systematische Verarmung der Mehrheit der Bevölkerung betreibt. Gleichzeitig haben wir das Problem, dass die Linke zumindest seit 1918 in Österreich keine gesellschaftliche Bedeutung hat. Wenn man der Meinung ist, eine wirkliche gesellschaftliche Transformation muss woanders passieren als im Parlament, ist die Frage, ist es sinnvoll, sich trotzdem auf dieses Parlament zu orientieren? Ich würde sagen, zu einem Teil ja.

Darüber kann man diskutieren. Ich denke, es gibt auch genügend Gründe, es nicht zu tun. Aber ich glaube, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist. Nicht weil wir das jetzt erfinden. Ein wesentlicher Punkt seid ihr. Ich würde nicht sagen, es ist ein Wahrheitsereignis, oder es ist schon dieser Bruch. Der Bruch mit diesem Wahlsieg ist ein Bruch in einer diskursiven Formation „there is no alternative“. Das funktioniert.

Wir werden sehen, was passiert. Ob dieser Bruch ein Wahrheitsereignis ist, wird sich, so glaube ich, auf der Straße, in den Fabriken, Büros, Spitälern, Schulen und wo auch immer erweisen. Was hier eine repräsentativ-demokratische Wahlallianz versuchen kann zu machen, ist nur, diesen Geist, den es jetzt gibt, dass die Alternativlosigkeit ein Ende hat, zu verschränken mit den Ansätzen, wo es soziale Bewegungen gibt. Ohne einen Avantgardeanspruch zu haben.

Syriza-Vertreterin: Schau dir den Finanzminister an, der hat in 10 Minuten die Troika plattgemacht. Das hätte das Volk nie im Leben erreicht, wenn sie nicht das Parlament stürmen.

Moderator: Das waren also die inputs. Jetzt machen wir eine Runde, um Punkte anzutippen, wo man weiterreden muss. Also draufzukommen, welche Diskussionsinteressen da sind. (…)

Ende Teil 1

1 Gruppe Grundrisse siehe http://blog.grundrisse.net

2 Siehe z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Dimokratiki_Aristera

3 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk (Ellinikí Radiofonía Tileórasi A.E.)

4 Zwei unterschiedliche Auskünfte (Ende 2015/2016)

5 Halbinsel, die aufgrund ihrer geographischen Form mit einer dreifingrigen Hand verglichen wird. Bedeutende Erzvorkommen (Kupfer, Chrom, Mangan, Gold, Schwefelkies, Magnesit), gegen deren Ausbeutung ökologische Bedenken vorgebracht worden sind.

6 siehe viome.org

7 "Die Empörten", auch "Bewegung 15. Mai": Am 15. Mai 2011 begannen die Proteste in 58 spanischen Städten. Sie wurden von 200 Verbänden unterstützt, Ende Mai bereits von 500. Ende Mai war die Bewegung bereits eine ernstzunehmende politische Kraft. In der Folge gab es Versammlungen an öffentlichen Orten und zu Platzbesetzungen. Podemos entstand Anfang 2014 als neue Partei, die bei den Europaratswahlen erstmalig antrat und auf Anhieb fast 8% der gültigen Stimmen erhielt.

8 "Vereinigte Linke"

9 "Partido Popular", Volkspartei