http://bolekaja.wordpress.com/2012/08/21/echoes-of-the-pastmarikana-cheap-labour-and-the-1946-miners-strike/#more-1070, Chris Webb, The Amandla Blog, 21.8.2012
Echos der Vergangenheit: Marikana, Billige Arbeit und der Streik der Minenarbeiter 1946
Am 4. August 1946 versammelten sich mehr als 100.000 MinenarbeiterInnen am Market Square in Johannesburg, Südafrika. Keine Halle in der Stadt war groß genug, sie alle aufzunehmen, und sowieso hätte ihnen niemand eine vermietet. Die MinenarbeiterInnen waren Mitglieder der Afrikanischen Gewerkschaft der MinenarbeiterInnen (AMWU), einer nicht-europäischen Gewerkschaft, die fünf Jahre zuvor geschaffen worden war, um das Missverhältnis von 12:1 bei der Bezahlung weißer und schwarzer MinenarbeiterInnen zu thematisieren. Die Versammlung brachte nur eine einzige, einhellig angenommene Resolution hervor: Afrikanische MinenarbeiterInnen würden einen Mindestlohn von 10 Shilling (ca. 1 Rand) pro Tag fordern. Wenn die Kammer der Minenbesitzer von Transvaal dieser Forderung nicht entspräche, würden alle afrikanischen MinenarbeiterInnen sofort in den Generalstreik treten. EineR nach dem/r anderen gingen die ArbeiterInnen auf die Rednertribüne, um auszusagen: „Wenn ich daran denke, wie wir unsere Häuser in den Reservaten verlassen haben, unsere Kinder nackt und hungrig, haben wir nicht mehr zu sagen. Jeder Mann muss dem Streik am 12. August zustimmen. Besser sterben als mit leeren Händen zurückkehren.“ Die fortschrittliche Zeitung Guardian berichtete über einen alten Minenarbeiter, der auf seine Füße fiel und seinen GenossInnen sagte: „Wir in den Minen sind bereits tot!“1
Das Massaker an 45 Menschen, darunter 34 Minenarbeitern in Marikana in der Provinz Nord-West ist das unvermeidliche Resultat eines Systems der Produktion und Ausbeutung, das immer schon menschliches Leben als billig und verfügbar betrachtet hat. Wenn es eine rote Linie gibt – einen Stamm, von dem ausgehend alle anderen Vorfälle die Zweige sind – der sich durch die südafrikanische Geschichte zieht, dann ist das die Forderung nach billiger Arbeitskraft für die südafrikanischen Minen. „Es gibt keine Industrie, die hinsichtlich Größe und Wohlstand dieser vergleichbar ist, die es geschafft hat, seine Arbeitskraft so billig zu halten“, schrieb Ruth First in Bezug auf die Fähigkeit der Kammer der Minenbesitzer, Druck auf die Regierung auszuüben zur Durchsetzung einer Politik, die Afrikaner von ihrem Land entfernte und sie unter den Stiefel der Minenbosse zwang.2
Herren und Diener
Einrichtungen wie poll-tax und Hütten-Steuern, Passgesetze, das „Master and Servant“-Gesetz und ländliche Armut waren alle Bestandteile zur Sicherstellung einer billigen und ununterbrochenen Versorgung mit Arbeitskraft für die Minen. Passgesetze wurden geschaffen, um eine Gesellschaft zu schmieden, in der Farm- oder Minenarbeit die einzig mögliche Beschäftigung für die schwarze Bevölkerung waren. Und doch hielten die niedrigen Löhne und die gefährlichen Arbeitsbedingungen viele im Land davon ab, was die Kammer der Minenbesitzer im 19. und 20. Jahrhundert dazu veranlasste, Arbeitskräfte aus dem fernen Malawi und China zu rekrutieren. Schmutzige Geschäfte zwischen Portugiesisch-Ostafrika und Apartheid-Südafrika stellten sicher, dass ausreichend Arbeitskräfte für die Minen rekrutiert wurden, und 1929 gab es 115.000 Mozambiquaner, die im unter Tage arbeiteten. „Es hieß“, schrieb First in ihren Studien über migrantische mozambiquanische Minenarbeiter, „dass der Wohlstand der Reef-Goldminen nicht im Reichtum des Streiks, sondern in den niedrigen Produktionskosten, die durch niedrige Löhne erreicht werden, liegt.“3
Als 1941 die AMWU geschaffen wurde, verdienten schwarze MinenarbeiterInnen 70 Rand jährlich, während weiße ArbeiterInnen 848 Rand erhielten. Weiße MinenarbeiterInnen hatten sich bereits seit Jahren organisiert, aber es gab wenig Solidarität zwischen den beiden Gruppen, wie sich anlässlich der Rand-Rebellion 1922 zeigte, die von der weißen Gewerkschaft der MinenarbeiterInnen angeführt wurde. Weiße MinenarbeiterInnen traten in den Streik gegen den Versuch des Managements, die Farb-Schranken zu schwächen, um den Übertritt von billigeren schwarzen ArbeiterInnen in qualifiziertere Positionen zu erleichtern. Unterstützt von der Kommunistischen Partei Südafrikas unter der Losung „Vereinigt euch und kämpft für ein weißes Südafrika!“ wurde die Rebellion vom Staat teuflisch niedergeschlagen, es gab mehr als 200 Tote. In den 1940er Jahren wuchsen die nicht-europäischen Gewerkschaften dramatisch an, und zum ersten Mal kamen die Interessen der afrikanischen MinenarbeiterInnen auf die Tagesordnung. Ihre Forderungen bedrohten die Fundamente des Systems der Billigarbeit, und deshalb legte 1944 Premierminister Jan Smuts die „Kriegsmaßnahme 1425“ vor, die Versammlungen von 20 oder mehr Personen auf dem Eigentum der Minenbesitzer verhindern sollte. Trotz dieser Schwierigkeiten machte die Gewerkschaft weiter Druck, und 1946 legte sie der Kammer der Minenbesitzer ihre Forderung nach Lohnerhöhung vor. Ein Brief mit der Aufforderung, in letzter Minute mit der Kammer zu verhandeln, wurde wie üblich ignoriert.
Am 12. August befanden sich zehntausende schwarze MinenarbeiterInnen vom Ost- bis West-Rand im Streik. Der Staat zeigte seine größte Brutalität, Arbeiter wurden unter Einsatz scharfer Munition die Minenschachte hinuntergetrieben und Solidaritätsstreiks in Johannesburg wurden niedergeschlagen. Am 16. August hatte der Staat 100.000 MinenarbeiterInnen zurück zur Arbeit geknüppelt, neun lagen tot am Boden. Während des viertägigen Streiks wurden hunderte GewerkschaftsführerInnen verhaftet, darunter das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und lokale ANC-FührerInnen, und des Verrats und des Aufruhrs angeklagt. Die Gewalt kam mit den Wahlen von 1948 zu ihrem Höhepunkt, es gab weitere Repression und es setzte landesweit eine antikommunistische Hysterie ein.
Obwohl er nicht seine unmittelbaren Ziele erreichte, markierte der Streik eine Wasserscheide in der südafrikanischen Politik, und er veränderte für immer das Bewusstsein der ArbeiterInnenbewegung. Dreißig Jahre später argumentierte Monty Naicker, eine der führenden Figuren des South African Indian Congress, dass der Streik „die afrikanische Politik über Nacht verwandelt hat. Er bedeutete das Ende der kompromisslerischen, um Zugeständnisse bettelnden Tendenzen, die die afrikanische Politik dominiert hatten. Der ängstliche Opportunismus und das Betteln um Gunst verschwanden.4Das Native Representative Council, das 1937 vom Staat geschaffen wurde, um die uralte ‚Frage der Indigenen‘ zu behandeln, löste sich am 15. August auf und ANC-Präsident Dr. A. B. Xuma wiederholte die Forderung nach ‚Anerkennung der afrikanischen Gewerkschaften und angemessenen Löhnen für afrikanische ArbeiterInnen, auch für die MinenarbeiterInnen.“5
Der MinenarbeiterInnenstreik von 1946 war der Funke, der die anti-Apartheid-Bewegung entzündete. Das Aktionsprogramm der ANC-Jugendliga von 1949 trug viel zur Militanz dieser ArbeiterInnen bei, so wie die Defiance-Campaign (Kampagne des Trotzes) der 50er Jahre, und wie das Aufkommen des bewaffneten Arms des ANC, Umkhonto we Sizwe (Speer des Volkes) in den 1960ern. Es ist zu früh zu sagen, welche Auswirkungen der Streik bei Lonmin auf die südafrikanische Politik haben wird, aber es scheint unwahrscheinlich, dass sie so umgestaltend sein werden wie die der Vergangenheit. Die National Union of Mineworkers (NUM), die wohl die Erbin des Streiks von 1946 ist, ist zur Zeit in eine Menge Streitigkeiten wegen der Abspaltung der Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU) verstrickt. In der Zwischenzeit findet das Schweigen von COSATU ein Echo in den Reihen Reihen des ANC bei der Frage der gleichmäßigen Verteilung der Schuld und dem öffentlichen Aufschrei auf Halbmast. Die zunehmend brüchige Südafrikanische Kommunistische Partei hat die Verhaftung der AMCU-FührerInnen gefordert, während einige ihrer sogenannten Kader die Polizeiaktion verteidigen. Der Appell des ehemaligen Führers der ANC-Jugendliga Julius Malema an die MinenarbeiterInnen, durchzuhalten und eine militantere Gewerkschaft zu schaffen, stinkt nach politischem Opportunismus.
Immer noch von billiger und flexibler Arbeitskraft abhängig
Was niemand zu sagen wagte, abgesehen von den MinenarbeiterInnen selbst, ist, dass die Minenindustrie immer noch abhängig ist von billiger und flexibler Arbeitskraft, von der immer noch ein Großteil aus den Nachbarstaaten kommt. Das war historisch betrachtet der Grund für die meisten Beschwerden der MinenarbeiterInnen. Eine kürzlich erschienene Studie der Bench Marks Foundation über Platinminen in der Provinz Nord-West enthüllte eine Anzahl von Faktoren, die mit der wachsenden Unzufriedenheit der ArbeiterInnen in der Region zusammenhängen. Lonmin wurde ausgewählt als eine Mine mit vielen Todesfällen, sehr ärmlichen Lebensbedingungen für ArbeiterInnen und unerfüllten Forderungen der community nach Beschäftigung. Vielleicht am wichtigsten ist die Tatsache, dass nahezu ein Drittel der Arbeitskräfte bei Lonmin bei Leiharbeitsfirmen angestellt ist.6Diese Form der Beschäftigung ist in der Minenindustrie nicht neu. Tatsächlich haben Anwerber die südliche Hälfte des Kontinents nach ArbeiterInnen abgegrast, seit im 19. Jahrhundert Mineralien entdeckt worden sind. Die anhaltende Präsenz dieser ‚Arbeitsvermittler‘ in den Minen und der Widerwille des ANC, sie raus zu werfen – stattdessen optiert er für ein System zunehmender Regulierung – ist die blutige Wahrheit von Südafrikas sogenannter „regulierter Flexibilität“.
Es gibt eine Menge weiterer Befunde in der Bench Marks-Studie, die es wert sind, erwähnt zu werden, weil sie einige der echten Missstände beleuchten, die zwischen den Fotos geschwungener Macheten verloren gegangen sind. Die Anzahl von tödlichen Arbeitsunfällen bei Lonmin hat sich seit Jänner 2011 verdoppelt, und das Unternehmen hat ständig die Forderungen der community nach Beschäftigung ignoriert und stattdessen LeiharbeiterInnen und migrantische ArbeiterInnen bevorzugt eingestellt. Ein Besuch des Forschungsteams der Bench Marks Foundation in Marikana hat gezeigt:
„Eine Zunahme von Baracken und informellen Siedlungen, die rasche Verschlechterung des Zustands der formellen Infrastruktur und der Wohnungen in Marikana selbst, und die Tatsache, dass ein Teil der township, der von Lonmin errichtet worden ist, während der Zeit unserer letzten Visite für länger als ein Monat keinen Strom hatte. In der RDP-township [RDP = staatliches Wohnbauprogramm] fanden wir zerbrochene Abwasserleitungen, die an drei verschiedenen Punkten die Abwässer direkt in den Fluss spülen.“7
Tatsächlich sagte die Studie weitere gewaltsame Proteste in Marikana im kommenden Jahr vorher. Die Massenentlassung von 9.000 ArbeiterInnen im Mai letzten Jahres heizte bereits die gespannten Beziehungen zwischen der community und der Mine an, als entlassene ArbeiterInnen ihre Wohnmöglichkeiten in den Häusern verloren, die dem Unternehmen gehören.
Noch einmal, diese Tatsachen sind in der Welt des südafrikanischen Bergbaus nicht neu. Hinter den armseligen Siedlungen, die die Minenschachte umgeben, gibt es enorme Profite einzusacken. In den vergangenen Jahren hat die Minenindustrie prosperiert wie keine andere, dank der zunehmenden Popularität von Platin als Schmuck und dem Einsatz des Metalls in den Auspuffanlagen [Katalysatoren] der Kraftfahrzeuge in den Vereinigten Staaten und in den europäischen Ländern. Die Produktion stieg zwischen 1980 und 1994 um 60%, während der Preis sich fast verfünffachte. Die Summe der Verkaufserlöse, nahezu alles wurde exportiert, stieg deshalb auf fast 12% der Gesamterlöse der Minenindustrie. Der Preis stieg in den 90er Jahren so dramatisch an, dass er dem von Gold entspricht, dem führenden Mineral-Exportprodukt des Landes.8Südafrikas Platinindustrie ist die größte der Welt, und 2011 erwirtschaftete sie 13,3 Milliarden US-Dollar an Gewinn, wobei eine Zunahme von 15,8% in den nächsten fünf Jahren erwartet wird. Lonmin selbst ist einer der größten Platin-Produzenten der Welt, und die Hauptmenge seiner Tonnage kommt aus der Lonmin-Mine. Das Unternehmen berichtete über Gewinne von 1,9 Milliarden Dollar im Jahr 2011, einer Zunahme von 25,7%, wovon der Großteil aus den Schächten von Marikana stammt.9
Denn die Verstümmelung und Tod riskierenden Arbeiter im Untergrund von Marikana verdienten bloß 4.000 Rand oder 480 Dollar monatlich. Wie ein Minenarbeiter der südafrikanischen Zeitung Mail & Guardian gegenüber sagte: „Es ist besser zu sterben, als für diese Scheiße zu arbeiten … Ich werde nicht aufhören zu streiken. Wir werden weiter protestieren, bis wir bekommen, was wir wollen. Sie haben zu uns gar nichts gesagt. Die Polizei mag versuchen uns umzubringen, aber wir bewegen uns nirgendwo hin.“ Dieser Ausdruck von Frustration und Zorn könnte von 1922 stammen, von 1946 oder von heute. Es sind vernichtende Anklagen einer Industrie, die weiterhin ihre ArbeiterInnen als entbehrlich behandelt und eines Staates, der die Politik der billigen Arbeitskraft der Apartheid fortführt.
Chris Webb ist ein postgraduate-Student an der York-Universität, Toronto, wo er sich mit der Untersuchung der Umstrukturierungen in der Arbeit in Südafrikas Landwirtschaft beschäftigt.
Anmerkungen
1 Monty Naicker, “The African Miners Strike of 1946,” 1976.
2 Ruth First, “The Gold of Migrant Labour,” Spearhead, 1962.
3 Ruth First, “The Gold of Migrant Labour,” Spearhead, 1962.
4 Monty Naicker, “The African Miners Strike of 1946,” 1976.
5 Dr. A.B. Xuma quoted in Monty Naicker, “The African Miners Strike of 1946.”
6 The Bench Marks Foundation, “Communities in the Platinum Minefields,” 2012.
7 The Bench Marks Foundation, “Communities in the Platinum Minefields,” 2012.
8 Charles Feinstein, An Economic History of South Africa, Cambridge: Cambridge University Press, 2005, 211.
9 Marketline Advantage Reports on South Africa’s Platinum Group Metals, 2011.