KomAk-ml
Hunger ist kein Schicksal
Bemerkungen zu den Lebensmittelpreisen
„Die Weltlandwirtschaft könnte problemlos 12Milliarden Menschen ernähren. Das heißt, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.“ UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler
Die Zahl der Hungernden steigt und ist inzwischen bei 854 Millionen Menschen angelangt. Sieben Millionen Kinder sterben jährlich (5/Sekunde) an Unterernährung oder an Krankheiten, die mit ihr in Verbindung stehen.
Nach Schätzungen der Weltbank drohen weitere etwa 100 Millionen Menschen ins Elend abzurutschen, die zu den 850 Millionen Hungernden hinzukommen werden. Die Weltbank hat inzwischen eine Liste mit 33 Ländern aufgestellt, in denen gewaltsame Unruhen drohten, wie sie schon jetzt etwa aus Haiti, Ägypten und Bangladesch – und vielen anderen Ländern: Burkina Faso, Kamerun, Elfenbeinküste, Senegal, Mauretanien, Äthiopien, den Philippinen, Indonesien und Pakistan – gemeldet werden.
Die Tatsachen
Die beiden Karten der FAO (Welternährungsorganisation) zeigen einerseits die Welt der Mangelernährung, andererseits die Welt des Nahrungskonsums. Fast ist die eine ein Negativabzug der anderen. Österreich fällt, was den Konsum betrifft, ins oberste Zehntel der angezeigten Kalorienskala, also zwischen 3400 und 3800 Kalorien pro Tag pro Kopf. (Ihre Diät beraten Sie mit Ihrem Arzt oder Apotheker!) Ganz allgemein sollte ein Mensch auf Dauer nicht mit weniger als 2100 Kalorien versorgt sein. Der individuelle Bedarf unterliegt starken Schwankungen entsprechend dem Verbrauch je nach ausgeübter Tätigkeit und liegt im Schnitt bei ca. 2500.
Präziser als auf den Kalorienbedarf reflektierend kann man auch zwischen Unterernährung oder falscher Ernährung unterscheiden, in die sich „Mangelernährung“ aufteilt. Im einen Fall bezeichnet man damit die unzureichende Energiezufuhr (quantitative Mangelernährung), im anderen Fall die unzureichende Versorgung mit lebenswichtigen Vitaminen und Mineralstoffen (qualitative Mangelernährung). Die Weltgegenden, die aber massiv vom ersten Phänomen betroffen sind, sind es auch vom anderen.
Der momentane und voraussichtlich noch für eine längere Periode währende, horrende Anstieg der Lebensmittelpreise macht sich weltweit bemerkbar und hat kumulierte Gründe (siehe auch weiter unten). Allein innerhalb zweier Monate (Jänner–März 2008) ist der US-Weizenexportpreis von 375,–auf 440,–US-Dollar/Tonne gestiegen. Das ist aber nur die letzte, verschärfte Entwicklung einer Preissteigerung um 181% innerhalb der letzten 36Monate bis Februar 2008. In Thailand stieg der Reisexportpreis in der gleichen kurzen Frist von zwei Monaten von 365,–auf 562,–US-Dollar/Tonne. Die Ursachen sind vielfältig, aber nach unserer Meinung am allerwenigsten nachfrageseitig zu erklären, wie es von bürgerlicher Seite immer wieder versucht wird. Natürlich gestehen wir zu, dass verstärkte „nachholende“ wirtschaftliche Entwicklungen, beispielsweise in China oder Indien, nicht ohne Auswirkung auf die weltweite Nachfrage nach Nahrungsmitteln bleiben können. Indem mehr Menschen vom Lohnsystem aufgesogen werden, muss entsprechend der jeweiligen kapitalistischen Vergütung die Nachfrage steigen; zunächst nach Lebensmitteln, dann auch nach anderen Konsumgütern (bis zu 78% geben die Menschen in den abhängigen Ländern für Nahrungsmittel aus). Eine Zunahme der Masse der KäuferInnen kann also durchaus einen Preisanstieg erklären, aber wie kann sie den Hunger selbst erklären? Wenn die Weltlandwirtschaft problemlos 12Milliarden Menschen ernähren könnte (und diese Aussage des eingangs zitierten Jean Ziegler ist nicht hypothetisch, sondern bezieht sich auf das tatsächlich erreichte Produktionsniveau), wie können dann die Bedürfnisse das Realisierbare übersteigen? Nein, es ist eben keine „natürliche“ Entwicklung, wenn die industrielle Gesellschaft die Menschen ihres Unterhalts beraubt, sondern eine kapitalistische: des Mangels im Überfluss. Schon in einer sozialistischen industriellen Gesellschaft, also schon lange vor dem Kommunismus und wo längst noch nicht alle Bedürfnisse der Gesellschaftsglieder befriedigt werden können, ist dieses Problem nicht existent. Wenn denn auch noch nicht alle Bedürfnisse im Sozialismus befriedigt werden können, so wird doch der bereits vorhandene, gleichermaßen gemeinsam erschaffene Reichtum auf alle gleichermaßen aufgeteilt.
Der Kapitalismus produziert den Hunger und daher können wir uns auch das Steigen der Preise nur bedingt nachfrageseitig erklären. Die Hauptursache liegt bei der Produzentenseite. Man betrachte obige zwei Grafiken: Die Nahrungsmittelpreise nehmen einen steilen Anstieg deutlich ab Jänner 2007. Die Agrarproduktion steigt seit 1990 kontinuierlich. Nachfrageseitig bedeutet das, dass die Nachfrage stärker als die Produktion gestiegen sein muss, damit man behaupten kann die Nachfrage habe den Preisanstieg verursacht. Wieso aber macht sich der Preisanstieg überproportional seit Jänner 2007 bemerkbar? Die Frage wird noch akuter, wenn man sich die Pro-Kopf-Produktion der Landwirtschaft zu Gemüte führt:
Die erste Kurve beschreibt, wie auf einen Menschen im Lauf der Zeit und im Schnitt immer weniger landwirtschaftliche Nutzfläche kommt. Es stimmt sogar, dass trotz aller anderen Ursachen für den „Landschwund“ das Bevölkerungswachstum auf der Erde eine starke Rolle spielt, wie uns das ja auch die Demographen stets bestätigen. Die Abnahme des reziproken Wertes der Bevölkerungsanzahl zeigt eine große Nähe zum Verlust an der landwirtschaftlichen Pro-Kopf-Nutzfläche. Die zweite Grafik zeigt uns, dass das irdische Pro-Kopf-Agrarprodukt trotzdem zunimmt. Auf jeden einzelnen Erdbewohner fällt demnach 2005 mehr Agrarprodukt ab als noch 1980, egal unter wie vielen er teilen musste. Man sollte also meinen, hier habe zumindest jemand „nachjustiert“ und an der Preisschraube gedreht. Als ein „natürlicher“ Marktmechanismus lässt sich die Preissteigerung der Lebensmittel nicht erklären. Auch Erklärungen wie plötzliche Dürren und Überschwemmungen oder andere natürliche Ursachen können nur kurzfristige Preisschwankungen erklären, aber nicht längerfristige Trends. Und dauernde Umweltschäden können wiederum nicht die steigende Agrarproduktion erklären, ja nicht einmal der enorme Weltbevölkerungszuwachs kann es direkt proportional. Wenn auch von den einzelnen Akteuren der Wirtschaft unbeabsichtigt, scheint hier sogar ein umgekehrter Zusammenhang vorzuliegen, wenn er ursächlich auch in Zahlen nicht erfassbar ist. Wir wiederholen es: Der Marktmechanismus ist nicht natürlich, sondern ein von Menschen mit einem bestimmten Klasseninteresse geschaffener, allgemein durchgesetzter und von ihnen geschützter.
Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäische Union sind die mächtigsten Interessenten auf dem Agrarweltmarkt. Ihr Subventionsaufwand für die heimische Agrarwirtschaft ist exorbitant (EU-Subventionen > 40Mrd. Euro/Jahr). Durch diese Subventionen (bzw. in der Folge weit unbedeutender für das aggregierte Dumping, aber direkter, offener noch durch gezielte Exportsubventionen) ermöglichen sie, ja fördern sie geradezu, dass Agrarprodukte auf dem Weltmarkt unterhalb ihres heimischen (bzw. EUropäischen) Kostpreises verkauft werden (der selbst aber wiederum sehr hoch ist, weshalb auch die EU-Preise hoch gehalten werden), d.h. sie fördern Dumping, was wiederum ganze Weltgegenden und ihre Bewohner in Abhängigkeit hält. Und man stärkt damit natürlich die Marktmacht der großen monopolistischen Konzerne, die ihrerseits, um sich ihre monopolistische Stellung zu erobern und zu erhalten, selbst Dumping betreiben.
Wir haben schon berichtet, dass EUropa mit den Agrarsubventionen die abhängig gemachten Länder und ihre Landwirte (Jamaika: Milchwirtschaft) nachhaltig schädigt bzw. vernichtet. (In Jamaika ist der Marktanteil der heimischen Milchproduktion innerhalb von zehn Jahren durch Trockenmilchimporte aus der EU von 24% auf 4,2% zurückgegangen.) Die EU exportiert bei einer jährlichen Überproduktion von 20% um die 10% ihrer Milch (in verarbeiteter Form), beherrscht damit aber fast 40% des Weltmilchmarktes. Bevorzugte Weltregion des EU-Milchexports sind die frankofonen Länder Westafrikas.
Zusätzlich setzen die metropolen Industrienationen auf die Förderung des Bioethanols (Mexiko: Tortillakrise. Die USA haben die mexikanische Maisproduktion vermittelst Dumping ruiniert. Damit wurde Mexiko von Maiseinfuhr aus den USA abhängig. Als in den USA immer mehr Mais für die Produktion von Bioethanol verwandt wurde, stiegen in Mexiko die Preise ins Unermessliche), was allerdings erneut dazu führt, dass das Lebensmittelangebot verknappt wird, weil Agrarprodukte anderweitigem Konsum zugeführt werden. Dabei belegen Studien, dass der Biodiesel gar nicht „bio“ ist und bestätigen das Urteil, dass „bio“ überhaupt immer mehr von der umweltbewussten Forderung zu einer bürgerlichen, ideologieträchtigen Werbefloskel verkommt (Automobilwerbung: „Saab BioPower“). Mit der Produktion von Bioethanol wird nämlich weniger CO2 (auch das ist laut etlicher Umweltstudien zweifelhaft), dafür aber mehr N2O (Lachgas) emittiert, das als Treibhausgas wirkt und eine dem CO2mindestens ebenso schädliche Wirkung auf die Erdatmosphäre zeigt. Biodiesel aus Raps ist bis zu 1,7mal klimaschädlicher als normaler Treibstoff, Bioethanol aus Mais bis zu 1,5mal. Und das ist nur einer von mehreren möglichen Nebeneffekten der „Treibstoffökologie“.
Der besondere Witz an der Sache ist, dass die von den plötzlich „umweltbewussten“ Staaten verordnete Umstellung auf die angeblich „ökologische“ Mobilität die jeweiligen Steuerzahler natürlich etwas kostet, die aber schließlich auch noch höhere Lebensmittelpreise berappen sollen, weil es dann nicht mehr ausreichende Saatflächen für den Lebensmittelanbau gibt. Der Gebrauch des Automobils konkurriert mit dem Nahrungsbedarf. Eine Folge davon könnte sein, dass es sich bezahlt macht, bisher noch unbeackertes Land der agrarischen Nutzung zuzuführen (in den letzten 20 Jahren sind ca.Mio.hatropischer Urwälder abgeholzt worden), was neuen ökologischen Schaden hervorriefe, die Atmosphäre weiter belasten würde und den Menschen die Luft raubte. Eher aber noch werden die bereits zur Verfügung stehenden Flächen, zumal sie hauptsächlich durch von Menschenhand verursachte Umweltkatastrophen (Boden, 2420t/sec., verschwindet durch Erosion; 1370ha/h verwüsten weltweit) auch noch stetig abnehmen, intensiver bewirtschaftet werden. Das wird neben den umweltschädlichen Wirkungen durch die zusätzliche Dünger- und Pestizidausbringung zur Folge haben, dass die Ölgesellschaften und andere industrielle Großbetriebe profitieren werden. (Verstärkt müsste man auch auf transgene [genetisch variierte] Pflanzen zurückgreifen, um die Nahrungsmittelversorgung zu gewährleisten.) Es schließen sich die großen chemischen und biotechnologischen Unternehmen mit den Ölgesellschaften bis hin zu den Automobilkonzernen zusammen und sie sind es, nicht die Umweltaktivisten dieser Welt, die die Regierungen dazu treiben, auf die Bioschiene umzusteigen. (Z.B. am 05.01.2004 haben die „Volkswagen AG and Archer Daniels Midland Company“den Abschluss eines Forschungsvertrages zur Weiterentwicklung und Nutzung von Biodieselkraftstoffen für die Automobilindustrie bekannt gegeben. Der VW-Kommentar: „Mit diesem Vertrag tut sich erstmals einer der weltweit führenden Automobilhersteller mit einem großen internationalen Agrarunternehmen zusammen, um saubere regenerative Kraftstoffe der nächsten Generation zu entwickeln.“)Diese Gesellschaften sind daher auch Hauptinteressenten bei der Förderung des Bioethanols (bzw. Biodiesels), denn die Erweiterung ihres Geschäftes durch diesen erwarteten bzw. geförderten zusätzlichen Bedarf wiegt die sich dagegen klein ausnehmenden „Verluste“ beim fossilen Treibstoff längst auf. Die Konzernsprecher leugnen freilich jeden Zusammenhang zwischen Herstellung von Treibstoff aus Agrarprodukten und Lebensmittelverknappung, zwischen Maximierung der Profite und dem Hunger in der Welt.
Eine weitere statistische Erhebung zeichnet folgendes Bild:
Der Vergleich „Agrarischer Produktionszuwachs und Kalorienverbrauchszunahme“ der Grafiken „Landwirtschaftliche Produktion pro Kopf der Weltbevölkerung“ und „Täglicher Pro-Kopf-Konsum“ zeigt, dass der Konsum von Kalorien hinter der Produktion von Agrarprodukten zurückbleibt. Es sticht also ins Auge, dass die Produktion von Agrarprodukten nicht eins zu eins in die Konsumtion eingeht. Klar ist auch, dass die Agrarproduktion nicht alleine aus Lebensmittelerzeugung besteht. Nun kann es natürlich sein, und man möchte es gerne gutgläubig annehmen, dass die anderweitige Verwendung des Agrarproduktes (beispielsweise Baumwolle für Kleidung u.v.m.) der Gesellschaft in irgendeiner anderen Art und Weise zuguteschlägt. Doch ist diese Zuführung bzw. Umlenkung hin zu alternativer Konsumption im Lichte einer hungernden Welt immer ethisch zu reflektieren. Und die Verwendung von Agrarprodukt für Bioethanol ist gleichzusetzen mit Erntevernichtung – bloß profitträchtiger.
Es ist also nicht die Nachfrage nach Lebensmitteln, die alleine den Preis der Lebensmittel bestimmt. Die Nachfrage nach den Agrarprodukten insgesamt zeigt eine Wirkung auf den Preis der Lebensmittel, und zwar so, dass die Nachfrage nach anderen Gütern aus der Agrarproduktion die Bereitstellung der Lebensmittel herabmindert. Tatsächlich kann man also ebenso gut behaupten, dass zu wenig Lebensmittel bereitgestellt werden. In der Grundschule der bürgerlichen Ökonomie heißt es ja auch, dass der Preis eines Gutes sich durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Allerdings fährt sich diese Erklärung in sich selbst fest bzw. dreht sie sich im Kreis. Denn schon die nächsten Lehrsätze der bürgerlichen Ökonomie lauten:
a.Die nachgefragte Menge eines Gutes ist abhängig von der Höhe des Preises und
b.die angebotene Menge eines Gutes ist abhängig von der Höhe des Preises.
Oberflächlicher als diese kann eine Erklärung wohl nicht mehr sein; sie gibt eine Relation zum Besten, wo eine Ursache gefragt ist.
Doch auch die Nachfrage nach Agrarprodukten erklärt nicht hinreichend den Hunger auf der Welt. Ohne dass wir die Auswirkung der Nachfrage auf die Preise bestreiten, entkräften wir den ursächlichen Zusammenhang mit unserer eingangs erwähnten Feststellung, dass die Zahl der Hungernden inzwischen bei 854 Millionen Menschen angelangt ist und weiterhin steigt. Doch das Potential, alle ausreichend mit Nahrung zu versorgen, trägt die Erde. Dagegen wie üblich zu behaupten, der Hunger käme von den hohen Preisen und die Preise kämen von der Nachfrage, tut gerade so, als ob nicht nur die betroffenen Individuen, sondern die ganze Gesellschaft gegen den Hunger machtlos seien. Das stimmt aber nur unter dem heute gültigen Gesellschaftsvertrag, der das Privateigentum unangetastet lässt. Die sogenannte Nachfrage, also die ökonomisch registrierte Nachfrage bezieht sich nur auf den tatsächlichen Konsum (auf die zahlungskräftige Nachfrage), nicht aber auf den Wunsch zu essen. Die Hungernden werden also in einer Betrachtung der Nachfrage nicht mit berücksichtigt. Um in der Verzeichnung über die Nachfrage als Mensch aufzuscheinen (wenn auch auf aller abstraktestem Niveau), muss dieser Mensch erst als Arbeitskraft in die kapitalistische Verwertung fallen (Kapitalisten vermehren sich nicht wie die Karnickel – kommen als Endverbraucher insbesondere von Lebensmitteln nur untergeordnet in Betracht). Es liegt also nahe, dass auch durch die Erweiterung der kapitalistischen Märkte (neue Weltordnung) hinein in die Weltgegenden ehemalig sozialistischer und „sozialistischer“ Wirtschaftsweise, also durch eine neue, rapide kapitalistische Primärakkumulation ein Nachfrageschub zu verzeichnen ist. Nachfrage entsteht also aufgrund „politökonomischer Nachhilfe“ – und das nicht in einem rein subjektiven Sinn –; ein Markt entsteht und auf diesem Markt ist mehr herauszuholen als der fromme Wunsch und das Gebet nach Brot.
(Natürlich kann man auf dem Markt nur holen, was bereits zu Markt getragen wurde. Aber der kapitalistische Markt ist gerade dazu da, einen Teil der für die Produktion der Waren verausgabten Arbeit in Profit umzuschlagen. Seine Macht bezieht das Kapital nicht vom Markt, aber dort hat es sein Philippi.1)
Im Übrigen sind es nicht immer nur die „Anderen“ („die Chinesen“, „die Inder“o.a.), die den Preis durch ihr „Nachfrageverhalten“ beeinflussen. So gesteht z.B. der deutsche Milchexperte der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle, Erhard Richarts ein, dass für die Herstellung von Käse 50% der EUropäischen Milch verbraucht würden und: Diese Marktentwicklung wird nicht nur vom Weltmarkt getrieben, sondern auch von einem wachsenden Verbrauch von Käse. Die 50% Anteil am Milchverbrauch, wenn das um einen Prozent steigt, entzieht das den anderen Bereichen den Rohstoff Milch und führt zu einer relativen Verknappung.Es seien aber die Europäer selbst, die in letzter Zeit verstärkt Käse konsumierten.
Und außerdem verklausuliert die übliche Erklärung – erhöhte Nachfrage durch aufholende Entwicklung – die Tatsachen in einer Weise, dass man damit trotz besseren Wissens die Botschaft übermittelt, dass bis dato Hungernde nun mehr essen wollten, weshalb die Preise in der Folge eine Hungersnot auslösen könnten. Das ist so „hochwissenschaftlich“, dass es endlich keiner mehr versteht.
Die Erklärung
Es waren einmal zwei Brüder, der eine verfressen und fett, der andere mager und klein. Die wohnten zusammen in einem kleinen Haus, das grad so groß war, dass sie darin nicht das Bett teilen mussten, doch den Tisch teilten sie. So saßen sie oft beisammen, wenn das Essen gar war, und aßen. Der große, dicke Bruder bekam natürlich den Hauptanteil und der kleine Bruder beschied sich mit dem Nötigsten. Nach dem Essen machte sich der Dicke oft noch über eine Tafel Schokolade her, während der kleine Bruder den Hausputz besorgte.
Eines Tages kam es dem Großen in den Sinn beim Einkauf eine Tafel Schokolade mehr zu erstehen, dafür aber weniger von den anderen nötigen Speisen. Als sie nun wieder beim Essen zusammensaßen fraß aber der Dicke dennoch den Hauptteil und ließ dem Schmächtigen allzu wenig. Anschließend machte er sich gleich über die beiden Schokoladetafeln her. Als alle Schokolade beinahe gegessen war, fragte der kleine Bruder, denn er hatte noch Hunger, ob er ein Stückchen haben könne. Da mampfte der Große ganz schnell das letzte Stück und sprach: „Ach, kleiner Bruder, wärst du doch nur nicht so gierig, es wäre bestimmt noch ein Stück für dich übrig geblieben!“
In Wirklichkeit ist ja auf das bürgerliche Gezeter, das da vor einer tiefen Krise warnt, gar nicht zu hören. Von einer Agrarkrise kann man jedenfalls nicht sprechen, ganz im Gegenteil, die Gewinnchancen im Agrarsektor sind derart gut, dass die potentiellen Anleger durch die sogenannte Finanzexpertenschaft ermuntert werden zu investieren. Die Hausse ist schon voll im Gange, zumal die Spekulation alternative Anlagemöglichkeiten als Folge der amerikanischen Finanzkrise sucht, was die Preise im Lebensmittelsektor jedenfalls weiter in die Höhe treibt. Aber dieses Mal werden die Gelder im Agrarsektor nicht nur zwischen zwei zeitlich nicht direkt aufeinanderfolgenden viel versprechenden Anlagemöglichkeiten halbwegs sicher „geparkt“. Dieses Mal dürfen sich die Anleger laut Prognose ein Jahrzehntgeschäft erhoffen, wobei man nicht direkt nur an die agrarischen Rohstoffe als Anlagemöglichkeit zu denken hat, sondern sich die Gewinnchancen natürlich über den ganzen Zweig der mit dem Agrarsektor verflochtenen Industrie erstrecken.
Es steigt also die Nachfrage auf Kapitalseite. Die Endverbraucher sind nur die Leidtragenden. Der Aufwind wird die Wertpapiere vielleicht in schwindelnde Höhen hochwirbeln.
Auch wenn man heute noch hier und da von der moralischen Verantwortung in der Spekulation faseln hört, kein Spekulant, der auf sich hält, wird zugunsten der Hungernden auf die Gewinne verzichten wollen. Katzenjammer und Moral kommen allenfalls beim Crash. Man wird natürlich alles versuchen die Preise hoch zu halten. Dauert die Phase einmal zu lange an, so wäre auch der volkswirtschaftliche Schaden im Falle einer „mutwilligen“ politischen Kursänderung sehr groß.
Die Krise, die von manchen bürgerlichen Kritikern beschworen wird, ist keine Agrarkrise, sonst würden sich die Anleger auch schnellstens zurückziehen, sondern eine politische.
Nicht nur einmal hört man dieser Tage die Warnung, dass durch die weltweit hohen Lebensmittelpreise und die daraus resultierenden Hungerrevolten die Demokratie in Gefahr sei. Nur dass man damit dem kapitalistischen System nicht allein in Trauer den Abgesang anstimmt, sondern sehr bald und sehr deutlich auf die der demokratischen Herrschaftsform alternative faschistische hinweisen wird.
Angesichts der jüngsten, „übermäßigen“ Lebensmittelpreissteigerungen weist man auch immer wieder darauf hin, dass damit die Bekämpfung der Armut in der Welt einen schweren Rückschlag erleidet. Auch die UNO-Milleniumsziele (bis 2015, Vergleichsjahr 1990), die darin zu sehen sind, dass die Armut zurückgeht, scheinen gefährdet. Dabei sind diese Ziele einerseits absolut (Beispiel: Alle Kinder sollen eine Primarschule absolvieren), was selbstverständlich den Vorteil hat, dass man da auch sehr konkret wird, andererseits sind die Grade der Relativierung von Armutsbegrenzungszielen fließend (Beispiel: Den Anteil der Menschen, die mit weniger als 1Dollar/Tag auskommen müssen, und den Anteil jener, die Hunger leiden,halbieren), was für allzu viele Menschen bedeutet, dass sie sich weiterhin mit nichts bescheiden müssen. Halbieren wir den Anteil jener, die Hunger leiden müssen, halbieren wir angesichts des Bevölkerungswachstums (laut UNO-Prognose bevölkern um die 10Mrd.Menschen im Jahr 2015 die Erde) keineswegs die Anzahl jener, die Hunger leiden müssen. Schlimmer noch, so konkret auch das Wort „halbieren“ dasteht, die Weltlandwirtschaft könnte, wie eingangs erwähnt, problemlos alle Menschen ernähren, und aus der Möglichkeit müssen Tatsachen geschaffen werden.
Auch die Menge jener Menschen, die mit weniger als 1Dollar/Tag auskommen müssen, soll halbiert werden. Diese UNO-Forderung, obwohl es heute schon fraglich ist, ob man sie erfüllen können wird, ist geradezu zahnlos. Was es 2015 bedeuten wird, mit weniger als 1Dollar/Tag auszukommen steht sozusagen in den Sternen, hängt vom schwankenden Wert des Dollars ab. Was wird man im Jahr 2015 um einen Dollar erwerben können, und wird man vom dann Erworbenen satt?
Obwohl man mit dieser Forderung scheinbar die Armut an den Pranger stellt, und die 1-Dollar-Marke suggeriert Stärke durch ihre Absolutheit, packt man das Problem der Armut gar nicht an. Denn Armut ist auch ein Relativum, ist ebenso gesellschaftlich bestimmt. Nach einer diese Relativität berücksichtigenden Definition sind jene Menschen von Armut betroffen, die mit einem Einkommen, weniger als 50% des medianen Einkommens, auskommen müssen. Schaut man sich an, wie sich die Verteilung des Pro-Kopf-Einkommens der Weltbevölkerung seit 1980 entwickelt hat, wird man bemerken, dass sich die Darstellung der Verteilung nach rechts oben verschiebt (Bevölkerungswachstum: nach oben, Einkommensstärke in Dollar: nach rechts).
Man erkennt auch, dass die von der UNO festgesetzte Armutsgrenze absolut ist, also bei 1Dollar/Tag liegt. Das mediane tägliche Pro-Kopf-Einkommen der Weltbevölkerung steigt aber ebenfalls nach rechts hin an und liegt weiterhin über dem Pro-Kopf-Einkommen, welches von den meisten Menschen erzielt wird. Die Armut wird also, wie man es auch dreht und wendet, nicht abgeschafft, und wir behaupten, dass sie im Kapitalismus gar nicht abgeschafft werden kann.
Dem Kapitalismus haftet nämlich seiner „Natur“ nach eine sehr breite, divergierende Einkommensverteilung an. Selbst wenn man eine untere Grenze des Einkommens einziehen wollte, so wird die Ungleichverteilung nach rechts hin weitgestreckt sein und sich stetig verengen. (Man beachte, dass aus obiger Grafik nicht eins zu eins herauszulesen ist, da die x-Achse logarithmiert ist, d.h. der Abstand von 0–10US-Dollarebenso groß dargestellt ist, wie der Abstand von 10–100US-Dollar. Es ist de facto 1:9, was hier 1:1 dargestellt wird. Das macht die Grafik kompakt und übersichtlich, liefert aber ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit.) Es wird also völlig unmöglich sein, auch nur zu erreichen, dass niemand mehr unter der (letztlich ebenfalls „willkürlich“ festgesetzten) Marke von 50% des medianen Einkommens zu liegen kommt. Freilich für den Sozialismus ist dieses Ziel nicht zu hoch gesteckt und sein Erreichen bleibt alleine einem sozialistischen Gesellschaftssystem vorbehalten.
Während man allgemein mutmaßt, dass die kapitalistische Konkurrenz dafür sorge, die Preise zu senken, so haben wir gezeigt, wie sie doch aber im Gegenteil auch dafür sorgen kann, dass die Preise steigen. Ein weiteres preistreibendes Moment in dem System ist die kapitalistische Zersplitterung der Welt in die verschiedenen Staaten. Droht eine Nahrungsmittelknappheit bzw. hat sich eine solche in einigen Ländern der Welt bereits bemerkbar gemacht, wie es derzeit der Fall ist, kommt es selbstverständlich zur legitimen Gegenwehr. Die jetzigen Hungerrevolten sind unter Umständen nur ein kleines Vorspiel zu den noch drohenden Unruhen, die dann vielschichtiger und somit schlagkräftiger werden und nur noch mühsamer von der Kapitalseite gestoppt werden können. Um einer verheerenden Konfrontation auszuweichen, sieht sich das Kapital in manchen Staaten gezwungen, protektionistische Maßnahmen zu ergreifen. Die Lebensmittelpreise werden durch Subventionen gesenkt und/oder die Ausfuhr von Lebensmitteln (Argentinien – Weizen) wird gestoppt. Diese Verknappung für den Rest der Welt führt dann im Rest der Welt zu weiterem Preisanstieg und beschleunigt die Spekulationsspirale.
Anmerkung
1 Nachdem Shakespeare-Zitat „wir sehen uns bei Philippi wieder“. Nach der Ermordung Julius Cäsars kämpfen drei Fraktionen um die Nachfolge. Erst wird Brutus geschlagen, danach besiegt Octavius den Marcus Antonius und entscheidet damit den Kampf zu seinen Gunsten. Er wird als „Augustus“ erster römischer Kaiser.
Gemeint ist somit, dass der Markt der Ort ist, an dem die Kapitalisten den erbeuteten Profit unter sich aufteilen.