Proletarische Rundschau, Nr. 10, Februar 2003
Keine Rede von Pensionsreform!
Die Wahlen sind gefochten, und die alte Regierung wurde in ihrem Kurs bestätigt. Die neue, alte Regierung ist eine ÖVP-Regierung, egal mit wem Schüssel in die politische Ehe geht.
Ob Schüssel ein Minderheitenkabinett erstellt, oder ob, was bei der rückgratlosen Anbiederung sämtlicher anderen der drei Parteien wahrscheinlicher ist, die Regierung Schüssel in der zweiten Legislaturperiode eine Koalitionsregierung ist, seine Linie hat er bereits jetzt durchgesetzt. Eine parlamentarische Opposition gibt es in Wahrheit schon längst nicht mehr. Nicht einmal Pyrrhussiege feiert der ÖGB. Er betätigt sich als Beautyfarm der Regierung. Das zeigt sich deutlich bei der „Abfertigung neu“, die neben zahlreichen Verbesserungen bei einzelnen Abfertigungsansprüchen grundsätzlich den Anspruch der Abfertigung als Lohnanspruch nicht anerkennt. Der ÖGB hat mit seinem Einverständnis stillschweigend einer künftigen Pensionsreform Vorschub geleistet. Er hat der Regierung Schüssel damit sicher einen großen Gefallen getan.
Ein zentrales Thema der Schüsselschen Sozial- und Wirtschaftspolitik stellt nämlich, wie sich sofort nach den Wahlen erneut gezeigt hat, die Pensionsreform dar. Mit ihrer Hilfe wird es der Regierung Schüssel und den EU-Finanzstrateg/inn/en gelingen, das starke Wohlfahrtssystem Österreichs, in dem sich die einstmalige Einheit und Kampfkraft der Arbeiter/innen/schaft bemerkbar macht, auszuhöhlen. Direkt mit dem Wohlfahrtsstaat und seinem starken Sozialsystem wird die Stärke und Geschlossenheit der Arbeiter/innen und Lohnabhängigen zerschlagen. Jetzt geht es im wahrsten Sinn des Wortes ans Eingemachte!
Freilich gab es schon früher, auch unter SPÖ-Führerschaft diverser Koalitionsregierungen, ständig Beschneidungen an den Pensionen. Die ununterbrochenen Verschlechterungen der Bedingungen für Pensionsbezieher/innen haben den Boden für die jetzige vollkommene Umkrempelung des Pensionssystems bereitet. Die SPÖ-Spitzen haben die Bevölkerung über die Wichtigkeit der Sozialpolitik und die damit verbundene entscheidende Weichenstellung der Wirtschaftspolitik nicht informiert. Postenschacher und Machterhalt waren den Bonz/inn/en wichtiger als der Erhalt der erreichten proletarischen Inhalte. Deshalb ist von den Bonz/inn/en auch keine wahre Opposition zu erwarten.
Statt Politik für Arbeiter/innen zu machen haben sich die SPÖ-Regierungen auf die politischen „Sachzwänge“ berufen. Die ÖVP-Regierung ist da einen Schritt weiter und schafft die „Sachzwänge“.
Beispiel Pensionsreform 2000
* Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit
* schrittweise Anhebung des Frühpensionsalters
* höherer Abschlag bei Pensionsantritt vor Erreichung des Regelpensionsalters (Frauen 60 Jahre; Männer 65 Jahre)
* geringere Pensionsanpassung der Witwenpension
* Witwenpension entfällt bei höherem Einkommen des hinterbliebenen Ehepartners ganz.
Pensionssysteme bedürften einer ständigen Systempflege, begründete die Kanzlerin mit dem Lächeln einer Kobra diese klaren und eindeutigen Verschlechterungen. Die „Systempflege“ schloss dabei auch ein, dass sie einen großen „Frühpensionierungsskandal“ in diversen Staatsbetrieben aufdeckte. So mokierte sie sich z.B. über steigende Tendenz der Frühpensionierungen bei der Post. Sie hat dabei nur die Kleinigkeit übersehen, dass sie und die ihren dieses System eingeführt haben. Es hätte ihr doch völlig klar sein müssen, dass bei gleichzeitiger, ständiger Drohung mit Rationalisierung und Privatisierung der Post, jene Postbediensteten über einem bestimmten für den Arbeitsmarkt inadäquaten, unpassenden Alter frühzeitig in Ruhestand gehen müssen. Sozialpolitisch ist dies vielleicht sowieso besser, als wenn sie den derzeit überfluteten Arbeitsmarkt (seit den 50-ern keine so hohe Arbeitslosigkeit wie heute!) noch zusätzlich belastet hätten, und anderen damit die geringe noch verbleibende Chance auf einen Arbeitsplatz genommen hätten. Durch die „Modernisierungen“ der Post wurden immer noch genug Menschen arbeitslos, was freilich ganz und gar nicht bedeutet, dass dort jetzt irgendetwas besser funktioniert. Die noch verbliebenen Bediensteten der Post durften im Jahr 2002 bei gleichzeitiger Arbeitslosigkeit ihrer entlassenen Kolleg/inn/en schon Anfang September zusätzliche Wochenenddienste schieben, die früher allein in der Adventzeit notwendig waren. In welch verheerendem Zustand sich die österreichische Post heute nach der „Modernisierung“ befindet, weiß jeder der heutzutage noch Briefe verschickt oder Tageszeitungen abonniert. Selbst Wochenzeitungen kommen selten zeitgerecht, und Parten bekommen die Verwandten, wenn der/die Verstorbene schon längst verscharrt ist. Wenn es schnell gehen soll, dann greift die Post selbst schon auf private Kurierdienste zurück. Ist es also ein Wunder, wenn dem restlosen Verkauf der Post kein Argument mehr entgegensteht? Hat hier nicht die Regierung selbst die Tatsachen geschaffen, auf die sie sich beruft? So gesehen sind die frühzeitig pensionierten Postbeamten eine Welt sozialer als ihre Regierung, die zwar ununterbrochen gegen die Frühpensionen wettert, aber sie ja eben selbst fördert. Es ist doch gerade diese ununterbrochene „Systempflege“, die die Leute dazu veranlasst früher in Pension zu gehen. Nächstes Jahr, oder wer weiß, vielleicht schon nächsten Monat haben sich Höhe und Bedingung der Pension wesentlich verschlechtert. Was also ist wirklich der Skandal? Doch nicht der/die über Fünfzigjährige, der/die sich die für ihn bestmögliche Variante der Altersvorsorge sichert, wenn ihm/ihr gleichzeitig „ewige“ Arbeitslosigkeit mit Verschlechterung der Pension droht! Der Skandal muss doch eben in dieser Riess-Passerschen „Systempflege“ gesucht werden!
Aber Schluss mit der Moral, denn die zeigt heute keine der Regierungen und Parteien! Was hat Schüssel denn für die nächste Legislaturperiode vor? Das verrät er in dem 10-Punkt-Reformprogramm, das die ÖVP den anderen Parteien zur Koalitionsverhandlung vorgelegt hat. Es ist nicht wichtig, in welchen Punkten er sich voll oder nur teilweise durchsetzt. Entscheidend ist, dass es der Willensausdruck der ÖVP-Riege ist, und diese Riege wird sich als Regierung, welcher Konstellation auch immer, jedenfalls durchsetzen. Was die Pension betrifft, wird in Punkt 4 Folgendes gefordert:
Generationenvertrag für die Zukunft
* Einheitliche Pensionsanwartschaften: das gesetzliche Pensionsantrittsalter bleibt unverändert, aber schrittweise Abschaffung der Frühpension bei gleichzeitiger Schaffung eines modernen Erwerbsunfähigkeitsrechts mit Teil- und Voll-Erwerbsunfähigkeit und Maßnahmen zur Forderung von Arbeitsplätzen für ältere Menschen
* Schaffung eines individuellen Pensionskontos als mittelfristiges Ziel (mit versicherungsmathematischen Abschlägen)
* Stärkung der zweiten und dritten Säule
Man muss sich den Punkt freilich keine zwei Mal durchlesen, um zu verstehen, dass man davon nichts versteht. Er ist ja wohl mit Absicht wie ein Schummelzettel eines Gymnasiasten formuliert, damit Schüssel, sollte er doch mal gezwungen sein, sein Schweigen zu brechen und Rede und Antwort stehen zu müssen, schummeln kann. Schon die Überschrift, der Titel des Punktes ist geschummelt, wenn nicht stark gelogen. „Generationenvertrag für die Zukunft“ – was soll das heißen?
Ein Generationenvertrag ist nie geschrieben worden. Unter Generationenvertrag versteht man die naturwüchsige, unmissverständliche und klare Tatsache, dass im sozialen Leben der Menschen jene, die arbeiten können, für jene sorgen, die dies nicht können, also aus eigenen Kräften keinen eigenen Unterhalt erlangen. In der Hauptsache sind dies die Kinder und die Alten. Die Erwerbstätigen müssen also ihre Kinder und ihre arbeitsunfähigen Eltern ernähren. Es findet eine Verteilung statt. Das besagt der Generationenvertrag. Er versteht sich von selbst. Er besagt daher natürlich nicht, in welcher Weise, ob gut oder nachlässig, für die Noch-Nicht-Arbeitenden oder die Nicht-Mehr-Arbeitenden gesorgt wird. Er besagt nicht, ob diese Verteilung der Früchte der Arbeit individuell-familiär oder staatlich-gesellschaftlich geregelt wird. Aber er besagt, dass dies jedenfalls in dem Maße passieren muss, das zum Erhalt der Gemeinschaft notwendig ist.
Jede Affenmutter (und jeder Rabenvater) sorgt für ihren (seinen) Nachwuchs und so ist dies beim Menschen auch geblieben. Der Generationenvertrag stellt also, wie man sieht gar kein Problem dar! Die Menschen erfüllen ihn schon seit Urzeiten. Freilich war die Kindheit früher recht viel kürzer als heute. Die Kinder haben sich schon sehr früh mit ihren begrenzten Möglichkeiten ins Arbeitsleben eingebracht. Den Begriff der Kindheit gab es in unserem heutigen Sinn noch gar nicht. Noch gab es keine Schule. Die Schule wurde erst mit dem Aufkommen der Industriegesellschaft des Kapitalismus allgemeine Pflicht (und Chance). Es gab daher anfangs nicht wenige, die dagegen protestierten, weil durch die Schulpflicht der Familie wertvolle Arbeitskraft verloren ging. Durch die Schule aber hat sich die Zeit der Kinderaufzucht, also die Zeit, in der die Menschen für die Kinder rundum sorgen müssen, wesentlich verlängert. Allerdings hat sich auch die Produktivität in der Industrie, nicht zuletzt dadurch, so enorm erhöht, dass dies möglich geworden ist.
Bei den Alten fand eine Art Gegenbewegung statt. Der Begriff des Alters ist in unserem heutigen Sinn gar nicht so alt. Früher war man einfach alt, wenn die Kraft zur Arbeit nachließ, wenn man zumindest nicht mehr alle seine Kräfte einsetzen konnte. Von diesem Zeitpunkt an aber bis zum Tode, war es nur noch ein kleines Stück. Die Verwandten hatten es in den meisten Fällen nicht allzu schwer. Viele Kriege und Epidemien verkürzten das Leben so, dass wenige überhaupt ein hohes Alter erreichten. Manche freilich wurden ebenso alt, wie man es heute wird, aber den meisten war es gar nicht vergönnt zu altern. Das Alter war also kein „biologisch-medizinischer“ Begriff, sondern ein relativer, der für ein Alter von 35 oder auch 70 gelten konnte. Man muss, um sich das vorzustellen, nur an eine/n heute 50igjährige/n denken, die/der quasi auf dem Arbeitsmarkt nur noch so rumtümpelt. Die/der ist dann auch schon alt!
Durch das frühe Sterben, gab es also, jedenfalls in Mitteleuropa, die Drei-Generationen-Familie viel seltener, als man das vielleicht in den 60-er und 70-er Jahren mit ihren aus der Kommune- und Alternativbewegung entstandenen Großfamilienromantik herbeifabulierte. Aber mit der bürgerlichen Gesellschaft, der Auflösung des Feudalismus und letztlich auch wieder mit der Industrie stiegen Hygiene, medizinisches Wissen und auch allgemeiner Wohlstand, so dass sich die Lebenserwartung schon einer größeren Anzahl von Menschen erhöhte und schließlich allgemein auf ein hohes Niveau gebracht werden konnte. Da stellt sich dann freilich das Problem mit der Altersvorsorge sehr allgemein, und daher hat sich dann auch der Wunsch nach einer allgemeinen gesellschaftlichen (sprich: staatlichen) Altersvorsorge durchgesetzt. 1926 war es in Österreich dann auch so weit.
Der Generationenvertrag aber wurde nicht zum Problem! Denn es wurde das Pensionssystem auf ihm basierend aufgebaut, so dass immer die jeweilige Generation der Erwerbstätigen die Pensionen der aus der Erwerbstätigkeit Ausgeschiedenen bestreitet. Die Generation der Erwerbstätigen wiederum darf darauf vertrauen, dass die Generation der Kinder später, wenn diese erwerbstätig sind, ihnen die Pensionen zahlt usw. Dieses Verfahren nennt man Umlageverfahren, und es basiert auf dem Generationenvertrag. Ein wirklich einfaches, wirkungsvolles und bis heute und in Zukunft bewährtes Verfahren, und kein kompliziertes, brüchiges und ungangbares Modell, wie es die Regierung mit den „drei Säulen“ durchsetzen will.
Dabei will man ein so flaches und miserables Konzept, wie es sich heutige Politiker/innen in ganz Europa EU-weit ausgedacht haben, mit einem „bildhaften“ Vergleich unter das Volk bringen. Die Säulenmetapher hat dabei nicht nur bei Kanzler Schüssel und bei der Pensionsreform Einzug gefunden. Allerorten spricht man heute von Säulen, und sie sollen Kraft und Stabilität der Konzepte suggerieren. Die Erklärung der Konzepte ersparen sich die Politiker/innen aber. Was jedenfalls die „drei Säulen“ im Reformplan bedeuten, wird man wohl noch herausfinden, und man kann nur hoffen, noch bevor sie errichtet sind, denn krachen werden sie alle! In Wirklichkeit gibt es nach dem vorhin Gesagten keinerlei „drei Säulen“. Wenn überhaupt etwas das Pensionssystem stützt, wenn also überhaupt etwas mit einer Säule verglichen werden kann, so ist dieses etwas jeder einzelne Mensch der werktätigen Bevölkerung; für unseren hier zu besprechenden Fall jeder einzelne unselbständig Beschäftigte. Im Juli 2002 waren das laut Statistik Austria 3.246.609 Säulen des österreichischen Pensionssystems. Sie tragen den Generationenvertrag. Kanzler Schüssel schreibt zwar auf seinen Schummelzettel „Generationenvertrag für die Zukunft“, wenn er seine Arbeiten dann gemacht hat wird es bedeuten: „Generationenvertrag für die Zukunft gekündigt!“
Das gerade Gegenteil des Umlageverfahrens ist das Kapitaldeckungsverfahren. Es kommt ohne Generationenvertrag aus, und wird von der Regierung als „zweite und dritte Säule“ propagiert.
Also:
· Umlageverfahren / allg. staatl Pensionsvorsorge 1. Säule
· Kapitaldeckungsverfahren / allg. verpflichtende betriebliche Pensionsvorsorge 2. Säule
· freiwillige individuelle Pensionsvorsorge 3. Säule
Das Kapitaldeckungsverfahren folgt dem Prinzip: Jede/r für sich und jede/r gegen jede/n! Beim Kapitaldeckungsverfahren wird im Laufe eines Erwerbslebens ein Kapitalstock (in Wirklichkeit ein kleines Guthaben) erarbeitet, der in „guten Jahren“, und auf diese verlassen sich die Politiker/innen in ihrem grenzenlosen Optimismus für das Volk, auch noch Renditen abwirft, sprich Gewinne. Das klingt verlockend, aber auch ein Einarmiger Bandit kann bekanntlich eine Verlockung darstellen. Aber Schüssel, seine europäischen Freunde und Freundinnen und die Weltbankexpert/inn/en haben vermutlich einige Zeit im Wiener Prater studiert. Warum auch nicht? Nur sollen sie uns dann nicht damit kommen, dass sie nun die Praterbudenmafia und wir die spielsüchtigen Vollidiot/inn/en sind! Nur gerade so wollen Sie’s!
Der Unterschied auf einen Blick
Die Weltbank bevorzugt Kapitaldeckung, und die EU und die ÖVP wollen das österreichische System vom Umlageverfahren zumindest teilweise aufs Kapitaldeckungsverfahren umstellen. Eines ist dabei natürlich sofort klar: Eine sofortige Umstellung vom Umlagesystem aufs Kapitaldeckungssystem ist, in unseren Breiten jedenfalls, fast undenkbar. Eine vollkommene sofortige Umstellung hieße, dass eine Erwerbsgeneration sowohl nach Generationenvertrag, den sie natürlich noch erfüllen müsste, als auch zum Ansparen zahlen müsste; also doppelt. Man kann dies aus obigen Skizzen durch deren Überlagerung leicht ersehen. Bei einer langsamen, teilweisen Umstellung passiert das Gleiche, nur eben langsam und teilweise. Eine, zwei , drei usw. Erwerbsgenerationen zahlen für die Alten und für sich in die Pensionskassen; eben nicht doppelt, aber mehr als den einfachen Betrag. Das sind also Kosten, die wir allein der Umstellung von einem System zum anderen zurechnen müssen. Das tun die Wirtschaftsexpert/inn/en und Politiker/innen natürlich sowieso, nur sie rechnen eben mit unserm Geld, mit dem Geld der Arbeiter/innen und der Lohnabhängigen.
Was rechnen nun aber die Pensionsexpert/inn/en abgesehen von den „Gewinnchancen“ beim Kapitaldeckungsverfahren? Vor allem konfrontieren sie uns, wie zum Beispiel der im ORF zum Quasi-Fernsehkoch avancierte Sozialexperte Marin, damit, dass sich das Umlageverfahren unter gar keinen Umständen mehr erfolgreich fortsetzen lasse, weil der demographische Druck der Pensionist/inn/en zu hoch würde. Das soll heißen, dass sie berechnen, dass es eine relative Übervölkerung der Alten geben werde, dass zu viele Pensionist/inn/en von wenigen Erwerbstätigen getragen werden müssten. So eine Entwicklung hängt damit zusammen, dass einerseits der medizinisch-technische Anspruch steige, die Menschen also immer länger leben wollen, andererseits immer weniger Kinder bekommen. Kurz gesagt, was man tags zu viel arbeitet, schafft man abends nicht mehr; bei Schicht dann umgekehrt! Dadurch reiche das Umlageverfahren in der nächsten Generation nicht mehr hin, und deswegen müsse man anders vorsorgen.
Das ist also, worauf uns Expert/inn/en und Politiker/innen hinweisen. Ist es aber das Problem? Ja, aber nur zum Teil! Beispielsweise liegt es freilich auf der Hand, dass in der Altersgruppe zwischen 15 und 60 jene Bevölkerungsgruppe zu finden ist, die für das Pensionsaufkommen zu sorgen hat. Aber tatsächlich ist ja nur ein Teil davon auch der Gruppe der Erwerbspersonen zuzurechnen. So wurden im Jahr 2000 der Altersgruppe zwischen 15 und 59 Jahren ca. 5.077.100 Menschen zugerechnet, es gab aber nur ca. 3.676.000 Erwerbstätige im Jahr 2000. Untersuchungen über Verschiebungen in der Bevölkerungsstruktur sagen also nicht alles. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Integration von Migrant/inn/en durchaus eine Wirkung auf das Problem haben kann und insofern erwünscht sein könnte, aber hier haben ja die Regierungen der EU den Weg der Restriktion eingeschlagen. Letztlich wird viel von der Schaffung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen abhängen, aber gerade in dieser Hinsicht hat ja die Regierung Schüssel total versagt. Man erinnere sich, wie Schüssel am Anfang der ÖVP-FPÖ-Koalition immer und immer wieder mit Stolz auf die niedrigen Arbeitslosenzahlen Österreichs hingewiesen hat. Er hat sie sich, obwohl kaum von seiner Regierung erwirtschaftet, an die Brust geheftet. Heute nachdem er eben vom Volk als Kanzler bestätigt wurde, erfährt man (schon im gleichgeschalteten Fernsehen!), dass es seit den 50-er Jahren keine so hohe Arbeitslosenrate wie jetzt gegeben hat.
Wie auch immer, die Expert/inn/en und die Regierung setzen auf das Kapitaldeckungsverfahren in der Altersvorsorge. Sie meinen, dass die im Verhältnis zu den Jungen und Alten sinkende Zahl der Erwerbstätigen in Zukunft nicht mehr fähig sein werde, das Pensionssystem nach dem Umlageverfahren zu stützen. Daher zeigen sie es uns, rechnen sie’s uns also vor, ganz so plakativ wie es aus obigen Tabellen und Grafiken hervorgeht. Gehen wir ihnen auf den Leim? Wirtschaftsexpert/inn/en der Universität Wien taten dies nicht! Sie erarbeiteten eine eigene Studie, in der sie herausfanden, dass es ganz und gar nicht zu Ende gehen müsse mit dem Umlageverfahren, dass die Expert/inn/en, die von der Regierung beauftragt wurden in ihrer Studie nur „vergessen“ hatten einen entscheidenden Faktor in ihre Berechnungen mit einzubeziehen: das Produktivitätswachstum. Warum sie diesen nicht miteinbezogen haben, bleibt allerdings ein Rätsel, ebenso, wie es ein Rätsel bleibt, dass die Studie, die den Irrtum aufdeckt nicht breitgenug veröffentlicht wurde. „Es gab zwar recht viele Anfragen politischer und halbpolitischer Institutionen, welche sich für die Studie Interessierten und welchen sie zugeschickt wurde. Das war’s dann aber auch schon.“, meint ein Mitautor jener Studie, Prof. Kirchsteiger. Es bleibt ein Rätsel, wenn man an die Ehrlichkeit der Politiker/innen, an die Unbestechlichkeit der Expert/inn/en und an die Sachzwänge der Ökonomie glaubt. Dann kann man sich nichts erklären.
Desto genauer erklärt es aber Herr Prof. Kirchsteiger in einem Interview. Lassen wir ihn sprechen!
„Zwar wird es in Zukunft weniger Arbeitnehmer für mehr Pensionisten geben, aber aufgrund des technischen Fortschritts und anderer Faktoren ist mit einer Produktivitätssteigerung zu rechnen. Nur ein Krieg, eine internationale Isolation oder ähnliche Ausnahmefälle, wie etwa in den letzten Jahren in Serbien, würden zu einer Minderung führen. Und das derzeitige Pensionssystem wäre nur dann nicht mehr finanzierbar, wenn die Produktivität drastisch fallen würde.“ Es sei also grundsätzlich auch weiterhin möglich, das staatliche Pensionssystem mittels Umlageverfahren zu finanzieren, was aber nicht heiße, dass es von der Politik so praktiziert werde. „Vielleicht deshalb, da die demographische Veränderung auch eine Erhöhung der Beitragssätze notwendig macht und das ist eben eine sehr unpopuläre Maßnahme. Dennoch werden bei einer Produktivitätssteigerung auch die Bruttolöhne steigen. Die notwendigen Beitragserhöhungen für die Pensionen könnten sogar so gering sein, dass auch noch die Nettolöhne steigen würden. Die Produktivität stieg in den letzten Jahrzehnten im Schnitt jährlich um 2%. Die notwendige jährliche Produktivitäts­wachs­tums­rate, zur Finanzierung der Pensionen ohne Bruttolohnverlust , beträgt aber nur zwischen 0,15 und 0,25 %. Diese Pensionsbeitragssteigerungen durchzusetzen, das ist jedoch eine politische Entscheidung.“
So also rechnet sich das Umlageverfahren in Wahrheit. Dabei sei man bei den Berechnungen vom heutigen status-quo der Pensionsregelung ausgegangen (Pensionsantrittsalter, Ersatzzeitenregelungen, usw.). Prof. Kirch­steiger, ein Wirtschaftsexperte, spricht also direkt und unumwunden aus, dass es sich bei einer Änderung des Pensionssystems in Österreich nicht um finanz-ökonomische Notwendigkeit sondern um politische Weichenstellung handle. Aber er ist der Meinung, dass dabei eine Beitragserhöhung nicht zu umgehen sei. Wollen die Menschen weiterhin ein funktionierendes Pen­si­ons­system, so müssen sie sich also aktiv dafür entscheiden. Wirtschaft und Politik werden sich gegen das Umlageverfahren entscheiden. Wer also der Meinung ist, das alte, bewährte Pensionssystem habe noch nicht ausgedient, muss in Zukunft einerseits sanfte Anhebungen der Beitragssätze in Kauf nehmen, andererseits sich den Interessen der Wirtschaft und Politik in gemeinsamer Aktion widersetzen. [Dabei haben wir noch nicht einmal überlegt, ob man nicht die gesteigerten Pensionssätze aus den um Mehrfaches gesteigerten Profiten finanzieren könnte!]
Welche Chancen bietet dagegen das Kapitaldeckungsverfahren? Wie kann man sie bestimmen? Sind Ergebnisse einer Umstellung vom Umlageverfahren auf das Kapitaldeckungsverfahren irgendwo ersichtlich? Ja.
In Chile wurde 1981 das Umlageverfahren in der Altersvorsorge abgeschafft und das Kapitaldeckungsverfahren, und zwar in seiner ausschließlichen, also idealtypischen Form eingeführt. Es war dies zur Zeit des General Pinochet, und wer damals in Chile für das alte Pensionssystem eintrat, wurde nicht selten gleich einen Kopf kürzer gemacht. Man hatte in Chile, das in den Jahren zuvor ein allgemeines Pensionssystem nach dem Umlageverfahren auf hohem Niveau entwickelt hatte, schon längere Zeit über Pensionsreformen nachgedacht, weil sich der Verwaltungsaufwand der über 30 öffentlichen Pensionskassen ausweitete. Es wurde dann das Pensionssystem völlig nach dem Kapitaldeckungsverfahren umstrukturiert:
Es besteht Versicherungspflicht. 13 derzeit konkurrierende Pensionsfonds, deren drei eine Vormachtstellung (ca. 57% aller Einlagen) erlangen konnten, verwalten die Gelder der zur Einzahlung (ca. 10% des Einkommens) Verpflichteten. Diese Einzahlung betrifft nur die individuelle Altersvorsorge. Andere, zusätzliche Leistungen Invaliditätsvorsorge, Mitversicherung von Familienangehörigen (2,5%) sind extra zu berappen. Weder Arbeitgeber/innen noch Staat leisten einen Beitrag zur Pensionsversicherung der Arbeiter. Dennoch wurden der Staat durch die Umstellung stark in Anspruch genommen, Denn einerseits musste er das alte Pensionssystem für die Anspruchsberechtigten noch aufrecht halten, andererseits musste er jenen, die sich freiwillig für den Umstieg vom alten aufs neue System entschieden, die gesamte Summe ihres Anspruchs an den jeweiligen Pensionsfonds übertragen. Das belastete das Budget in derart entscheidender Weise, dass damit ein „Sachzwang“ Sozialabbau entstand. Die Ausgaben für das Pensionssystem stiegen so drastisch an, dass daraufhin im Gesundheitswesen und im Bereich Bildung enorm eingespart werden musste. Außerdem hat sich der Deckungsgrad der Versicherung aufgrund von Arbeitslosigkeiten, informellen Beschäftigungsverhältnissen und nicht zuletzt dadurch, dass die Beiträge, die von den Arbeitgebern/innen an die Pensionsfonds abgeführt werden, oft nicht rechtzeitig abgeführt werden wesentlich verringert. Dadurch, dass außerdem die Beitragssätze relativ niedrig sind und außerdem auch der Reallohnentwicklung hinterherhinken sind nur relativ geringe Pensionen in Höhe von 30% des Letztbezuges zu erwarten. Für ca. 65% der Beitragszahler/innen wird die Mindestpension erwartet. Außerdem fallen natürlich auch im neuen System auf Seiten der Pensionsfonds Verwaltungskosten an. Sie werden als Gebühren abgerechnet, und insofern auf jedes individuelle Konto auch fixe Kosten anfallen, verursachen sie eine regressive Wirkung, das heißt, die kleineren Konten werden relativ stärker belastet. So wird durch das System eine stark ungleiche Einkommensverteilung durch eine stark ungleiche Pensionsverteilung fortgesetzt: Die ärmsten 20% der Haushalte erhalten 4,6% des Einkommens aber nur 3,9 % der Pensionszahlungen. Die Kosten der Verwaltung der Pensionsfonds werden außerdem noch durch hohe Werbekosten ergänzt. Bis zu 30% der Versicherten wechseln jährlich ihren Pensionsfonds. Insgesamt beliefen sich die Kosten des privaten Pensionssystems 1991 auf ca. 30% der eingezahlten Beträge im Vergleich zu ca. 5% im alten System 1979. Dazu kommen noch Kosten der Versicherten bei Eintritt ins Pensionsalter, wenn also der Pensionsanspruch geltend gemacht wird. Da dann das Geld neu zu veranlagen ist, werden zu diesem Behufe Anlageberater/innen und -expert/inn/en herangezogen, die wiederum ca. 3-5% der gesamten kapitalisierten Summe beanspruchen. Im Grunde läge eine erneute Änderung zurück zum alten Pensionssystem nahe, aber zu starke Interessen von Seiten der Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften sowie des gesamten Kapitalmarktes stehen dagegen und lassen dies unrealistisch erscheinen. Außerdem gibt es die grundsätzliche hegemoniale Überlegung zu dieser Entwicklung, dass wenn die Arbeiter/innen/schaft durch dieses System in die Logik des Kapitals mit einbezogen ist, sich weniger Möglichkeiten einer Koalition der Arbeiter/innen ergeben. Tatsächlich studieren die Arbeiter/innen in Chile tagtäglich die Aktienkurse; es geht ja um ihre Pensionen. Das Eingeständnis der Politiker/innen, die stets von der Überlegenheit dieses Systems im vollen Ton der Überzeugung sprechen, dass dieses System so gut nicht sein kann, ist aber dass in Chile zwei Berufssparten aus dem neuen System ausgeschlossen bleiben und ihre Pensionen nach dem alten Umlageverfahren ausbezahlt bekommen: Militär und Polizei! Sicher ist sicher!
Was aber in Chile passiert ist kann man ganz allgemein über die private Pensionsvorsorge bemerken. Dazu Jörg Huffschmid, Professor für Wirtschaftspolitik: „Die Argumente, dass die öffentliche Organisation derartiger Systeme wegen der Altersstruktur der Bevölkerung nicht finanzierbar sei, treffen schon deshalb nicht zu, weil sie auch in privaten Systemen finanziert werden müssen und auch in privaten Systemen nur das an Leistung geliefert werden kann, was jeweils zur Verfügung steht. Bei der Privatisierung der sozialen Sicherung handelt es sich nicht um eine Frage der Finanzierung, sondern um eine Frage der Verteilung. Sie bewirkt eine Umverteilung der insgesamt zur Verfügung stehenden Leistungen zugunsten der reicheren Schichten der Gesellschaft und zu Lasten der ärmeren Schichten und zerstört dadurch das Solidarprinzip der Gesellschaft.“
Wenn man also bedenkt, dass man Geld nicht fressen kann, dass auch in der Pension nur Güter konsumiert werden können, die ja von den dann Erwerbstätigen hergestellt werden, ist klar, dass man Einkommen nicht durch die Zeiten transferieren kann. Es findet letztlich auch dann ein Umlageverfahren statt, denn was die Pensionist/inn/en konsumieren, wird eben immer von den Erwerbstätigen produziert. Neu ist an der privaten und individuellen Altersvorsorge nur der hohe individuelle Unsicherheitsfaktor, wie viel oder wenig vom Gesamtprodukt man abbekommt, der von dem hohen Unsicherheitsfaktor am Kapitalmarkt abhängt. Zusätzlich belastend kommt hinzu, dass auch die private Pensionsvorsorge über den Kapitalmarkt vom demographischen Druck nicht verschont bleibt. Man überlege sich, was mit Aktienbündeln passiert, wenn durch eine höhere Pensionist/inn/enquote und eine geringere Erwerbstätigenquote das Angebot die Nachfrage übersteigt; die Kurse werden natürlich massiv einbrechen. Damit schwindet aber der Gewinn.
Ein für die Arbeiter/inn/schaft nicht unwesentlicher Faktor ist auch der von den Aktiengesellschaften ausgeschüttete Gewinn, die Dividende. Ist die Dividende hoch, so kann man also mit einem hohen Zugewinn rechnen. Die Altersvorsorge scheint gesichert, vielleicht – aber sehr unwahrscheinlich! – über dem Niveau einer Pension nach dem Umlagever­fah­ren. Aber muss sich dann der/die Arbeiter/in, der/die auf hohe individuelle Altersabsicherung aus ist, nicht zurecht eine gewisse schizophrene Haltung diagnostizieren lassen? Hohe Dividende, hohe Gewinnraten, gibt es doch nur, wenn die Lohnerhöhung, die Lohn­stei­gerungsraten niedrig sind! Was er/sie hier gewinnt, verliert er/sie da. Nur wenn die Kapitaleinkommen dauerhaft stärker steigen als die Lohneinkommen, ist das Kapitaldec­kungsverfahren dem Umlageverfahren überlegen. Und überlegen muss sich daher wohl jeder ob das in seinem eigenen Interesse ist.
Die Pensionskassen, Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften werden natürlich profitieren. Man meint, dass mit dem so dem Kapitalmarkt zur Verfügung stehenden Geld Arbeitsplätze geschaffen würden. Jedoch ist diese Spekulation der Börsenspekulation, was die Sicherheit der Prognostik angeht, nicht unähnlich. Arbeitsplätze werden nur geschaffen, wenn für die zu erzeugenden Produkte auch Abnehmer vorhanden sind. Wer aber wird kaufen, wenn das Geld schon die Finanzgesellschaften abgezockt haben? Im Gegenteil: es ist zu erwarten, dass die Deregulierung, die die Umstellung des Pensionssystems mit sich bringt, der Abbau des Sozialsystems überhaupt, die von der heutigen Politik verursachte Krise des Wohlfahrtsstaats zu einem dramatischen Einbruch der Nachfrage führen wird und damit zu einem noch stärkeren Abbau von Lohnverhältnissen. Das führt dann teufelskreisförmig zu weiteren Pensionseinbußen, wenn keiner mehr da ist, der sie erwirtschaftet. Der Staat wird (Beispiel Chile) den Pensionen noch mehr zuschießen müssen.
Freilich den Politiker/inn/n und Fi­nanz­ex­per­t/inn/en und den von ihnen vertretenen Kapitalgruppen würde die Umstellung auf das Drei-Säulen-Modell sehr gefallen. Man sieht, wie sie nach höheren Gewinnen gieren. Die Po­li­tiker/innen hätten ein unbeliebtes Thema der Politik ein für allemal vom Tisch gefegt. Die Finanzexpert/inn/en hätten an den Pen­si­ons­anwärter/inne/n einen nie versiegenden Quell an Kundschaft. Die Versicherungsgesellschaften streiften die Gewinne ein. Die Arbeiter/innen/schaft hingegen kann auf der einen Seite nur gewinnen, was sie auf der anderen verliert, und sie verlöre mehr als sie gewinnt: Es ist damit zu rechnen, dass durch die Pen­si­ons­umstellung der Sozialabbau allgemein rasant zunehmen wird. Die Umstellung des Pensionssystems wird zur Verschärfung des Gegensatzes zwischen den Armen und den Reichen führen, auch innerhalb der Arbeiter/innen/schaft. Es wird das Solidarprinzip gezielt demontiert. Die Errungenschaften der Kämpfe um soziale Absicherung und Wohlfahrt werden leichtfertig verspielt.
Das alles bedenkend, kann man sich dagegen wehren oder sich sinnlos besaufen. Und wenn man dann so sturzhagelvoll torkelnd sinniert: „Hicks...! Wer denkt denn da so an mich?“ Dann biegt flotten, dynamischen Schrittes Kanzler Schüssel, der Vertreter der europäischen Finanz- und Versicherungsgesellschaften, um die Ecke, und hat uns schon das nächste Gerstl aus dem Sack gezogen!