Zusammenstellung und Übersetzung: Info-Verteiler, 04/2003
Journalisten unter Beschuß
General Colin Powell sagte, daß ausländische Journalisten (Bagdad) verlassen sollten, wenn die sogenannte „Shock and Awe“-Kampagne („Schockieren und Respekt einflössen“ – so nannten die Aggressoren ihre massive Bomben-Kampagne gegen den Irak) beginnt, und die hat nun begonnen. Warum haben Sie sich entschlossen, in Bagdad zu bleiben?
Robert Fisk: Weil ich nicht für Colin Powell arbeite, ich arbeite für eine britische Zeitung, die „The Independent“ heißt; wenn Sie sie lesen, werden Sie sehen, daß sie es auch ist (nämlich: unabhängig). Es ist nicht die Arbeit eines Journalisten, sich an die Anweisungen eines Generals zu halten. Vor einigen Wochen habe ich in meiner Zeitung geschrieben, daß vor Beginn des Krieges in Jugoslawien (gemeint ist der Krieg gegen Jugoslawien 1999) das britische Außenministerium die Journalisten aufgefordert hat, Jugoslawien zu verlassen. Sie sagten, der britische Geheimdienst hätte einen Geheimplan aufgedeckt, daß alle ausländischen Journalisten in Belgrad als Geiseln genommen werden sollten. Ich beschloß, daß das eine Lüge sei und blieb – und es war eine Lüge. Als ich nach Afghanistan kam, gerade vor dem Fall von Kandahar, drängte das britische Außenministerium alle Journalisten dazu, sich aus den Gebieten der Taliban zurückzuziehen. Sie sagten, der britische Geheimdienst hätte ein Komplott aufgedeckt,nach dem alle ausländischen Journalisten als Gei­seln genommen werden sollten. Mit Jugoslawien im Kopf blieb ich in Kandahar und es stellte sich als Lüge heraus. Vor Beginn des Bombardments hier sagte das britische Außenministerium, daß alle Journalisten gehen sollten, weil der britische Geheimdienst ein Komplott von Saddam aufgedeckt habe, daß alle Journalisten als Geiseln genommen werden sollen, und ab diesem Moment wußte ich, daß ich hier sicher bin, denn es war natürlich die übliche Lüge. Traurig ist, daß so viele Journalisten gegangen sind. Es gab hier eine große Anzahl von Reportern, die vor Kriegsausbruch freiwillig gegangen sind, weil sie diesen Unsinn geglaubt haben. Ich muß dazu sagen, daß die Iraker ebenfalls eine ganze Menge Journalisten rausgeworfen haben. Aber ich glaube nicht, daß es die Aufgabe eines guten Journalisten ist, davon zu laufen, wenn der Krieg kommt, weil die eigene Seite es sein könnte, die ihn bombardiert. Ich wurde von den Briten und den Amerikanern so oft bombardiert, daß es kein „Shock and Awe“ mehr ist, ist ist einfach „Shock and Bore“ (Schockieren und lästig sein).1
„Wir sind entsetzt über die schweren Attacken gegen Journalisten“, sagt Robert Ménard, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen in Paris. „Nach unseren Recherchen war die Lage zum Zeitpunkt des Geschehens in der Umgebung des Hotel Palestine ruhig und die US-amerikanische Panzerbesatzung hat sich Zeit genommen, um die Kanone auf das Hotel auszurichten und schließlich zu feuern. Die Journalisten vor Ort erhielten unseres Wissens keine Warnung. Daher können wir nur schließen, dass das Gebäude absichtlich beschossen wurde. Die US-amerikanische Version eines Verteidigungsschusses ist wenig glaubwürdig“, erklärt Ménard weiter.2
Reporter ohne Grenzen wirft den britisch-amerikanischen Streitkräften vor, die Arbeit und Sicherheit von Journalisten, die vom Kriegsgeschehen berichten, zu missachten. Die internationale Organisation zur Verteidigung der Pressefreiheit fordert die Alliierten auf, eine interne Untersuchung über die Behandlung der Presse durch Armeeangehörige einzuleiten und ihre Ergebnisse zu veröffentlichen.
„Journalisten gerieten unter Beschuss, wurden verhaftet, oft über mehrere Stunden verhört, misshandelt und geschlagen“, berichtet Robert Ménard, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen, in Paris. „Außerdem wurde das Informationsministerium in Bagdad zwei Mal bombardiert, obwohl allgemein bekannt ist, dass die internationalen Nachrichtenagenturen dort untergebracht sind“, sagt Ménard weiter.
Eine vierköpfige Gruppe unabhängiger Journalisten, Dan Scemama und Boaz Bismuth aus Israel und Luis Castro und Victor Silva aus Portugal, beschuldigen die US-amerikanische Militärpolizei, ihnen „die schlimmsten 48 Stunden ihres Lebens“ bereitet zu haben. Die Vier hielten sich in der Nähe einer US-Militäreinheit zwischen den Städten Kerbala und Najaf auf, als sie am 25. März aus dem Schlaf gerissen und festgenommen wurden. Obwohl sie ihre Presseausweise zeigten, wurden sie bedroht, misshandelt und in einem Jeep über 36 Stunden lang festgehalten. Sie durften weder ihre Nachrichtenagenturen noch ihre Familienangehörigen verständigen.
„Die US-Soldaten warfen uns vor, wir seien Terroristen und Spione, und so behandelten sie uns auch“, sagt Scemama, der für den israelischen Fernsehsender Channel One arbeitet. „Sie wollen allen Journalisten, die aus dem Irak berichten, einen Verbindungsoffizier an die Seite stellen, um die Berichterstattung zu kontrollieren. Für mich besteht kein Zweifel darüber, dass sie uns deshalb so schlecht behandelt haben“, ergänzt er weiter. Die Vier hatten den Eindruck, dass die US-amerikanische Armee alles daran setzt, die Bewegungsfreiheit unabhängiger Reporter einzuschränken. Journalisten aus Kuwait berichteten, auch dort seien Kollegen bedroht und über mehrere Stunden verhört worden. Britische und US-amerikanische Militärs hätten außerdem verhindert, dass unabhängige Journalisten die Grenze zum Irak passieren konnten.
Das Informationsministerium in Bagdad wurde am 29. und 30. März bombardiert. Dabei wurde auch die Ausstattung der dort untergebrachten internationalen Nachrichtenagenturen beschädigt. Die erste Rakete des Luftangriffs am 29. März zerstörte die Über­tra­gungsvorrichtungen auf dem Dach des Gebäudes.
Der Kameramann des arabischen Senders Al Jazeera, Akil Abdel Reda, wurde am 29. März von US-amerikanischen Soldaten über 12 Stunden lang festgehalten und verhört. Ein Sprecher von Al Jazeera in Katar meldete, ihr Kameramann sei verhältnismäßig gut behandelt worden. Der Sender betonte, sie hätten die US-amerikanischen Behörden vor Kriegsausbruch über ihre Präsenz im Irak informiert. Der Kameramann war mit seinem Team in einem zivilen Fahrzeug unterwegs, um über die Lebensmittelvergabe irakischer Behörden in Basra zu berichten, als britische Panzer das Feuer eröffneten.3
Bei den Angriffen auf das Hotel Palestine und das Büro von Al Jazeera kamen drei Journalisten ums Leben. Der ukrainische Kameramann Taras Protsyuk der Agentur Reuters und der spanische Kameramann José Couso starben bei dem Angriff auf das Hotel Palestine; drei weitere Journalisten wurden verletzt. Bei der Bombardierung des arabischen Senders Al Jazeera kam der Kameramann Tarek Ayoub ums Leben.4
Der US-amerikanische Journalist und Freelancer, Phil Smucker, vom Christian Science Monitor in Boston und Daily Telegraph in London, wurde von US-Militärs aus dem Irak ausgewiesen mit der Begründung, er habe durch sein Interview mit dem Sender CNN am 26. März die Sicherheit einer Militäreinheit gefährdet, weil er zu detaillierte Informationen veröffentlicht habe.
Vier Journalisten des britischen Senders ITN gerieten am 22. März in Basra unter Beschuss. Der britische Journalist Terry Lloyd kam bei dem Feuergefecht ums Leben, von dem französischen Kameramann Frédéric Nerac und dem libanesischen Übersetzer Hussein Othman fehlt seitdem jede Spur. Reporter ohne Grenzen hat US-General Tommy Franks aufgefordert, eine Untersuchung einzuleiten und den Vorfall aufzuklären.
Aufgrund der Ereignisse ist die Organisation vor allem um die Sicherheit von Journalisten besorgt, die nicht zu den „eingebetteten“ Reportern zählen.
Außerdem fordert Reporter ohne Grenzen die irakischen Behörden auf, den Verbleib von vier Journalisten aufzuklären, die seit einer Woche als vermisst gelten. Nach Aussagen ausländischer Korrespondenten in Bagdad sollten die Vier abgeschoben werden. Seitdem fehlt jede Spur.
Zwei Reporter der US-amerikanischen Tageszeitung Newsday, der Peruaner Moises Saman und der Brite Matthew McAllester, wurden zuletzt am 24. März im Hotel Palestine in Bagdad gesehen. Journalisten vor Ort berichteten, dass die beiden abgeschoben werden sollten, weil sie mit einem Touristenvisum eingereist seien. Auch die US-amerikanische Fotoreporterin und Freelancerin, Molly Bingham, sowie Johann Spanner von der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten, sollten ausgewiesen werden.5
Anmerkungen
1 www.zmag.org – „Un-Embedded Journalist“, ZNet-Interview
2 Wien, 09. April 2003 – Reporter ohne Grenzen (090403_irak.html)
3 01.04.03 – Reporter ohne Grenzen (010403_irak.html)
4 Wien, 09. April 2003 – Reporter ohne Grenzen (090403_irak.html)
5 01.04.03 – Reporter ohne Grenzen (010403_irak.html)