Helmut Lucas; aus: www.kommunisten-online.de\chile1.htm
Chile: Der 11. September 1973
Ein kleines Elend für die USA – eine Katastrophe für Chile und die Welt
Vor 30Jahren wurde Salvador Allende ermordet – unter Führung und Anleitung der CIA
Auch in diesem Jahr werden wir uns wieder auf Krokodilstränen einzustellen haben. Es ist nicht (mehr) leicht, diesen Gedenktag ohne Zynismus zu begehen. Jetzt schon werden in der unsäglich freien kapitalistischen Welt Vorbereitungen für eine weitere emotionale Desinformationskampagne getroffen. So sollen eventuell Live-Mitschnitte der Telefongespräche zwischen Rettungspersonal und späteren Opfern veröffentlicht werden. US-Präsident George W. Bush wird wieder zum Kampf gegen den Terrorismus aufrufen. Wer Terrorist ist und wer nicht, wer zur „Achse des Bösen“ gehört und wer nicht entscheidet der Präsident des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten, wohlwissend, dass er nur der Geschäftsführer der einheimischen Bourgeoisie ist.
Vom Terrorismus und unbegrenzten (?) Möglichkeiten soll auch hier die Rede sein.
Santiago de Chile, 11. September 1973
Morgens gegen fünf Uhr fordert eine Militärjunta den Präsidenten Salvador Allende über Radiosender zum Rücktritt und zur Übergabe der Regierungsgeschäfte auf. Die Junta behauptet, das „Chaos beseitigen“, „das Vaterland vom marxistischen Joch befreien“, die „Ordnung wiederherstellen“ zu wollen.
Allende gibt über Radiostationen bekannt, dass er nicht zurücktreten werde, weil er vom Volk gewählt sei. Inzwischen wird der Hafen von Valparaiso von Marineeinheiten der Junta in ihre Gewalt genommen, Panzerverbände marschieren auf Santiago de Chile, die Moneda (der Präsidentenpalast) wird eingeschlossen. Bomber greifen regierungstreue Rundfunksender an, auch die cubanische Botschaft wird bombardiert.
Schließlich wird die Moneda mit Bomben und Panzerbeschuss angegriffen und gestürmt. Allende hat sich mit wenigen Getreuen dort verschanzt und so viele Menschen wie möglich vorher in Sicherheit gebracht.
Noch am selben Tag erklärt die Junta unter General Pinochet, Allende habe Selbstmord begangen. Eine unglaubliche Dreistigkeit, denn er war von Kugeln regelrecht durchsiebt und hatte mit dem Gewehr in der Hand bis zum letzten Atemzug gekämpft.
Das ist der 11. September, dessen wir gedenken sollten!
Nachtrag: Noch am selben Tag werden der (demokratisch gewählte) Nationalkongress aufgelöst und die diplomatischen Beziehungen zu Cuba abgebrochen.
Auch die folgenden Tage werden zu den schwärzesten der gesamten chilenischen Geschichte, es sind die Tage der faschistischen Reak­tion.
Immer wieder kommt es zu Kämpfen zwischen bewaffneten Arbeitern und Militärs, aber mit ein paar handvoll Gewehren kann man nicht wirksam gegen eine Armee antreten. In nur wenigen Tagen werden mehrere tausend ArbeiterInnen getötet.
Da die Gefängnisse bei den Säuberungsaktionen der Junta schnell mit Allende-Anhängern überfüllt sind, wird das berühmte Fußballstadion „Estadio Chile“ in ein KZ mit ca. 5000 (fünftausend) politischen Gefangenen umfunktioniert. Die Umkleidekabinen werden zu Folterkammern umgerüstet. Weitere KZs werden in stillgelegten Salpeterminen eingerichtet. Die Foltermethoden sind denen der deutschen Gestapo adäquat.
Das bekannteste Folteropfer ist der Volkssänger Victor Jara, den man noch am Boden liegend mit Gewehrkolben traktiert und anschließend Hände und Handgelenke zerschlägt, er stirbt nach unendlichen Qualen am 12. September. Victor Jara war Mitglied der Kommunistischen Partei Chiles. Wie ihm ergeht es noch vielen anderen.
Soviel vorerst zu den Geschehnissen dieser Tage. Aber wie konnte es dazu kommen?
Der Wahlsieg
Am 4. September 1970 errang der Arzt und Sozialist Salvador Allende als Kandidat der Unidad Popular (Volksfront, im Wesentlichen bestehend aus Sozialisten, Kommunisten und Liberalen) die Mehrheit bei den Präsidentschaftswahlen in Chile mit 36,3% der Stimmen. Der Kandidat der Rechten, Allessandri, erhielt 34,9%, die Christdemokraten 27,8%. Allende benötigte also im Nationalkongress die Stimmen der unterlegenen Christdemokraten.
„Die regierende Christlich-Demokratische Partei forderte ihre 75 Senatoren und Abgeordneten auf, für Allende zu stimmen. Vor dieser Empfehlung hatten sich die Christdemokraten in einer Vereinbarung mit den sechs in der Volksfront (Unidad Popular) vereinten Parteien der Linken schriftlich garantieren lassen, dass Allende den demokratischen Rechtsstaat nicht antasten würde.“1
Während des Wahlkampfes war eine beispiellose Hetzkampagne gegen die Unidad Popular geführt worden.
„Eine Niederlage in Chile hätte für die Amerikaner aber nicht nur einen schweren Imageschaden, sondern auch einen finanziellen Verlust bedeutet, insbesondere weil die Kupferminen in amerikanischem Besitz waren und bei einer linken Machtübernahme nicht dort geblieben wären. Also schickte Präsident Nixon die CIA nach Chile, die kräftig gegen den Kommunisten Allende Stimmung machte. Eine großangelegte Desinformations- und Verleumdungskampagne wurde gestartet. Die Presse wurde manipuliert, Millionen antikommunistischer Flugblätter und Plakate gedruckt. Man versuchte, in Chile eine Stimmung der Unsicherheit zu erzeugen. Der amerikanische Präsident Nixon drohte offen, bei einer Wahl Allendes sämtliche Wirtschaftshilfe einzustellen, die vorher so groß gewesen war wie nur noch in Vietnam. Auch die amerikanischen Unternehmen spendeten großzügig für den Kandidaten der Rechten, auch wenn das ziemlich verfassungswidrig war.“2
Das Programm der Unidad Popular
hatte es in sich. Am 5. September 1970 verkündete Salvador Allende:
„Wir haben gesiegt, um endgültig die imperialistische Ausbeutung zu beseitigen, die Monopole abzuschaffen, eine wirkliche und tiefgreifende Agrarreform durchzuführen, den Import und Export zu kontrollieren und, schließlich und endlich, um die Banken zu nationalisieren.“3
Das war nicht etwa etwas Neues. Weder die Unidad Popular noch Allende selbst hatten jemals Zweifel aufkommen lassen, worin ihr politisches Programm bestand. Aber man kann sich leicht vorstellen, was im Weißen Haus in Washington los war. Der Vietnamkrieg war praktisch schon verloren. Präsident Nixon konnte es gerade als Erfolg verbuchen, dass sein Außenminister und Vietnamunterhändler Henry Kissinger den Friedensnobelpreis erhalten hatte, da entsteht ein „neues Cuba“ in „seinem“ Hinterhof – und dann auch noch gewaltlos mit Stimmzetteln! In diese Tage fällt auch der historische Satz Kissingers:
„Ich sehe nicht ein, warum wir zulassen sollen, dass ein Land marxistisch wird, nur weil die Bevölkerung unzurechnungsfähig ist.“
Der Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen: Der nordvietnamesische Unterhändler Le Duc Tho, dem zu gleichen Teilen der Friedensnobelpreis zugesprochen war, lehnte die Annahme ab. Auf die Rolle der USA kommen wir später noch zurück.
Wie oben schon zu sehen war, war Allende niemand, der sich einfach nur Sozialist nannte, wie wir das – nicht nur – aus Deutschland kennen. Die Unidad Popular hatte ein Programm erarbeitet, das weitgehend auch kurzfristig umsetzbar war. Es reichte von der Abschaffung der persönlichen Bereicherung im öffentlichen Dienst bis zur Erhaltung und Förderung von Kunst und Kultur. Entscheidend waren aber die sozialen Maßnahmen wie Schulgeldfreiheit, kostenlose Bücher und Schulmaterialien, kostenloses Frühstück für Schulkinder, alle Kinder bekamen täglich kostenlos einen halben Liter Milch, kostenlose medizinische Behandlung usw.
Dieses Programm wurde konsequent umgesetzt. Die Arbeitslosigkeit sank auf drei Prozent bei höheren Löhnen als vorher. Kleine und mittlere Unternehmer und Landwirte wurden gefördert und in die Sozialsysteme einbezogen. Also fast schon ein Paradies?
Die Rolle der USA
Wie wir oben schon gesehen haben, gehört es sich nach Ansicht der imperialistischen Geschäftsführer nicht, wenn es in ihrer schönen freien Welt Länder gibt, deren unzurechnungsfähige Bevölkerungen, ebensolche Staatsführer wählen. Chile verfügt über (heute noch) 24% der bekannten Weltkupferreserven, erhebliche Salpetervorkommen (Nebenprodukt: Jod), Vorkommen von Erdöl, Erdgas und Kohle. Alles sehr schöne Bodenschätze, die ausgebeutet gehören, vom einheimischen Volk. Aber natürlich nur gegen Billiglohn!
Verstaatlichungen sind Schreckensvorstellungen für Kapitalisten jeder Kategorie. Die US-Regierung hält sich zur weltweiten Abwehr solcher Unternehmungen CIA, NSA und noch einige weitere Geheimdienste. Da wird mit Geld nicht gespart, auch nicht mit dem Einsatz von Killerkommandos. Allein auf Fidel Castro sind weit über hundert Mordanschläge verübt worden, durchweg erfolglos.
Kaum war Allende gewählt, ordnete US-Präsident Nixon an, seine Wahl zum Staatspräsidenten unter allen Umständen zu verhindern. Dazu waren noch einige Wochen Zeit. Für den Fall, dass es nicht gelingen würde, die Christdemokraten zu bestechen, wurde schon jetzt die Möglichkeit eines Militärputsches erwogen. Das war schwierig, weil der Oberkommandierende, General Rene Schneider, sich auf jeden Fall solchen Plänen widersetzen würde. Er wurde aus dem Hinterhalt erschossen! Auch auf Allende selbst wurden Mordanschläge verübt.
Die Verstaatlichung der Bodenschätze war nicht mehr aufzuhalten. Gerade die US-Konzerne hatten unglaubliche Gewinne eingefahren, teilweise mehr als 100%! Und dann? Aus die Maus! Schon nach einem Jahr waren die Banken verstaatlicht, ebenso die Bodenschätze wie Kupfer, Eisen und Salpeter. 1,4 Millionen Hektar Land war enteignet und armen Bauern und Landarbeitern zur Verfügung gestellt worden.
Es begann eine systematische De­sta­bi­li­sier­ungs­kampagne gegen Chile. Für die CIA, deren Befehle am Schreibtisch Kissingers entstanden, bot sich die Ausnutzung der geographischen Lage Chiles an: 4000 km lang, an den schmalsten Stellen nur 150 km breit (Zum Vergleich: Die Entfernung Rostock – München macht ca. 900 km aus!). Da ist das Transportwesen ein entscheidender Grundpfeiler aller wirtschaftlichen Entwicklung, und vor allem der Versorgung der Bevölkerung mit dem nötigen Lebensbedarf.
Um die Menschen „putschreif“ zu machen wurden diese Versorgungslinien mit dauernden Streiks unterbrochen. Während in der deutschen Presse meist von „LKW-Fahrern“ die Rede war, handelte es sich tatsächlich um Transportunternehmer, die ihren LKW-Fahrern das Fahren verboten! Bezahlt von unseren schon erwähnten amerikanischen Freunden. Auch die LKW-Fahrer wurden mit amerikanischen Dollars bezahlt, ganz unkapitalistisch fürs Nichtfahren!
Als das alles noch nichts nützte, wurde der „Streik“ verschärft. Die Benzinversorger, die bislang noch nicht mitgemacht hatten, wurden (großenteils) mit Gewalt daran gehindert, Treibstoff zu liefern. Die Folgen müssen sicher nicht im Einzelnen geschildert werden. Das alles wurde begleitet von Pressekampagnen, die Allende dafür verantwortlich machten.
Erst die Destabilisierung, dann der Putsch! So war das!
So wurde eine friedliche Revolution niedergeschlagen, die die Welt völlig verändert hätte. Wir werden unsere Lehren daraus ziehen und Salvador Allende niemals vergessen!
Anmerkungen
1Luis Corvalan – Klaus Huhn, Der andere 11. September, Spotless-Verlag, 2003
2 Andreas, http://www.geocities.com/andreas_weibel/Chile/index.html
3 siehe 1