www.labournet.de – Bernhard Schmid (Paris), 11. Oktober 2005
Marseille/Korsika: Der Konflikt um die Privatisierung der Schifffahrtsgesellschaft SNCM eskaliert erneut
Für spektakuläre Bilder sorgten die Seeleute der in Marseille ansässigen Schifffahrtsgesellschaft SNCM in der letzten Septemberwoche. Die Abfolge der Bilder ist beeindruckend: Man sah ein am 28. September von rund 40 Seeleuten aus dem Marseiller Hafen ins nordkorsische Bastia „entführtes“ Schiff, die Pascal Paoli. Dann die Erstürmung des Fährschiffes durch Mitglieder des Sondereinsatzkommandos GIGN – eine militarisierte Polizeitruppe, die dem Verteidigungsministerium untersteht – die sich von Helikoptern aus an Deck abseilen und den „Meuterern“ Handschellen anlegen. Den spöttischen und fast heiteren Empfang, mit ironischem Applaus, der dem Sturmkommando an Bord bereitet wurde. Schließlich der Jubel, der die ersten Freigelassenen – am Freitag waren nur noch zwei der „Meuterer“ in Haft – anschließend auf Korsika empfing. In Marseille hätte ähnliches passieren können, deswegen hatte der GIGN das „rückeroberte“ Schiff auch nicht dorthin zurück-, sondern nach Toulon umgeleitet. Am Samstag, 30. September, wurden auch die letzten vier der Festgenommenen, die zunächst noch als „Rädelsführer“ festgehalten wurden, freigelassen, da ansonsten eine Eskalation auf Korsika befürchtet wurde. Gegen die vier droht jedoch ein Strafverfahren wegen „gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr“ eröffnet zu werden.
Dieser Aufsehen erregendste Moment des Ausstands gegen die drohende Zerschlagung der SNCM darf nicht vergessen machen, dass dahinter eine breitere Streikfront steht. Der gesamte Hafen von Marseille, nicht nur die Anlegestellen der SNCM, wird seit über 14 Tagen mit wechselnder Intensität bestreikt. In Sète, 150 Kilometer weiter westlich, wurden die unter Zeitvertrag stehenden Marseiller Hafenarbeiter – die dort von ihrem Arbeitgeber zu Ersatzarbeiten gezwungen werden sollten – durch ihre Kollegen von der CGT am vorletzten Dienstag solidarisch in Empfang genommen und vor dem Arbeitszwang geschützt. In Fos-sur-Mer und Varéla, im weiteren Umland von Marseille, lagen mehrere Tage lang die gesamten Ölhäfen lahm.
Worum geht es?
Hafenarbeiter und Seeleute wehren sich gegen den drohenden Verkauf der SNCM, aber auch gegen Pläne zur Privatisierung des gesamten Marseilles Freihafens (PAM, Port autonome de Marseille ). Die Gesellschaft, die seit Jahrzehnten die Fährlinien nach Korsika und Algerien betreibt, ist seit der Öffnung ihres Sektors für private Konkurrenz 1996 in die roten Zahlen gerutscht. Mit verantwortlich dafür ist der französische Staat, dem bisher 100% der Anteile gehörten: Als ideeller Gesamtvertreter des einheimischen Kapitals verpflichtete er die SNCM dazu, nur Schiffe von französischen Werften zu kaufen – dachte aber nicht daran, der Gesellschaft finanziell unter die Arme zu greifen, wenn sie dadurch höhere Kosten hatte als ihre privaten Konkurrenten (vor allem das aufsteigende Konkurrenzunternehmen Corsica Ferries). Die SNCM hatte aber auch höhere Personalkosten, da sie mehr Leute beschäftigt und kämpferische Gewerkschaften hat, die für die Einhaltung nicht allzu ungünstiger Tarifverträge sorgten. Die KP-nahe Tageszeitung „L’Humanité“ vom 6. Oktober behauptet, das Konkurrenzunternehmen Corsica Ferries arbeite in Wirklichkeit mit Verlust und schreibe dicke rote Zahlen (-7,9 Millionen Euro), lasse aber keinerlei Transparenz über seine reale wirtschaftliche Situation zu. Es halte seine Geschäftspolitik nur aufrecht, um das öffentliche Unternehmen SNCM zu Fall zu bringen und um ein privates Monopol errichten zu können, mit entscheidender Komplizenschaft in der regierenden Rechten (auf dem französischen Festland wie auf Korsika).
Der ursprüngliche Plan der Pariser Regierung sah vor, die Gesellschaft zu 100% zu privatisieren und geschlossen an einen französisch-amerikanischen Investmentfonds zu verkaufen. Dieser hätte die SNCM freilich nicht behalten, um sie zu nutzen – der Fonds hat keinerlei Kompetenz im Transportsektor –, sondern ausgeschlachtet, um ihre Reste weiter zu verkaufen. Die starken Widerstände führten bereits jetzt dazu, dass der Staat eine Sperrminorität von 25% behalten und – neben dem Investmentfonds – noch einen privaten industriellen Betreiber in Höhe von 30% hereinholen will. Damit erklärt sich die CGT nach wie vor nicht einverstanden. (Zu den älteren und den neuen Regierungsplänen im Einzelnen siehe unten.)
Sozialer Konflikt und korsischer Nationalismus
Den Privatisierungsplänen schlägt harte Opposition entgegen. Dabei treffen sich aber in Wirklichkeit zwei verschiedene Problemstränge: Der soziale Konflikt vermischt sich mit dem Benachteiligungsgefühl eines Teils der korsischen Inselgesellschaft. Diese Empfindung kann sich auf einen gewissen Realitätsgehalt stützen – tatsächlich hat der französische Staat, der die Mittelmeerinsel 1768 der Republik Genua abkaufte, Korsika zwei Jahrhunderte lang weitgehend unterwickelt belassen. Der Grund dafür war, dass Korsika lange Zeit hauptsächlich als Reservoir für die Rekrutierung von Siedlern für die Kolonien und von Freiwilligen für Armee und Polizei genutzt wurde.
Längst aber ist diese durchaus reale Benachteiligung in der korsisch-nationalistischen Bewegung, die sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts herausbildete, zum Mythos geworden: Ihr gilt Korsika im Prinzip als „zu befreiende Kolonie“. Diese mystifizierende Idee von der „Kolonialsituation“, die auf einer oberflächlichen Parallele zwischen der Situation im französisch beherrschten Algerien und der jetzigen auf Korsika beruht, übersieht dann doch eine Reihe von Besonderheiten. Denn Korsen haben nicht nur volle Staatsbürgerrechte in Frankreich (anders als frühere Kolonialuntertanen), sondern stellten auch eine Reihe von Führungsfiguren des Staats – vom „Kaiser der Franzosen“ Napoléon I. bis zum früheren Innenminister Charles Pasqua. Für die wirklichen Kolonialsubjekte, von Algerien bis Vietnam, war das undenkbar.
Der Mythos vom „nationalen Befreiungskampf auf Korsika“ hat sich faktisch längst in Luft aufgelöst, viele der bewaffneten Nationalistengrüppchen agieren längst wie reine Mafiosi. Übrig geblieben ist ein subjektives rebellisches Gefühl, das jetzt auch den teilweise spektakulären Aktionen des Syndicat des travailleurs corses (STC, „Gewerkschaft der korsischen Arbeiter“) Nahrung gibt.
Diesem korsisch-nationalistischen Gewerkschaftsbund, bzw. der ihm angeschlossenen Seeleutegewerkschaft, gehörten auch die 40 „Meuterer“ an Bord der Pascal Paoli an. Unter den vier „Rädelsführern“, denen jetzt noch eine strafrechtliche Anklage droht, befinden sich der Chef der STC-Seeleutegewerkschaft, Alain Mosconi, sowie zwei seiner Brüder. Die 40 so genannten „Schiffsentführer“ hatten übrigens gar nicht nach einem detaillierten, vorab ausgearbeiteten Plan gehandelt, sondern reichlich spontan. In einem schönen Moment während des Konflikts hatten sie beschlossen: „Wir gehen jetzt nach Hause“; da aber konfliktbedingt alle Schiffsverbindungen nach Korsika blockiert waren, entschieden sie daraufhin eben einfach, „das Schiff mitzunehmen“. Mediterrane Spontaneität traf mit einem subjektiv empfundenen Rebellentum und „Heimweh nach Korsika“ zusammen. Damit handelt es sich weder um einen staats- und öffentlichkeitsgefährdenden „gemeingefährlichen Plan“, wie die Staatsmacht felsenfest behauptet, noch um eine geniale politische Aktion. Ein starkes Symbol hat ihre spontane Aktion dennoch gesetzt...
Im aktuellen Konflikt sind die korsischen Nationalisten freilich inkonsequent gegenüber ihren eigenen ideologischen Prinzipien, oder Mythen: Der jetzige Kampf richtet sich gegen den Rückzug der französischen öffentlichen Hand aus der SNCM, damit die Beschäftigten nicht fallen gelassen werden. Derselbe französische Staat wird aber gleichzeitig gern, wenngleich das mittlerweile eher zur Folklore gehört, als „der kolonialistische Unterdrückerstaat“ bezeichnet. Nun ist es sicherlich (ganz allgemein betrachtet) völlig legitim, gleichzeitig die sozialen Funktionen des aktuell nun einmal bestehenden Staates einzufordern, und dessen repressive Funktionen zu bekämpfen. Dagegen richtet man aber an eine Kolonialmacht nicht unbedingt die Forderung, präsent zu bleiben – sondern richtet seine Anstrengungen eher darauf, diese möge sich doch bitte gefälligst verpissen ... (Allerdings hat der STC, zusammen mit den korsisch-nationalistischen Abgeordneten im Inselparlament, auch die Forderung aufgebracht, das bisherige öffentliche Unternehmen SNCM solle vom französischen Staat auf die Region Korsika übertragen werden. Die Frage stellt sich dabei, ob das alleinige Steueraufkommen der EinwohnerInnen Korsikas dafür genügen wird, die bisher durch die öffentliche Hand finanzierte SNCM aufrecht zu erhalten – oder ob dazu doch das Steueraufkommen „des Festlands“ benötigt wird.)
Diese politische Inkonsequenz der korsischen Nationalisten datiert freilich nicht erst von gestern. Der STC war am 9. Mai 1984 im Umfeld des damaligen FLNC („Nationale Befreiungsfront Korsikas“, bewaffnete Organisation) gegründet worden. Der Hauptinitiator seiner Gründung und jetzige Vorsitzende, Jacky Rossi, der früher der französischen KP angehört hatte, hatte damals allerdings den FLNC bereits seit mehreren Jahren (seit 1978, zwei Jahre nach dessen Gründung) wieder verlassen. Noch 1989 hatte der STC aber einen Streik der anderen Gewerkschaften auf denselben Fährlinien, auf denen auch jetzt der Arbeitskampf abläuft, im Namen „korsischer Interessen“ boykottiert und bekämpft: Die Anbindung der Insel an den Kontinent und ihre Versorgung dürfe nicht gefährdet werden. Im September 2004 hatten der STC und die anderen Gewerkschaften am Marseiller Sitz der Fährgesellschaft sogar gegeneinander gestreikt. Zuerst hatte die korsische Nationalistengewerkschaft für die bevorzugte Einstellung von Einwohnern der Insel bei der SNCM gestreikt – im Anschluss dann hatten die CGT und andere Organisationen für die Rücknahme dieser „Diskriminierung“ zum Ausstand geblasen. Am Schluss stand eine Lösung, die soziale Interessen über regionale Zugehörigkeit stellte: Alle prekär, etwa mit Zeitverträgen, auf den Fähren Beschäftigten mussten durch die SNCM festangestellt werden – egal wo sie wohnen.
Im aktuellen Konflikt um die Zukunft der SNCM versucht der korsische Nationalismus, sich zu regenerieren, indem er sich an die sozialen Aktionen „seiner“ Gewerkschaft (des STC) dranhängt und vom starken Symbol der „Meuterei auf der Pascal Paoli“ zu profitieren versucht. „Die Gewerkschafter wissen (...) dass die soziale Bewegung auf Korsika dazu beiträgt, die Nationalisten aus der Sackgasse herauszuholen, in der sie sich seit dem Scheitern des Referendums (über die von den Nationalisten unterstützte Reform der Institutionen auf Korsika) vom Juli 2003 befindet“, analysiert Le Monde. Dieselbe Pariser Zeitung zitiert den linksliberalen Vorsitzenden der Menschenrechtsliga auf der Insel, André Paccou („Die nationalistischen Politiker laufen der sozialen Bewegung hinterher ... In Korsika ist die soziale Frage dabei, dem Nationalismus den Rang abzulaufen“) und analysiert: „Nach seinen aufeinanderfolgenden Misserfolgen ... versucht der korsische Nationalismus, sich wieder aufzurichten, indem er die soziale Frage aufgreift. Ein Ausdruck davon, dass die wirtschaftliche Unterentwicklung, an der Korsika leidet, ein wichtigeres Problem ist als die Entwicklung der Institutionen, denen (der nationalistische Abgeordnete) Talamoni und seine Freunde in den letzten Jahren all ihre Aufmerksamkeit widmeten.“ Tatsächlich bedeutet es, die richtige(n) Frage(n) anzuschneiden, wenn man jene der wirtschaftlichen und sozialen Situation auf Korsika stellt. Dort liegen die Löhne der abhängig Beschäftigten (vor allem im öffentlichen Dienst, Tourismus und Handel) im Durchschnitt um 20% unterhalb derer des französischen Festlands. Die Preise dagegen liegen um 15% über denen des „Kontinents“, ein Ausfluss der Inselsituation und der Transportnotwendigkeiten (laut Zahlenangaben des STC-Vorsitzenden Jacky Rossi, die in „ Le Monde“ vom 8. Oktober zitiert werden).
Dabei unterscheidet sich der Aktionsmodus des STC, als kollektiv handelnder Beschäftigtenorganisation, grundsätzlich von dem der übrigen korsischen Nationalisten: Diese kennen ansonsten nur entweder das parlamentarisch-institutionelle Agieren und Gestikulieren im Abgeordnetenhaus (etwa des Anwalts Jean-Guy Talamoni, Hauptvertreter der korsischen Nationalisten im Inselparlament und Chef des parlamentarischen Ausschusses für EU-Angelegenheit, der versucht, positiv an das Projekt eines neoliberalen „Europa der Regionen“ anzudocken und sich so gegen Paris auf Brüssel zu stützen) oder aber den „bewaffneten Kampf“ respektive „Terrorismus“. Bei letzteren handelt es sich um verdeckte Aktionen bewaffneter Klein- und Kleinstgruppen, die nächtlich operieren (im Gegensatz zu den Gewerkschaftern des STC, die – selbst als „Piraten auf der Pascal Paoli“ – kollektiv und mit offenem Gesicht agieren). Der Kampfbegriff „Terrorismus“ ist dabei sicherlich etwas hoch gegriffen, denn oft haben diese Aktionen – gegen Staatsgebäude – eine eher folkloristisch wirkende Note. Jedenfalls haben sie, in aller Regel, weit weniger tödliche Konsequenzen als die mörderischen Aktionen der ETA, von den Massakern des islamistischen Terrorismus in Algerien völlig zu schweigen. Anders sieht es mit der Gewalt zwischen rivalisierenden Fraktionen des korsischen Nationalismus aus, die in den Jahren des „Bruderkriegs“ in den 1990ern über 30 Tote forderte. Im Hintergrund stehen dabei freilich eher mafiöse (Eigen)interessen.
Derzeit gelingt es dem STC (der seine Mitgliederzahl mit 4.600 angibt – eine weit höhere Zahl als die „politischen“ oder bewaffneten Organisationen des korsischen Nationalismus) seit kurzem, als führende Gewerkschaftsorganisation auf Korsika aufzutreten und auch erfolgreich Bündnispolitik mit anderen Gewerkschaften zu betreiben. Bei den Arbeitsgerichtswahlen von Dezember 2002 (in ganz Frankreich handelt es sich um Laiengerichte, die – landesweit am selben Tag – per Listenwahlen besetzt werden) konnte der STC auf Korsika erstmals die CGT an Stimmen überrunden. Nunmehr stellt der STC auf der Insel 19 gewählte Arbeitsrichter/innen, die CGT hingegen 18.
Bei den Demonstrationen vom 1. Oktober 2005, anlässlich des Konflikts um die SNCM-Privatisierung, konnte der STC eine intersyndicale (ein übergewerkschaftliches Streik- oder Organisationskomitee) um sich herum scharen und als Hauptveranstalter auftreten. Erstmals arbeiteten die CGT auf Korsika, die (ebenso wie die KP) den korsischen Nationalismus grundsätzlich ablehnt und an der Einheit der französischen Republik festhält, und der STC dabei zusammen und zogen an einem Strang. Die korsisch-nationalistische Gewerkschaft ist dabei jedoch ihrerseits in den letzten Jahren zunehmend in Widersprüche geraten: So muss sie in jüngerer Zeit des Öfteren (von der Insel oder auch vom Festland stammende) Lohnabhängige gegen korsisch-nationalistische Arbeitgeber verteidigen. Und letztere stellen dabei mitunter auch korsisch-nationalistische Militante als Sicherheitsdienst oder Prügelcombo ein.
Wenn das korsische Rebellentum jetzt mit dem sozialen Widerstand der übrigen Mitarbeiter bei der SNCM zusammentrifft und alle Gewerkschaften an einem Strang ziehen, dann ist das vom Ergebnis her nur zu begrüßen. Jedoch wäre es Zeit, sich von den Mythen des korsischen Nationalismus zu verabschieden.
Eine bewaffnete Splittergruppe auf der Insel, laut Bekennerbrief eine der Fraktionen des vielfältig zersplitterten FLNC (Front de libération nationale de Corse, „Nationale Befreiungsfront Korsikas“), versuchte, von dem entstandenen Aufruhr zu profitieren. Am 29. September abends schoss sie eine Rakete, eine Art Panzerfaust – aber ohne Sprengladung – auf die Präfektur in der Inselhauptstadt Ajaccio ab. Verletzt wurde niemand; aber eine Telefonistin, neben der das Geschoss einschlug, erlitt einen Schock. Mittlerweile haben sich die bewaffneten Nationalistengrüppchen erneut zu Wort gemeldet: Am 8. Oktober drohte der „FLNC des 22. Oktober“, eine der bewaffneten Fraktionen oder Fraktiönchen, mit Attentaten gegen die beiden Firmen, die als potenzielle private Übernehmer der SNCM bereit stehen – also gegen den Investmentfonds „Butler Capital Partners“ und die Konzernfiliale Connex (siehe unten). Am Abend desselben Tages, des 8. Oktober, explodierte in einem – leeren – Zollgebäude im Hafen von Bastia eine Sprengladung, es gab keine Verletzten. Bisher wurde kein Bekennerschreiben bekannt, allgemein wird jedoch eine „Warnung“ durch den „FLNC des 22. Oktober“ vermutet.
Diese auf der Insel weithin mystifizierte Form von vermeintlichem „Widerstand“ ist der absolut falsche Weg. Vielversprechender ist die breite soziale Streikfront, die den Ausstand der Seeleute bei der SNCM unterstützt – auf dem Kontinent genauso wie auf der Insel.
Auswirkungen der Verkopplung von sozialer Frage und korsischem Nationalismus
Konkret hat die Mischung aus sozialem Konflikt und Ausdrucksformen des korsischen Nationalismus, die das in den Medien widergespiegelte Bild vom Kampf um die SNCM-Privatisierung prägt, unterschiedliche politische Auswirkungen. Auf der Insel sorgt sie dafür, dass fast alle aktiven Kräfte (aber aus unterschiedlichen Motiven, sozialen und/oder nationalistischen) hinter dem Ausstand der SNCM-Beschäftigten stehen. Auf dem französischen Festland aber sind die Wirkung und die Nachwirkungen des Konflikts weitaus diffuser.
Protestgeneigte politische und soziale Kräfte in der „Metropole“ Frankreich begrüßen den Kampf und oftmals auch seine Austragungsformen, wobei die „Meuterei auf der Pascal Paoli“ ein prägendes Symbol anbietet. Immerhin 48% der befragten Französinnen und Franzosen betrachten die so genannte Schiffsentführung als „gerechtfertigt“ oder jedenfalls „verständlich“, während 47% der Befragten sie als „kritikwürdig“ oder gar „unakzeptabel“ ansehen (Zahlen nach „Le Nouvel Observateur“ vom 6. Oktober). Dabei dürften die Befragten vorwiegend den sozialen Konflikt um die SNCM im Blickfeld gehabt haben.
Manche betrachten die Verbindung mit dem korsischen Nationalismus dabei eher als Konfliktverstärker denn als Hindernis. (Ein Autonomer mit maoistischer Vergangenheit begrüßte gegenüber dem Autor dieser Zeilen, im oben zitierten Sinne, gar auch die Rakete gegen die Präfektur von Ajaccio als „kraftvolle Unterstützung für den Kampf der Streikenden“ – mit dieser Bewertung dürfte er auf gesamtgesellschaftlicher Ebene freilich ziemlich alleine dastehen.) Dagegen ist das Echo in der breiten Öffentlichkeit weit weniger ungeteilt positiv. Vielmehr bietet die, anscheinend kontradiktorische, Vermengung zwischen den Anliegen der CGT und jenen der korsischen Nationalisten eher zu Misstrauen, Unverständnis („Was haben die denn miteinander zu schaffen?“) oder gar Ablehnung Anlass.
Denjenigen gesellschaftlichen Kräften, die den Anliegen der Streikfront wahrscheinlich ohnehin ablehnend gegenüber gestanden hätten, liefert die scheinbar widersprüchliche Verbindung ein neues Argument für ihre Ablehnung: „Die CGT schließt sich jetzt schon mit gewalttätigen Separatisten zusammen“. (Dabei kommt zum Teil auch ein gewisser anti-korsischer Chauvinismus zum Tragen. Denn ebenso wie es einen gewissen Anteil von Chauvinismus – und, vor allem in jüngerer Zeit, von handfestem Rassismus gegen arabischstämmige Immigranten – im korsischen Nationalismus gibt, existiert auch ein Chauvinismus auf dem Festland gegen die Inselbewohner.) Auch die zuletzt zitierte Position ist der politische Standpunkt einer – eher konservativen – Minderheit, aber allgemein dürfte außerhalb des Marseiller Raums, in den Regionen abseits des Konflikts, eine eher abwartende denn euphorische Position überwiegen.
Verhandlungen gescheitert
Zur Mitte der ersten Oktoberwoche wurde das vorläufige Scheitern der Verhandlungen zwischen den verschiedenen Gewerkschaften bei der Schifffahrtsgesellschaft SNCM (die von Marseille aus die Fährlinien nach Korsika und Algerien betreibt) und der Pariser Regierung bekannt. Die Gewerkschaften lehnen weiterhin das von der französischen Zentralregierung verfolgte, doch „abgemilderte“ Privatisierungsvorhaben ab. Die Verhandlungsrunde vom Mittwoch endete ergebnislos.
Am Freitag, den 7. Oktober sollten die Unterhändler – auf gewerkschaftlicher Seite angeführt von Jean-Paul Israel, Generalsekretär der CGT-Seeleutegewerkschaft – erneut zusammentreffen. (Alle Gewerkschaften, auch die CFDT-Transport, die im Transportbereich der Linksopposition innerhalb ihres eher pro-neoliberalen Dachverbands angehört, ziehen derzeit in der SNCM-Affäre an einem Strang.) Doch die wichtigsten der bei der SNCM vertretenen Gewerkschaftsbünde ließen am Freitag früh die Zusammenkunft platzten. In der Tat weigerten sie sich nämlich, die Vertreter der beiden Privatunternehmen, die nach den Regierungsplänen in die SNCM eintreten sollen, zu treffen: Walter Butler für den Investmentfonds „Butler Capital Partners“ und der Generaldirektor der privaten Transportfirma Connex, Stéphane Richard. Beide sollten an einer Diskussionsrunde in der Präfektur (juristische Vertretung des Zentralstaats) in Marseille teilnehmen, wo der Staat einen „Kompromiss“ einfädeln wollte. Da die Gewerkschaften weiterhin jede Privatisierung von Mehrheitsanteilen der SNCM verweigern, blieben sie standhaft bei der Auffassung, sie hätten sich mit den Firmenvertretern schlichtweg nichts zu sagen.
So blieben die „postkommunistische“ CGT, die eher populistische FO, aber auch die sozialdemokratische CFDT und die Angestelltengewerkschaft CGC sowie die Seeleutegewerkschaft des korsisch-nationalistischen Gewerkschaftsverbands STC der Besprechung in der Präfektur fern. Lediglich der Ableger des christlichen Gewerkschaftsbunds CFTC und die Standesgewerkschaften der Bordoffiziere, die aber nur eine kleine Minderheit der knapp 2.400 Beschäftigten bei der SNCM repräsentieren, nahmen an den Gesprächen mit den Übernahmekandidaten teil. Der Inhaber des Investmentfonds „Butler Capital Partners“, Walter Butler, hat daraufhin erklärt, er werde nur dann in die SNCM einsteigen, wenn die Gewerkschaften Bereitschaft zeigten, sich mit ihm zu treffen, und ihre Oppositionshaltung ihm gegenüber aufgäben.
„Wir werden uns nicht mehr von der Stelle bewegen“ verkündete jedoch bereits am Donnerstag abend der französische Wirtschaftsminister Thierry Breton. Er hat bereits angekündigt, den überarbeiteten Privatisierungsplan jetzt alsbald in die Tat umzusetzen. Sonst, so drohte er, werde er „als Alternative“ im Namen der bisher noch in öffentlicher Hand befindlichen SNCM alsbald den Konkurs eröffnen, dies bestätigte der Minister am Freitag auf der Titelseite der (arbeitgeberfreundlichen) Wirtschafts-Tageszeitung „Les Echos“. Auch in den Medien wurde dies teilweise als glatte Erpressung bezeichnet. Die Konkursrichter am Handelsgericht von Marseille, die für die SNCM zuständig sein werden, sind bereits ernannt worden, und der amtierende SNCM-Direktor Bruno Vergobbi drohte in der Regionalzeitung „La Provence“ mit den Worten: „Wenn bis zum Montag keine Entwicklung stattfindet, wird der Konkurs in den folgenden Tagen stattfinden“. Der Arbeitskampf, beklagte sich der Direktor der Schifffahrtsgesellschaft, koste diese derzeit 1,5 Millionen Euro pro Tag. Die Pariser Abendzeitung „Le Monde“ vom Samstag abend will hingegen wissen, die Regierung wolle sich mit der Einleitung des Konkurses „noch ein wenig Zeit lassen“; die für Montag angesetzte Sitzung des Aufsichtsrats der SNCM werde noch nicht unmittelbar die Einlegung des Konkurses beschließen. Letztere Prognose hat sich vorerst als richtig erwiesen.
Am Donnerstag wurde der Streik der Bediensteten des Freihafens von Marseille (PAM, Port autonome de Marseille, dessen Privatisierung durch die Angestellten ebenfalls befürchtet wird) fortgesetzt. 25 Schiffe blieben am An- und Ablegequai blockiert, 47 im Hafenbecken. Am Freitag, 7. Oktober rief die CGT, um eine Stärkedemonstration in der Mittelmeermetropole bemüht, zu einem allgemeinen Aktionstag in Marseille auf. Der Aktionstag wurde etwa bei den städtischen Transportbetrieben (RTM) deutlich befolgt. Auch aus der Privatindustrie, namentlich von ST-Microelectronics (wo die Beschäftigten von Entlassungen bedroht sind) und dem Nahrungsmittelkonzern Nestlé (dessen Beschäftigte in Marseille vor kurzem einen wichtigen Erfolg gegen den Konzern erzielten, der gerichtlich zur Wiedereinstellung von 427 „betriebsbedingt“ entlassenen ArbeiterInnen gezwungen wurde), nahmen bedeutende Abordnungen an der Großdemonstration teil, die um 11 Uhr vom Alten Hafen losging.
Der Haupt-Arbeitgeberverband MEDEF forderte am Freitag Vormittag, in Gestalt seiner neuen Vorsitzenden Laurence Parisot, die Regierung von Premierminister de Villepin „feierlich“ dazu auf, „dringend“ den Marseiller Freihafen zu „entblockieren“, also die Streikenden polizeilich räumen zu lassen. Natürlich im Namen der bedrohten Arbeitsplätze, da die Betriebe im Hafenbecken „in Gefahr“ seien. Nachdem im Laufe des Freitag die Bereitschaftspolizei CRS im Freihafen eingegriffen hatte und im Anschluss auch den Güterterminal des Freihafens in der Nachbarstadt Fos-sur-Mer gewaltsam „geöffnet“ hatte; kam es zur neuerlichen Eskalation. Ähnlich wie in der Vorwoche schlossen sich auch dieses Mal die Arbeiter der verschiedenen Privatunternehmen im Hafenbecken den öffentlich Bediensteten des Freihafens an und traten erneut ihrerseits in den Streik. Die Streikposten am Hafeneingang wurden entfernt, wozu 160 CRS-Beamte, eine Einheit des Sondereinsatzkommandos GIGN und ein Wachhelikopter eingesetzt wurden. Aber es war zunächst völlig undenkbar, Schiffe im Hafengebiet be- oder entladen zu lassen“ (Radiobericht vom Samstag früh).
Am Samstag Nachmittag diskutierten die streikenden Arbeiter der Privatfirmen im Hafen anlässlich einer Vollversammlung über den Vorschlag eines Abkommens, das ihrem Ausstand ein vorläufiges Ende setzen sollte. Deswegen rief die CGT am Wochenende dazu auf, ab Montag Vormittag die Arbeit wieder aufzunehmen bzw. „eine Pause in ihrer Streikbewegung einzulegen“. Dieser Aufruf wurde jedoch am Montag durch die Hafenarbeiter zunächst nicht befolgt. Die Raffineriearbeiter im Ölhafen streiken ihrerseits weiter und haben ihre Arbeitsniederlegung jetzt unter eine eigene Forderung gestellt: Sie fordern, dass ihnen endlich eine Gefahrenprämie ausbezahlt wird, wenn sie mit gesundheitsschädlichen chemischen Substanzen und Gefahrstoffen hantieren. Die Bediensteten des Freihafens bleiben ebenfalls im Ausstand gegen die Privatisierungsdrohung.
Und was die Schifffahrtsgesellschaft betrifft, die im Zentrum des Konflikts steht: „Bei der SNCM ist zunächst keinerlei Lösung des Konflikts in Sicht, die Blockadesituation ist total“, hieß es in einem Radiobericht vom Samstag am späten Nachmittag. Der Streik geht unterdessen in seine vierte Woche. Am Montag Vormittag platzte ein Verhandlungstermin zwischen den Gewerkschaften und dem Transportminister (Dominique Perben) sowie dem Wirtschaftsminister (Thierry Breton) der neokonservativ-neoliberalen Pariser Regierung. Da die Gewerkschaften und vor allem die CGT ihrer Forderung, Privatkonzerne müssten deutlich über 50% der Anteile an der Transportgesellschaft übernehmen, weiterhin Ablehnung entgegen setzten, verließen die beiden Minister die Sitzung vorzeitig. Transportminister Perben hatte sich im Wesentlichen damit begnügt, die Wiederaufnahme der Arbeit zu fordern und die Nichtbezahlung sämtlicher Streiktage anzukündigen. (Anmerkung: in Frankreich erhalten die Lohnabhängigen kein Streikgeld, sondern bezahlen den Ausstand aus eigener Tasche, sofern sie nicht in Verhandlungen die teilweise Übernahme durch den Arbeitgeber durchsetzen können.) Die CGT prangerte ein „Diktat der Regierung“ an.
Am Nachmittag tagte der Aufsichtsrat der SNCM, doch dieses Mal erhoben sich die Vertreter der CGT vorzeitig und ließen die übrig bleibende Runde sitzen. Wie am Sonnabend durch „ Le Monde „ prognostiziert, beschloss die Aufsichtsratstagung aber noch nicht unmittelbar, den Konkurs anzumelden. Am Abend drohte SNCM-Direktor Bruno Vergobbi jedoch erneut damit, das Konkursverfahren einzuleiten, falls der Streik nicht schnell ein Ende nehme. Am Ende der laufenden Woche sei die SNCM ruiniert, verkündete er am Dienstag früh im Radio.
In ihrer Ausgabe, die am frühen Nachmittag des Montag in Paris (und bis zum Abend in anderen französischen Städten) erschien, hatte die Pariser Abendzeitung „Le Monde“ noch versucht, sich als Geburtshelfer eines Abkommens zu betätigen. In dem Briefwechsel, den er am Sonntag mit Premierminister Dominique de Villepin hatte, habe CGT-Generalsekretär Bernard Thibault nicht mehr die Forderung erwähnt, die öffentliche Hand müsse mindestens 51% der Anteile an der SNCM behalten, unterstrich die Zeitung. Dies bestätigte sich auch tatsächlich. In seinem Schreiben an den Regierungschef fordert CGT-Generalsekretär Thibault Garantien für den Erhalt der Schifffahrtsflotte der SNCM, die nicht zerschlagen werden dürfe, und der vorhandenen Arbeitsplätze :– erwähnte aber nicht die Frage der Gesellschaftsanteile. Daraufhin hatte er auch eine positive Antwort des Premierministers erhalten. „Le Monde“ zeichnete so die Konturen eines neuen Kompromisses, der sich in Gestalt eines Deals abzeichne: Die CGT nehme (unter den genannten Bedingungen) die Privatisierung der Schifffahrtsgesellschaft SNCM hin, im Tausch gegen das Unterbleiben der Börseneinführung des Energieversorgungsunternehmens EDF (Electricité de France), über die bis zum 18. Oktober entschieden werden soll. Schon einige Tage zuvor hatte ein Leitartikel in „Le Monde“ die Vermutung aufgestellt, die CGT wolle die Verhinderung der Börseneinführung von EDF zu jenem starken Symbol machen, das die Führung des Gewerkschaftsverbands für ihre Bestätigung beim nächsten CGT-Kongress (der vom 24. bis 28. April 2006 in Lille stattfinden wird) benötigt. „Le Monde“ malte also den Kompromiss aus: Die CGT erhält ihr wichtiges Symbol, die Regierung kann die Privatisierung der Mehrheitsanteile an der SNCM durchsetzen und garantiert dafür, „für die Dauer von mindestens 18 Monaten“ (Le Monde) als Minderheits-Aktionär bei der SNCM die Einhaltung von Garantien bezüglich des Erhalts der Flotte und der Arbeitsplätze zu überwachen.
Doch diese Rechnung scheint ohne die CGT vor Ort gemacht worden zu sein (ob die nationale CGT-Führung nun einen solchen Kompromiss, wie „Le Monde“ ihn zu befördern suchte, anstrebte oder nicht).
Vor Ort hielt die CGT bei der SNCM ihren Streik am Dienstag aufrecht. Dagegen riefen zwei Minderheitsgewerkschaften, die beiden Ableger der populistisch-„unpolitischen“ FO (Force Ouvrière) und des christlichen Gewerkschaftsbunds CFTC, ab Dienstag morgen zur Beendigung des Streiks auf. Beide Gewerkschaften vertreten bei der SNCM nur die Bordoffiziere, nicht das sonstige Personal; die CFTC-Gewerkschaft der Bordoffiziere hatte bereits am Freitag (im Gegensatz zu den übrigen Gewerkschaften) die Vertreter der beiden Privatkonzerne, die zusammen zwei Drittel der SNCM aufkaufen sollen, getroffen. In einem Radiointerview tönte ein CFTC-Delegierter am Dienstag vormittag, ihm sei „egal, ob mein Arbeitgeber ein Privater oder die öffentliche Hand ist“.
Im weiteren Verlauf des Dienstag sollte der (Zentral-)Betriebsrat der SNCM tagen. Die Sitzung war ursprünglich auf Dienstag Vormittag angesetzt, wurde jedoch durch die Direktion (deren Repräsentant nach dem französischen System dem Betriebsrat vorsitzt) auf 15 Uhr verschoben. Mehrere Gewerkschaften drohen laut Radioberichten mit dem Boykott der Sitzung.
Der alte und der neue Regierungsplan
Ursprünglich plante die Regierung, die öffentliche Transport- und Verkehrsgesellschaft SNCM (Société nationale Corse – Méditerranée), mit Sitz in Marseille, zu 100% zu privatisieren. Übernehmen sollte sie die französisch-amerikanische Investmentgesellschaft „Butler Capital Partners“.
Dabei handelt es sich um einen Finanzinvestor, der selbst keinerlei eigene Erfahrung im Transportsektor mitbringt, sondern dessen Ziel darin bestünde, die aufgekaufte Gesellschaft „auszuschlachten“ und weiter zu verkaufen. Im Durchschnitt behält „Butler Capital Partners“ die aufgekauften Firmen sieben Jahre, bevor sie (oftmals nach Zerlegung) wieder den Besitzer wechseln. Da diese Frist bei anderen vergleichbaren Investmentfonds durchschnittlich nur vier bis fünf Jahre beträgt, handelte die französischen Regierung den Anleger zunächst als angeblich besonders humanen Vertreter seiner Zunft. In Wirklichkeit dürfte ein Faktor eine größere Rolle bei der Auswahl des Aufkäufers gespielt haben: Walter Butler, der Inhaber des Investmentfonds, ist (rein zufällig natürlich) ein Studienfreund von Premierminister Dominique de Villepin aus gemeinsamen Tagen bei der Verwaltungshochschule und französischen Eliteschmiede ENA (Ecole nationale de l’administration).
Im Rahmen des ursprünglichen Übernahmeplans schlug „Butler Capital Partners“ vor, 35 Millionen Euro Kaufpreis für die SNCM zu zahlen – deren realer Wert auf mindestens 450 Millionen Euro geschätzt wird (abzüglich knapp 30 Millionen Defizit, wie für das laufende Jahr geschätzt wird). Obendrein forderte er, die öffentliche Hand solle ihm 113 Millionen dazu zahlen, um ihm zu erlauben, „die SNCM wieder flott zu machen“. Gleichzeitig kündigte der Investmentfonds von vornherein an, er werde kurzfristig 350 bis 400 Arbeitsplätze bei der SNCM (das entspricht über 15% der Beschäftigten) abbauen.
Nach den erheblichen sozialen Konflikten seit Ende September hat die Regierung ihre Privatisierungspläne jetzt überarbeitet. Ihr neues „Angebot“ sah vor acht Tagen noch so aus: „Butler Capital Partners“ sollte weiterhin 40% der Anteile an der bisher öffentlichen Verkehrsgesellschaft SNCM übernehmen. Zusätzlich sollte ein anderes Privatunternehmen einsteigen, der private Transportbetreiber Connex (eine Filiale des Véolia-Konzerns, der ehemaligen Vivendi-Gruppe). Als „industrieller Betreiber“ sollte Connex 30% der Anteile übernehmen und die Führung der Geschäfte übernehmen. Connex wiederum gehört einem persönlichen Freund – dieses Mal nicht von Premierminister Dominique de Villepin (das ist bereits der andere, also der Inhaber des Butler-Investmentfonds), wohl aber von Präsident Jacques Chirac: Henri Proglio. Der französische Staat sollte seinerseits noch 25% der Anteile behalten (gegenüber ursprünglich geplanten null Prozent), da die Gewerkschaften und die um ihre Arbeitsplätze fürchtenden Beschäftigten ihn in die politische Verantwortung nehmen möchten. Ferner sollten die abhängig Beschäftigten selbst – 2.360 Personen arbeiten bei der SNCM – insgesamt 5% der Anteile übernehmen.
Dieses Vorhaben stieß wiederum auf spürbare Widerstände seitens der Gewerkschaften, die – selbst wenn sie eine Teilprivatisierung nicht ausschließen (Anmerkung: die natürlich dennoch betriebswirtschaftliche Erfolgskriterien in die Verwaltung der SNCM einführen würde) – die Aufrechterhaltung eines Anteils der öffentlichen Hand in Höhe von mindestens 51% fordern.
Bei der Verhandlungsrunde vom Dienstag wollte die Pariser Regierung dieser Forderung jedoch nicht nachgegeben. Der neue, ultimative und letzte „Rettungsvorschlag“ der Regierung lautet folgendermaßen: Der Anteil der öffentlichen Hand bleibt bei 25%. Der Anteil der abhängig Beschäftigten (bei dem es sich notwendigerweise um Streuaktien handeln würde, also um einen weitgehend zersplitterten Aktienbesitz) sollte von 5% auf 8% erhöht werden; die Pariser Abendzeitung „Le Monde“ wollte auch von 9% gehört haben. Damit, so behauptete die Pariser Regierung, sei eine „Sperrminorität“ (in Höhe von einem Drittel der Gesellschaftsanteile) gewährleistet, da die Anteile des französischen Staates und der abhängig Beschäftigten ja nunmehr 33 bzw. 34% betrügen. Tatsächlich benötigen einige grundlegende, strategische Unternehmensentscheidungen (wie beispielsweise der Verkauf größerer Bestandteile der Gesellschaft) eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmanteile unter den Aktionären. Dagegen wären diese Minderheitsanteile im Alltagsbetrieb, den weiterhin Connex als „industrieller Betreiber“ übernehmen soll, weitgehend bedeutungslos. Der Investmentfonds „Butler Capital Partners“ soll weiterhin den größten Anteil (nunmehr 38%) übernehmen und die Firma Connex 28%.
Kritik an Connex
Ein Bericht der KP-nahen Tageszeitung „L’Humanité“ vom Donnerstag (6. Oktober) dürfte die Kritik am durch die Regierung eingesetzten „industriellen Betreiber“, Connex, nur noch verschärfen. Die Zeitung berichtet über die vorangegangenen Erfahrungen mit ebendieser Firma im britischen Eisenbahnsektor. Connex hatte anlässlich der Privatisierung des Eisenbahnnetzes unter der konservativen Regierung von John Major, 1996, den Betrieb von 2 der nunmehr 23 privatisierten Bahnnetze übernommen: South Central und South East. Letztere umfasst den Londoner Vorort- und Pendlerverkehr in Richtung Süden und Osten und ist damit ein besonders lukratives „Beutestück“.
Die Verwaltung des Eisenbahnbetriebs unter Connex war jedoch dermaßen desaströs (NutzerInnen beklagten sich täglich über dauernde Verspätungen und schmutzige Züge), dass es zu einer Premiere kam: Die britische öffentliche Hand entzog im Jahr 2003 erstmals dem privaten Betreiber wieder seine Nutzungserlaubnis. Connex hatte bis dahin 58 Millionen Pfund (rund 85 Millionen Euro) an öffentlichen Subventionen eingesteckt. Nunmehr forderte die Gesellschaft, dass ihr nochmals zusätzliche 2 Millionen Pfund in den Rachen gestopft würden. Das war dann sogar der neoliberalen britischen Regierung zu viel: Sie übernahm vorläufig wieder selbst das Bahnnetz South-East (182 Bahnhöfe, 3.000 Beschäftigte, täglich 120.000 Passagiere) – sucht jedoch bereits nach einem neuen privaten Betreiber, während die britischen Gewerkschaften die Renationalisierung des gesamten Eisenbahnwesens fordern.
Dieselbe Zeitung berichtet am Donnerstag auch, dass die Privatisierung des Schifffahrtsbetriebs zwischen Marseille und Korsika anscheinend von längerer Hand geplant ist. „L’Humanité“ enthüllt, dass die korsische Regionalregierung (eine Koalition aus liberal-konservativen Rechten und korsischen Nationalisten, wobei letztere sich nicht eben als progressiv erwiesen haben) seit längerem für 2007 eine Neudefinition der Auflagen für den öffentlichen Dienst im Transportbereich plant. An dem Text wird demzufolge seit längerem gearbeitet. Demnach soll nur noch eine Schrumpfversion, die allein den Gütertransport (aber nicht mehr den besonders lukrativen TouristInnen-Transport) umfassen würde, des als solcher definierten „öffentlichen Dienstes“ anerkannt werden. Den Privatkonkurrenten, so die seit längerem gehegten Pläne, soll damit der lukrativste Sektor vollständig „geöffnet“ werden. Bereits heute erhält die private Konkurrenz für den Touristentransport in Richtung Korsika– ebenso wie die SNCM – öffentliche Subventionen, im Namen der Strukturförderung für die strukturschwache Region Korsika.
Nach 22 Tagen endete der Streik bei SNCM mit einer Niederlage für die ArbeiterInnen. Die französische Regierung hatte sie mit der Drohung erpresst, für das Unternehmen den Konkurs anzumelden. Die Gewerkschaft CGT verteilte Abstimmungszetteln mit den Fragen „Sind Sie dafür, den Streik fortzusetzen, und SNCM in den Konkurs zu treiben“ sowie „Sind Sie dafür, SNCM zu retten und den Streik abzubrechen“ und stellte sich mit dieser Formulierung klar auf die Seite der Regierung.