„Aspects of India’s Economy“, Nr. 41, Dezember 2005, Übersetzung: Info-Verteiler
Indiens Platz in der strategischen Ordnung der USA
Die (im Folgenden) „Aspects“ (genannte) Zeitschrift wird von der „Research Unit For Political Economy“ (R.U.P.E.), der „Forschungsgruppe für Politische Ökonomie“ herausgegeben. Die hier übersetzte Nummer trägt den Titel „India’s Place in the US Strategic Order“.
Selbstvorstellung von R.U.P.E. laut homepage1
R.U.P.E ist Teil des „People’s Research Trust“ mit Sitz in Mumbai (Bombay). R.U.P.E. beruht auf freiwilliger Arbeit und finanziert sich über Spenden. Die Organisation ist unabhängig. R.U.P.E. beschäftigt sich mit theoretischen und empirischen Analysen, unterschiedlichen Aspekten des ökonomischen Lebens Indiens und seiner Institutionen. Ziel ist es, Informationen und Statistiken zusammen zu stellen und zu analysieren, damit die Menschen die aktuellen Mechanismen ihres täglichen ökonomischen Lebens verstehen. Und damit ist es Ziel, Menschen, die in jeglicher Sphäre produktiver Arbeit und der Gesellschaft engagiert sind, Einblicke zu gewähren und sie zu unterstützen.
R.U.P.E. publiziert „Aspects of India’s Economy“, eine Zeitschrift, die die alltäglichen Debatten des ökonomischen Lebens Indiens in einer leicht verständlichen Weise erklären möchte und diese mit der Natur der politischen Ökonomie des Landes verbindet. Die „Aspects“ erscheinen unregelmäßig, ca. dreimal jährlich.
Die Zeitschrift kann in Indien für 45 Rupien, im Ausland für 11 US-Dollar abonniert werden, Bestellungen bis zu jeweils 12 Ausgaben sind möglich. Die aktuelle Ausgabe kann für 3 Dollar bezogen werden. Bestellungen mit beigelegtem Geld an folgende Adresse:
Research Unit for Political Economy, Ground floor, Sidhwa Estate, N.A. Sawant Marg, Colaba, Mumbai (Bombay), India 400005.
Die „Aspects“ werden von Rajani X. Desai im Namen von R.U.P.E. herausgegeben. Das Copyright liegt bei R.U.P.E. Wir begrüßen jeden Nachdruck dieser Materialien durch Non-Profit-Organisationen und Einzelpersonen; wir ersuchen aber um Quellenangabe sowie um Zusendung eines Exemplars bzw. Bekanntgabe der Internet-Adresse.
Formale Anmerkungen der ÜbersetzerInnen
Wir haben (so gut wie) keine inhaltlichen, aber einige notwendige formale Änderungen am Text vorgenommen. Alle Zitate sind kursiv gesetzt, englische Begriffe wurden, so übersetzt, als Fußnoten im Original zitiert. Weiters haben wir einige Anmerkungen hinzugefügt, die uns zum Verständnis des Textes wichtig erschienen. Diese wurden ebenfalls, unter Angabe der Quellen, kursiv gesetzt.
Dadurch ändert sich die Nummerierung der Fußnoten gegenüber dem Original. Von uns hinzugefügte Fußnoten sind ebenfalls kursiv gesetzt.
„Die Vereinigten Staaten und Indien sind in eine neue Ära eingetreten“
– Einleitungssatz des Abkommens „Neuer Rahmenvertragfür die Beziehungen in der Verteidigung der USA und Indiens“ (New Framework for the US-India Defense Relationship) vom 28. Juni 2005.
Als wir vor drei Jahren erklärten, warum unsere Zeitschrift, die der Analyse der indischen Ökonomie dient, eine Sonderausgabe zur Invasion des Irak produzierte2, schrieben wir: Indien ist zu einem wichtigen Teil der strategischen Ordnung der USA geworden. Diese Ordnung fokussiert sich nun auf den Irak und einige andere Staaten Westasiens; morgen wird sie sich dem Rest (Asiens) zuwenden, der als Region von zunehmender strategischer Wichtigkeit angesehen wird.
In Asien, so argumentierten wir, war China eines der strategischen Ziele: Die Integration Indiens in das auf China abzielende US-Militär wird das Risiko eines Krieges für die Menschen in Indien erhöhen ... Die indische Öffentlichkeit ist sich aber nicht bewusst, dass sie von ihren Führern in dieses gefährliche strategische Schachspiel gedrängt wird.Deshalb, so erklärten wir, ging es in unserer Sonderausgabe um die gegenwärtige strategische Agenda der USA und ihre Auswirkungen auf den Rest der Welt. Nachdem die Führer Indiens das Land in diese US-Agenda eingebunden haben, ist es für uns notwendig, ihre Auswirkungen in all ihrer Tiefe zu verstehen. („Behind the Invasion of Iraq“, „Aspects“ 33 & 34)
Die Entwicklung hat diese Analyse rasch bestätigt. Zweifellos hat die Regierung Vajpayee bei den Wahlen vom Mai 2004 eine Niederlage erlitten, und sie wurde von einer von der Congress (-Partei) geführten Vereinigten Allianz für den Fortschritt („United Progressive Alliance“ – UPA) ersetzt, unterstützt von der CPI, der CPI(M)und anderen Parteien. Zweifellos hat das „Gemeinsame Minimalprogramm“ (Common Minimum Programme)der UPA vage Andeutungen darüber gemacht, eine unabhängige Außenpolitik in guter Tradition im Augezu haben, die die Unabhängigkeit der Position der indischen Außenpolitik bezüglich aller regionaler und globaler Punkteaufrecht erhalten wird, die sich allen Versuchen des Unilateralismuswidersetzen wird, und so weiter.
Ein Jahr nach Amtsaufnahme der UPA wurde diese Vortäuschung bis zu einem gewissen Grad aufrechterhalten. Es gab Fortschritte in den Gesprächen mit China über die Grenzfragen und andere Punkte; Manmohan Singh erklärte, dass die Beziehungen zu Russland niemals besserwaren und behauptete, dass er im strategischen Dreieckvon Indien, Russland und Chinaenorme Möglichkeitensehe; der Erdölminister verhandelte, trotz der Warnungen seitens der USA, über eine Pipeline, um Erdgas aus dem Iran nach Indien zu transportieren; und es gab keine öffentlichen Ausführungen über bestimmte deals mit den USA, wie etwa über das Raketenverteidigungssystem und die Initiative zur Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation Security Initative)– die weiter unten beschrieben wird.
Dann kam es in rascher Abfolge zu drei Entwicklungen; keine von ihnen wurde öffentlich debattiert. Am 28.6.2005 unterzeichnete der indische Verteidigungsminister den NeuenRahmenvertragfür die Beziehungen in der Verteidigung der USA und Indiensmit den USA. Am 18.7.2005 veröffentlichte der indische Premierminister ein Gemeinsames Statementmit dem US-Präsidentenüber eine Reihe von Punkten, darunter zum indischen Nuklearprogramm. Und am 24.9.2005 stimmte Indien im Gouverneursrat der IAEA4gegen den Iran. Natürlich waren das nicht drei voneinander unabhängige Entwicklungen: sie waren Ausdruck einer einzigen Entwicklung.
Die US-Vorherrschaft über die indische Außenpolitik wird so offensichtlich. Der frühere Außenminister Yashwant Sinha, der selbst am zunehmenden Einfluss und der zunehmenden Kontrolle der USA5mitgearbeitet hat, bezeichnet Indien nun als einen von Amerika abhängigen Staat. Diese Bezeichnung wurde lange für Pakistan verwendet; nun hat sich aber selbst Pakistan am 24.9.2005 einer Zustimmung der US-Resolution in der IAEA enthalten.
Im Folgenden stellen wir vier Fragen: Welche Art globaler Machtist Indien? Was trieb die indische Regierung dazu, die drei oben beschriebenen Schritte zu setzen? Wie ist der globale Zusammenhang, in dem diese Schritte unternommen wurden? Wie sehen die Auswirkungen dieser Schritte für die Menschen in Indien aus?
Indien als „Weltmacht“
Man kann heutzutage kaum eine Zeitung öffnen, ohne zu lesen, dass Indien sich zu einer Weltmachtentwickelt. Das ist keine spontane Entwicklung.
Die Führer des Landes haben diese Vorstellung aktiv angepriesen. Seit Mitte der 90er Jahre war es das bevorzugte Thema der BJP6, und sogar Hindutva7wurde diesem Thema untergeordnet (tatsächlich wurde es integriert). Die Nukleartests 1998 – genannt Operation Shakt (Operation Stärke)– eröffneten ein Zurschaustellen chauvinistischen Atemholens. Die Presse war voll mit Editorials, dass Indien nun eine Macht sei, die in der Welt zur Kenntnis zu nehmen sei. Der Premierminister erklärte, dass Indien nun ein Atomwaffenstaatsei, bereit, westlichen Sanktionen zu widerstehen.
Natürlich war die Realität eine völlig andere: Nach den Tests beeilte sich die indische Regierung, mit den USA zu verhandeln, um sich selbst international, d.h. in den Augen der USA zu rehabilitieren. Das begann mit einem geheimen Brief von Vajpayee an Clinton am 11.3.1998, dem Tag der ersten Tests, in dem er um Verständnis warb und ihm versicherte, dass Indien weiterhin mit Ihrem Land auf multi- und bilateraler Ebene zusammen arbeiten wird, um die Sache der atomaren Abrüstung voranzutreiben ... Im Speziellen sind wir dazu bereit, an den Verhandlungen... teilzunehmen.Bald verschwand, sogar inder öffentlichen Wahrnehmung, jeglicher Trotz gegenüber den USAvöllig aus der Rhetorik der indischen Regierung, um durch die Versicherung ersetzt zu werden, dass die US-Regierung nun die indische Position versteheund akzeptiere.
Dagegen setzte sich das Thema vom angeblich neuen internationalen Status Indiens durch. Die von der BJP angeführte Koalition kämpfte in den letzten allgemeinen Wahlen (2004) mit der Parole, dass sie Indien zu einer Großmachtmache, sogar zu einer Supermacht. In ihrem Dokument der Visionenerklärte sie: Wir haben die Bühne eröffnet, um unsere rechtmäßige Erbschaft einer Großmacht wieder zu erlangen, Indien geht nun ungeduldig in Richtung oben, und die BJP ist dazu entschlossen, aus Indien ein entwickeltes Land und eine Großmacht auf der globalen Bühne zu machen.9
Vor 1999 behandelte die US-Regierung dieses Thema in einer oft verletzenden Sprache. Beispielsweise sagte die US-Außenministerin im Anschluss an die Nukleartests im Mai 1998, dass die indischen Führer Reife und Verantwortungvermissen ließen; sie nannte ihre Entscheidung unbekümmertund gefährlich. Der stellvertretende Außenminister sagte, die Tests werden (Indien) in die Isolation und Vergeltungtreiben. Der Sprecher des US-Außenministeriums zählte mehrere Schritte auf, die Indien zu unternehmen hätte, um sich aus dem Loch, das es sich selbst gegraben hat, zu befreien. Er drohte mit Sanktionen, die Indien für eine lange Zeit treffenwürden. Im Speziellen hinterfragte er Indiens Potential als Großmacht und sagte, dass ihm niemals erlaubt werde, permanentes Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu werden.
Die USA verändern ihre Haltung
Im Jänner 1999 begann (aus Gründen, die später in diesem Beitrag erläutert werden) die Änderung der Haltung der USA in der Öffentlichkeit. Während der Kargil-Krise 199910überzeugten die USA Pakistan, seine Truppen zurückzuziehen, und erlaubten Indien, sich zum Sieger zu erklären. Der Indien-Besuch von Clinton im April 2000 markierte den Wendepunkt mit einer Feier der Beziehungen zwischen den USA und Indien.
Als die neue Bush-Regierung im Jänner 2001 ins Amt kam, bestätigte der kommende US-Außenminister beim Senats-Hearing, dass Indien ein mächtiges Landsei, in dem die USA sich breiterzu engagieren hätten: Wir müssen mit der weltgrößten Demokratie weiser umgehen ... Indien hat das Potential, den Frieden im Indischen Ozean und an seiner Peripherie aufrecht zu erhalten.Dann erklärte die nationale Sicherheitsberaterin, Condoleeza Rice, im April 2001 dem indischen Außenminister, dass wir beobachtet haben, dass Indien der Welt zeigt, dass es einen Platz am Tisch der Großmächte verdient.
Seither wurde das Thema von Indiens globaler Wichtigkeit von verschiedenen Agenturen der US-Regierung immer wieder wiederholt. Ein Bericht des National Intelligence Council11der USA, Mapping the Global Future12(vom Dezember 2004) prognostizierte, dass Indien wie China in den nächsten 15 Jahren zu einem neuen globalen Playerwerden wird. Bei einem Treffen mit dem indischen Außenminister im April 2005 sprach US-Präsident Bush über Indien als einen globalen Player, mit dem die USA eng zusammen arbeiten möchten ...Bei seinem Indienbesuch im November 2005 betonte der US-Finanzminister John Snow, dass Indien zu einer der größten ökonomischen Mächte der Welt wird.
Historisch wurden in den letzten beiden Jahrhunderten mehrere Länder, wie die USA, Deutschland und Japan zu Großmächten und verunsicherten damit die bestehende Weltordnung. Heute werden von vielen ein (voraussichtlich) vereintes Europa und China als mögliche zukünftige Anwärter für globale Hegemonie betrachtet. Der Aufstieg einiger Mächte und der Fall anderer ist dem Kapitalismus, der sich ungleich entwickelt, eigen. Tatsächlich streben alle kapitalistischen Mächte von Natur aus nach Hegemonie, je nach der Stärke ihres Kapitals. Die Basis für eine Veränderung in der Weltordnung ist der Verfall der Stärke einiger Mächte, und die zunehmende ökonomische Stärke neuer Mächte, die den militärischen Aufstieg letzterer ermöglicht. Kein Land wurde von einem anderen zu einer Großmacht gemacht; eher wurden – in jedem Fall des Aufstiegs einer Macht – andere Länder dazu gezwungen, den Neuankömmling zu akzeptieren, als dieser seinen Weg an den imperialistischen Tisch durchsetzte.
Es ist enthüllend, dass sich US-Außenministerin Condoleeza Rice bei ihrem Besuch in New Delhi im März 2005 anbot, Indien zu einer Weltmacht zu machen. Das war nicht ein vages Versprechen: in einem vertraulichen briefing am 25.3. strichen MitarbeiterInnen des US-Außenministeriums den US-„Plan“ hervor, Indien zu einer Weltmacht zu machen.Die indische Seite teilte diese Perspektive: Am 30.3.2005 sagte Premierminister Manmohan Singh, Indien benötigt Hilfe von der Weltökonomie, darunter von den USA, um zu einer Weltmacht zu werden.
Indiens „Aufstieg“ ist also keine Veränderung, sondern vielmehr Ausdruck der bestehenden Machtbeziehungen. Bei früherer Gelegenheit gab Manmohan Singh dementsprechend zu: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die USA eine Supermacht sind. Die internationalen Beziehungen sind in letzter Konsequenz Machtbeziehungen. Und wir leben in einer Welt ungleicher Machtverteilung. Wir können diese Realität nicht wegwischen. Wir müssen das verfügbare internationale System verwenden, um unsere Interessen voranzutreiben. Und deshalb müssen wir uns (gemeinsam) mit den USA engagieren. Die USA spielen eine sehr wichtige Rolle in der Weltökonomie, im politischen Weltsystem und wir können das nicht ignorieren.(7.11.04)
I. Die Rolle Indiens, der neuen „Weltmacht“
Indien ist natürlich keine Groß- oder Weltmacht. Dass es notwendig ist, diese Offensichtlichkeit festzustellen, ist Folge der Macht der öffentlichen Indoktrination.
Erinnern wir uns einiger Fakten. Es gähnt ein großes Loch zwischen Indien und der entwickelten Welt. Laut Weltbank betrug 2003 das indische Bruttonationalprodukt (BNP) 568 Milliarden Dollar, verglichen mit dem der USA von 10,95 Billionen14. Indien, in dem 17% der Weltbevölkerung leben, hat weniger als 1,7% des Welteinkommens. Das BNP pro Person betrug in Indien also 530 Dollar, verglichen mit 38.000 Dollar in den USA. Sogar das BNP pro Person in Südkorea betrug über 12.000 Dollar.
Die Situation Indiens ist wenig besser bei der Purchasing Power Parity15, aber sogar das PPP-Einkommen pro Person ist das 84. in der Welt. Denn bei all den rosigen Voraussagen über das rasche Wachstum Indiens und anderer asiatischer Staaten bis 2020 gesteht das US-National Security Council zu, dass das Pro-Kopf-Einkommen in den meisten (asiatischen) Ländern sich nicht mit dem der westlichen Nationen vergleichen lassen wird können.
Menschliche Unterentwicklung
Die Situation ist bedeutend schlimmer bei der menschlichen Entwicklung. Im Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen, der behauptet, sich aus verschiedenen Faktoren wie Gesundheit, Bildung und Einkommen zusammen zu setzen, liegt Indien auf Platz 127 unter 157 Ländern. Die Todesrate bei Neugeborenen unter 5 Monaten liegt bei 93 von 1.000, eines von elf Kindern stirbt, ehe es ein Jahr alt wird. Die Todesrate für Mütter bei Geburten liegt bei 540 von 100.000, verglichen mit 56 in China und 380 in Bangladesh.
Zweifellos wird uns dauernd erzählt, dass die Armut in Indien abnimmt, und eine ganzeIndustrie akademischer Expertisen möchte uns zeigen, wie rasch die Armut abnimmt. Diese Expertisen haben die Armut jedoch reduziert, indem sie ihre Definition nicht mehr mit der Befriedigung des elementaren Kalorienbedarfs der Menschen in Beziehung setzen. Der offizielle „Nationale Überblick“ 2000 zeigte, dass drei Viertel von Indiens Landbevölkerung und der Hälfte der städtischen Bevölkerung nicht genug Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Das wird von anderen Berichten zur Nahrungsmittelversorgung und Gesundheit bestätigt, die folgendes aufzeigen: mehr als zwei Fünftel der erwachsenen Bevölkerung leiden an chronischem Energiemangel, und ein hoher Prozentsatz ist nahe daran; die Hälfte der indischen Frauen leidet unter Anämie16; die Hälfte ihrer Kinder kannnach klinischer Definition als fehlernährt bezeichnet werden. (Siehe Aspects 36 & 37) Wie es ein Schreiber ausdrückt, es gibt bereits eine sub-sahaurische Region in Indien – die Hälfte unserer Landbevölkerung von über 350 Millionen lebt unter dem Nahrungsmittelniveau der subsahaurischen Länder.17
Jedem ehrlichen Ökonomen sollte allerdings ein schlagender Widerspruch bei dieser offiziellen Feststellung von abnehmender Armut ins Auge springen. Armut als solche wird nicht direkt beobachtet: Das „National Sample Survey“ (NSS)18bezieht sich auf Antworten, die auf eine Befragung zur Konsumption gegeben werden, und anhand dieser Daten (nachdem verschiedene Annahmen getroffen wurden) wird die Armut geschätzt. Aber dieselbe NSS beobachtet, dass die Zunahme der Arbeitsplätze zwischen den letzten beiden Beobachtungen (1993/94 und 1999/2000) sank. (Siehe Aspects 36 & 37) Nun ist es offensichtlich unmöglich, dass die Armut gesunken ist, während die Arbeitslosigkeit stark anstieg, und die Methodik jedes Studenten, der behauptet, die Armut sei gesunken, sollte hinterfragt werden.
Zweifellos hat ein Sektor der Ökonomie im Land in der letzten Dekade einen riesigen Aufschwung erfahren: das Zur-Verfügung-Stellen von Software-Dienstleistungen und outgesourceten (d.h. ausgelagerten) Geschäftsprozessen für ausländische (vor allem US-) Unternehmen. Aber auf diesen Sektor entfallen bloß0,25% der Arbeitskräfte. Wo ist der Rest? Fast die Hälfte der indischen arbeitenden Bevölkerung (zwischen 15 und 59 Jahren) ist arbeitslos, die meisten von ihnen werden nicht einmal zur Arbeitskraft gezählt.19Während immer noch die meisten dieser Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt sind, kommt aus dieser weniger als ein Viertel des nationalen Einkommens, und diese Schere geht immer weiter auseinander.
Keine industrielle Transformation
Üblicherweise teilt sich das Nationaleinkommen auf drei Sektoren auf, Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen. Zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit wandelten sich alle Länder in der entwickelten Welt aus vorwiegend landwirtschaftlichen Ökonomien (bezüglich der Aufteilung des Nationaleinkommens und der Beschäftigung) zu vorwiegend industriellen Ökonomien. Erst nachdem sich die gesamte Ökonomie (auch die Landwirtschaft) dieser Länder der Industrie untergeordnet hatte, wurden die Güter leistbarer als in der Vergangenheit, und der ökonomische Mehrwert stieg massiv an, sodass diese Ökonomien ein Wachstum der Dienstleistungen verzeichnen konnten. Heute ist die Industrie für den größten Teil des BNP in den Ökonomien von China, Südkorea, Taiwan, Malaysia, Indonesien und Thailand verantwortlich, in China für 51%. Im Fall Indiens ist der Anteil der Industrie aber niedrig – gerade 26,4% im Jahr 2001.20Die Industrie war in der indischen Ökonomie nie der dominante Sektor. Vielmehr ist ihr Anteil am BNP nicht gestiegen, sondern er stagniert oder sinkt. Und der Anteil der indischen Industrie bei der Beschäftigung beträgt gerade 17,6%.
Tatsächlich ist bei den beiden warenproduzierenden Sektoren – Landwirtschaft und Industrie – keinerlei geheimnisvolles Abheben beim Wachstum in der „Reform“periode festzustellen. Die durchschnittliche Wachstumsrate der landwirtschaftlichen Produktion im letzten Jahrzehnt (1995/96 – 2004/05) liegt gerade bei 0,6% pro Jahr21, was bedeutet, dass die Produktion pro Person gesunken ist. Die Wachstumsrate in der Industrieproduktion während dieser Dekade war nur wenig höher als in den 80er Jahren.In den letzten beiden Jahren (2003/04 – 2004/05) hat es zweifellos ein größeres industrielles Wachstum gegeben; das ist im laufenden Jahr gleich geblieben. Aber man sollte sich davor hüten, auf Basis von zwei oder drei Jahren Schlussfolgerungen zu ziehen. Und während der Dienstleistungssektor in den letzten beiden Jahrzehnten angewachsen ist, sodass er nun 57% des BNP ausmacht, bringen viele dieser Dienstleistungen (z.B. das Anwachsen von Polizei und Streitkräften, die Explosion des Finanzsektors und des Immobiliensektors) für die meisten Menschen keinen greifbaren Vorteil. (Siehe Aspects 36 & 37)
Schließlich betrug die Investitionsrate (ausgenommen Fehler und Unterlassungen) 2003/04 23% und 22,9% in der 2003/04 endenden fünfjährigen Periode. Das ist niedriger als die Raten im letzten Reformjahr 1990/91. Zweifellos hat es 2004/05 einen Investitionsboom gegeben, der 2005/06 anhielt. Trotzdem wird die Investitionsrate weit unterhalb der von der Regierung veranschlagten notwendigen Rate für ein Wachstum des BNP bleiben (8% – 10%).
Es stimmt, dass bestimmte indische Firmen (oder indische Einheiten von ausländischen Firmen) „Weltstatus“ erreicht haben bei Qualität und Menge, und mit ihren niedrigen Kosten für Arbeit können sie konkurrenzfähige Exporteure werden. Jubelnde Presseberichte über solche Einheiten befördern den Eindruck, dass die indische Ökonomie zu einem „Abheben“ angesetzt hat. Diese Firmen sind aber von Kapitalimporten abhängig und stark an den Exportmarkt gebunden; sie haben kaum Verbindungen zum Rest der indischen Ökonomie. Sie bleiben Inseln im großen Meer des unterentwickelten Indien. Stellt man das in eine mögliche Umwandlung der Ökonomie, die mit der raschen Entwicklung einer Industrie stattfinden würde, die einheimische Bedürfnisse der Massenkonsumption befriedigt – so würde das eine Nachfrage für Rohmaterialien und einheimische Kapitalgüter schaffen und insgesamt hohe Beschäftigung sowie die Beförderung von einheimischem technologischen know-how.
Jedenfalls ist Indien für weniger als 1% der weltweiten Exporte verantwortlich. „Hochtechnologische“ Güter machen lediglich 5% seiner Exporte aus.23Darüber hinaus wächst die Importrechnung Indiens derzeit rascher als seine Exporte: so ist das Handelsdefizit von 15,4 Milliarden Dollar 2003/04 auf 38,1 Milliarden 2004/05 gewachsen, und während des ersten Quartals 2005/06 auf nahezu 16 Milliarden. Die größten Anstiege in der Importrechnung sind nicht Folge gestiegener Ölpreise, oder des Imports von Maschinen; sie gehen auf das Konto von Gold und elektronischen Gütern. Beim Konsum konkurriert die indische Elite zweifellos mit ihren Gegenstücken überall auf der Welt.
In der Presse werden die rasch wachsenden Ölimporte (und Indiens hochgesteckte Anstrengungen, die langfristige Öl- und Gasversorgung aus dem Ausland sicherzustellen) als Zeichen für die rasch wachsende Wirtschaft gedeutet. Das ist absurd. Derzeit ist das ein Anzeichen für das Fehlen nationaler Planung. Ein Großteil des Wachstums beim Erdölkonsum geht auf das Konto des großen Booms bei privaten Automobilen. Der wiederum ist das Ergebnis der Schwäche des öffentlichen Transports, wachsender Ungleichheiten bei der Einkommensverteilung und der massiven Ausweitung billiger Kredite für Autokäufe. Darüber hinaus zeigt das rasche Anwachsen des Erdölverbrauchs nicht die wachsende Stärke, sondern die wachsende Verletzbarkeit der indischen Ökonomie. Eigenständige nationale Planung hätte stattdessen
1) die Einschränkung des Konsums (durch die Ausdehnung von Eisenbahnnetzen für Güter und Passagiertransport, die Ausweitung des öffentlichen Transports in den Städten und verschiedene Investitionen zum Energiesparen) und
2) ein Investitionsprogramm zur effektiven und ökonomischen Entwicklung und Ausbeutung der eigenen Öl-, Gas- und reichlich vorhandenen Kohlevorkommen sicher zu stellen. Eine Kombination solcher Maßnahmen könnte die Abhängigkeit des Landes von Ölimporten stark reduzieren. Stattdessen wächst der Anteil des Erdöls beim Energieverbrauch Indiens, und der Anteil der Importe beim Gesamtverbrauch von Erdöl wird in einigen Jahren 90% oder mehr betragen. Weil sich die Konkurrenz bei den weltweiten Öl- und Gasreserven verschärft, wird die indische Ökonomie hohe Kosten für diese Wahl zu tragen haben.
In den letzten Jahren haben große ausländische Kapitalflüsse und die boomenden ausländischen Einnahmen aus dem IT-Sektor zu einem starken Anstieg der ausländischen Geldreserven im Land geführt. Deshalb hat die Regierung die Investitionen im Ausland durch indische Firmen liberalisiert. Und so haben eine Menge indischer Unternehmen im Ausland investiert, in vielen Fällen ausländische Firmen übernommen. Dieses Phänomen hat für Aufregung in der Wirtschaftsberichterstattung geführt, die das als weiteres Anzeichen von Indiens neuem, globalen Status betrachtet wird: Nun, so wird behauptet, werden Indiens Firmen zu multinationalen Unternehmen. Tatsächlich verzeichnete Indien 2003/04 und 2004/05 einen Außenüberschuss, was bedeutet, das es Nettokapitalexporteur ist. Das wurde von einigen Kommentatoren sogar als etwas gefeiert, worauf man stolz sein sollte.
Solche Investitionen mögen wirtschaftlich Sinn machen für die Firmen, die sie tätigen; aber im allgemeinen verlaufen sie gegensätzlich zu den Bedürfnissen nationaler ökonomischer Entwicklung.24Indien ist keine kapitalexportierende Wirtschaft, sondern eine unterentwickelte, kapitalschwache, bei der große Ressourcen wegen Mangel an Kapital brach liegen. Ökonomisch macht es keinen Sinn, Kapital aus einem solchen Land zu exportieren. Die indischen Kapitalisten mögen finanzielle Vorteile aus ihren Auslandsinvestitionen ziehen, aber solche Vorteile werden der indischen Ökonomie eine armselige Stimulation bringen, wogegen Investitionen in Produktionsstätten innerhalb des Landes die Nachfrage stimulieren und die Produktivität und die Beschäftigungsrate in einer Reihe von Sektoren erhöhen, mit weitreichenden Vorteilen für die gesamte Wirtschaft.
„Wissensökonomie“?
Ein Teil der Propaganda über Indiens Aufstiegzu einer Weltmacht, so wird uns bis zum Erbrechen erzählt, ist, dass Indien eine Wissensökonomieist, eine informationstechnologische Supermacht, und ähnliches.
Die Wahrheit ist, dass die Alphabetisierungsrate in Indien bei lediglich 61% liegt; damit liegt Indien auf Rang 146 von 177 Ländern im Index der menschlichen Entwicklung(UN „Human Development Index“) – das bedeutet, viele Länder mit bedeutend weniger Pro-Kopf-Einkommen hatten eine weit höhere Alphabetisierungsrate als Indien, beispielsweise viele im verzweifelten, armen subsahaurischen Afrika. In vergangenen Jahren hat die indische Regierung, auf Empfehlung der Weltbank, seine dürftigen Aufwendungen für Bildung zunehmend auf die Primärbildung konzentriert, und die sekundäre und höhere Bildung weitgehend vernachlässigt (als wären sie Luxus). Nun erzählen uns offizielle Daten, dass 42% der Kinder vor Beendigung der Primärausbildung (1. – 5. Schuljahr) rausfallen, weitere 19% fallen laut offizieller Zahlen aus, ehe sie die obere Primärbildung (6. – 8. Schuljahr) abgeschlossen haben.
Diese Daten zeigen tatsächlich das Problem. Umfragedaten, die glaubwürdiger sind, weisen darauf hin, dass die drop-out-Rate am Primärlevel bei 50% liegt.25Und nach Daten der Volkszählung gehen 43,5% der Kinder im Alter von fünf bis neun Jahren nicht zur Schule.
Darüber hinaus ist die Qualität der Bildung in den staatlichen Schulen so mies, dass die Hälfte der Kinder in staatlichen Schulen in Mumbai in der 4. Klasse nicht einmal die arithmetischen Rechnungen, die für die 1. Klasse verlangt werden, beherrscht. Bei Tests in Andhra Pradesh konnten 18% der SchülerInnen der 2. bis 5. Klassen nicht einmal einstellige Additionen durchführen, während nur 12% es schafften, zweistellige Zahlen zu addieren. Beim „spot-the-object“-Quiz erreichten nur 54% die richtigen Ergebnisse.27
Die höhere Bildung, die die indische Regierung zunehmend dem privaten Sektor überlässt, kann sich außer einem kleinen Teil niemand leisten. Die Infrastruktur und die Belegschaft vieler der neuen privaten Institutionen sind erschreckend, und deshalb sind die Zeugnisse, die einem großen Teil der AbsolventInnen ausgehändigt werden, das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind.
Belanglose Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen
Zweifellos bedeutet, angesichts der großen Bevölkerungsanzahl in Indien, selbst der geringe Prozentsatz derjenigen, die eine höhere Bildung erhalten, 2,5 Millionen Menschen jährlich, eine beträchtliche Menge an Arbeitskraft für die IT und BPO-Industrie, die ausländischen Bedürfnissen dient. Aber ist diese Enklave tatsächlich ein wichtiges Zentrum von Wissen? Ist Indien eine Macht auf dem Feld der Forschung?
Nach der offiziellen Publikation Forschungs- und Entwicklungsstatistik (Research und Development Statistics)von 2001, der letzten Ausgabe, fiel der Anteil des Aufwands für Forschung und Entwicklung am BNP in Indien, von 0,91% im Jahr 1987 auf 0,81% im Jahr 1998. Sehen wir uns diese Forschung und Entwicklunggenauer an. Erstens trägt der private Sektor in Indien daran keinen nennenswerten Anteil. Nach offiziellen Zahlen wurden 80% der Kosten für Forschung und Entwicklung von der Regierung getragen. Davon ist ein Großteil für nicht produktive Zwecke, sondern für militärische: 32% für direkte militärische Forschung, 21% für Weltraumforschung (davon dient ein Großteil zurzeit dem Raketenprogramm) und 12% für Atomenergie (davon derzeit ein Großteil für das Atomwaffenprogramm). Selbst wenn man zugesteht, dass einige dieser Aufwendungen für tatsächliche Raum- und Atomforschung ausgegeben werden, scheint mindestens die Hälfte der indischen Aufwände für Forschung und Entwicklung für militärische Zwecke getätigt zu werden. Und trotz dieser beträchtlichen Mittel wurden die Vorzeigeprojekte der Forschung und Entwicklung – das Main Battle Tank-Projekt, begonnen 1974, und das Projekt Leichte Kampfflugzeuge (Light Combat Aircraft), begonnen 1983 – bis heute nicht abgeschlossen, und nach Ausgaben in Höhe von Milliarden Rupien für jedes dieser Projekte stehen die derzeitigen Chancen dafür, dass sie in die Streitkräfte eingebaut werden, immer schlechter. Beispielsweise sieht sich die Luftwaffe zurzeit auf dem internationalen Markt nach 126 Kampfflugzeugen zu Kosten von über 6 Milliarden Dollar um.
Es ist unwahrscheinlich, dass der private Sektor tatsächlich 20% der Kosten von Forschung und Entwicklung trägt. Die letzte RBI-Umfrage bei Privatunternehmen28zeigt, dass ihre Kosten für Forschung und Entwicklung 2003/04 lediglich 0,3% ihrer Umsätze betragen. Im Gegensatz dazu investierten diese Firmen viel mehr in Werbung (2,1% der Umsätze) – ein klarer Hinweis darauf, wie niedrig sie Forschung und Entwicklung bewerten. Die Kosten für den Import von wichtigen Gütern betrugen 1,9%, mehr als sechsmal soviel wie die Kosten für Forschung und Entwicklung. Die Zahlen für den Ankauf ausländischer Technologie bei diesen Firmen sind nicht separat ausgewiesen, aber vermutlich sind auch sie höher als die für Forschung und Entwicklung; wohingegen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zur erfolgreichen Aufnahme ausländischer Technologien (in einer Weise, dass man sie in Zukunft weiterentwickeln kann) ein Mehrfaches der Kosten des Ankaufs dieser Technologien betragen. Und schließlich ist vieles von dem, was in der indischen Industrie unter Forschung und Entwicklung subsumiert wird, lediglich aus steuerlichen Gründen so deklariert, und besteht zur Zeit aus der Anpassung von Produkten an die lokalen Bedingungen, oder sogar lediglich aus Qualitätskontrolle.
Bei Anwendung konventioneller Messverfahren auf den wissenschaftlichen Ausstoß ist die indische Leistung trostlos.29Die Standard-Datenbank in dieser Hinsicht ist der US-basierte Wissenschaftliche Zitierungs-Index(Science Citation Index– SCI). 1980 standen etwa 40 indische Zeitschriften im SCI; diese Zahl ist auf 10 gefallen, oder auf bloß 0,3% aller indizierten Zeitschriften. 1980 wurden fast 15.000 wissenschaftliche Papiere aus Indien im SCI indiziert; diese Zahl fiel in den folgenden beiden Jahrzehnten auf lediglich 12.000 (die Zahlen für China wuchsen in derselben Zeitspanne von unter 1.000 auf über 22.000). Der Anteil Indiens an den weltweit veröffentlichten Papieren zu Forschung in SCI-indizierten Zeitschriften betrug nur 1,79% im Jahr 2002. Indien fiel beim Einfluss im SCI (das ist die Anzahl, wie oft ein Papier von anderen zitiert wird) auf den miserablen 119. Platz von 149 Ländern.30
Die folgenden Zahlen fangen die jeweilige Stärke der USA, Chinas und Indiens bei der Schaffung und Kontrolle von Technologie ein:
Land31ForscherInnen Patente Lizenzen
USA 4,526 302 $167,2
China 633 5 $0,1
Indien 120 0 $0,2
Der IT-Sektor
Der indische IT-Sektor (Informationstechnologien) besteht aus zwei Teilen: dem Software-Sektor und dem durch die IT ermöglichten Sektor (ITES). In beiden Fällen wurde Arbeit, die früher in der entwickelten Welt erledigt wurde, vor allem in den USA, „outgesourced“, oder an Orte in Indien verlagert.
Im Fall der ITES beinhalten die ausgelagerten Aktivitäten Call-Center, medizinische Übertragungen, Dateneingabe, Rechnungsprüfung, Verwaltung von Kreditkarten und andere Routine-Büroarbeit, die an entfernten Orten erledigt werden kann. Während diese Arbeit das Beherrschen der englischen Sprache erfordert, benötigt sie keine höhere Bildung oder Fähigkeiten. Stattdessen ist einiges davon derart mechanisch und sich wiederholend, dass die Gefahr besteht, dass sie ersetzt wird: Optische Zeichenerkennungssoftware automatisiert die Arbeit von indischen DatatypistInnen. Elektronische Flugtickets vernichten einiges an der Rechnungsprüfungsarbeit, die Luftlinien in Indien durchführen lassen. Schließlich automatisiert die Spracherkennung(ssoftware) vermutlich einiges von der call-center-Arbeit, die zur Zeit in Indien erledigt wird, sagt Steve Rolls, der offensichtliche Thronfolger bei Convergys, dem weltgrößten call-center-Anbieter.32Andere Länder steigen in dasselbe Geschäft ein, vor allem die früher englischsprachig kolonisierten Länder: das call-center-Geschäft boomt auf den Philippinen.
Das ist eindeutig nicht Hochtechnologie oder wissensbasierte Arbeit; neue Informations- und Kommunikationstechnologien haben es lediglich ermöglicht, dass derartige Arbeit an entfernten Orten durchgeführt werden kann. Der einzige Grund für die Auslagerung derartiger Arbeit ist, dass die Löhne dafür in Indien einen Bruchteil dessen betragen wie in der entwickelten Welt (laut Deloitte Researchein Zehntel), dass sie enorme Gewinne für die US- und britischen Unternehmen abwerfen. Die Jobs, die in diesen Ländern bedroht sind, sind vor allem solche, in denen bereits niedrige Löhne bezahlt werden, weil sie kaum Fähigkeiten voraussetzen; durch die Auslagerung nach Indien können die Unternehmen ihre Kosten weiter senken.
Angesichts dessen, dass Indien einzig aufgrund seiner Löhne konkurrenzfähig ist, wird es seine Konkurrenzfähigkeit verlieren, wenn die Löhne in Indien steigen, oder wenn noch ärmere Länder ins Spiel kommen. Indiens ITEF-Chefs versichern deshalb, dass die Absicherung der Produktion von cyber-cooliesin Indien daran hängt, die Versorgung mit Arbeitskräften sicher zu stellen:
Die größte Versorgung mag die von BPO-ArbeiterInnen (business-process outsourcing) sein, die nicht viel telefonieren müssen: Bearbeitung von Schadenersatzforderungen, Verwaltung von Kreditkarten, ArbeiterInnen bei der Krankenversicherung und so weiter. Indische Universitäten werfen jährlich 2,5 Millionen AbsolventInnen aus. Vielleicht ein Viertel von ihnen hat die benötigten Fähigkeiten, um diesen Teil der BPO-Arbeit zu übernehmen, sagt der Präsident von NASSCOM, Kiran Karnik. Um diese Rate zu erhöhen, arbeitet er mit der India’s University Grants Commission(Stipendienkommission), damit dreijährige Kurse durch einjährige Zertifikate in IT oder amerikanischen Buchführungsstandards ergänzt werden.33
So wird die Ausbildung in Indien darauf zurechtgeschnitten, dass die Versorgung mit Arbeitskräften für die Bedürfnisse amerikanischer und britischer Firmen in bezug auf Niedriglohnarbeit sichergestellt wird. Wie eine kürzlich erstellte Studie des V.V. Giri National Labour Institutehervorgehoben hat, führte die call-center-Industrie zu einer Verschwendung menschlicher Ressourcen und einer Abnahme der Fertigkeiten von ArbeiterInnen, die weitreichende langfristige Auswirkungen auf die indische Industrie haben werden.
Ein kleiner, aber wachsender Anteil höherwertiger Arbeit wird ebenfalls nach Indien ausgelagert, beispielsweise Animation und Web-Design, rechtliche Dienstleistungen, Forschungs- und Entwicklungsarbeit, und zukünftig sogar hochentwickelte Finanzdienstleistungen (wie die Verwaltung von Spekulationsfonds). Aber in all diesen Fällen konkurriert Indien nicht aufgrund der höheren Qualität der Dienstleistungen oder technologischer Innovationen, sondern einzig aufgrund der Lohnkosten.
Das passt auch auf den Software-Sektor. Es stimmt, dass die jährliche Ausbildung von IT-Ingenieuren höher ist als in den USA. Aber indische Ingenieure werden für relativ niedrigwertige Arbeit eingesetzt: wie Business Week(1.3.2004) hervorhebt, sind bisher die wenig kreativen Software-Arbeiten diejenigen, die ausgelagert werden: Fehlersuche, Aktualisieren veralteter Codes und Routine-Programmierungsaufgaben, die viele Hände erfordern.Das Magazin schildert eine Software-Pyramide, mit einigen tausenden Architektenan der Spitze, denen auf aufeinanderfolgenden Ebenen von Fähigkeiten und Bezahlung Forscher, Berater, Projektmanager, Geschäftsanalysten und schließlich einfache ProgrammiererInnen untergeordnet sind. Die letzte Kategorie sind die Fußsoldaten der Informationsökonomie, sie schreiben Codes für Anwendungen, aktualisieren und testen diese.Es ist ein Teil dieser untersten Kategorie, der ausgelagert wurde, viel davon nach Indien.
Tatsächlich besteht ein Großteil der indischen Software-Exporte immer noch aus „body-shopping“34, wobei indische Firmen Software-ArbeiterInnen für US-Firmen zur Verfügung stellen, um deren Arbeit in den USA selbst zu erledigen, zu bedeutend niedrigeren Kosten als es US-BürgerInnen machen würden.35
Indische Software-Unternehmen bewältigen Anwendungen für Programme, die internationalen Software-Giganten gehören; aber indische Firmen produzieren praktisch keine eigene Software, das heißt, durch Copyright geschützte Programme, die an eine größere Zahl von Kunden verkauft werden und einen kontinuierlichen Gewinnfluss einbringen (so wie Microsoft sein Geld verdient). Eher importieren sie sowohl die Hard- als auch die Software, mit der sie arbeiten. Deshalb hat der gegenwärtige Premierminister bei seinem letzten US-Besuch um Verständnis geworben:
Amerikanische Investitionen in Indien, vor allem bei den neuen Technologien, werden amerikanischen Unternehmen helfen, die Kosten zu reduzieren und global konkurrenzfähiger zu werden. Gleichzeitig werden die Einnahmen aus diesen Investitionen dazu führen, dass mehr aus den USA gekauft wird. Die Revolution in der Informationstechnologie basiert vor allem auf US-amerikanischer computerbezogener Technologie und Hardware.(20.7.05)
Indien ist deshalb keine Wissensökonomie, sondern eine Niedriglohnökonomie, die sich gegenüber anderen durch ihr koloniales Erbe, Englisch, auszeichnet. Es verfügt nicht über einen höheren internationalen Status wegen der Vorteile seiner wirtschaftlichen Stärke; eher ist die Öffentlichkeit über seinen Aufstiegzu einer MachtAusfluss einer bewussten US-Politik.
Betrachten wir zuerst, warum die herrschende Klasse in Indien so begierig ist, zu einer Weltmachtgesalbt zu werden, und dann, warum die USA daran interessiert sind, diese Salbung zu besorgen.
II. Die Klassenlogik der indischen Führer führt zum Status der Großmacht
Der Traum vom Status einer Großmacht ist so alt wie der indische Staat. S.K. Ghosh streicht heraus, dass dieser Traum sogar bereits vor der Machtübergabe durch die Briten bestand:
Indem er sich auf Armeeoffiziere vom Oktober 1946 bezog, als Indien immer noch britische Kolonie war, erklärte Nehru: Indien befindet sich heute unter den vier großen Mächten der Welt: die anderen drei sind Amerika, Russland und China. Aber in bezug auf Ressourcen hat Indien ein größeres Potential als China.Er beteuerte: Indien wird vermutlich die Region des Indischen Ozeans politisch und wirtschaftlich dominieren.36
Nach der Machtübergabe war Indien natürlich ökonomisch und militärisch zu schwach, um als Großmacht eingestuft zu werden – ohne die Hilfe einer Großmacht. 1948/49 schlug Nehru eine umfassende militärische Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten vor, aber letztere betrachteten dies aus mehreren Gründen als nicht nützlich.37Der Traum trat mehrere Jahrzehnte lang in den Hintergrund, aber er verschwand nicht. Er blieb über die Jahre ein zugrundeliegender Faktor in der indischen Außen- und Militärpolitik.
Tatsächlich sind die letzten Entscheidungen der indischen Regierung nicht das Ergebnis irgendeines plötzlichen Schwenks in der Außenpolitik, oder einer Veränderung der äußeren Umgebung; diese Entscheidungen sind die logische Ausweitung einer langfristigen Politik, die von aufeinanderfolgenden indischen Regierungen unterschiedlicher politischer Parteien und Allianzen verfolgt wurde.
Die Wurzeln dieser Politik liegen tatsächlich in der Natur der indischen politischen Ökonomie und Geschichte. Diese politische Ökonomie hält eine Fassade von Modernität und Dynamik aufrecht, und sie schafft es, ein bemerkenswertes Wachstum in den Geldbeuteln zu zeigen, aber im Wesentlichen ist sie rückschrittlich und stagnierend, und erlaubt allen Arten von halbfeudalen und parasitären Kräften, auf Kosten des produktiven Potentials des Landes zu gedeihen.
Wir müssen zu Indiens Freiheitskampf zurückkehren, um seine spätere politische Ökonomie zu verstehen. Der Freiheitskampf des indischen Volkes war Teil eines weltweiten antiimperialistischen Erwachens. Während die Führer der Congress-Partei versuchten, die Formen des Kampfes einzuschränken, tendierte jede größere nationale Bewegungdazu, hauptsächlich die Form eines militanten Anschwellens von Arbeiter- und Bauernkämpfen anzunehmen. Die Bauernrevolten konzentrierten sich um die Forderungen nach keine Pachtund keine Steuerund nach tribaler Kontrolle ihrer Wälder. Im Kielwasser des 2. Weltkrieges und inmitten des weltweiten Anschwellens von Antiimperialismus und Revolution nahmen diese Bewegungen am Land eine noch militantere Form an, und kulminierten im bewaffneten Aufstand von Telangana 1946-51, der die Frage der Beschlagnahme und Neuverteilung des Landes der Großgrundbesitzer aufwarf.
Unmittelbar nach der Machtübernahme, zwischen 1947-51 war der indische Staat mit den hohen Erwartungen des Volkes konfrontiert. Die herrschende Congress-Partei erfreute sich des (scheinbar) hohen politischen Kapitals, das sie durch die Führung des Freiheitskampfes errungen hatte. Doch die Interessen, die sie repräsentierte, standen direkt den Bestrebungen dieses Kampfes gegenüber. Deshalb wurde lediglich ein marginaler Teil (1%) des Landes verteilt; und die Wälder, die historisch den Adivasi38gehören, später aber von britisch Indien übernommen wurden, blieben Monopol des neuen indischen Staates (tatsächlich der privaten Interessen, die durch diesen arbeiteten). Die geringfügige Beschäftigung in der Industrie bedeutete darüber hinaus, dass es für die BäuerInnen kein Entkommen aus der Kultivierung des Landes gab.
Der indische Staat unternahm eine pompöse Übung der „geplanten Entwicklung“. Aber diese geschah, ohne mächtige ausländische und einheimische private Interessen in Handel, Industrie und Landwirtschaft zu stören. Tatsächlich wurde sie auf die Bedürfnisse genau dieser Klassen zugeschnitten. Im Ergebnis konnten die für diesen Plan benötigten Ressourcen nicht aus diesen Quellen bezogen werden; das beschränkte die Größe des Plans und verschuldete Abhängigkeit von Krediten. Innerhalb eines Jahrzehnts verfiel dieser Plan, und das Tempo der Investitionen verringerte sich. Landwirtschaftliche und industrielle Wachstumsraten verlangsamten sich Mitte der 60er Jahre. Nach der demütigenden Niederlage für Indien im Krieg mit China 1962 beschloss die Regierung, einen wachsenden Teil des Budgets für militärische Ausgaben zu verwenden, was die Möglichkeiten der öffentlichen Investitionen weiter einschränkte.
Risse im Gebäude
Innerhalb zweier Dekaden nach Ende der britischen Herrschaft machte sich in verschiedenen Sektoren des Volkes Desillusion breit; eine Reihe von Missernten und folgender Nahrungsmittelknappheit fiel zusammen mit der frischen revolutionären Gärung Mitte der 60er Jahre, vor allem unter der Jugend. Militante Kampfformen wurden von den ArbeiterInnen angenommen; der gherao39wurde in dieser Periode erfunden. Unruhen am Land, in vielen Teilen des Staates, nahmen zwischen 1966-69 militante Formen an, das Innenministerium führte sie auf die Fortdauer ernsthafter sozialer und ökonomischer Ungleichheitzurück. Indira Ghandi gestand bei einer Ministerkonferenz 1970 zu: Es ist Zeit, den Tatsachen ins Auge zu blicken ... Die Maßnahmen zur Landreform haben nicht die Erwartungen erfüllt, die unter Millionen von PflanzerInnen während der nationalen Bewegung geweckt worden sind.Studentische Agitation und neue studentische Organisationen entstanden in vielen Staaten. Vor diesem Hintergrund von Turbulenzen tauchten ernsthafte Differenzen innerhalb der herrschenden Partei der indischen herrschenden Klassen, dem Congress, auf, und führten zu seiner ersten Spaltung.
Der von Indira Ghandi geführte Congress tauchte durch diese Krise durch eine Kombination von Repression (die erste Anwendung von „Widerstands“-Morden in großer Anzahl, und sogar schlimmsten Gräueltaten in Westbengalen); großem Populismus (garibi hatao40– eine Menge oberflächlicher Maßnahmen gegen die Armut; Nationalisierung von Banken und Ausdehnung der ländlichen Banken; sozialistischeGebärden wie die Streichung von Zuwendungen an fürstliche Familien); und militärische Triumphe (der Krieg mit Pakistan 1971).
In den Wahlen vor dem Krieg hatte der Congress mit einem Erdrutschsieg gewonnen.Nun gelang es ihm nicht, diesen Status wiederherzustellen, den er einst unter den Leuten hatte (und weshalb er für unterschiedliche Fraktionen der herrschenden Klassen attraktiv war).42Innerhalb zweier Jahre nach ihrem Erdrutschsieg war die Congress-Regierung mit einem landesweiten Streik der Eisenbahner (der gewalttätig niedergeschlagen wurde) und mit Anzeichen größerer Unruhe überall konfrontiert. Diese Unruhen wurden von parlamentarischen Rivalen (Navnirman in Gujarat, der Agitation der JP in Bihar) ausgeschlachtet. Der Notstand war ein Präventivschlag gegen die langsame Zersetzung der Hegemonie des Congress, doch er konnte diese Zersetzung nicht aufhalten, wie die Aufhebung des Notstandes 1977 und der Fall des Congress in den folgenden Wahlen zeigte.
Auch keiner anderen Partei oder Parteienbündnis gelang es, in die Schuhe des Congress zu schlüpfen: Wenn der Congress innerhalb von drei Jahren an die Macht zurückkehrte, war das mehr wegen der Versäumnisse (der anderen) als wegen einer positiven Welle (zugunsten des Congress). Die Aufgabe, den Einfluss über die Massen des Volkes aufrecht zu erhalten, und auf dieser Basis die Autorität zu behalten und rivalisierende Fraktionen der herrschenden Klasse zu führen, wurde durch die ökonomische Stagnation schwieriger: die jährliche Wachstumsrate von Indiens Bruttonationalprodukt sank von 3,9% in den 50er Jahren auf 3,7% in den 60ern und 3,2% in den 70ern.43
Ein Weg des Wachstums wurde natürlich ausgeschlossen – ein massiver Aufschwung der rückständigen ländlichen Beziehungen, die Beendigung parasitärer Abstammung(sherrschaft) von den BäuerInnen, deshalb die Generierung eines Mehrwerts bei landwirtschaftlichen Investitionen und dadurch die Schaffung eines großen Marktes für industrielle Güter; die Enteignung ausländischer Interessen und des großen einheimischen Kapitals – und dadurch die Anhebung der Ressourcen für selbst geplante Entwicklung; Schutz vor wahllosen Importen; geplante Rundum-Entwicklung; und bewusste Ermutigung der weitverstreuten kleinen nationalen Kapitalisten. Der Aufschwung bei den rückständigen agrarischen Beziehungen hätte weiters geholfen, das Bewusstsein der Menschen von allen Arten von feudalen Banden und reaktionären Einflüssen zu befreien, und stattdessen die Basis für ein eigenständiges, demokratisches politisches Bewusstsein gestellt. Solch ein Weg wäre gegen die sozialen Klassen des Congress und seiner parlamentarischen Rivalen verlaufen – große einheimische und ausländische Kapitalisten; Großgrundbesitzer und andere feudale Sektionen; Großhändler und andere parasitäre Kräfte.
Die Zeit der Liberalisierung
Die Entscheidung der neuen Congress-Regierung 1981, sich an den Internationalen Währungsfonds wegen eines Kredites zu wenden (sogar ohne irgendeine dringende Notlage wie eine ausländische Währungskrise), war daher die Ankündigung eines anderen Weges: Namentlich den Mangel an Ressourcen für Investitionen durch Schuldenerhöhung zu überwinden; dem Problem des beschränkten Marktes für Industriegüter durch die Förderung import-intensiver Industrien auszuweichen und damit die oberen 5% – 10% der Bevölkerung zu versorgen; das Wachstum des Nationaleinkommens durch die Förderung unproduktiver Aktivitäten im Dienstleistungssektor anzukurbeln – darunter den Handel, den Finanzsektor, die öffentliche Verwaltung und die Verteidigung. In den 80er Jahren überstieg Indien die vorige, drei Jahrzehnte andauernde, 3% - 3,5% hohe sogenannte Hindurate des Wachstums,44und erreichte eine jährliche Wachstumsrate von 5,7% in den 80ern.
Einige der Ausgaben der Regierung in den 80er Jahren rieselten in Form ländlicher Entwicklung und Wohlfahrtsausgaben nach unten, und erzeugten eine ländliche, nichtlandwirtschaftliche Beschäftigung. Die negativen Konsequenzen des neuen Vorstoßes von Wachstumwaren bereits in den 80er Jahren sichtbar. Obwohl die ländliche Wohlfahrt anwuchs, verfielen wichtige landwirtschaftliche Investitionen zusehends (und das hat sich nicht geändert). Importintensives Wachstum, darunter der Import von arbeitssparenden wichtigen Gütern, sorgte dafür, dass die Beschäftigungsrate stark abfiel (tatsächlich fiel die Beschäftigung im organisierten Privatsektor Mitte der 80er in absoluten Zahlen). Und die Auslandsschulden blähten sich von 19 Milliarden Dollar im Jahr 1980 auf 37 Milliarden 1985 und 84 Milliarden 1990 auf. Letzteres führte zur Krise in der Zahlungsbilanz 1990/91, dem Strukturanpassungskredit des IWF 1991 und der Neuen Ökonomischen Politik 1991 – die bis heute anhält.
Der Aufstieg kommunalistischer Politik
Von 1981 an, mit der ersten Umarmung des IWF und der Importliberalisierung, wurden die alten Parolen von garibi hataound Sozialismusimmer weniger glaubwürdig. Die Parteien der herrschenden Klasse suchten nach Ersatz. Frau Ghandi, die traditionellerweise die Stimmen der Moslems kultiviert hatte, begann in diesem neuen Zusammenhang eine Tour durch Hindu-Tempel. Kommunalistischer Hass wurde im Punjab durch verschiedene Kräfte der herrschenden Klassen geschürt, darunter dem Congress. Diese Spaltungspolitik kulminierte im November 1984 mit dem Massaker an Sikhs; Rajiv Ghandi, Indiras Sohn und Nachfolger, gewann die folgenden Wahlen mit einem Erdrutschsieg.
Der Congress war in diesem kommunalistischen Spiel nicht allein, nicht einmal am fähigsten. Seit Beginn der 80er Jahre strömte der RSS45in den Vishwa Hindu Parishad, und lancierte Ekatmata Rath Yatra47. 1984 begann die Kampagne zur Befreiungder angeblichen Geburtsstätte von Ram48; 1986, mit der Intervention der Congress-Regierung in der Mitte, ordnete das Gericht an, dass die Schlösser an der Babri Masjid-Moschee entfernt werden mussten. Von da an versank das Land in Blut und die BJP kam an die Macht. Von einer zu vernachlässigenden Kraft im Parlament 1985 wurde die BJP durch die Zerstörung der Babri Masjid-Moschee49zur größten Partei (obwohl sie im Parlament niemals die – absolute – Mehrheit errang). Darüber hinaus errang sie eine soziokulturelle Hegemonie, weit größer als ihr damaliger Anteil an Wählerstimmen (der um die 25% betrug) oder ihre Unterstützerbasis. Nach einem kurzen Zwischenspiel einer Minderheitsregierung (nicht-Congress und nicht-BJP) zwischen 1996 und 1998 übernahm die BJP schließlich die Macht.
Die antimoslemische Raserei von 1992/93 konnte jedenfalls nicht auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten werden, und irgendwann wurde sie zu einem Hindernis für die expandierende BJP. Die allgemeinen Wahlen 1996 und 1998 waren von weit verbreiteter öffentlicher Apathie gekennzeichnet; vom Fehlen jeglicher Parolen, die die WählerInnen bewegen hätten können (die prominenten Allianzen konzentrierten sich daher darauf, dass sie eine stabile Ruheschaffen konnten); von weitgehender Übereinstimmung unter den parlamentarischen Parteien bezüglich der Politik der Liberalisierung, Privatisierung und Globalisierung; und schließlich davon, dass keine Partei die Mehrheit erringen konnte. Die Ergebnisse dieser Wahlen waren die wackligsten Koalitionen, die das Zentrum je gesehen hatte. 1998 konnte sich die neue, von der BJP geführte Koalition nicht der üblichen Flitterwochenperiodeerfreuen, sie war von Anfang an mit öffentlicher Kritik und internationalem Streit konfrontiert.
Die Suche nach einer breiteren Plattform
An diesem Punkt wurde der nationalistische Chauvinismus als das neue Thema in den Vordergrund gespielt. Innerhalb von Monaten, nachdem die neue, von der BJP angeführte Regierung ihr Amt angetreten hatte, gab ihr Verteidigungsminister George Fernandes Alarme bezüglich der pakistanischen Ghauri-Raketen und Chinas Absichten am Subkontinent (die er sogar als Bedrohung Nummer einsbezeichnete). Im Mai 1998 führte die Regierung die unter Pokhran IIbekannten Nukleartests durch, und ihre Unterstützer schlugen eine Welle kriegerischer Feiern durch das Land. Die Medien und die Filmindustrie der Hindi unterstützten eifrig die jingoistische50Kampagne.
Man sollte daraus nicht den Schluss ziehen, dass der Hindutva-Kommunalismus damit beendet gewesen wäre. Die anti-pakistanischen Themen beherbergten genauso einen offensichtlichen anti-islamistischen Aspekt. Mehr noch, in der folgenden Periode gab es zwei große Kampagnen kommunalistischen Terrors: die landesweiten Angriffe auf ChristInnen 1998/99 und das Blutbad an Moslems in Gujarat 2002. Doch der Führung der BJP war klar, dass sie ein breiteres Thema als die antimoslemischen Pogrome brauchte, und zwar eines, das Koalitionen mit einer Reihe von nicht-hinduistischen Parteien ermöglichte – denn es war klar, dass in absehbarer Zukunft keine politische Partei eine (absolute) Mehrheit erringen würde. Als der nationalistische Chauvinismus bereits unter allen parlamentarischen Parteien verbreitet war, wurde er eine bequeme Plattform für eine Koalitionsregierung.
Ursprünglich war die Hauptform dieses nationalistischen Chauvinismus, den diese Parteien propagierten, die traditionelle anti-pakistanische Rhetorik; sie erreichte einen Höhepunkt nach dem Angriff auf das Parlament 2002. Aber die Spannungen zwischen Indien und Pakistan verliefen gegen die gegenwärtigen Interessen der USA, die beide Länder zu einer Allianz mit ihren selbst bringen wollte. Mit Ende 2003 begannen die politischen Parteien Indiens, ihre anti-pakistanische Rhetorik herunter zu schrauben; sogar die BJP, die führenden Pakistan-Schläger, machten verschiedene, öffentlich verkündete Friedensinitiativen. Die wichtigsten Parteien wendeten sich einer anderen Form von Chauvinismus zu, der Projektion von Indien als einer Großmacht.
Die ökonomischen Sorgen der Menschen
Trotz dieser verschiedenen Übungen der Politik der herrschenden Klasse wurde in Indien ein anderes Thema auf dem politischen Parkett immer wichtiger, vor allem seit Ende der 90er Jahre: der wachsende Druck der ökonomischen Sorgen der Menschen. Die Wirtschaftspolitik, die 1991 eingeführt wurde, hatte schwerwiegende Auswirkungen auf verschiedene Teile des Volkes: zuerst auf die Arbeiterklasse, dann, vor allem seit 1997, auf die viel größere Bauernschaft. (Siehe Aspects 36 & 37) Die von der Weltbank befürwortete Politik wurde nach 1995 durch die Anforderungen der neu geschaffenen Welthandelsorganisation51(WTO) verschärft. Die relative Stabilität bestimmter Sektoren – mittlere BäuerInnen, organisierte Sektoren der ArbeiterInnen, ausgebildete Angestellte und LehrerInnen – verflüchtigte sich; und diejenigen, deren Existenz bereits prekär war, gingen unter.
Es dauerte, bis die Menschen erkannten, dass das, was vor sich ging, nicht eine Serie individueller Tragödien war, sondern eine breite soziale Katastrophe, die mit den politischen Parteien zusammenhing. Als sie das erkannten, drückten sie ihren Zorn aus, wie immer sie konnten, im allgemeinen, indem sie jede Partei, die an der Macht war, abwählten, vor allem auf der Ebene der (Bundes) Staaten. Unveränderlich wurde die besiegte Partei durch eine andere ersetzt, die dieselben Interessen vertrat wie die abgewählte Partei und von diesen Interessen aus gezwungen war, die gleiche Politik zu verfolgen; diese neue an der Macht befindliche Partei wiederum traf ein ähnliches Schicksal bei den nächsten Wahlen. Dieses Phänomen der letzten 15 – 20 Jahre wurde aus seinem ökonomischen und politischen Kontext herausgeschält und anti-Wahlbonus-Faktorgenannt. Tatsächlich kann darin der anhaltende Niedergang der führenden (und ehemals hegemonialen) Partei der herrschenden indischen Klasse und die Unfähigkeit jeglicher Partei, diese zu ersetzen, gesehen werden.
Bei den allgemeinen Wahlen im Mai 2004 traten die ökonomischen Bedenken der Menschen am stärksten zutage, denn die parlamentarischen Parteien selbst fühlten sich gezwungen, sie zum Thema ihrer Kampagnen zu machen. Die BJP-geführte Regierung der Mitte, die behauptete, dass Indien vor ökonomischer Prosperität strahlte, wurde von der Macht entfernt, und die aggressivsten Liberalisierer, wie Chandrababu Naidu von Andhra Pradesh, wurden haushoch besiegt.52Doch die Congress-geführte Koalition, die in den Wahlen vom Mai 2004 den Sieg errang, muss im Großen und Ganzen die selbe Politik wie ihre Vorgänger verfolgen. Jeder Versuch, das Tempo zu verringern, wird von Tadel begleitet und von Druck durch die imperialistischen Länder und den heimischen Sektor der Großunternehmer. Tatsächlich müssen sie gar nicht mehr explizit intervenieren. Nach den finanziellen Liberalisierungen der letzten 14 Jahre ist das Land jetzt extrem verwundbar gegenüber Kapitalflucht. Allein diese Tatsache würde jede populistische Übung ausschließen: Denn die benötigten Ressourcen müssten entweder durch erhöhte Steuern oder durch Budgetdefizite aufgebracht werden, und beides würde ausländische Spekulanten aufwecken und könnte zu einer plötzlichen Kapitalflucht führen.
Abnehmende Glaubwürdigkeit des Systems
Der gegenwärtigen Lage ist politische Instabilität innewohnend: die Wahlen dienen dazu, dem Sieger den Stempel eines Mandatsdurch das Volk aufzudrücken; welche Koalition auch immer gewählt wird, muss eine Politik verfolgen, die sie dem Volk entfremdet. Die darunter liegende ökonomische Realität hat den parlamentarischen Parteien ihre Glaubwürdigkeit geraubt, und macht es jeder von ihnen unmöglich, breite Unterstützung zu erhalten. Das wiederum macht es ihnen allen unmöglich, die scharfen Streitereien im Lager der herrschenden Klasse zu verhindern. In mehreren Staaten wie Uttar Pradesh und Jharkhand gibt es keine Mehrheitspartei, und die Stimmen verteilen sich auf mehrere untereinander unversöhnliche Parteien.
Immer größere Teile des Landes gelten als gestört. Wahlen sind die wichtigste Sicherheitsübung; beispielsweise werden die Wahlen in einem Staat, Bihar, auf vier Phasen verteilt unter der Aufsicht von 90.000 Sicherheitskräften durchgeführt. Während die Unruhe und die Aufstände im Nordosten und in Kashmir langfristige sind, sehen sich die Behörden nun auch mit Linksextremismusals wichtiger Bedrohung konfrontiert, mit denen sie die letzte Konferenz der Minister (19. September), Staatssekretäre und Polizeichefs rechtfertigen. Nach übereinstimmender Meinung der Behörden schaffen die darunter liegenden sozialen und ökonomischen Faktoren – Land (vor allem tribale Wälder), Beschäftigung und soziale Unterdrückung – Sympathien für den Naxalismus53. Jedenfalls ist die offizielle Antwort darauf militärisch: das wichtigste Ergebnis dieser Konferenz war die Entscheidung, in den betroffenen Gebieten eine Spezialtruppe von 1.200 Stammesangehörigen aufzustellen und 20 Millionen Rupies in die Modernisierungder Polizeikräfte zu investieren. Solch eine militärische Antwort hatte in den letzten Jahren keine Auswirkungen: Nach offiziellen Schätzungen haben sich die Naxalismus-betroffenen Gebiete in den letzten eineinhalb Jahren von 76 Bezirken in neun Staaten auf 118 Bezirken in 12 Staaten ausgedehnt. Die objektive Situation selbst ist explosiv: im letzten Jahrzehnt sind es Gebiete wie Haryana und Rajasthan, die naxalistischem Einfluss erliegen, die Militanz erlebt haben, spontane Bauernaufstände gegen die Behörden.
So sieht die innere Befindlichkeit dieser Möchtegern-Supermachtaus. Ziel der Beschreibung ist es, den Zustand der Politik der herrschenden indischen Klasse zu vermitteln, und den Zusammenhang, in dem die Führer verzweifelt nach Supermacht-Status heischen. Dieser Status folgt nicht dem objektiven ökonomischen Aufstieg Indiens. Es ist ein Titel, der geschaffen wurde, um den politischen Bedürfnissen der herrschenden indischen Klasse zu genügen. Dieses Bedürfnis kommt aus den scharfen inneren Widersprüchen der indischen Gesellschaft und dem Verlust der herrschenden Klassen, das politische Bewusstsein der Menschen zu bestimmen.
„Konsumbewusstsein kann als Großmacht angesehen werden“
Natürlich werden die Regierungen verschiedener anderer Länder vom Hype um Indiens Großmachtstatus beeinflusst. Sie halten es nicht für notwendig, ihren Standpunkt öffentlich zu vertreten, aber ihre Feststellungen in halboffiziellen oder nicht offiziellen Statements sind erschreckend klar. Im Mai 2001 kommentierte das halboffizielle chinesische Organ Outlook, dass die USA, um Indien an sich zu fesseln, zuerst Indiens psychologische Wünsche, als Weltmacht betrachtet zu werden, und nicht als Land 2. Güte, zu befriedigen trachteten. Weiters, dass die Karotte, die die USA Indien anbieten, attraktiv ist, kein Wunder also, dass Indien sich dazu verführen lässt, näher an die USA zu rücken.54
Die USA sehen das ähnlich. Eine Studie des Institutes für strategische Studien am Kriegscollege der US-Armee55spricht von Indiens Psychologie, eine Großmacht zu sein, und bemerkt offen: Indien ... hat lange um Anerkennung als mehr denn eine südasiatische Macht gebettelt und war sehr frustriert, diese nicht zu erhalten. Wichtige politische Entscheidungen wie die, 1998 nukleare Versuche durchzuführen, können diesem Bedürfnis zugeordnet werden, als Großmacht betrachtet werden zu wollen.56
Tatsächlich bemerkte Indiens eigener Minister für Wissenschaft und Technologie, Kabil Sibal, bei einer Konferenz offen: Wenn die USA im 21. Jahrhundert mit einer Veränderung konfrontiert sind, wird das nicht von Indien kommen; (aber) aus seiner Umgebung. Die USA nähern sich Indien wegen der chinesischen Herausforderung an.Er beeilte sich anzufügen, dass er nicht in seiner offiziellen Eigenschaft spreche.
In ihrer Sehnsucht nach offizieller internationaler Bestätigung ihres beanspruchten neuen Status hat die indische Regierung (sowohl unter Vajpayee als auch unter Manmohan Singh) einseitig versucht, einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erlangen. (Wie allgemein bekannt, hat die UN-Generalversammlung eher dekorativen Charakter, und nur die permanenten, nicht gewählten Mitglieder des Sicherheitsrates – die USA, Frankreich, Großbritannien, China und Russland – haben darin Macht.) In Verfolgung dieses Ziels schloss sich Indien einem Club an, dessen andere Mitglieder Deutschland, Japan und Brasilien sind, zusammen die Gruppe der 4. Aber der Vorschlag der G-4 benötigt die Unterstützung von zwei Drittel der Generalversammlung; bisher ist es ihr nicht gelungen, die Unterstützung von mehr als einer Handvoll Ländern zu erhalten. Die USA verwarfen den Vorschlag der G-4 und sagten, sie unterstützen lediglich einen permanenten Sitz für Japan und vielleicht ein weiteres Land (ohne auszuführen, welches Land gemeint ist).
III. Von Zentralasien zum Golf zum Südchinesischen Meer
2001 enthüllte Außenminister Jaswant Singh bei einer Reise in die USA einem Interviewer, was er als Indiens Einflusssphäreerachtet:
Lange Zeit wurde Indien nicht in seinem wahren Ausmaß gesehen. Wie viele Leute wissen, dass Indonesien nur 65 Meilen von der südlichsten indischen Insel entfernt ist? Oder dass wegen PoK (Pakistan-occupied Kashmir, von Pakistan besetzter Kashmir) Tadschikistan bloß 27 Meilen von Indien entfernt liegt. Dass wir 1947 eine Grenze mit dem Iran hatten? Oder dass das Zahlungsmittel in Kuweit bis 1938 die Rupie war? Wenn wir also über Indonesien oder Zentralasien oder den Golf sprechen, so tun wir das, weil es unser Interesse und unsere Einflusssphäre ist.58
Diese grandiose Vision, die in keinem Zusammenhang mit der aktuellen ökonomischen Stärke oder dem politischen Einfluss Indiens steht und die arrogant gegenüber anderen Ländern der Region ist, wurde zur Grundlage der indischen Militärpolitik. Im November 2003 unternahm die Regierung Vajpayee ein 20-Jahres-Programm, um eine Weltmacht zu werden, deren Einfluss im Indischen Ozean, dem Arabischen Golf und in ganz Asien spürbar ist.59Das beinhaltete die Errichtung eines Luftwaffenstützpunktes in Tadschikistan; die Einrichtung militärischer Beziehungen bzw. Zusammenarbeit mit einer Reihe von Ländern von Zentralasien, dem Golf, Südafrika und Südostasien; die Ausweitung der Infrastruktur, Logistik- und Materialversorgung an Myanmar als Gegengewicht zu den chinesischen Aktivitäten dort; und den Erwerb der militärischen Infrastruktur, um in seiner Einflusssphäredie Macht zu haben.
Eine Schlüsselrolle in diesem Programm spielt die indische Marine. Das wird eine massive Ausweitung der indischen Marine erfordern. Am 14.10.2003 sagte Admiral Singh, Chef der indischen Marine, dass die Erfüllung des indischen Traums, eine ausgewachsene Marine zu besitzen, mindestens drei Flugzeugträger, 20 weitere Fregatten, 20 weitere Zerstörer mit Hubschraubern und eine große Anzahl an Raketen-Korvetten und Anti-U-Boot-Korvettenerfordert.60Das Einkaufsprogramm der Marine 2003 fasste Ausgaben von schwindelerregenden 20 Milliarden Dollar (über 900 Milliarden Rupien) ins Auge, um Schiffe und Flugzeuge zu kaufen sowie diese mit Raketen und (Waffen-) Systemen auszurüsten.61
Bezeichnenderweise hat Indien sein Flottenkommando reorganisiert, um ein fernöstliches Marinekommando (Far Eastern Naval Command– FENC) vor Port Blair auf den Andaman-Inseln zu schaffen. Die Andamanen und die Nikobaren liegen 1.200 Kilometer vom indischen Festland entfernt, aber bloss 90 Kilometer von Indonesien und 50 Kilometer von Myanmar. Das FENC, wenn es 2012 voll entwickelt sein wird, wird eine Kette kleiner Ankerstationen und drei Hauptbasen haben; es wird tatsächlich größer sein als die ehemalige US-Basis auf den Philippinen bei Subic Bay. Es wäre ausgerüstet mit modernsten Marineelektronik-Kriegssystemen, die bis ins ferne Südostasien reichen. Im Dezember 2003 kündigte Indien an, dass es Basen auf den Andamanen und Nikobaren mit Kampfflugzeugen, Flugzeugen zum Auftanken in der Luft und etwa 100 unbemannten Lang-, Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen zur Überwachung der Entwicklung von Myanmars Coco-Insel-Basis verstärken werde. Die indische Luftwaffe plant die Errichtung einer Luftwaffenbasis auf den südlichen Nikobaren.62
Mehr noch, die Marine würde nicht nur die Meere patrouillieren: sie hätte die Kapazitäten, Kräfte in Bataillonstärke63an verschiedenen strategischen Punkten ... kurzfristig zu schaffen und einzusetzen, und sie rasch von der Landungs- oder Absetzzone aus zu verteilen, ehe ein angemessener Feind antworten kann.64Mit anderen Worten, das Programm sieht die Fähigkeit vor, Interventionstruppen in Ländern in Indiens Einflusssphäreeinzusetzen.
Indien plant weiters, ein U-Boot zu kaufen oder zu konstruieren, das Nuklearraketen abschießen kann, Flugzeuge und Langstreckenraketen, die Ziele 2.500 Kilometer entfernt treffen können – das heißt, mit der Fähigkeit, China anzugreifen.65Laut einem Bericht:
Indien plant zukünftige Käufe auf Basis eines Szenarios eines Konflikts mit China, sagt ein Beamter des Verteidigungsministeriums. Die Agni-3 Rakete mit nuklearen Fähigkeiten mit einer Reichweite von 3.000 Kilometern ist bereits im Teststadium, und die indo-russische BrahMos anti-Schiffs-Cruise Missile mit einer Reichweite von 290 Kilometern wird 2005 in den Dienst der indischen Marine gestellt, sagte der Beamte. Die Luftwaffe erhielt ebenso ihr fünftes Il-78 Flugzeug für Betankung in der Luft aus Usbekistan, die es ermöglichen wird, dass Su-30MKI und Mirage 2000-H-Kampfflugzeuge tief nach China hinein fliegen werden können.66
Das alles spiegelte sich in der neuen Marine-Doktrin der Vajpayee-Regierung vom Mai 2004 (kurz bevor sie die Macht verlor) wider, dem– laut der bereits zitierten Studie des US War College vielleicht signifikantesten Statement der indischen Verteidigungspläne:
Während Indiens frühere Doktrin auf nach innen gewandte Strategien fokussiert waren, unternimmt es die neue Doktrin , Konflikte mit außerregionalen Mächten und den Schutz von Personen indischer Herkunft und mit indischen Interessen im Auslandzu behandeln, Punkte, die klar Aktionen gegen China und den Golf nahelegen ...67
Die Studie bemerkt die rasche Akzeptanz dieser Doktrin durch die Regierung Manmohan Singh, die den Konsens der Elite über die indischen nationalen Sicherheitsziele signalisiert.
Der Preis der aufgeblasenen Ambitionen
Ansprüche auf einen Großmachtstatus kommen nicht billig. Indiens offizielle Ausgaben für Militär68stiegen von ungefähr 490 Milliarden Rupien (11,6 Milliarden Dollar) 1998/99 auf 680 Milliarden (14,2 Mrd. Dollar) 2001/02 und auf 900 Mrd. (20 Mrd.) 2004/05. Für 2005/06 wurden 970 Mrd. (21,5 Mrd.) budgetiert – eine Verdoppelung innerhalb von sieben Jahren. Der Kapitalaufwand für das Militär (d.h. vor allem Waffenbeschaffung) stieg von 2,4 Mrd. Dollar 1998/99 auf 3,4 Mrd. 2001/02, dann verdoppelte er sich auf 7,4 Mrd. 2004/05. Für 2005/06 sind 7,6 Mrd. Dollar budgetiert. Nach dem November 2003 (der Veröffentlichung des 20-Jahres-Programms zur Erlangung des Weltmachtstatus) und Mai 2004 (der Annahme der Marine-Doktrin) geht die Kurve steil nach oben.
Angeblich besteht rund die Hälfte von Indiens Verteidigungsausgaben aus Importen. Das Internationale Friedensinstitut (International Peace Research Institute– SIPRI) in Stockholm beziffert Indiens Waffenimporte in den letzten sechs Jahren mit 9,5 Mrd. Dollar, womit es in dieser Zeit hinter China zweitgrößter Importeur der Welt war. SIPRI stellt fest, dass sich Indiens Waffenimporte 2003 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt haben, seit 2000 gab es einen konstanten Anstieg. 2003 errang Indien den zweifelhaften Titel, größter Waffenimporteur der Welt zu sein, es war für 19% der weltweiten Waffenimporte verantwortlich.
Für 2005 sollen (projektierte) 3 Milliarden Dollar dazu kommen. Heuer, sagt India Today (11.4.2005), beginnt eine neue Runde von Waffenkäufen, die konservativ auf über 15 Mrd. Dollar geschätzt werden.Die Liste der dringend benötigten Waffen beinhaltet 126 multifunktionale Kampfflugzeuge (laut verschiedenen Berichten 6 bis 9 Mrd. Dollar),696-Scorpene-U-Boote (4,4 Mrd.), acht P-3C Orion weitreichende Seepatrouillen- und Kampfflugzeuge (ca. 3 Mrd.) sowie Mirage-Kampfflugzeuge, Luftabwehrraketen, Mehrfachraketenwerfer und so weiter.
Bezeichnenderweise hat dieser steile Anstieg bei Indiens Militärausgaben keinen Zensor seitens der Weltbank auf den Plan gerufen, die so heftig nach der Senkung der Regierungsausgaben schreit (was als Fiskaldefizitbezeichnet wird). Erwägt man die Tatsache, dass zwischen 1998/99 und 2004/05 Indiens Militärausgaben um ca. 410 Mrd. Rupien stiegen, während das Fiskaldefizit um ca. 260 Mrd. anstieg, bedeutet das, die gestiegenen Militärausgaben waren für mehr als den gesamten Anstieg des Budgetdefizits verantwortlich.
Man könnte argumentieren, dass die Stille seitens der Weltbank der Tatsache geschuldet ist, dass die Waffenproduzenten der imperialistischen Länder dabei große Aufträge durch Indien gewinnen. Im Speziellen sind die USA besorgt, dass sie den Zug nicht verpassen: Botschafter David C. Mulford stellt unverblümt fest, dass die USA, die (bei den indischen Waffenkäufen) einen kleinen Marktanteil halten, vorhaben, hier ein wichtiger Spieler zu werden.70
Tatsächlich zeigten US-Firmen bei der Flugzeugschau in Bangalore im Februar 2005, während der das US-India Business Council(USIBC) seine zweite Verteidigungsmission in diesem Jahr in Indien abhielt, starke Präsenz; die Mission beinhaltete alle führenden US-Waffenschmieden.71
US-Unternehmen mögen ihre Waren für den neuen Kunden ausbreiten, aber es ist die US-Regierung, die den deal entscheiden wird. In der US-Verteidigungsindustrie müssen Arbeitsplätze gesichert werden, sagte Mulford, und sie wäre sehr glücklich, in Geschäftsbeziehungen eintreten zu können.72Seine Regierung werde ein konzertiertes Angebot machen, um den indischen Auftrag über 126 Kampfflugzeuge zu erhalten, und werde den indischen Verteidigungsbehörden etwas vorlegen, das billiger und besser ist und sehr schwer abzulehnen sein wird. Wir sollten auf diesem Markt ein Mitspieler sein, sagte Mulford, wir machen die besten Produkte und wir sollten konkurrenzfähig sein.73
Während Mulford über Konkurrenzspricht, stellt das Neue Gerüst für die US-indischen Verteidigungsbeziehungen, das am 28.6.2005 vom indischen Verteidigungsminister Pranab Mukherjee und US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld unterzeichnet wurde, fest, dass die Basis für eine derartige Auswahl nicht Preis oder Qualität der amerikanischen Waffen sein werden. Indiens Ankauf US-amerikanischer Waffen wird vielmehr als Mittel der Einrichtung der strategischen Partnerschaftbetrachtet:
In Verfolgung dieser gemeinsamen Vision einer erweiterten und vertieften US-indischen strategischen Partnerschaft werden unsere Verteidigungseinrichtungen ... beidseitig (sic) den Verteidigungshandel zwischen unseren Ländern ausbauen. Die USA und Indien werden daran arbeiten, Verteidigungstransaktionen abzuschließen, nicht nur aus Selbstzweck, sondern als Mittel, um die Sicherheit unserer Länder zu erhöhen, zur Einrichtung unserer strategischen Partnerschaft ...
In Erkenntnis der sich erweiternden Breite und Tiefe der US-indischen strategischen Verteidigungspartnerschaft errichten wir somit die Gruppe zur Beschaffung und Produktion von Verteidigungsmitteln (Defence Procurement and Production Group) ... die den Verteidigungshandel ebenso überwachen wird wie sie einen Ausblick auf Co-Produktion und technologische Zusammenarbeit bieten wird ...
Während der US-Reise von Manmohan Singh im Juli 2005 erklärte das Pentagon der Presse, dass es Aufträge über konventionelle Waffenlieferungen an Indien in Höhe von 7 Mrd. Dollar erwarte.
IV. Warum die USA die indischen Großmachtambitionen fördern
Während die US-Regierung immer daran interessiert ist, große Verträge für amerikanische Waffenproduzenten zu sichern, erklärt das nicht ihre Entscheidung, wie Condoleeza Rice es ausdrückt, Indien zu einer Weltmachtzu machen. Diese Entscheidung wird von breiteren strategischen Erwägungen diktiert.
Erstens sind die USA über Indiens Ambitionen nicht besorgt: sie wissen, dass Indien es nicht schafft, unabhängig seine Macht über Asien auszudehnen. Beispielsweise können Indiens Pläne für eine schnelle Eingreiftruppe, die sofort in Länder entlang der Küste des Indischen Ozeans verlegt werden kann, nicht ohne schnelle, weitreichende Flugzeuge mit der Möglichkeit, diese in der Luft zu betanken, ein luftgestütztes Frühwarnsystem und ein Luftkommando, Angriffshubschrauber und einen (Hubschrauber-) Träger zusätzlich zur INS Virat74verwirklicht werden. Ein wichtiger Teil davon müsste aus den USA importiert werden.75Jegliche ausgeführte Intervention im Ausland würde eine noch größere Infrastruktur benötigen, an der es Indien mangelt. (Tatsächlich sind nicht einmal die europäischen Länder mit der Infrastruktur für ein längerfristiges militärisches Projekt, unabhängig von den USA, ausgerüstet. Das zeigte sich während der Balkankrise, als sie gezwungen waren, sich letztendlich an die USA zu wenden, damit diese intervenierten.)
Darüber hinaus können angesichts der Ausgeglichenheit der militärischen Stärke Indiens Anstrengungen, mehr Macht zu erreichen, nicht gegen den Widerwillen der USA umgesetzt werden. Tatsächlich gestand Vajpayee angeblich ein, dass die strategische Partnerschaft mit den USA essenziell für sein 20-Jahres-Programm sei, um den Supermachtstatus zu erreichen: anders wäre Indiens Fähigkeit, im Ausland Macht und Einfluss zu gewinnen, schwer gefährdet.
Der zweite Grund für die USA, Indiens Ambitionen zu fördern, liegt darin, dass das den Interessen der USA entspricht. Das wird in brutaler Offenheit zumindest von drei US-Quellen bestätigt:
Die erste ist ein Bericht des US-Verteidigungsministeriums vom Oktober 2002 mit dem Titel Die indisch-amerikanischen Militärbeziehungen: Erwartungen und Auffassungen77. Der Bericht basiert auf Interviews mit 42 Amerikanern, die Schlüsselstellungen einnehmen, darunter 23 aktive Militäroffiziere, 15 Regierungsbeamte und vier weitere Personen; sowie 10 aktive indische Militäroffiziere, fünf indische Regierungsbeamte, mehrere Mitglieder des nationalen Sicherheitsrates sowie außenstehende Experten, die als Berater für die indische Regierung tätig sind.78Die zweite Quelle ist das Schreiben von Ashley J. Tellis, einem früheren Mitarbeiter von Robert Blackwill (2001 – 2003), als dieser Botschafter in Indien war; er wird zur Zeit als ein wichtiger politischer Analytiker der USA bezüglich Indien betrachtet.79Die dritte Quelle ist eine Studie vom September 2005 von Stephen Blank vom Institut für strategische Studien (Strategic Studies Institute)des US Army War College (Kriegscollege der US-Armee), er wurde bereits zitiert.
Der Zusammenhang: weltweite strategische Perspektiven der USA
Der Zusammenhang für diese Studien ist die Situation des US-Imperialismus heute, und seine gegenwärtige, weltweite Perspektive. Wir haben darüber in Behind the Invasion of Iraq (Was hinter der Invasion des Irak steckt) in Aspects 33 & 34 geschrieben, und werden dieses Argument hier lediglich zusammenfassen.
Oberflächlich scheint es, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die USA keine ernsthafte Herausforderung für ihre globale Hegemonie sehen. Ihre Militärausgaben betragen die Hälfte der weltweiten Ausgaben; rund 3,5mal so viel wie die Summe der restlichen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates (China, Russland, Großbritannien, Frankreich); und doppelt so viel wie die sechs nächstgrößten Einkäufer auf der Welt (Russland, Frankreich, Japan, Deutschland, Großbritannien und China – sogar wenn man annimmt, dass die aktuellen Militärausgaben Chinas doppelt so hoch sind, wie offiziell angegeben). Die USA sind das einzige Land mit der Infrastruktur und den Kräften, um langfristige Militärprojekte zu initiieren, und deshalb Kriege im Ausland führen können, wie sie es gegenwärtig im Irak und in Afghanistan machen. (Länder wie Frankreich und Großbritannien können relativ kleine Interventionskräfte aufbringen, um Operationen gegen zweitklassige Gegner, sagen wir in Afrika durchzuführen.)
Aber es ist die ökonomische Macht, die letztlich die Militärmacht aufrecht erhält, und die Macht der USA ist an ihrer ökonomischen Basis fragil. Der Anteil am Welteinkommen der USA ist von der Hälfte in den 50er Jahren auf 21% heute gefallen; ihr Anteil an Produktion von 60% im Jahr 1950 auf 25% im Jahr 1999; ihr Anteil an den Weltreserven für ausländische Direktinvestitionen von 47% im Jahr 1960 auf 21% im Jahr 2001.80
Zweifellos heißt es, die US-Ökonomie sei gut in Schuss. Aber das ökonomische Wachstum der USA wird heute nur durch eine systematische und massive Expansion von Konsum- und Regierungskrediten aufrechterhalten. Ein zunehmender Anteil an Gütern und Dienstleistungen wird importiert. Deshalb ist die Bilanz der USA – die Bilanz zwischen den Einnahmen eines Landes und seinen Ausgaben für Handel mit Waren und Dienstleistungen, sowie das Einkommen aus Investitionen – seit zwei Jahrzehnten defizitär, und gerät nun, mit fast 668 Milliarden Dollar im Jahr 2004, außer Kontrolle. Die Zahl für 2005 wird noch höher sein. Diese Differenz wurde mit ausländischen Krediten verdeckt, was die USA zum weltgrößten Schuldner macht.
Das gigantische Defizit der USA beruht darauf, dass sie mehr als 70% der Weltersparnisse aufsaugen. Andere Länder legen ihre Ersparnisse aus drei Gründen in den USA an: weil die USA die weltdominierende imperialistische Macht sind; weil der US-Dollar immer noch die führende Währung für den internationalen Zahlungsverkehr ist; und weil viele dieser Länder verhindern möchten, dass der Dollar fällt, weil die USA ihr Hauptexportmarkt sind.
Aber dieses Spiel kann nicht endlos weitergehen, denn die Schulden müssten in Zukunft mit immer größeren Teilen des amerikanischen Nationaleinkommens bedient werden. Internationalen Investoren und Zentralbanken ist das bewusst, und sie denken darüber nach, ihre Investitionen anderswohin zu verlagern. Wenn das geschieht, würde der US-Dollar fallen, die US-Zinsen würden steigen, und die US-Ökonomie stünde vor der Gefahr des Zusammenbruchs.
Das US-Militär spielt eine Schlüsselrolle, um dies zu verhindern. Es schützt den Status der USA als dominierende imperialistische Macht weltweit und deshalb als sicheren Hafen für das Weltkapital. Es stellt sicher (beispielsweise durch die Invasion im Irak und die Bedrohung anderer Staaten), dass der Großteil des Welterdölhandels weiterhin in US-Dollar abgerechnet wird. Es hält die physische Kontrolle über die meisten entscheidenden Weltressourcen (wie Öl) aufrecht sowie über die Handelsrouten – Trumpfkarten, die gegen Rivalen ausgespielt werden, die ihre Hegemonie bedrohen. Es kann auch potentielle Rivalen mit Waffengewalt herausfordern, und so ihre Ökonomie unterwandern.
Das US-Militär ist aber zunehmend verwundbar. Einmal muss es den gesamten Globus abdecken, und überall auf Widerstand abklopfen, denn seine Vorherrschaft beruht genau auf der Unfähigkeit jeglicher anderer Macht, sich verteidigen zu können; es ist in einem Zustand permanenten Krieges. Tatsächlich ist es, eben weil es überall interveniert, um seine Vorherrschaft zu schützen, das erste Ziel antiimperialistischer Kräfte weltweit.
Zweitens, während das US-Militär gut ausgerüstet ist, um konventionelle, stehende Armeen niederzuringen, ist es schwach gegen Guerillawiderstand oder Volksaufstände. Die frühere Befreiung Vietnams und der gegenwärtige irakische Widerstand haben das bewiesen. (In solchen Fällen liegt die einzige Hoffnung in der Manipulation ethnischer Spannungen.)
Drittens ist eines der Vermächtnisse des großen vietnamesischen Kampfes, dass die herrschenden Klassen in den USA nun politische Konsequenzen daheim fürchten, wenn es viele Gefallene beim Militär und Zwangsrekrutierungen gibt. Deshalb sind die US-Streitkräfte viel kleiner, als sie für die globale Hegemonie sein sollten. Die USA mögen schlussendlich Zwangsrekrutierungen (allgemeine Wehrpflicht) durchführen, aber sie müssten einen hohen innenpolitischen Preis dafür bezahlen.
Neue US-globale Verteidigungsstellung
Um ihre Hegemonie über verschiedene und sich verlagernde Gegner aufrecht zu erhalten, haben die USA ein riesiges Netzwerk von Militärbasen angelegt. Die schnelle Vermehrung neuer Basen hat die US-Kräfte noch dünner gemacht. 2003 kündigte das Pentagon eine neue Politik bezüglich der Basen an, wobei es 35% der großen Basen, die nach dem Kalten Krieg angelegt wurden (und auf einen Krieg gegen die Sowjetunion ausgerichtet waren) schließen wird und Truppen in großer Anzahl auf kleine Basen entlang der von ihnen so genannten Achse der Instabilitätin Westasien und Zentralasien verlegen wird. Diese lily-padBasen (forward operating sites)würden minimale ständige Einrichtungen haben und mobilen Truppen dienen, die nach Bedarf aus den USA gesandt würden.81
Diese neue globale Verteidigungsstellunghängt mit den neuen Bedürfnissen der globalen US-Hegemonie zusammen:
Während des Kalten Krieges wussten wir genau, wo die Hauptrisiken und Kämpfe sein würden, deshalb konnten wir die Leute genau dort postieren, sagte Douglas Feith, Staatssekretär für Verteidigungspolitik, nun operieren wir nach einem völlig anderen Konzept ... Wir müssen fähig sein, die gesamte Palette militärischer Operationen (von Kampf- bis friedenserhaltenden Einsätzen) überall in der Welt rasch umzusetzen.Das Pentagon sucht nach maximaler Flexibilität in den Jahrzehnten, als Antwort auf Terrorismus und andere potentielle Bedrohungen, darunter die Ölversorgung. Deshalb möchten die Militärs eine Reihe von Basen und Abkommen mit so vielen Ländern wie möglich und in so vielen Regionen wie möglich.82
Neben Hauptoperationen und lily-padswird es noch andere Anlagen geben, genannt gemeinsame Sicherheitsanlagen (cooperative security locations). Mit keiner oder minimaler permanenter US-Anwesenheit werden diese von dem Vertragspartner oder Personal der Gastnationunterhalten. Die USA möchten eine freie Hand, um diese Anlagen nach ihren Wünschen nutzen zu können:
Feith sagte, das Pentagon möchte die Art von Umwelt- oder politischen Zwängen vermeiden, die in den vergangenen Jahren die Optionen für Training und Stationierung von US-Truppen in Europa beschränkt haben. Wenn Länder uns diese Art von Restriktionen auferlegen, die bedeuten, dass wir den Zweck nicht erfüllen können, Truppen dort zu stationieren, dann müssen wir darüber nachdenken, ob wir dort Truppen stationieren sollen.83
Die Notwendigkeit von Basen und Trainingsanlagen in Indien
Die Studie des US Kriegscollege, die sich auf Diskussionen bezieht, die ihr Autor mit Vertretern unterschiedlicher militärischer Dienste im US Pacific Commandhatte, stellt fest:
Wir müssen handfeste indische Unterstützung erhalten, denn unsere strategischen Interessen und Ziele sind global, während das Militär und andere Mittel, die uns zur Verfügung stehen, um diese umzusetzen, keine friedensstiftenden sind ... Amerikanische Stellungen bleiben gefährlich dünn gestreut in diesem Bogen – viele tausende Meilen auseinandergezogen – zwischen Diego Garcia im indischen Ozean und Okinawa und Guam im Pazifik.84
Die US’s Quadrennial Defense Review (QDR)von 2001 erklärte offen die Notwendigkeit von mehr Streitkräften und Basen in Asien wegen der Ausweitung der Bedrohungen dort im Spektrum der Konflikte. Der Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums Peter Brookes sagte 2002 zum Kongress:
Entfernungen im asiatischen Theater sind lang, und die Dichte der US-Basen und Infrastruktur vor Ort ist niedriger als in anderen kritischen Regionen. Noch dazu haben die USA weniger Zusicherungen zum Zugang zu den Anlagen in der asiatisch-pazifischen Region als in anderen Regionen. Die QDR bestimmt deshalb die Notwendigkeit zusätzlicher Abkommen bezüglich Zugang und Sicherheit der Infrastruktur.85
Amerikanische Offiziere, sagt MacDonald,
sind offen in ihren Plänen, eventuell Zugang zu indischen Basen und militärischer Infrastruktur zu suchen. Indiens strategische Lage in der Mitte Asiens, nahe den oft befahrenen Meereswegen, die den Mittleren Osten und Ostasien verbinden, macht Indien speziell attraktiv für das US-Militär.
Der US-Leutnant-General MacDonald sagte, dass der Zugang zu Basen in Indien es den US-Militärs ermöglichen würde, fähig zu sein, den Rest der Welt zu erreichenund rasch auf regionale Krisen zu reagieren. Darüber hinaus brauchen die USA für den Fall, dass traditionelle Verbündete (d.h. Japan, Südkorea und Saudi-Arabien) jemals verbittert werden oder zusammenbrechen, oder im Fall, dass sie den USA den Zugang zu ihren Basen verwehren, Alternativen in Asien. Indien ist die optimale Wahl.
Ein amerikanischer Colonel erzählte MacDonald, dass
die US-Navy ein relativ neutrales Territorium möchte, am anderen Ende der Welt, das Häfen und Unterstützung für Operationen im Mittleren Osten bieten kann. Indien hat nicht nur eine gute Infrastruktur, die indische Marine hat bewiesen, dass sie US-Schiffe reparieren und tanken kann. Mit der Zeit müssen Hafenbesuche ein natürliches Ereignis werden. Indien ist ein lebensfähiger Spieler bei der Unterstützung aller mariner Missionen, darunter Eskortierung und Antwort auf regionale Krisen.
Indien hat bereits Hafeneinrichtungen für an der Invasion und Besetzung von Afghanistan und dem Irak beteiligte US-Kräfte zur Verfügung gestellt. Mehr noch, es hat den USA für die Benutzung von Basen auf Sri Lanka grünes Licht gegeben:
Trotz jahrelanger Versuche zu verhindern, dass irgendein anderer Staat in die Nähe von Diego Garcia und die Basis und den Hafen von Trincomalee in Ost-Sri Lanka kommt, hat Indien zugunsten der US Navy agiert, um sicherzustellen, dass diese Zugang zu diesen Häfen erhält und hat Washington Zugang zu seinen eigenen Häfen im Rahmen des globalen Krieges gegen den Terror (Global War on Terror– GWOT) angeboten. Im Gegenzug hat Washington erfolgreich Druck auf die Tamil Tigers in Sri Lanka ausgeübt, damit diese in Friedensgespräche mit der Regierung von Sri Lanka eintreten ... Zugang zu diesen Basen im indischen Ozean ... ist extrem wertvoll für Operationen und Missionen vom Mittleren Osten bis Südostasien und könnte ebenso als Abtesten der marinen Ambitionen Chinas im indischen Ozean dienen ... Darüber hinaus erfreuen sich US-Schiffe derzeit eines Von-Fall-zu-Fall-Zugangs zu indischen Basen.86
Die Angriffe in den USA am 11.9. und Indiens übereifriges Angebot seiner Basen für die Invasion von Afghanistan haben einen Wendepunkt markiert. Davor legte etwa einmal in drei Jahren ein US-Navy-Schiff in Indien an; nun gibt es laut einem Offizier des US-Pazifik-Kommandos regelmäßige Reisen. Vor dem 11.9. hätte die indische Regierung keine bewaffneten US-Truppen auf seinem Boden zugelassen, so beim Erdbeben in Gujarat. Heute, nach dem 11.9., hat das US-Militär vollen Zugang, sagt MacDonald.
Die USA möchten auch Trainingsanlagen in Indien; laut MacDonald hat Indien eine Vielfalt von Landschaften, von eisbedeckten Bergen bis zu Wüsten, und es würde den Amerikanern helfen, denn militärische Trainingsmöglichkeiten in den USA werden eingeschränkt und zunehmend Gegenstand von Kontroversen. Und für die US-Navy ist das Training mit der indischen Marine der beste Weg, in der Region des indischen Ozeans kampffähiger zu werden.
Indische bewaffnete Kräfte übernehmen die niedrigenAufgaben
Die USA benötigen nicht nur indische Anlagen, sondern auch die Dienste der indischen Streitkräfte selbst. Laut Ashley Tellis wäre deren Rolle untergeordnet, aber für die USA hilfreich:
In denjenigen asiatischen Gebieten, die für die vitalen Interessen der USA von kritischer Bedeutung sind, würde das das Engagement der US-Kräfte rechtfertigen, darunter wenn notwendig Druck auf unilateraler Basis, Indien wird ein Nebenakteur bleiben. Aber wenn seine Fähigkeiten anwachsen, wird sein Einfluss ebenso wachsen, wenn auch begrenzt. Und dieser Einfluss kann helfen, bilaterale Interessen voranzutreiben, wenn die Beziehungen mit New Delhi geschickt gemanaged werden.87
In diesen kritischen Gegenden, schreibt er, werden die enormen Unterschiede in den Durchsetzungsmöglichkeiten und Ressourcen zwischen Washington und New Delhi in so krassem Gegensatz stehen, dass die indischen Präferenzen untergehen werden.Doch selbst in einem solchen Fall könnte die indische Macht dramatisch vergrößert werden, wenn es gemeinsam mit den USA vorgeht. Unter solchen Umständen könnten die indischen Ressourcen helfen, die Last der USA bei den Operationen zu mildern ...
Und weiter unterstreicht er, dass den indischen Kräften Aufgaben in Gegenden bzw. bei Gelegenheiten zugewiesen werden könnten, die den USA keiner direkten Intervention würdig erscheinen:
Die indische Macht wird vor allem relevant in denjenigen geographischen Gegenden/bei denjenigen Punkten an den Zwischenräumen der asiatischen Geopolitik ... In diesen Gebieten sind die Interessen von Großmächten weder offensichtlich noch vital. Deshalb ist der Anreiz für sie, sich dort zu engagieren, gering. Unter solchen Umständen können aufstrebende Mächte wie Indien einen Unterschied machen, denn ihre beachtenswerten, wenn noch immer nicht dominierenden Kapazitäten können die Balance zugunsten einer Koalition oder einer anderen verändern ...
MacDonald schlägt vor, dass Indien niedrige Operationenübernimmt:
Das US-Militär sucht nach einem kompetenten Militärpartner, der mehr Verantwortung für einfache Operationen in Asien übernimmt, wie friedenserhaltende Operationen, Aufspüren und Rettung, humanitäre Hilfe, Katastrophenhilfe und Begleitschutz bei hochwertigen Transporten würde dem US-Militär erlauben, seine Ressourcen auf komplizierte Kampfmissionen zu konzentrieren.
Der Kandidat, der sich am ehesten für eine solche Partnerschaftanbietet, ist die indische Marine. Eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Marinen begann nach den Vorfällen vom 11.9.2001 in den USA. Sechs Monate lang fuhr die indische Marine gemeinsame Patrouillen mit der US-Navy, um Handelsschiffe zu eskortieren und den stark befahrenen Seeweg vom nordarabischen Meer zur Straße von Malakka zu patrouillieren.
Diese Episode schuf einen brauchbaren Präzedenzfall. MacDonald sagt, dass Marineoperationen eines der viel versprechendsten Gebiete von Dienst-mit-Dienst-Kooperationen sind.Denn die indische Marine ist der einzige indische Dienst, der so organisiert ist, dass er außerhalb der indischen Grenzen operieren kann. Das würde weniger politische Opposition in Indien bringen; mit den Worten eines US-Admirals: Die Navy könnte der einfachste Weg sein, um bei der Kooperation weiter zu kommen, denn die US-Navy hinterlässt in Indien keine Fußspuren. Übungen werden außerhalb der Sichtweite durchgeführt, ohne US-Truppen am indischen Festland.
Das Neue Rahmen-Abkommen vom Juni 2005 erwähnt besonders – unter anderem – dass indische und amerikanische Militärs gemeinsame und kombinierte Übungen und Austausche durchführen werden; dass sie gemeinsame Antworten auf desaströse Situationen finden werden; und dass sie bei multinationalen Operationen und friedenserhaltendenOperationen zusammenarbeiten werden. Man beachte, dass die Vereinten Nationen nicht erwähnt werden; diese Operationen werden offensichtlich nicht einmal formell unter deren Banner durchgeführt werden. Das ist Teil der systematischen Bemühungen der USA, Katastrophen und regionale Konflikte zu nutzen, um ihre Truppen und ihre Alliierten in Situationen, zu denen sie früher keinen Zugang erhalten hätten, einzuführen. Das gemeinsame Statement vom 18.7.2005 zwischen Manmohan Singh und George Bush spricht von einer neuen amerikanisch-indischen Hilfsinitiative auf Grundlage der Erfahrung der Hilfsgruppe beim Tsunami. Diese Gruppe, in der auch Indien war, wurde später aufgelöst und ihre Tätigkeit der UNO unterstellt, aber trotzdem konnten die USA die Katastrophe nutzen, um ihre Truppen und Ausrüstung in die indonesische Provinz Aceh und nach Sri Lanka zu bringen (im letzteren Fall sandten sie 1.500 Marines und ein Amphibien-Kampfschiff für humanitäre Zwecke).
Weitergabe-Sicherheitsinitiative: Verletzung internationalen Rechts
Das Neue Rahmen-Abkommen vom 28.6.2005 erwähnt auch, dass die USA und Indien zusammen arbeiten würden, um die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen zu bekämpfen. Tatsächlich soll Indien Teil einer von den USA geführten Weitergabe Sicherheitsinitiative(Proliferation Security Initiative – PSI) werden, eine gefährliche und illegale Entwicklung. Die PSI ist kein Abkommen und keine Organisation, sondern eine informelle Koordination einer Gruppe von Staaten, ohne bindende Regeln, unter dem Banner, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen(weapons of mass destruction - WMDs)zu verhindern. Unter Ignorierung der Vereinten Nationen ruft das PSI die teilnehmenden Staaten dazu auf, WMDs, WMD-Liefersysteme und verwandtes Materialin oder aus Staaten, bzw. diejenigen, die diese Waffen verbreiten, zu verhaften (der Ausdruck interdictverbieten– wird verwendet).88
Liefersystememeint vermutlich Raketen und ähnliches; der Ausdruck verwandtes Material (related material)ist aber so vage, dass sogar Material zur Herstellung von Kunstdünger auf dieser Grundlage beschlagnahmt werden könnte, weil es zur Produktion von WMDs verwendet werden könnte. Während der Sanktionen gegen das irakische Regime (1991 – 2003) wurde dem Irak einmal verboten, Bleistifte zu importieren mit der Begründung, sie enthielten Graphit, das in der Waffenproduktion verwendet wird.89
Aufgrund ihrer eigenen Initiative und ohne die Sanktionierung internationalen Rechts können die PSI-Teilnehmer jedes Schiff in ihren Gewässern entern und durchsuchen, ja sogar auf hoher See (d.h. außerhalb der Hoheitsgewässer eines anderen Staates), das ausreichend verdächtigt wird, solche Güter zu befördern, und deren Fracht beschlagnahmen. Sogar Flugzeuge die berechtigterweise verdächtigt werden, solche Güter zu befördern, könnten zur Landung gezwungen und ihre Fracht beschlagnahmt werden. (Was wären die Konsequenzen, wenn sich ein solches Flugzeug weigerte zu landen? Vermutlich könnte es abgeschossen werden aufgrund der Verdächtigung, Güter für WMDs zu transportieren.)
So wie bei der farcenhaften Behauptung der USA bezüglich Massenvernichtungswaffen des Irak, die die Rechtfertigung für die Invasion bildete, würden die Behauptungen des PSI keiner Prüfung einer internationalen Körperschaft unterliegen, sondern könnten auf US-Geheimdiensterkenntnissenbasieren (man beachte die Formulierung: ausreichend verdächtig). Nachdem nach internationalen Recht Aktionen wie die oben beschriebenen als kriegerische Akte verstanden werden, könnte Indiens Beitritt zum PSI gravierende Konsequenzen haben.
Vor etwas mehr als einem Jahr, als US-Außenminister Colin Powell auf Indien Druck machte, dem PSI beizutreten, äußerten höhere indische Beamte ernsthafte Bedenken bezüglich dessen Legalität.90Nun aber scheint Indien auf Kurs zu sein, um Mitglied des PSI zu werden. Bei der 7. asiatischen Sicherheitskonferenz im Jänner 2005 behauptete Pranab Mukherjee, die Verbeitung von WMDs auf See sei eines der größten Probleme, und sagte, Initiativen wie das PSI müssten detailreicher besprochen werden. Er sagte, dass die indische Marine und Küstenwache eine wichtige Rolle bei der Behandlung solcher Bedrohungen spielen könnten.91Am 21.5.2005 sagte der Chef des Marinestabs, Admiral Arun Prakash, wenn Indien dem PSI beitrete, würde der Status von Indien bei internationalen Angelegenheiten rechtfertigen, dass wir eines der wichtigsten Länder sind.92
Im September 2005 führte die indische Marine ihre größte gemeinsame Übung mit der US-Navy durch. Angeführt von Flugzeugträgern und unterstützt von lenkwaffengestützten Zerstörern, Fregatten, Hubschraubern, Spionageflugzeugen und Kampfflugzeugen übten die Marinen auf hoher See die Durchsetzung von Fahrverboten genauso wie Sichten, an Bord gehen, Durchsuchen und Beschlagnahmen (visit, board, search and seizure – VBSS) von Schiffen. Hohe indische Offiziere dementierten einen Zusammenhang mit dem PSI.
Raketenabwehr: eine offensive Allianz mit schwerwiegenden Folgen
Das Neue Rahmen-Abkommen sagt, dass das Militär von zwei Staaten die Zusammenarbeit zur Raketenverteidigung ausbauensolle. Das klingt für die indische Bevölkerung ziemlich lebensgefährlich.
Im Mai 2001 kündigte George Bush ein neues strategisches Rahmenwerkder USA an, darunter auch, dass die USA mit dem Aufbau eines nationalen Raketenabwehrsystems(national missile defence – NMD) fortfahren würden, das heißt eines Systems, das darauf abzielt, die USA vor anfliegenden Raketen zu schützen, indem diese vernichtet werden, ehe sie ihr Ziel erreichen. Bush kündigte seine Absicht an, über die Zwängedes 30 Jahre alten Abkommens gegen ballistische Raketen(Anti-Ballistic Missile – ABM-Abkommen) hinauszugehen. Die Logik des ABM-Abkommens war, dass, falls ein nuklear bewaffnetes Land ein wirksames Verteidigungssystem gegen andere Nuklearmächte entwickelt, es sich freier fühlen könnte, die eigenen Nuklearwaffen gegen andere einzusetzen, ohne einen Vergeltungsschlag befürchten zu müssen. Andere Mächte würden ihre Raketen vervielfachen, um sicher zu stellen, dass eine zufällige Anzahl von Raketen diesen Schutzschild durchschlagen; und so würde eine neue, gefährliche Waffenproduktion beginnen.
Bushs Ankündigung stieß auf weit verbreitete Kritik. Die offizielle China Dailysagte, Bushs Plan scheine darauf abzuzielen, die absolute militärische Übermachtauf der Welt zu erlangen. Die Verfolgung eines solchen Zieles würde das gegenwärtige, fragile weltweite Sicherheitsgleichgewichtzerstören und eine neue Jagd auf Waffen in der internationalen Arena auslösen und zerstören, was bisher an internationalen Anstrengungen zur Waffenbeschränkung erzielt wurde. Ein russischer Außenministeriumssprecher sagte, die USA konnten keine Argumente vorbringen, um uns davon zu überzeugen, dass sie genau wissen, wie sie die Probleme der internationalen Sicherheit ohne Abrüstungsabkommen, die 30 Jahre bestanden haben, lösen können. Deutschland war ebenfalls nicht überzeugt und warf sehr, sehr ernste Fragenzu diesem Projekt auf. Die öffentliche Meinung auf der ganzen Welt war noch feindseliger.
Die Regierung Vajpayee war eine der wenigen weltweit, die offen Bushs Ankündigung begrüßte, und sonderbarerweise damit rechtfertigte, dass es ein Schritt in Richtung nukleare Abrüstung sei. Es begannen Gespräche mit den USA darüber, wie Indien sich diesem System anschließen könnte. Am 1.1.2004 kündigte Bush die nächsten Schritte in der strategischen Partnerschaft(Next Steps in Strategic Partnership – NSPP)mit Indien an, darunter die Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr, und die indische Antwort war ekstatisch: das NSSP sei einmalig ... völlig ungewöhnlich.
Bloß die Regierung Vajpayee fiel fünf Monate später, und die neue, vom Congress angeführte UPA-Regierung wurde als erstes an ihren Ausführungen zur Raketenabwehr gemessen. Alles in allem beinhaltete das gemeinsame Minimalprogramm(Common Minimum Programme)der UPA einige allgemeine Ausführungen darüber, eine unabhängige Außenpolitik weiterzuführen. Die indisch-amerikanische Verteidigungspolitik-Gruppe, das Forum, über das die strategischen indisch-amerikanischen Bande geknüpft sind, traf sich trotzdem Ende Mai, kurz nachdem die neue Regierung ihr Amt übernommen hatte. Die US-Delegation präsentierte die Raketenabwehr, aber die Antwort Indiens wurde nicht veröffentlicht. Im darauffolgenden Jahr gab es mehrere Austausche zu diesem Thema, darunter einen Besuch eines indischen Teams bei Raketenabwehrübungen in Kalifornien im April 2005.
In einem Schreiben an ein Treffen in Delhi im August 2004 legte Satish Chandra vom indischen nationalen Sicherheitsrat den tatsächlichen Import von Verteidigungsraketen offen. In einem Schreiben an die Delhi Policy Group heißt es, die Raketenverteidigung sei Teil des Paradigmenwechsels (in den USA), bei dem der Einsatz von Nuklearwaffen als Erstschlag in Erwägung gezogen wird. In seinem Schreiben lamentierte Chandra über die Tatsache, dass an Stelle der Bemühungen um eine nuklearwaffenfreie Welt die USA neue Argumente für die Bewahrung von Nuklearwaffen und die Entwicklung neuer Nuklearwaffenlieferten. Die Annullierung des ABM-Abkommens und die Schritte der USA zur Entwicklung ballistischer Raketenabwehr sind klare Anzeichen dafür, dass das strategische Denken der USA einem Paradigmenwechsel unterliegt, wobei sie in Erwägung ziehen könnten, Nuklearwaffen für einen Präventivschlag zu verwenden. Während also die Produktion von Nuklearwaffen in den 70er und 80er Jahren mit Abschreckung gerechtfertigt wurde, fassen die Theoretiker des Einsatzes von Nuklearwaffen (Nuclear use Theorists – NUTS) die Anwendung dieser Waffen in Situationen kurz vor einem Atomkrieg ins Auge ...93
Chandras Einspruch war wirkungslos; die Entscheidung war bereits gefallen. Im Oktober 2004 erzählte der US-Botschafter Mulford dem Magazin Force, dass die USA und Indien bereits weit über Gespräche über Raketenabwehr hinaus seien: Es gab bereits eine Diskussion über die Technologie und die Systeme ... Das einzige Problem, das ich sehe, ist, dass es sich um technisch schwierige Dinge handelt und dass es unterschiedliche Generationen von solchen Systemen gibt. Der Punkt ist also, herauszufinden, welches System wo benötigt wird. Das ist ein komplizierter Prozess.94
Die Systeme, die für die japanische Raketenabwehr aufgestellt wurden, zeigen uns, was für Indien geplant sein könnte: bodengestützte Abfangraketen wurden in Japan selbst aufgestellt, und seegestützte Abfangraketen wurden auf amerikanischen Aegis-Zerstörern vor Japan stationiert. Das dritte Element wird noch entwickelt, nämlich Laserstrahlgeräte, montiert auf der Nase von Boeing 747-Jets, die rund um die Uhr Chinas Küste abfliegen können und jede Rakete abschießen würden, die China oder Nordkorea abfeuert. (Das luftgestützte Laserprogramm birgt allerdings immer noch große technische Probleme.)95
Selbst wenn man annimmt, dass diese Raketenabwehr funktioniert, ist Japan offensichtlich viel kleiner als Indien; letzteres wäre viel schwieriger und teurer zu verteidigen. Es ist möglich, dass im Fall von Indien das System nicht zur Verteidigung des ganzen Landes gedacht ist, sondern nur ausgewählter Orte – Militäranlagen und Metropolen. Aber auf jeden Fall würde China höchstwahrscheinlich reagieren, indem es mehr Raketen baut, um das System durchbrechen zu können, so wie es das mit Taiwan bereits macht; und Indien würde vermutlich mit der Produktion weiterer Agni-3 Raketen darauf antworten, und es würde diese mit Nuklearsprengköpfen ausrüsten, um die Möglichkeit zum Gegenschlag gegen China zu behalten.
Die indische Öffentlichkeit muss auf die Unsinnigkeit eines solchen Weges aufmerksam gemacht werden, auf seine hohen Kosten, egal ob solche Waffen aktuell genutzt werden oder nicht, und auf die Interessen, denen er dient.
Indien als Stütze einer vorgeschlagenen asiatischen NATO
Inzwischen ist der indischen Öffentlichkeit nicht bewusst, dass ihr Land zu einer Stütze einer breiteren, von den USA gesponserten Militärallianz in Asien wird:
2003, oder auch danach diskutierten amerikanische und indische Beamte eine mögliche asiatische NATO(North Atlantic Treaty Organisation), nur der Zusammenhang dieser Diskussionen und die Bedeutung Indiens dabei wurden nicht veröffentlicht.96
Eine Allianz ist sinnlos, wenn sie nicht gegen jemand ist. Die NATO war ursprünglich gegen die Sowjetunion gerichtet; das prinzipielle Ziel einer asiatischen Version wäre China. In dieser Hinsicht waren die indischen Streitkräfte, vor allem die Marine, aktiv. Laut der neuen Marinedoktrin soll die indische Marine die Region des indischen Ozeans (Indian Ocean Region – IOR) beherrschen, Engstellen, wichtige Inseln und lebenswichtige Handelsrouten. Ende 2004 begann die Umsetzung von IOR zusammen mit den Marinen von Singapur, Thailand und den Philippinen.
Angeblich hat sich die Marine auf ein Look East-Programm eingeschworen, sie schickt Goodwill-Missionen nach Südostasien (während der indische Schiffe Teil der Marinemanöver mit Japan und Vietnam waren); sie besucht Häfen in Vietnam, den Philippinen, Südkorea und Japan; und sie leitet gemeinsame Patrouillen mit Singapur, Malaysia und Indonesien. Zweck ist es, Verbindungen mit Ländern nahe China aufzubauen, um die Marine mit dem südchinesischen Meer als mögliches Schlachtfeld vertraut zu machen und die Fähigkeiten der Marine, weitab von daheim zu operieren, zu entwickeln.
Die Pläne der indischen Regierung für die Marine und der massive Ausbau der Basen auf Andaman und den Nikobaren sollten in diesem Licht betrachtet werden. Laut einem Bericht
wurde der Plan zur Umsetzung des fernöstlichen Marinekommandos(Far Eastern Naval Command – FENC) 1995 konkretisiert nach einem Treffen hinter verschlossenen Türen in Washington zwischen dem indischen Premierminister, P.V. Narasimha Rao und US-Präsident Bill Clinton ...
Die USA sollen teilweise FENC finanzieren, weil es als Teil eines von den USA angeführten Sicherheitsabkommens für Asien, in dem Indien eine Schlüsselrolle spielt, gilt. Die Finanzierung durch die USA wurde 2000 geklärt, als Clinton Indien besuchte.97
Indien hat vor allem enge Beziehungen zu Vietnam geknüpft. Einst ein heroischer Kämpfer gegen den US-Imperialismus, ist Vietnam nun tragischerweise ein indirekter Verbündeter der USA:
Indien verstärkt seine Militärverkäufe an Vietnam, es stellt Ersatzteile für die Überholung seiner Luftwaffe zur Verfügung, schickt seine Offiziere nach Vietnam zur Ausbildung in Aufstandsbekämpfung und bei Kriegsoperationen im Dschungel, während die indische Küstenwache und die vietnamesische Seepolizei gegen Piraterie zusammenarbeiten. Indien hilft auch beim Aufbau einer vietnamesischen Marine. Es ist übereingekommen, den Vietnamesen die Prithvi-Raketen zu verkaufen, vietnamesische Wissenschafter in indischen Nuklearanlagen auszubilden und Vietnam dabei zu helfen, seine eigene Waffenindustrie für kleine Waffen aufzubauen. Die indische Marine hat auch gemeinsame Übungen mit der vietnamesischen Marine abgehalten.98
Es wird berichtet, dass im Austausch für den Transfer von Raketentechnologie Indien sich um eine Option zur Benutzung der Cam Ranh-Bucht in Vietnam bewerben darf, dem besten Tiefwasserhafen in Asien.99
Indiens Verbindungen zum engen US-Verbündeten Japan wachsen. Die japanische Marine, bekannt als maritime Selbstverteidigungskräfte, operiert nun in der Region des indischen Ozeans zur Unterstützung der US-Besatzung von Afghanistan. Die besondere Bedeutung dieser Operation (die im April 2005 durch ein Sondergesetz ausgedehnt wurde) ist, dass sie einen wichtigen Präzedenzfall schafft: die erste Teilnahme Japans an Überseeoperationen seit 1945. Die Bezeichnung Selbstverteidigungskräftefür das japanische Militär ist eindeutig überholt. Japanische Marineeinheiten haben in dieser Periode indische Hafenanlagen genutzt. Im Mai 2005 kündigte Japan öffentlich an, eine globale Partnerschaftmit Indien einzugehen, um die wachsende Macht Chinas auszugleichen.Im April 2005 trafen einander der indische und der japanische Premierminister, bestätigten ihre globale Partnerschaftund riefen dazu auf, als Partner gegen die Verbreitungvon WMDs zusammen zu arbeiten. Sie kündigten an, dass die indische Küstenwache und die japanische Küstenwache einen Rahmen für effektive Zusammenarbeit erstellen werden, ebenso die Marinen der beiden Länder.
2000 erklärte der indische Verteidigungsminister George Fernandes, dass Vietnam und Japan Indiens strategische Partner bei der Bekämpfung der Piraterie vom indischen Ozean bis zum südchinesischen Meer seien. Indem sie das sind, sagt die Studie des US-War College, vermitteln sie auch China, dass sie ihre Bemühungen, das Meer zu beherrschen, weiter treiben werden.101Darüber hinaus könnte Indien Möglichkeiten zu weiteren Verteidigungskooperationen mit Thailand, Australien, Singapur und den USA finden...102Indonesien könnte ebenfalls beitreten.103
Bei einer Rede vor der Föderation der indischen Industrie/WEF (Confederation of Indian Industry-World Economic Forum) in einer Konferenz in New Delhi machte der indische Außenminister Shyam Saran eindeutige Aussagen über die Pläne einer asiatischen NATO. In Zusammenhang mit Asien gibt es keinen Zweifel darüber, dass eine wichtige Neuausrichtung der Kräfte vor sich geht, sagte er. China entwickle sich zu einer globalen ökonomischen Machtmit bemerkenswerten militärischen Kapazitäten. Die USA und Indien könnten dazu beitragen, in Asien ein besseres Gleichgewicht zu schaffen. Bei der Behandlung der Sicherheitssituation in der Region, sagte er, sei es notwendig, mehr und mehr Länder auf das Sicherheitsparadigma für diese Region einzuschwören.(Im Gegensatz dazu sah der Ostasiengipfel (East Asia Summit)für den 14.12.2005 den Ausschluss der USA vor, und jegliche permanente ökonomische und politische Körperschaft, die daraus entsteht, kann das ebenso halten – eine Aussicht, die den USA nicht behagt.)
Die Studie des US-War College erklärt die Vorteile einer asiatischen NATO:
Was schaut dabei für die USA heraus? Einmal ist das vorgeschlagene Sicherheitssystem prinzipiell eine Lösung in der Region für den Umgang mit zwei der größten Bedrohungen der internationalen Sicherheit – ein überambitioniertes China und die Ausbreitung des talibanistischen Islam. Zum zweiten ist dieses Schema völlig einheimisch, es gibt keinen Hinweis, dass US-Truppen lokal eingesetzt werden, wie in Südkorea und Japan ... und schließlich schließt es die Anwesenheit von bewaffneten US-Truppen oder eine Beschränkung von US-Militärinitiativen in der Großregion überhaupt nicht aus.105
Aber, und das ist der kritische Punkt: das gesamte Schema wird zerfallen, wenn Indien keine Großmachtambitionen hegt. Nur wenn sich Indien selbst als Großmacht begreift, als Gegenstück zu China in der Region, wird es eine breite antichinesische Allianz bewerben. Und so müssen die USA China dazu drängen, seine offensichtliche Bestimmungzu pflegen.106
Aber kritisch dabei, dieses System in Gang zu bringen, ist, dass Indien von seiner offensichtlichen Bestimmungüberzeugt ist und daran kräftig arbeitet. Es wird vor allem verlangen, dass New Delhi geostrategisch denkt und seine Schüchternheit, wenn es darum geht, die vitalen nationalen Interessen des Landes voranzutreiben und seine fast knieweiche Neigung, seine Freunde zu besänftigen, aufzugeben. Dazu muss die indische Regierung genau ihre strategischen Interessen definieren und sich zumindest darauf konzentrieren, rasch eine Nuklearmacht aufzubauen, mit einer überprüften und getesteten interkontinentalen thermonuklearen Reichweite. Nur das wird die möglichen asiatischen Alliierten davon überzeugen, dass Indien tatsächlich ein effektives Gegenstück zu China in der Region sein kann, oder dass in Washington Indien Respekt gezollt wird.107
Also sind Indiens Großmachtambitionen entscheidend für den Erfolg der US-Pläne für Asien. Tatsächlich, je mehr die weitere indische Außenpolitik den strategischen Plänen der USA untergeordnet ist, desto größer stehen die Chancen für Indien, dass die USA schließlich die indischen Pläne zur Erlangung einer permanenten Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat unterstützen. Als Manmohan Singh zugestand, dass die USA Indiens Anspruch auf einen Sitz im UN-Sicherheitsrat nicht unterstützt haben, sagte er dem Parlament, wenn die Zeit gekommen ist, habe ich Gründe anzunehmen, dass wir nicht ignoriert werden.(3.8.05)
V. Schlussfolgerungen
Die Aussichten auf eine US-indische Allianz scheinen den indischen Herrschenden attraktiv. Erstens weil die USA offensichtlich eine militärische Übermacht ohne Beispiel in der Geschichte darstellen, und deshalb in einer guten Position zu sein scheinen, um Indiens neuen globalen Status zu garantieren. Zweitens, und das ist vielleicht noch wichtiger, identifizieren sich zur Zeit die herrschenden indischen Klassen und sogar erhebliche Sektionen der städtischen Mittelklasse mit der US-Welthegemonie: Viele haben Verwandte in den USA; eine steigende Anzahl von ihnen arbeitet für US-Unternehmen oder Firmen, die den USA dienen (z.B. im IT-Sektor); und die Explosion ausländischer und einheimischer Medien innerhalb der letzten 15 Jahre hat diesen Geist der Identifikation erhöht. Die offizielle amerikanische Unterstützung von Indiens Großmacht-Projekt wird zweifellos dafür sorgen, dass die Unterstützung unter diesen Sektoren für eine US-indische strategische Allianz weiter anhalten wird. Obwohl sie eine kleine Minderheit darstellen, spielen diese Sektionen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der öffentlichen Meinung, das heißt bei der Beeinflussung breiterer Sektoren.
Aber es gibt mehrere Gründe, warum das alles für die US-indische Allianz, die sich nun entfaltet, nicht so glatt ablaufen wird.
Erstens wird die US-Militärübermacht überschätzt. Sie ist noch nicht herausgefordert. Aber schon jetzt schafft sie es nicht, die Widerstandsgruppen in einem einzelnen Land, dem Irak, zu unterdrücken. Und sie ist global überdehnt und zeigt Anzeichen von Überanspannung. Noch wichtiger, die ökonomische Basis der weltweiten US-Hegemonie ist zerbrechlich. Wenn dem so ist, dann sind ihre Garantien, Indien zu einer Weltmacht zu machen, noch fragiler.
Zweitens werden die internen politischen Schwierigkeiten der herrschenden indischen Klassen wohl nicht gelöst werden, indem Indien als Weltmachtbetrachtet wird. Aus dem einfachen Grund, dass, während die oberen Sektionen an den Veränderungen, die in den letzten zwei Jahrzehnten stattgefunden haben, profitiert haben, während die große Mehrheit zur Kenntnis nehmen musste, dass ihre Bedingungen sich verschlechtert haben. Die letztere Sektion, am Boden der Pyramide, ist es, die hinter den Turbulenzen der heimischen politischen Szene steckt. Diese Sektionen leben unter derart miserablen Bedingungen, dass sie für die Propaganda über Indiens Weltmachtnicht anfällig sind.
Die gegenwärtige Flugbahn der indischen Ökonomie wird diesen Umstand nicht verändern. Das Wachstum, oder was als Nationaleinkommenbezeichnet wird, ist, wenn es von noch rascherer Ungleichverteilung begleitet wird, von zweifelhaftem Nutzen für die arbeitenden Sektionen. Wäre die Beschäftigung gleich gewachsen, hätten die arbeitenden Sektionen ebenfalls profitiert, aber es gab bloss ein geringfügiges Wachstum der Beschäftigung und so gab es (angesichts der wachsenden Anzahl Arbeitsuchende) einen raschen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Weiters zeichnet sich beim Prozess der Schaffung von Möglichkeiten für den ausländischen und den heimischen Unternehmenssektor ab, dass diese die indische Kleinbauernschaft zerstören werden. Mit diesen Veränderungen wird die Arbeitslosigkeit im Land wahrscheinlich weiter ansteigen und die politische Szene wird wohl noch turbulenter werden.
Drittens befinden sich die USA heute auf einem Weg außerordentlichen militärischen Abenteurertums, um ihre schwindende imperialistische Macht zu stabilisieren. Es ist hier kein Raum dafür, diesen Punkt im Detail zu erörtern. Deshalb ein paar Beispiele: Die Invasion und Besetzung des Irak, wie inzwischen allgemein bekannt, ist Teil eines breiteren US-Plans, die physische Kontrolle weltweit über soviel Erdöl wie möglich zu erlangen. Der bekannte amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour Hersh schreibt, dass die US-Regierung seit Sommer 2004 in Vorbereitung für Bombenangriffe und Kommandoaktionen so viel (iranische) Infrastruktur wie möglich zerstört. (The Coming Wars, New Yorker, 24.1.05) Der anhaltende Widerstand im Irak war möglicherweise das Haupthindernis für die Umsetzung dieses Plans, der das US-Militär bindet.
Militärpläne gegen China sind längerfristig, aber nicht weniger abenteuerlich. Die Vordenker des Pentagon sehen einen neuen Kalten Krieg, schreibt Robert Kaplan zustimmend in einem Schriftstück benannt How we would fight China(Atlantic, Juni 2005). Russland wird ebenfalls überprüft. Die US (mit europäischer Hilfe) haben unlängst in Georgien und der Ukraine Revolutionengesponsert, um einen Ring von Alliierten um Russland zu legen; tatsächlich treiben die USA die Bildung einer Sicherheitsorganisationin der Region der ölreichen kaspischen See voran, unter Ausschluss von Russland und China. Die nationale Sicherheitsstrategie der USA (September 2002) erklärte, dass die USA nicht zulassen werden, dass eine Konkurrenz (zu ihnen) entsteht, nicht nur für globale Hegemonie, auch nicht für die regionale Hegemonie in irgendeinem Weltteil.
Weil sie bei dieser Aufgabe Unterstützung brauchen, müssen die USA Elemente unter ihren Alliierten dazu ermuntern, Großmachtträume unter US-Ägide zu träumen. Japan, mit dem die USA im Oktober 2005 ein weitreichendes strategisches Abkommen getroffen haben, ist ein schlagendes Beispiel. Die USA haben Japan in den vergangenen Jahren systematisch ermuntert, die verfassungsmäßigen Beschränkungen für Japans Streitkräfte aufzugeben und diese im Ausland einzusetzen. Sie haben Premierminister Koizumi unterstützt, der mehrfach japanischen Kriegsverbrechern beim Yasukuni-Schrein gehuldigt hat, ein offenes Appellieren an die reaktionären Gefühle in Japan und eine offene Provokation für China. Sie haben Japan zum Schlüsselpartner ihrer Programme zur Militarisierung des Weltraums gemacht.109
Die USA gingen so weit, im März 2002 eine Nuclear Posture Review(Überprüfung der Haltung zur Nuklearfrage) anzunehmen und das Militär anzuweisen, den Einsatz von Nuklearwaffen gegen mindestens sieben Länder (China, Russland, den Irak vor der Besetzung, Nordkorea, Iran, Libyen und Syrien) vorzubereiten. Weiters haben sie angeordnet, dass das Militär kleinere Nuklearwaffen bauen solle zum Einsatz in besonderen Situationen am Schlachtfeld: gegen Ziele, die nicht-nuklearen Angriffen standhalten; als Vergeltung auf Angriffe mit nuklearen, biologischen oder chemischen Waffen; oder im Fall von überraschenden militärischen Entwicklungen. Das Dokument besagte, dass die USA vorbereitet seien, nukleare Waffen im arabisch-israelischen Konflikt, bei einem Krieg zwischen China und Taiwan oder bei einem Angriff von Nordkorea auf den Süden einzusetzen. Mit einem Wort, Nuklearwaffen wären nicht mehr als Abschreckung gedacht, sondern könnten präventiv gegen eine große Anzahl von Ländern eingesetzt werden – sogar gegen Länder ohne Atomwaffen. Die Ankündigung dieser Politik beabsichtigt, potentielle Gegner einzuschüchtern.
Deshalb ist es nicht übertrieben zu sagen, dass sich die USA auf einem Kurs von Krieg und Terrorismus gegen die Völker der Welt befinden. Verschiedene Kräfte von unterschiedlichem Charakter haben das zur Kenntnis genommen und stellen sich der Auseinandersetzung.
Auf der Ebene wichtiger Militärmächte rücken China und Russland enger zusammen. Sie haben eine gemeinsame Deklaration zur Weltordnung veröffentlicht, in der sie sich gegen Unilateralismus und den Einsatz von Gewalt aussprechen, und zu Multilateralismus und Vertrauen in die Vereinten Nationen, zu friedlicher Nutzung des Weltalls und zu einer Welt frei von allen Ansprüchen auf Monopol oder Vorherrschaft bei internationalen Angelegenheitenaufrufen.Sie haben eine militärische Allianz gebildet (die Shanghai Co-operation Organisation), mit vier zentralasiatischen Ländern. Und vor allem haben sie unlängst ihre ersten gemeinsamen Manöver mit über 10.000 Truppen durchgeführt.
Aber die chinesische und die russische Opposition gegen die US-Pläne beschränkt sich auf deren direkte strategischen Interessen. Es ist die Ebene der Völker der Welt, auf der der Widerstand gegen die US-Pläne am schärfsten und verbreitetsten ist – eine Tatsache, die auf banaler Ebene bei Meinungsumfragen zutage tritt, aber wichtiger: beim Volkskampf in der ganzen Welt. In Lateinamerika, das die USA als ihren Hinterhof betrachten, sehen sie sich mit nicht gekannter Isolation konfrontiert, wie George Bush bei seiner letzten Reise dorthin feststellen musste. Ähnlich liegt der Fall unter den Völkern (im Gegensatz zu ihren Führern) in Westafrika und Nordafrika, Europa und in Teilen Ost- und Südostasiens.
Wenn also die indischen Führer eine Militärallianz mit den USA unterzeichnen, ketten sie Indien an die reaktionärste Macht der Welt und machen es zum Ziel der Antwort diverser weltweiter anti-amerikanischer Kräfte. Die negativen Konsequenzen aus dieser Ankettung werden die Menschen in Indien tragen, in irgendeiner Form: beispielsweise durch aufgeblasene Militärausgaben und zunehmende Kriegsgefahr und anderes. Deshalb werden die Menschen in Indien sicherlich in Opposition gegen die Unterordnung unter die US-Pläne gehen, und gegen den falschen Großmacht-Status, der sie weder nährt, noch kleidet, noch ein Dach über dem Kopf bietet.
Anmerkungen
1http://www.rupe-india.org/about.html
2Auszugsweise zitiert in Info-Verteiler 68 (Mai 2005): „Der irakische Widerstand zwingt die Armee der Supermacht in die Knie“
3CPI: Communist Party of India, CPI(M): Communist Party of India (Marxist), beide Parteien unterstützen die Regierung Manmohan außerhalb der Koalition (Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Indien.html).
Die Communist Party of India (Marxist) - abgekürzt CPI(M) oder oft auch CPM - ist die größte Linkspartei des Landes. Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2004 kam sie auf 43 Sitze in der Lok Sabha, dem Unterhaus, und verbesserte damit noch ihr Ergebnis von 1999 (33 Sitze). Die Mandate wurden im wesentlichen in den Bundesstaaten Westbengalen, Kerala und Tripura gewonnen, wo die CPI(M) die Linksfront anführt, zu der auch die Communist Party of India (CPI), die Revolutionary Socialist Party (RSP) der Forward Bloc (FB) sowie unterschiedliche regionale Partner gehören.
Als sich die indischen Kommunisten im Jahr 1964 vor allem auf Grund innerparteilicher Streitigkeiten über die Positionierung zum indisch-chinesischen Grenzkrieg 1962 bei einem Parteitag in zwei Fraktionen spalteten, machte die spätere CPI(M) den Flügel aus, der sich eher am chinesischen Vorbild orientierte, während die CPI den Vorgaben Moskaus folgte - wobei die explizit maoistischen Kräfte sich 1967-69 von der CPI(M) abspalteten und verschiedene, unter dem Sammelbegriff Naxaliten bekannte Organisationen gründeten. Spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges, dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den marktwirtschaftlichen Reformen in China haben die ideologischen Unterschiede aber an Bedeutung verloren. Seit den späten 1990er Jahren wird immer wieder von einer möglichen Überwindung der kommunistischen Spaltung in näherer Zukunft gesprochen.
Der mit Abstand prominenteste Vertreter der Partei ist Jyoti Basu, der rund 25 Jahre Ministerpräsident (Chief Minister) von Westbengalen war. Seit 1977 regiert dort die Linksfront unter Führung der Marxisten ununterbrochen - angesichts der Kurzlebigkeit vieler Staatsregierungen in Indien ein seltenes Phänomen. Der CPI(M) und ihren Partnern ist es gelungen, die Agrarreform in Westbengalen deutlich voranzubringen und soziale Sicherungssysteme zu installieren. Die an den Bedürfnissen der breiten Volksmassen orientierte Politik unter Basu und seinem Nachfolger im Amt des westbengalischen Ministerpräsidenten Buddhadeb Bhattacharya hat der Partei ein dauerhaft hohes Unterstützerpotential beschert.
Im kleinen Bundesstaat Tripura regiert das von den Marxisten geführte Bündnis ebenfalls seit mehreren Legislaturperioden, in Kerala wechselt sich die Linksfront seit den 1970er Jahren bei Wahlen faktisch mit der Kongresspartei als jeweiliger Sieger ab.
Im Frühjahr 2005 gab es auf dem Parteitag einen Generationenwechsel in der Führung. Nach dem gesundheitlich bedingten Rücktritt Singh Surjeets vom Amt des Generalsekretärs wählten die Delegierten Prakash Karat zu seinem Nachfolger. Dieser war schon in den Vorjahren verstärkt als wichtiges Mitglied der Führungsmannschaft in Erscheinung getreten.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Communist_Party_of_India_(Marxist)
4„International Atomic Energy Authority“- Internationale Atomenergieagentur mit Sitz in Wien
5gemeint: über Indien
6Bharatiya Janata Party (BJP), deutsch: Indische Volkspartei ist eine rechtskonservative, Hindu-nationalistische Partei in Indien, die innerhalb von zwanzig Jahren zu einer der stärksten parlamentarischen Kräfte angewachsen ist und zeitweise auch die Kongresspartei überflügelt hat. Zwischen 1998 und 2004 bildete sie die Regierung in Indien mit dem Premierminister Atal Behari Vajpayee. Von 1977 bis 1982 war ihre Vorgängerpartei Janata Sangh bereits im Regierungsbündnis der Janata Party beteiligt, das sie aber aufgrund von ideologischen Gegensätzen wieder verließ.
Die BJP ist ideologisch einem Verbund von Hindu-nationalistischen Organisationen der Sangh Parivar verbunden. Hierzu gehören die als nationales Freiwilligenkorps agierende Rashtriya Swayamsevak Sangh und der selbsternannte Weltrat der Hindus Vishwa Hindu Parishad. Die beiden Organisationen gelten zusammen mit der Jugendorganisation Bajrang Dal als Aufwiegler bei den Unruhen in Mumbai und in anderen Landesteilen in den Jahren 1992/93 nach der Zerstörung der Babri-Moschee im nordindischen Ayodhya. Dabei hatte sich besonders der ehemalige Parteipräsident, Innenminister und stellvertretende Premierminister Lal Krishna Advani einen Namen als Hardliner erworben.
Die BJP und ihre Hindu-nationalistischen Schwesterorganisationen gelten als Verursacher der Gewaltwellen zwischen Hindus und Muslimen, die den westindischen Unionsstaat Gujarat vom Frühjahr 2002 über Monate hinweg in Atem hielt. Weiterhin sorgte sie für Aufruhr durch den Versuch, die Schulbücher im Sinne eines Hindu-nationalistischen Interpretation zu ändern.
Allerdings erfüllte sie die im Vorfeld ihrer Wahl geäußerten Befürchtungen nicht. Als führendes Mitglied der Nationalen Demokratischen Allianz konzentrierte sie sich überwiegend auf Liberalisierungsprozesse, die außenpolitische Stilisierung Indiens als Global Player (Nuklearwaffen, etc.) und regte die Wiederaufnahme des Friedensprozesses mit Pakistan an.
Die Abwahl 2004 beruhte auf dem schlechten Abschneiden ihrer Allianz (wegen schlechten Regierungsstils auf bundesstaatlicher Ebene, vor allem auch ihrer Verbündeten), der Gujarat-Pogrome und wohl zum überwiegenden Teil auf der katastrophalen Fehleinschätzung hinsichtlich der Auswirkungen ihrer Wahlkampagne „India Shining“. Gerade die ärmere Bevölkerung konnte sich nur schwer mit dieser identifizieren.
Dem Ministerpräsidenten und BJP-Vorsitzenden von Gujarat Narendra Modi wurde im März 2005 die Einreise in die USA verweigert, da sein Stillhalten als Grund der Eskalation der antimoslemischen Gewalttaten in Gujarat im Jahr 2002 gesehen wird. Ihm wird darüberhinaus die Behinderung der Verfolgung der Täter vorgeworfen.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bharatiya_Janata_Party
7Hindutva bezeichnet ein politisches Konzept, das die Ausrichtung Indiens nach hinduistischen Regeln zum Ziel hat. Der Begriff Hindutva wird im Deutschen manchmal als „politisierter Hinduismus“ oder „Hindu-Nationalismus“ umschrieben.
Ihre ideologischen Wurzeln liegen in der neo-hinduistischen Bewegung des indischen Unabhängigkeitskampfes.
Zu ihren führenden Ideologen zählt Vinayak Damodar Savarkar, der in der 1923 in Nagpur veröffentlichten Schrift „Hindutva: Who is a Hindu?“ erstmalig die Idee einer Hindu-Nation, der Hindu Rashtra formuliert. Seine Ausführungen beruhen auf drei ideologischen Prinzipien - rashtra, jati und sanskriti (gemeinsamer heiliger Boden, gemeinsame Abstammung und Kultur) - auf die sich alle Hindus berufen können und die die Grundlage einer gemeinsamen Nation bilden. So schrieb er in diesem Werk: „Schließlich gibt es in der Welt, was den Menschen betrifft, nur eine Rasse, die menschliche Rasse... Nicht einmal die Ureinwohner der Andaman Inseln sind ohne dem sogenannten arischen Blut in ihren Adern und vice-versa. Alles was man sagen kann ist das der Einzelne das Blut der gesamten Menschheit in seinen Adern hat. Die fundamentale Einheit des Menschen vom Nord- zum Südpol ist wahr, alles andere ist nur relativ.“(Savarkar, Hindutva) Ziel der Hindutva-Bewegung ist die (Wieder-)Erschaffung einer einzigen Hindu-Nation. Savarkar bediente sich dabei des Rückgriffs auf eine „konstruierte“ gemeinsame Vergangenheit aller Hindus. Wobei es diskutabel ist, ob sie in dieser Form jemals existierte.
Hindutva ist damit eine Gegenbewegung zum säkularen Staatsmodell, das von Mahatma Gandhi als Lösung für die religiösen Konflikte, hauptsächlich zwischen Muslimen und Hindus, gesehen wurde und das heute per Verfassung verankert ist. Viele Hindus stehen daher ebenso wie Nicht-Hindus (z.B. Muslime, Christen, Ureinwohner) der Hindutva-Bewegung kritisch gegenüber. Die Hindu-Nationalisten gründeten 1925 die Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS).
In einer interessanten Ironie tritt die oft als „hindu-nationalistisch“ denunzierte BJP für eine einheitliche, religionsunabhängige Gesetzgebung (sog. „Uniform Civil Code“) auf, die „säkularen“ Parteien (etwa die Kongresspartei und die linken Parteien) lehnen dies ab.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Hindutva
8vermutlich gemeint: zur Verhinderung der Proliferation
9Zitiert in C. Rammanohar Reddy, „Growth over development“, Hindu, 17-4-04.
10Der Kargil-Krieg, auch Kargil-Konflikt, seltener Vierter Indisch-Pakistanischer Krieg oder Dritter Kaschmirkrieg, war eine kriegsnahe bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den südasiatischen Staaten Indien und Pakistan um die von beiden Seiten beanspruchte Region Kaschmir im Jahr 1999. Unmittelbarer Anlass war das Eindringen bewaffneter Einheiten von pakistanisch kontrolliertem auf indisch kontrolliertes Territorium. Indien beschuldigte Pakistan, diese Einheiten zu unterstützen. Der Krieg endete mit einem Erfolg für Indien, löste jedoch die seit 1947 bestehende Kaschmirfrage nicht.
Einen besonderen Stellenwert erhält der Konflikt dadurch, dass beide Staaten zum Zeitpunkt des Ausbruchs bereits Atommächte waren. Während der Kampfhandlungen vermieden beide Seiten die Bezeichnung „Krieg“, die heute jedoch vielfach in den Medien der beteiligten Staaten sowie des Auslandes zu finden ist.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kargil-Krieg
11Das NIC (National Intelligence Council) ist ein Zentrum für strategisches Denken innerhalb der US-Regierung, es berichtet an den DNI (Director of National Intelligence) und versorgt den Präsidenten und wichtige Entscheidungsträger in der Politik mit Analysen zur Außenpolitik, die durch die Gemeinde der Geheimdienste erarbeitet und koordiniert wurden.
Unsere Arbeit reicht vom briefing aktueller Fragen bis zu ‚über den Horizont reichenden‘ Einschätzungen breiterer Trends weltweit. Obwohl wir für die eigene Regierung arbeiten, produzieren wir auch nicht geheime Berichte, von denen Sie viele auf dieser website finden werden.Quelle: http://www.dni.gov/nic/NIC_home.html
12http://www.dni.gov/nic/PDF_GIF_2020_Support/NIC%202020%20Final%20Paper/2020%20Project_files/Chairman_letter.htm
Blick auf die globale Zukunft: Die Erfassung der globalen Zukunft: der Bericht des „Projekt 2020“ des NCI ist der dritte nicht geheime Bericht, den das NCI in den vergangenen Jahren erstellt hat, und der einen Blick in die fernere Zukunft wirft. Er bietet einen frischen Blick darauf, wie die wichtigsten globalen Trends sich in den nächsten 15 Jahren entwickeln könnten und wie sie die Vorgänge auf der Welt beeinflussen werden. Im Bewusstsein, dass viele „Zukunften“ möglich sind, bietet unser Bericht eine Menge an Möglichkeiten und möglichen Diskontinuitäten, um unsere Aufmerksamkeit auf Entwicklungen zu lenken, die wir anders vielleicht übersehen würden. - Vom Vorsitzenden des National Intelligence Council
13K. Subrahmanyam, Times of India, 15-4-05.
141 Billion = 1.000 Milliarden
15Kaufkraftparität (KKP, engl.: PPP) ist ein Begriff der makroökonomischen Analyse. Die KKP zwischen zwei geografischen Räumen liegt dann vor, wenn Waren und Dienstleistungen eines Warenkorbes für gleich hohe Geldbeträge erworben werden können. Werden zwei unterschiedliche Währungsräume verglichen, so werden die Geldbeträge durch Wechselkurse vergleichbar gemacht. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kaufkraftparit%C3%A4tentheorie
Während das Verhältnis Rupie zu Dollar 45:1 beträgt, kann man in Indien für 45 Rupien mehr Güter und Dienstleistungen kaufen als in den USA für einen Dollar. Folglich, so wird behauptet, wird das indische Nationaleinkommen, wird es in Dollar ausgedrückt, in seinem wahren Wert untertrieben dargestellt im Verhältnis zum wahren Wert des Nationaleinkommens der USA. Wenn man schätzt, wie viele verschiedene Währungen einen bestimmten Mix aus vergleichbaren Gütern und Dienstleistungen kaufen können, behauptet die PPP (Purchasing Power Parity), das aktuelle nationale Einkommen besser darstellen zu können.
16Als Anämie bezeichnet man eine Verminderung des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin), der Zahl der Erythrozyten im Vollblut und des Hämatokrits im Verhältnis zur Alters- und Geschlechtsnorm. Durch die Blutarmut kommt es zu einer Minderversorgung des Körpers mit Sauerstoff (= Hypoxie). Zeichen dafür sind Blässe der Haut (unsicher) und der Schleimhäute (sicherer), Müdigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit, Konzentrationsschwäche, Herzklopfen, Kopfschmerzen, Schwindel, eventuell Atemnot bei Belastung. Bei Anämie kann es aufgrund der erhöhten Frequenz des Blutumlaufs und damit auch der erhöhten Strömungsgeschwindigkeit des Blutes zu charakteristischen Geräuschen in den Jugularvenen am Hals kommen, dem sogenannten Nonnensausen, sowie zu mit dem Stethoskop wahrnehmbaren anämischen Strömungsgeräuschen an den Herzklappen, ohne dass ein struktureller Herzklappenfehler besteht.
Neben diesen allgemeinen Symptomen kann es je nach Anämieform noch zu weiteren Krankheitsbildern kommen. Eine Anämie ist jedoch immer Symptom einer Grunderkrankung oder Fehlernährung, sie kann nie eine vollständige Diagnose sein. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/An%C3%A4mie
17Utsa Patnaik, „It is time for Kumbhakarna to wake up“, Hindu, 5/8/05.
18Die National Sample Survey Organisation (NSSO) ist das wichtigste Mittel der indischen Regierung, Armutstrends zu messen. Die NSSO führt jedes Jahr eine Kurzumfrage zu Konsum und Beschäftigung durch, jedes fünfte Jahr eine systematische Runde. Die Größe der Stichproben kann bis zu 250.000 Personen bzw. Haushalte umfassen. Die Befragten berichten, wie viel sie in den letzten 7, 30 und 365 Tagen für welche Güter ausgegeben haben. Auf Grund des Einkommens und der Ausgaben kann errechnet werden, wie viel ihnen für die Befriedigung der Grundbedürfnisse zur Verfügung stand. Für die Kategorie Nahrungsmittel wird dann errechnet, wie groß die zur Verfügung stehende Kalorienzahl war. Aus: http://www.corprag.ch/publikationen/VertrauenNZZ.pdf#search=%22national%20sample%20survey%22
19„Arbeitskraft“ beinhaltet in der offiziellen Sprachregelung nur diejenigen, die aktiv Arbeit suchen; diejenigen, die keine Arbeit suchen, weil sie wissen, dass es keine Arbeit gibt, werden nicht berücksichtigt. Diejenigen, die nicht in der „Arbeitskraft“ (nach der gegebenen Definition) aufscheinen, werden nicht als arbeitslos mitgezählt.
20„Asian Development Bank, Key Indicators, 2002, zitiert in Economic Survey, 2002-03.“ Der Anteil der Industrie scheint tatsächlich sogar niedriger zu sein; aus den Daten der „Reserve Bank of India“ wäre er unter 22% - siehe RBI „Handbook of Statistics on the Indian Economy“, 2004/05
21„Reserve Bank of India, Annual Report“, 2004/05.
22RBI, „Annual Report“, 2003/04 & 2004/05.
23„Human Development Report“, 2005.
24Verschiedene indische Firmen investieren aus unterschiedlichen Gründen im Ausland, und wir kommentieren hier lediglich allgemein ausländische Investitionen durch eine kapitalschwache Ökonomie.
25„Business Standard“, 2.11.05.
26Die Daten der Volkszählung zeigen, dass 2001 von 128,3 Millionen Kindern im Alter von fünf bis neun Jahren nur 72,5 Millionen die Schule besuchen.
27P. Bidwai, „The Great Indian Education Bazar“, www.prafulbidwai.net/archives/20050905.
28„Finances of public limited companies, 2003-04“, RBI Bulletin, August 2005.
29Zweifellos gibt es verschiedene Rahmen dafür, die wissenschaftliche und technologische Leistung einer Nation zu messen; genau gesagt sollte sie gemessen werden in Bezug auf ihre Relevanz für die spezifischen Probleme der Nation und die Stufe ihrer ökonomischen Entwicklung. Dagegen beziehen sich diejenigen, die behaupten, Indien sei eine „Wissensökonomie“ und ein „Kraftwerk der Forschung“ auf konventionelle Vorstellungen von wissenschaftlichen und technologischen Fortschritten, die quantitativ gemessen werden können.
30„A tale of two databases: India’s R & D dilemma“, Rajesh Kochhar, 13.6.05, SciDev.Net; „Indian science loses to China“, Johnson T.A., Times of India, 30.6.04; „Story of missed targets“, P. Bidwai, Tribune, 6../00. (back)
31„ForscherInnen“: pro 1 Million EinwohnerInnen; „Patente“: pro 1 Million EinwohnerInnen; „Lizenzen“: Einnahmen aus Lizenzen und Tantiemen (in US-Dollar pro Person) – Quelle: „Human Development Report“ – Bericht über die menschliche Entwicklung, 2005, Vereinte Nationen. Die Zahlen beziehen sich auf die letzten Jahre, in denen Daten verfügbar waren.
32Economist, „A world of work: A survey of outsourcing“, 13.11.04. (back)
33Ebenda
34Verkauf von Arbeitskraft
35„Unravelling the outsourcing puzzle“, C.P. Chandrashekhar, Hindu Businessline, 19.7.2005.
36S.K. Ghosh, „The Indian Constitution and Its Review“, R.U.P.E., 2001, p. 31; zitiert „Selected Works of Jawaharlal Nehru“, 2nd series, vol.1, p. 311, und vol. 14, p. 325.
37M. S. Venkataramani, „An elusive military relationship“, Frontline, 9.4.99, 23.4.99, 7.5.99.
38Adivasi (Hindi, wörtl.: erster Bewohner, Ureinwohner) ist die Selbstbezeichnung der indigenen Bevölkerung im Gebiet des heutigen Indien. Das Wort Adivasi bedeutet „erste Menschen“ bzw. „erste Siedler“. Sie werden oft auch als „tribals“ („Stammesvölker“) bezeichnet, insofern sie traditionell in Kleingesellschaften organisiert leben. Sie wurden jedoch im Laufe der Geschichte von den indoeuropäischen Invasoren immer mehr von ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten verdrängt und mit ihrem Lebensraum auch großteils um ihre Lebensgrundlage gebracht. Ihr Anteil an der indischen Bevölkerung beträgt ca. 7% (etwa 70.000.000). Der im Jahr 2000 aus dem Bundesstaat Bihar ausgegliederte Bundesstaat Jharkhand beherbergt heute die größte Bevölkerungsgruppe der Adivasi.
Die Adivasi sind keine homogene Bevölkerungsgruppe, sondern fühlen sich bestimmten Gesellschaften (tribes = „Stämme“) zugehörig. Die größten Völker sind die Kol und Bhil im Westen, die Gond, Khond, Savara, Gadaba in Zentralindien, Dafla, Naga, Khasi, Garo im Nordosten, Oraon, Munda, Ho, Santal im Osten und die Chenchu, Sholega, Toda, Kota, Irula, Kurumba und Kadar im Süden Indiens. Die in den Dörfern lebenden Adivasi teilen eine Tradition, die von der starken Verbindung zur Natur und zum eigenen Land, einer ganzheitlichen und das gesamte Leben durchdringenden Religion, traditionellen Tänzen, Musik und Festen in der Dorfgemeinschaft getragen wird (traditionelle Musik der Munda, eines Adivasistamms im Nordosten Indiens; Musik von südindischen Adivasi gibt es auf der Website des Adivasi-Tee-Projekts).
Die wesentlichen Merkmale der Religion der Adivasi bestehen in der Verbundenheit zur eigenen Heimat, dem eigenen Familienclan und dem eigenen Land, der Erkenntnis, der Mensch sei Teil der Natur und umgeben von den Geistern der Ahnen und Dämonen, die sich wiederum in Pflanzen, Tieren und bestimmten Orten „personifizieren“. Die oberste und beherrschende Macht in dieser Geisterwelt ist Singbonga, der in den Schöpfungsmythen der Adivasi einst die Welt erschuf.
Die meisten Adivasigemeinschaften sind nach wie vor im Ackerbau, Viehhaltung und Handwerk tätig und dies meist nur zur eigenen Versorgung (Subsistenz). Das eigene und oft gemeinschaftlich bewirtschaftete Land bildet daher für die Adivasigemeinschaften die historische Existenzgrundlage.
Zusammen mit den unberührbaren Kasten (Dalits) gehören die Adivasi zu den ärmsten Menschen in Indien. Ca. 10 Millionen Adivasi leben in städtischen Slums, ca. 90 % unter der Armutsgrenze. Als Nicht-Hindus werden sie neben den Dalits in der indischen Gesellschaft trotz gegenteiliger Gesetze (als „scheduled tribes“ räumt ihnen die ind. Verfassung Minderheitenrechte ein) nach wie vor als Ausgestoßene benachteiligt. Nach wie vor sind sie Opfer von Ausbeutung und Unterdrückung: Staatsbeamte benachteiligen sie; Großgrundbesitzer und Geldverleiher nutzen Armut und praktische Rechtslosigkeit der Adivasi skrupellos aus; Ureinwohner finden schwerer Arbeit, sind schlechter ausgebildet und besitzen nur selten Land; in Krankenhäusern werden sie abgewiesen etc. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Adivasi
39Eine besondere Form von Arbeitskampf ist „gherao“, bei dem die Opfer (Manager und andere Führungspersönlichkeiten) in ihren Büros oder Wohnungen eingeschlossen werden und zuweilen tagelang ohne Strom und Wasser etc. von der Außenwelt abgeschlossen sind. - Aus: http://www.sai.uni-heidelberg.de/abt/intwep/zingel/BD-SKK2000.pdf#search=%22gherao%22
40Übersetzt „schlagt die Armut!“, mit dieser Parole gewann Indira Ghandi 1971 haushoch die Wahlen.
41Dieser Satz ist eine korrekte Version des Satzes in der gedruckten Ausgabe, in der fälschlicherweise steht, dass die Wahlen nach dem Krieg stattfanden.
42Der letzte Schnaufer der offiziellen „Landreform“, die Richtlinien, die 1972 von der Konferenz der Minister herausgegeben wurden, hatten zu vernachlässigende Auswirkungen. Wie die „Planning Commission’s Task Force on Agrarian Relations“ 1973 sagte: „In einer Gesellschaft, in der das ganze Gewicht von Strafrecht und Zivilrecht, juristischen Erklärungen und Präzedenzfällen, Tradition der Verwaltung und Praxis auf der bestehenden sozialen Ordnung basiert, der Unverletzlichkeit des Privateigentums, hat ein isoliertes Gesetz zur Restrukturierung der Eigentumsbeziehungen in den ländlichen Gebieten wenig Chancen auf Erfolg.“
431951-52 to 1960-61, und so weiter.
44Der Begriff „Hindu-Wachstumsrate“ („Hindu rate of growth“) wurde von dem Ökonomen Raj Krishna geprägt, um die 3% - 3,5%-Rate zu beschreiben, mit der die indische Wirtschaft offensichtlich geschlagen ist.
45Rashtriya Swayamsevak Sangh RSS, „Nationale Freiwilligenorganisation“, ist eine hindu-nationalistische hierarchisch strukturierte Kaderorganisation. Sie basiert auf den Prinzipien der Hindutva. Die RSS wurde 1925 durch K.B. Hedgewar gegründet und ist laut BBC das größte Freiwilligenkorps der Welt. Die RSS gewann seither an Bedeutung und politischem Einfluss, der im Aufstieg der Bharatiya Janata Partei (BJP) seinen Höhepunkt fand, die als politischer Flügel der Sangh-Bewegung gilt und großen Einfluss in der indischen Regierung hat. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Rashtriya_Swayamsevak_Sangh
46Vishwa Hindu Parishad VHP, „Welt-Hindu-Rat“, ist eine hindu-nationalistische Organisation in Indien. 1964 gegründet, zählt sie zu den hindunationalistischen Organisationen, welche allgemein unter der Bezeichnung Sangh Parivar zusammengefasst werden. Der VHP versteht sich als Flügel der Sangh Parivar, welcher öffentliche Mobilisierungen zum Zweck gewaltsamer ziviler Aktionen gegen Nicht-Hindus, zumeist Angehörige des Islams und des Christentums, durchführt. So war der VHP maßgeblich an den Vorbereitungen zur Zerstörung der Babri-Moschee 1992 in Ayodhya beteiligt. Er setzt sich für den Wiederaufbau des Rama-Janmabhoomi-Tempels an der Stelle der zerstörten Babri-Moschee in Ayodhya ein. Der VHP steht unter starker Kritik, weil er systematisch kommunalistische Konflikte zwischen Hindus uns Moslems schürt. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Vishwa_Hindu_Parishad
47Dabei ging es offensichtlich um den oben erwähnten Tempel.
48Nilakanta Sri Ram wurde am 15. Dezember 1889 in Thanjavur als eines von 8 Kindern von Nilakanta Sastri und seiner Frau Seshammal geboren. Wie viele Theosophen jener Zeit, engagierte sich auch Ram in der indischen Unabhängigkeitsbewegung rund um den Indischen Nationalkongress und trat für die Arbeiter-Gewerkschaft ein. Seit 1950 war er Rektor der School of the Wisdom (= Schule der Weisheit) in Adyar. Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Nilakanta_Sri_Ram
49Am 6. Dezember 1992 wurde Babri Masjid, eine Moschee in Ayodhya, von einer fanatischen Meute Hindus zerstört. Ayodhya liegt im mehrere hundert Meilen weit entfernten Uttar Pradesh, aber der Schutt seiner Moschee legte sehr schnell das Fundament einer Mauer, die in Bombay zwischen Moslems und Hindus aufschoss. Während einer Serie von Krawallen starben 11.400 Menschen. Quelle: http://www.lettre.de/archiv/37_mehta.html
50Jingoismus – Bezeichnung für den britischen Chauvinismus in der viktorianischen Zeit.
51World Trade Organisation
52Eine großangelegte, nationale Umfrage nach der Wahl (durch das „Centre for the Study of Developing Societies“, Hindu, 13.6.2004) dokumentierte die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik – Privatisierung, Eintritt von multinationalen Konzernen und die Verkleinerung (d.h. die Sparprogramme) der Regierung – und deren Auswirkungen auf das WählerInnenverhalten. Der Großteil der Befragten, vor allem der unteren Einkommensgruppen, meinte, dass die Wirtschaftspolitik der BJP-geführten Koalition nur den Reichen genutzt habe, und dass ihre Beschäftigungschancen sich verschlechtert haben.
53Die Naxaliten entstanden in den späten 1960er Jahren und sind nach dem Ort Naxalbari bei Darjeeling in Westbengalen benannt, wo 1967 ein unter der Führung einiger Mitglieder des linken Flügels der Communist Party of India (Marxist) (CPI(M)) stattfindender Bauernaufstand von der Polizei niedergeschlagen wurde. Hauptursachen für diesen und andere im selben Zeitraum ablaufende Bauernaufstände (am wichtigsten war derjenige in Srikakulam (Andhra Pradesh)) waren die Konzentration des Landes in den Händen weniger Großgrundbesitzer, die im Wesentlichen aus der britischen Kolonialzeit herrührte und die gesellschaftliche und ökonomische Diskriminierung der Adivasis durch die hinduistisch geprägte Gesellschaft. Die Hochphase der maoistischen Kämpfe war von 1967–1972, in dieser Zeit wurden als wichtigste Organisationen der Naxaliten die All-India Coordination Committee of (Communist) Revolutionaries (1968, heute aufgelöst), die mehr auf Basisarbeit orientiert war und die stärkere Communist Party Of India (Marxist-Leninist) (CPI (ML)) (1969), welche zunächst den bewaffneten Kampf in den Vordergrund stellte, gegründet, die Gründungsmitglieder stammten im Wesentlichen aus der CPI(M).
Der Vorsitzende der CPI (ML), Charu Mazumdar propagierte die „Vernichtung des Klassenfeindes“ („annihilation of class enemy“), was sich vor allem in zahlreichen Anschlägen auf Großgrundbesitzer, Beamte und Angehörige der Polizei äußerte. 1972 wurde Mazumdar festgenommen und starb ca. zwei Wochen später im Gefängnis. Die Revolten wurden weitgehend von Polizei und Militär niedergeschlagen, naxalitische Aktivitäten gingen bis zum Ende der 1970er Jahre weitestgehend zurück.
Um 1980 gelang es verschiedenen Gruppen, die zumeist den Namen CPI(ML) führen, wieder Fuß zu fassen. Von der Vernichtungsstrategie hatten sich die meisten Gruppen mittlerweile losgesagt, der Schwerpunkt wurde auf Basisarbeit, d. h. vor allem auf den Aufbau von Organisationen der Bauern, Arbeiter, Studenten, Frauen und Adivasis gelegt. Dabei können unter den ca. 20 größeren Naxalitenorganisationen zwei Hauptrichtungen unterschieden werden: Ein Teil der Bewegung hat sich inzwischen, ohne den revolutionären Anspruch aufzugeben, auf die Arbeit im legalen Rahmen bis hin zur Teilnahme an Wahlen konzentriert, ein anderer Teil verbindet die Basis- und Massenarbeit mit klassischen Guerillakampfmethoden.
Die momentan wichtigsten Naxalitenorganisationen
* Communist Party of India (Marxist-Leninist) Liberation: 1974 gegründet, derzeit stärkste Naxaliten-Organisation, arbeitet seit Beginn der 1980er Jahre in der Legalität, Hochburgen in Bihar, Assam und Jharkhand, dort in den Regionalparlamenten vertreten, war von 1989 bis 2004 mit einem Abgeordneten im Lok Sabha präsent, kritische Haltung zu Stalin und teilweise auch zu Mao.
* Communist Party of India (Marxist-Leninist) New Democracy: 1988 gegründet, Schwerpunkt in Andhra Pradesh, dort und in Bihar jeweils mit einem (da die Partei nicht legalisiert ist, unter dem Label „Unabhängiger“ auftretenden) Abgeordneten im Regionalparlament vertreten, Schwerpunkt liegt in der dortigen Bauernbewegung, stärker am klassischen Maoismus orientiert.
* Communist Party of India (Marxist-Leninist) [Kanu Sanyal]: 2005 aus der Vereinigung von CPI(ML) [Kanu Sanyal] und CPI(ML) Red Flag hervorgegangen, kombiniert legale und illegale Kampfformen, war mit einem Abgeordneten im Parlament von Bihar vertreten.
* Communist Party of India (Maoist): Ging 2004 aus der Vereinigung von CPI(ML) People‘s War Group (um 1980 gegründet, Schwerpunkt in den Adivasi-Regionen in Andhra Pradesh) und Maoist Communist Centre of India (Schwerpunkt im Süden von Bihar und in Jharkhand) hervor, sie verfolgt die als Volkskrieg bezeichnete klassische maoistische Guerillastrategie kombiniert mit dem Aufbau von Vorfeldorganisationen. Gute Beziehungen zur Communist Party of Nepal (Maoist) in Nepal, 2004 gescheiterte Friedensverhandlungen mit der indischen Regierung. Die CPI(Maoist) ist für diverse Übergriffe (bis hin zu Morden) auf Zivilisten und Anhänger konkurrierender (auch maoistischer) Parteien verantwortlich. Der CPI(Maoist) steht das All India People’s Resistance Forum, ein nicht unbedeutender Zusammenschluss von Bauern-, Menschenrechts-, Frauenorganisationen, Gewerkschaften und NGOs nahe.
* Communist Party of India (Marxist-Leninist) Janashakti: 1992 als Zusammenschluss von sieben kleineren Gruppen gegründet, Schwerpunkt in Andhra Pradesh, gewann dort bei den Wahlen (wo die Partei 13 auf Grund der Illegalität offiziell als „parteilos“ auftretende Kandidaten aufstellte) 1994 einen Sitz im Regionalparlament, Ende der 1990er Jahre stärkere Orientierung auf bewaffnete Untergrundarbeit, 2004 erfolglose Friedensgespräche mit der Regionalregierung.
* Provisional Central Committee, Communist Party of India (Marxist-Leninist): 1971 gegründet, Hochburg in der Bodo-Region in Assam, dort über Vorfeldorganisation United Reservation Movement Council of Assam hohe Wahlergebnisse.
Nicht zu den Naxaliten werden die primär nationalistisch motivierten, maoistisch inspirierten Bewegungen im Nordosten Indiens wie die United Liberation Front of Asom, der National Socialist Council of Nagalim in Nagaland oder die People‘s Revolutionary Party of Kangleipak in Manipur gezählt. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Naxaliten
54„Press Trust of India“, 24.5.01.
55Strategic Studies Institute of the US Army War College
56„Natural Allies? Regional Security in Asia and Prospects for Indo-American Strategic Cooperation, Stephen J. Blank, Strategic Studies Institute, US Army War College, September 2005“; im Folgenden zitiert als „Natural Allies“ (www.strategicstudiesinstitute.army.mil/pubs/display.cfm?PubID=626). Indiens „Psychologie“ ist tatsächlich Ziel des Spottes: bei einem privaten Dinner 1998 sprach Clinton über Indien als „dem Rodney Dangerfield großer Nationen – überzeugt, dass es nie genug Respekt erhält“. (Strobe Talbott, „Engaging India: Diplomacy, Democracy and the Bomb“, zitiert von A.G. Noorani, „Frontline“, 9.10.04. Dangerfield war ein amerikanischer Komödiant, der routinemäßig jammerte, von „niemandem Respekt zu erhalten“.
57„Mumbai Mirror“, 3.9.05.
58„Times of India“, 13.4.01. Im Jahr 1938, als Jaswant Singh meint, Kuweit sei Teil der indischen „Einflusssphäre“ gewesen, war Indien unter britischer Kontrolle und Kuweit wurde in der Tat als britisches „Protektorat“ betrachtet.
59„India Aims to Project Power across Asia“, Vivek Raghuvanshi, Defense News, 10.11.03, zitiert in „Natural Allies“, pp. 21, 40. Dieses Programm scheint vom „Directorate of Defence Policy and Planning“ im April 2003 entworfen worden zu sein. Der Plan spricht sich für „eine rasche Reaktionsfähigkeit für Echtzeittruppenverlegungen in Länder am Rand des Indischen Ozeans (aus), um für sie einen Verteidigungsschirm schaffen zu können. Dieser Plan, ‚Indiens strategische Vision’, stellt die Zusammenarbeit mit Indonesien, Malaysia, den Malediven, Mauritius und Vietnam in Aussicht.“ – Raghuvanshi, „India’s Navy Reaches for Blue Water Goals“, Defense News, 27.10.03, zitiert in Blank, p. 124. Viele der folgenden Skizzen berufen sich auf das Material in „Natural Allies“.
60Zitiert in „Natural Allies“, p. 23.
61Ebenda
62„India bids to rule the waves“, Ramtanu Maitra, Asia Times Online, 19.10.05; „Natural Allies“, p.75.
63Ein Bataillon besteht typischerweise aus zwei oder mehr Kompanien, die 800 – 1.000 Soldaten stark sind, mit einem eigenen Hauptquartier, das von einem Offizier befehligt wird.
64„Natural Allies“, p. 23.
65Ebenda
66Vivek Raghuvanshi, „India’s New Government Rethinks Acquisitions“, Defense News, 13.12.04, angeführt in „Natural Allies“, p. 125.
67„Natural Allies“, p. 24.
68Das heißt inklusive Verteidigungsministerium und Pensionen für die Verteidigung, aber exklusive verschiedene, mit dem Militär in Zusammenhang stehende Ausgaben, die in anderen Ministerien versteckt werden - siehe „Aspects“ no.s 39 & 40, pp. 48-49.
69„India Today“ (11.4.05) gibt $6 Mrd. an, „Frontline“ (25.3.05) $9 Mrd.
70„US wants bigger share of Indian arms market“, Hindu, 9.2.05.
71Thomas R. Pickering, ehemaliger US-Botschafter und Vizepräsident bei Boeing, und Joseph W. Ralston, ehemaliger US-Air Force-General, führten die Mission an. Das USIBC beinhaltet Boeing, die Cohen Gruppe, BAe Systems NA, Bell Helicopter, Fremont, General Dynamics, International Turbine Engine Co, ITT Defence, Lockheed Martin, Northrup Grumman, Raytheon und Sikorsky Aircraft Corporation. („India, US bullish on defence ties“, Business Standard, 11.2.05).
72„US, India have gone beyond talking about ballistic missile defences“, Hindu, 9.10.04.
73„We’ll offer a good fighter deal: US“, Asian Age, 30.3.05.
74Die INS Virat war zumindest bis Anfang 2004 der einzige Flugzeugträger Indiens, siehe http://www.die-kommenden.net/dk/wochen/04/maer_06_12.htm
75„Natural Allies“, p. 124.
76Raghuvanshi, „India Aims to Project Power across Asia“, zitiert in „Natural Allies“, p.40.
77The Indo-US Military Relationship: Expectations and Perceptions
78Zitiert in „Natural Allies“; Siddharth Varadarajan, „America, India and outsourcing imperial overreach“, Hindu, 13.7.05; und Josy Joseph, eine Serie von sechs Beiträgen, beginnend mit „Target Next: Indian Military Bases“, 21-26.4.03, www.rediff.com.
79Ausführlich zitiert in „Natural Allies“. Siehe auch „India as a New Global Power: An Action Agenda for the United States“, Ashley J. Tellis, Carnegie Endowment for International Peace, 2005.
80„US Hegemony: Continuing Decline, Enduring Danger“, Richard Du Boff, Monthly Review, Dezember 2003.
81„US military abroad: More bases won’t curb terrorism“, William Pfaff, International Herald Tribune, 2.8.03.
82„Pentagon to close 35 per cent of overseas bases“, Associated Press, 23.9.04.
83Ebenda
84„Natural Allies“, p. 13.
85„Natural Allies“, p. 91.
86„Natural Allies“, p. 91.
87Zitiert in „Natural Allies“, p. 14.
88Texte zu einem in Chennaiabgehaltenen Seminar zum Thema „Centre for Security Analysis“ finden sich unter www.csa-chennai.org.
89Der Besitz oder die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen oder Vertriebssystemen dafür verstoßen nicht gegen internationales Recht, solange der betreffende Staat nicht diesem Abkommen unterworfen ist. Beispielsweise war die Weitergabe von Nukleartechnologie durch den pakistanischen Wissenschafter A.Q. Khan keine Verletzung internationalen Rechts, weil Pakistan das Abkommen nicht unterzeichnet hat. Die USA besitzen mit großem Abstand die meisten WMDs und haben soeben sowohl nukleare als auch chemische Waffen gegen die Bevölkerung anderer Länder eingesetzt, aber sie entscheiden eigenmächtig darüber, an welche Länder die Weitergabe von WMDs gefährlich sei.
90Am 30.8. hob Satish Chandra, nationaler Sicherheitsberater, hervor, dass das PSI Teil von unilateralen Maßnahmen der USA sei, und „es offensichtlich Probleme gibt mit der Legalität der Verbote in Bezug auf das PSI. Weiters gibt es Probleme, worauf diese Verbote angewandt werden könnten.“ – Hindu, 6.9.04
91„US initiative must be examined“, Asian Age, 30.1.05.
92„Proliferation Security Initiative: New Delhi discussing reservations with Washington“, Hindu, 22.5.05.
93„India signals wariness on missile defence“, Siddharth Varadarajan, Hindu, 6.9.04.
94„US, India have gone beyond talking about ballistic missile defences“, Hindu, 9.10.04.
95„Dangerous race in space“, Bruce K. Gagnon, Japan Focus, nachgedruckt unter www.atimes.com/atimes/Japan/GG09Dh04.html.
96„Natural Allies“, p. 1.
97„India bids to rule the waves“.
98„Natural Allies“, p. 75.
99India bids to rule the waves“.
100„Natural Allies“, p. 148.
101„Natural Allies“, p. 78.
102„Natural Allies“, p. 79.
103See „India and Indonesia envision strong partnership“, P.S. Suryanarayana, Hindu, 1.10.05, and „US firms up military ties with Indonesia“, P.S. Suryanarayana, Hindu, 27.11.05.
104„India ready to help US in Asian power rejig“, Times of India, 29.11.05.
105„Natural Allies“, p. 79.
106Die Phrase „manifest destiny“ wird in der US-Geschichte verwendet, um „die angenommene Unvermeidlichkeit anhaltender territorialer Ausdehnung der US-Grenzen westwärts bis zum Pazifik und darüber hinaus“ zu beschreiben. Die Idee von „manifest destiny“ wurde oft von amerikanischen Expansionisten verwendet, um die Annexion von Texas, Oregon, New Mexiko und Kalifornien, und später die Einmischung in Alaska, Hawaii und auf den Philippinen zu rechtfertigen. – Encyclopedia Britannica, 1999.
107„Natural Allies“, p. 79.
108In der Periode nach dem 2. Weltkrieg waren die USA besorgt um die „Bedrohung“ durch den Kommunismus, sie halfen daher den Ökonomien von Südkorea und Taiwan, vor allem insofern, als sie ihnen einen besonderen Zugang zu ihrem Markt erlaubten, sogar als diese Länder Einfuhrbeschränkungen errichten durften. Aber die US-Ökonomie hat längst die dominante Position verloren, der sie sich in den 50er und 60er Jahren erfreute, und heute ist sie im Gegenteil bemüht darum, dass ihr Märkte geöffnet werden. Indien dagegen ist keine kleine Wirtschaft wie Taiwan oder Südkorea. Deshalb sind die USA nicht in der Lage, irgendwelche ernsthaften ökonomischen Anstöße zu geben.
109Das US-Programm zur Militarisierung des Weltraums ist eine kaum bekannte Entwicklung ernsthafter Gefahr für die Welt:
In Planungsdokumenten wie der „Space Command’s Vision for 2020“ des Pentagon ist die Logik ganz klar, es beschreibt die Notwendigkeit für die USA, „den Weltraum zu dominieren und zu kontrollieren“ und anderen Länder den Zugang zum Weltall „zu verbieten“. (US Space Command, „Vision for 2020“, Planungsdokument vom Februar 1997) Wenn man davon ausgeht, dass jegliche Kriegsführung auf der Erde heute weitgehend von Militärsatelliten aus koordiniert und geleitet wird, kann der/die LeserIn verstehen, warum das Pentagon nach der Kontrolle des Weltraums greift und anderen Ländern den Zugriff darauf verwehrt.
Die US-Militärdoktrin möchte „Full Spectrum Dominance“ (die volle Kontrolle). (US Space Command, „Long Range Plan“, März 1998, S. 7). Dieser Begriff meint, dass die USA einen Konflikt auf allen Ebenen dominieren möchten – Kontrolle des Bodens mit konventionellen Militärkräften; Kontrolle zur See mit der Navy; Kontrolle des Luftraums mit der Luftwaffe; und nun Kontrolle des Weltraums mit neuen Technologien, die sich im Entwicklungsstadium befinden.
In einem neueren Planungsdokument, „Strategic Master Plan FY06 and Beyond“ (strategischer Masterplan ab 2006) stellt das „Air Force Space Command“ (Weltraumkommando der Luftwaffe) fest, „während unsere letztlichen Ziele tatsächlich sind, den Weltraum durch die Steigerung der Weltraumkräfte und Missionen im All, auch mit anderen Mitteln,‚auszubeuten’;können wir dieses Medium nicht völlig ‚ausbeuten’, ehe wir es nicht ‚kontrollieren’.“ Weiter heißt es in diesem Bericht, „die Fähigkeit, Überlegenheit im Weltraum zu erlangen (die Fähigkeit, den Weltraum auszubeuten, während der Konkurrenz das selektiv nicht erlaubt wird) ist wichtig und die Überlegenheit im Weltraum ist essentieller Präzedenzfall für erfolgreiche moderne Kriegsführung.“ (Air Force Space Command, „Strategic Master Plan FY06 and Beyond,“ 1.10.2003.) — „Dangerous race in space“.