Infoverteiler
Griechenland: Repression nach den Verhaftungen angeblicher Mitglieder der “Organisation 17. November”
Wahlen, Olympiade und internationaler Druck
Angesichts des amerikanischen Drucks aufgrund der Olympiade 2004 und der Parlamentswahlen im gleichen Jahr, mußte Simitis’ sozialdemokratische PASOK-Regierung wohl einen Erfolg einfahren. Sie regiert mit einer hauchdünnen Mehrheit von ein paar Zehntelprozentpunkten vor der neoliberal, konservativ bis rechten Nea Dimokratia. Meinungsumfragen sahen die PASOK vor der Verhaftung von angeblich führenden Mitgliedern des 17. November (17N) bereits 10% hinter Nea Dimokratia (ND).
23 politische “Liquidierungen” seit 1975 und niemals war ein Mitglied der Gruppe verhaftet worden.
Nach der Verhaftung von 17 Mitgliedern des 17N tönte der griechische Staat, er habe einen riesigen Schlag gegen den “Terrorimus” im Land gelandet. Auch in den internationalen Massenmedien wurde der “riesige Erfolg” der griechischen Polizei gefeiert. Das US-State Department gratulierte der griechischen Regierung im Rahmen des “globalen Krieges gegen den Terrorismus”, den Bush ein Jahr zuvor ausgerufen hatte.
Nachdem die Meinungsumfragen kurz nach den ersten Verhaftungen von 17N-Verdächtigen einen Stimmungsumschwung zugunsten von PASOK andeuteten, besannen sich die Befragten bald wieder der Preissteigerungen und der galoppierenden Inflation.
Die sozialdemokratische Regierung Simitis in der Klemme
Die politischen und ökonomischen Entwicklungen der letzten Jahre tragen nicht gerade zu massiven Sympathie-Kundgebungen für die Regierung bei:
Die Euro-Einführung, die sich aufgrund der enormen Preissteigerungen genauso wenig als Ruhmesblatt für die Regierung eignet, wie etwa die “Aufgabe der Kontrolle über zahlreiche bedeutende Firmen” (siehe Erklärung im Anhang an diesen Artikel) oder der EU-Druck in Bezug auf die Restrukturierung der Landwirtschaft, die Zustimmung zur Landung von NATO-Truppen für den Jugoslawien-Krieg, die Öcalan-Schlappe, die offizielle Duldung des Treibens von US- und englischen Geheimdiensten, die Adaptierung des Un­ter­drüc­kungsapparats an internationale Standards sowie Skandale und Katastrophen – nicht zuletzt der Untergang der Express Samina. Obwohl die Ursachen für letztere wohl in der Geschäftemacherei der – mit der ND verbandelten – Minoan-Reedereien-Gruppe mit dem Hin- und Herschieben und Überstreichen von Schrottmühlen und im Konkurrenzkampf mit der staatlichen ANEK-Line angesiedelt sind … und nicht zuletzt in der zunehmenden internationalen Konkurrenz für die lokale Schiffahrt. Für geübte Griechenlandreisende: Die Express Samina hieß bis kurz vor ihrem unrühmlichen Ende, das mindestens 76 tote PendlerInnen, Trans­port­arbeiterInnen, Kleingewerbetreibende und Erholungssuchende forderte, Golden Vergina und gehörte der kleinen Gesellschaft Agapitos Lines.
In diesem Kontext war der 17. November nie ein Außenseiter: Mit ihrem Yankee-go-home Antiimperialismus fanden die Inhalte ihrer Erklärungen bei einer Meinungsumfrage 1991 noch die Zustimmung von knapp 60% der Befragten, hauptsächlich bei Wählern der PASOK oder der Kommunistischen Partei KKE. Die Ziele ihrer Anschläge waren Reiche oder hatten etwas mit den Herrschenden zu tun. Das bestärkte das Robin-Hood-Image in der Bevölkerung. Und nicht zuletzt, weil sie die Rolle der Türkei im Zypern-Konflikt angriffen.
Die tiefsitzende Ablehnung der Bevölkerung gegenüber den USA änderte sich kaum. Während der Bombardierung Jugoslawiens beteiligten sich Zehntausende an Blockaden der NATO-Stützpunkte und die Trans­port­ar­bei­ter­gewerkschaft sperrte griechische Schienenstrecken und Häfen für US-amerikanisches Kriegsgerät. Beim Clinton-Besuch 1999 mußte der Präsidentenkonvoi durch Vororte kutschieren, da die Innenstadt von 20.000 wütenden DemonstrantInnen blockiert war. Im Fernsehen spottete eine beliebte Kabarett-Gruppe: “Wir haben dir unsere Gastfreundschaft gezeigt, mein Freund, mit Eiern und Joghurts” – zumal er gerade aus der Türkei gekommen war … Der zweite, nicht unbedingt aus internationalistischen Motiven, bei noch größeren Teilen der Bevölkerung verhaßte Feind.
Auf der anderen Seite stehen die USA und Großbritannien
Immer wieder hatten die USA Vorstöße unternommen, die Abhaltung der Olympischen Spiele 2004 in Athen doch noch in ein anderes, “sichereres”, “würdigeres” und ko­o­pe­ra­ti­onsbereiteres Land zu verlegen – nämlich die USA. Die EU hatte bereits enorme Mittel für den Ausbau der Infrastruktur locker gemacht und drohte – hauptsächlich aufgrund der mäßigen Baufortschritte – mit Rückzahlungsforderungen von 270 Milliarden Drachmen (ca. 792 Millionen Euro).
Die USA reihen Griechenland an zweiter Stelle hinter Kolumbien, was die Anzahl amerikanischer Ziele für “Terroraktionen” betrifft. Und was die “Kooperationsbereitschaft” betrifft, kurz vor Pakistan. 2000 begannen sie die Laxheit der griechischen Regierung in Zusammenhang mit einer möglichen Verbindung zwischen hohen Funktionären der sozialdemokratischen Regierung, unter anderen Außenminister Jorgos Papandreou zu bringen. Auch in Zusammenhang mit der – verunglückten – “Hilfestellung” gegenüber Öcalan wurde die “Terrorfreundlichkeit” Griechenlands kritisiert. Der frühere Direktor der CIA, James Wollsey, hatte in der Wochenzeitung “to pontiki” ähnliche Anschuldigungen formuliert: “Personen in der griechischen Regierung kennen Mitglieder des 17. November”. Die Antwort der griechischen Botschaft in den USA war knapp: Sie stellte fest, daß die Hauptmotive des 17N in der griechischen Innenpolitik lägen und daß die meisten Ziele lokale wären. Sie wies die Gerüchte über Beziehungen von Regierungsmitgliedern zu 17N zurück, zumal einige Minister und deren Verwandte auch Opfer der Gewalt dieser Organisation waren. Weiters stellte sie Griechenland als treuen Verbündeten Amerikas in den letzten Jahrzehnten dar und wies darauf hin, daß die USA selbst gelegentlich Schwierigkeiten im Kampf gegen den Terrorismus erlebt hätten. Schließlich könne Griechenland nicht mit terrorfördernden Staaten wie Iran oder Syrien verglichen werden.
Griechenland war noch nicht bereit, sich von den USA in die Mangel nehmen zu lassen und sich an der vereinten Front des Westens gegen den Terrorismus zu beteiligen. Die USA hatten das griechische Militärregime (1967 – 1974) massiv unterstützt. Die heutige PASOK entstand nach dem Sturz der Obristen-Junta.
Großbritannien hielt eine bombastische Begräbniszeremonie für den Militärattaché der britischen Botschaft in Athen – und Luftwaffengeneral – Brigadier Saunders ab. Die Sicherheit für Diplomaten wurde intensiviert. Bereits vor dem Attentat auf Saunders am 8. Juni 2000, für das 17N die Verantwortung übernommen hatte, hatte das britische Parlaments-Komitee für auswärtige Angelegenheiten Griechenland als mögliches Terrorziel klassifiziert, urgierte ein höheres Budget für den Schutz von Diplomaten im Ausland und monierte, daß die USA weit mehr Mittel dafür aufwendeten, britische Diplomaten daher im Vergleich zu US-Einrichtungen ein “leichtes Ziel” darstellen würden.
Die EU hatte damals nicht in diesen Chor eingestimmt. Zwei Wochen nach Saunders’ Tod wurde die Euro-Einführung 2002 auch für Griechenland festgelegt. Am 13. Juni bekundete die griechische Regierung bei der EU-Außenministerkonferenz in Luxemburg ihre Bereitschaft zur Kooperation mit anderen EU-Staaten in Sachen Terror-Bekämpfung im Rahmen des Amsterdamer Vertrages. Das wurde von den Briten mit Freuden aufgenommen, die das wiederum als Willensbekundung betrachten, die Beziehungen zu Großbritannien zu verbessern und solche Vorfälle nicht mehr zuzulassen. Es wurde eine bilaterale Kooperation vereinbart.
Ende 2000 hatte Griechenland alle zwölf UN-Antiterror-Vereinbarungen unterschrieben und zehn davon ratifiziert.
All das hat seine Auswirkungen bei den Vorbereitungen zur Olympiade 2004. Es wurde ein vollständiger Sicherheitsplan erstellt, unter besonderer Berücksichtigung der Transportmittel und der Küstengebiete. Technische Ausrüstung und Wissen sollen herbeigeschafft werden, die Polizeikräfte ausgebaut und laut Chrysohoidis, dem Minister für öffentliche Ordnung, besser ausgerüstet werden. Es wird auch ein Sicherheitsberater eingestellt und die Erfahrungen Australiens mit der Olympiade in Sydney sollen aufgearbeitet werden.
Chrysohoidis: Wenn alle Maßnahmen richtig eingesetzt werden, gibt es Hoffnung, daß die Bedingungen gegeben sein werden, daß “Terrorangriffe unmöglich sein werden.” Immerhin hatte es bereits zweimal Anschläge auf olympische Spiele gegeben – gegen israelische Athleten in München 1972 und eine Bombenlegung in Atlanta 1996.
Der Wähler dankt es nicht
Die Kommunal- und Regionalwahlen am 13. und 20. Oktober 2002 spiegeln keine großartige Zustimmung zur Regierungspolitik wider. Zwar rühmen sich sowohl PASOK als auch Nea Dimokratia, ihre Wahlziele erreicht zu haben – die einen arithmetisch auf Verwaltungsebene in den Ballungsräumen, z.B. im Großraum Athen-Piräus, in der ein Drittel der Bevölkerung Griechenlands und ein Viertel der Wahlberechtigten leben, die anderen auf kommunaler Ebene. Um beim selben Beispiel zu bleiben: ND hat den traditionellen PASOK-Bürgermeistersessel von Piräus errungen, und stellt mit Dora Bakoyanni, der Tochter des (traditionell konservativen) N.D.-ex-Premiers Mitsotakis, deren Ehemann 1989 vom 17N umgelegt worden war, die erste Bürgermeisterin der Stadtgeschichte. N.D. hat nun 28 Verwaltungsbereiche gegen 21 für PASOK und Verbündete, und stellt 28 Bürgermeister gegen 19 PASOK, 2 Synaspismos (Synaspismos: “Koalition der Linken und des Fortschritts” hat den Namen eines 1989 gegründeten Zusammenschlusses aus linken und progressiven Parteien und Gruppen aufgenommen, als die KKE 1991 aus dem Bündnis austrat) und 2 Bürgermeister an­­derer Parteien in den großen Städten. In kleineren Städten verliert sie so manche Hochburg an N.D. und auch an die KKE.
Und wer soll jetzt wohl den“Ruhm” – sollte es einen geben – für die Durchführung der Olympiade und die “Modernisierungen”, vor allem den Ausbau der Infrastruktur in Athen einheimsen und auch erste weibliche Premierministerin werden? Dafür müßte Dora aber ihre Bürgermeisterwürde wieder sausen lassen, und den jetzigen ND-Chef Kostas Karamanlis stürzen. So will es das Gesetz.
Die ökonomischen Folgen dieser Restrukturierung für das Leben der Arbeiterklasse im Athener Raum müßten eigentlich ein Paradebeispiel dafür sein, wie sehr beide Seiten sie ins Verderben reißen – die einen als Wegbereiter und verwaltungsmäßige Durchführer, die anderen als politische Profiteure – deutlicher gehts wohl wirklich nicht. Die politischen Folgen dieser Olympiade um jeden Preis – mit dem Ausbau des Repressionsapparates und dem zunehmenden Nachgeben gegenüber dem damit verbundenen politischen und ökonomischen Druck – werden die Menschen im ganzen Land auszubaden haben. Es bleibt zu hoffen, daß sie die passende Antwort finden werden …
Ein schönes Beispiel für den Vorwahl-Eiertanz der Regierungspartei in Sachen Einmischung durch die USA:
Außenminister Papandreou protestierte im August beim Botschafter der USA, Miller, und rühmte vor Journalisten die lang währende Zusammenarbeit der griechischen Polizei mit den amerikanischen und britischen Diensten. Miller hatte den effizienteren Einsatz des in den USA für die Terrorbekämpfung ausgebildeten Personals gelobt, der zur Effektivierung der griechischen Polizei geführt habe. Vorher wären diese Beamten in Bereichen zum Einsatz gekommen, die nichts mit ihrer Ausbildung zu tun gehabt hätten. Papandreou empörte sich, daß Miller, der eng mit dem Ministerium für öffentliche Ordnung und den amerikanischen Diensten zusammenarbeitet, das Klima schädige, das zur Aushebung der Terrororganisation 17. November notwendig ist. “Diese Angelegenheit liegt ausschließlich in der Verantwortung der griechischen Regierung.” Die US-Botschaft war erstaunt: “Die Stellungnahmen des Herrn Miller stehen im Einklang mit den offiziellen Stellungnahmen der griechischen Regierung und des Premierminister Simitis”. Miller hat nie verhohlen, daß er über den Fortgang der Ermittlungen informiert ist und über eine Liste von Verdächtigen verfügt.
Er befleißigte sich aber eines gemäßigteren Tones als sein Vorgänger Thomas Nails, der nach seinem Abgang zahlreiche dieser “Informationen” veröffentlichte, die die These einer politischen Deckung des 17N durch hohe Persönlichkeiten der PASOK erhärten sollten. Einer der vielen, die im Visier dieser Verdächtigungen stehen, ist der Parlamentspräsident Apostolos Kaklamanis, der dieses Amt seit drei Legislatusperioden ausübt. Er hatte ein paar Tage zuvor vor dem Exekutivbüro der PASOK Millers Kopf gefordert: Miller solle der griechischen Regierung die Bedeutung der Ermittlungserfolge nicht abspenstig machen. Kaklamanis nach Papandreous Unterredung mit Miller: “Ich hoffe, daß Miller sich fortan auf seine Rolle beschränkt, mit dem entsprechenden Respekt für das Gastland.”
Bereits im Jänner 2001 hatte der Minister für öffentliche Ordnung die alleinige Verantwortung Griechenlands für die Ermittlungen eingefordert: “Die ausländischen Dienste liefern nur ihre Zusammenarbeit, keinesfalls supervisieren sie die Arbeit der Griechen.” Er hatte auch Gerüchte über bevorstehende Verhaftungen dementiert. Simitis war in die USA gereist, wo eine Sendung der CBS Kaklamanis wegen einer möglichen Unterstützung des 17N in Frage gestellt hatte. Seine offen antiamerikanischen und proarabischen Positionen, seine Unterstützung für armenische und kurdische Organisationen und seine Opposition gegen die Intervention der NATO im Kosovo führte dann wohl auch zu den Verdächtigungen. Er gehört jenem Flügel der PASOK an, den die USA als nationalistisch und antiamerikanisch einstufen. Und der dürfte recht stark sein: Bei der Öcalan-Affäre fiel der PASOK-Außenminister Pangalos (ein traditioneller Sündenbock). Beim PASOK-Parteitag im Sommer 2001 wurde das Auftreten Arafats mit mehrmaligen minutenlangen standing ovations und ausgiebigen Küssereien gefeiert. Es steht also außer Zweifel, daß die politische Existenz der PASOK mit diesem Flügel steht und fällt. Ohne ihn wird die Regierung ihren neoliberalen Weg gegenüber der Bevölkerung nicht durchsetzen können.
Tummelplatz der Geheimdienste, Spezialisten und Ausbildner
Ein im September 2000 geschlossenes polizeiliches Abkommen mit den USA erlaubt es US-Antiterrorspezialisten, auf eigene Faust in Griechenland zu ermitteln.
Der Außenamtssprecher Panos Beglitis will außerdem Großbritannien für eine europäische Initiative gewinnen, um die USA in ihrer Einmischung zu bändigen: “Der Terrorismus ist kein lokales Problem. Wir müssen ihn auf EU-Ebene angehen.”
Kurz vor den ersten Verhaftungen hatte das amerikanische Außenministerum den mangelnden Erfolg der griechischen Regierung bezüglich des 17N als “lästig” kritisiert.
Nachdem die Gruppe am 8. Juni 2000 den britischen Militärattaché in Athen, Stephen Saunders, liquidiert hatte, sandten Scotland Yard und FBI Anti-Terror-Spezialisten nach Athen, die lt. offizieller Sprachregelung der nicht gut ausgebildeten griechischen Polizei “helfen” und sie “beraten” sollten. Diese setzten selbständig ihre Ermittungen fort: Zum Beispiel verglichen sie erstmals alle Aktionen des 17N mit Computerprogrammen. Saunders war jener britische Militärattaché, der für die Luftwaffen-Operationen der NATO auf dem Balkan verantwortlich gewesen war.
Im März 2000 hatte die US-Botschaft der griechischen Polizei offiziell ein Dossier übergeben, in dem 60 griechische “Terrorismus-Verdächtige” vermerkt sind, die einer DNA-Analyse unterzogen werden sollten, um mit dem Blut verglichen zu werden, das angeblich in einem “Fluchtfahrzeug” nach einem – gescheiterten – Anschlag auf den deutschen Botschafter gefunden worden war. Die Polizei wies das Ansinnen aber als “nicht verfassungskonform” zurück. Noch kurz vor dem Anschlag auf Saunders hatte die Innenministerin erklärt, im Besitz eines Dokuments der DDR-Staatssicherheit (MfS) zu sein, das die Mitgliederstruktur des 17N offenlegt. Ist es dieselbe Liste wie die des FBI und dieselbe Liste, von der 17N in ihrer Anschlagserklärung spricht? (siehe Erklärung der Organisation 17. November in diesem Heft)
Ein gewisser Tally Kritzmann vom ICT (Institute of Counter-Terrorism) fragt sich am 8. August 2000, ob Griechenland wohl die Lektionen der Terrorismus-Bekämpfung gelernt habe. Angesichts der Gefahr, als unsicheres Land qualifiziert zu werden, habe die Regierung versucht, die Fähigkeit zu entwickeln und unter Beweis zu stellen, terroristische Aktionen zu verhindern. Er sieht das Attentat als Wendepunkt in der Sichtweise der Regierung, der Sicherheitskräfte und der Öffentlichkeit hin zum Ruf nach drastischeren Maßnahmen. Es wurde eine Belohnung für Hinweise ausgesetzt, Straßenblockaden wurden durchgeführt, Informationen durch Polizisten in Zivil eingeholt. Es wurde eine Rekonstruktion des Attentats durchgeführt und den Ermittlungen Top-Priorität eingeräumt. Diese Standardmaßnahmen schienen intensiver eingesetzt worden zu sein als üblich. Eine in der London Times erwähnte Liste von 20 Verdächtigen wurde jedoch sowohl von britischen als auch von griechischen Quellen dementiert.
Schnell wurde eine intensive Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich vereinbart und GB sandte Experten zu Konsultationen. Am 11. und 12. Juli 2000 wurde ein Terrorismus-Bekämpfungsseminar unter Beiziehung von hochrangigem britischen Si­cher­heits­personal abgehalten, das von zahlreichen griechischen Ministern besucht wurde, unter anderen vom Minister für öffentliche Ordnung Chrysohoidis, Außenminister Papan­dreou sowie vom britischen Botschafter Madden. Es wurde empfohlen, die Sicherheitskräfte zu reorganisieren und eine einheitliche Anti-Terror-Einheit nach dem Vorbild des britischen CTPD zu schaffen. Britische Beamte schlugen auch ausgeklügelte Überwachungstechniken und den Einsatz der Medien bei der Schlacht gegen den Terrorismus vor. Die beiden Länder vereinbarten gemeinsame Anti-Terror-Übungen und den Austausch von technologischem Wissen. Am 14. Juli 2000 trafen Beamte des britischen Außenministeriums mit Außenminister Papandreou, mit Chrysohoidis, Justizminister Stathopoulos und der Abgeordneten der Nea Dimokratia und nunmehrigen Bürgermeisterin von Athen, Bakoyanni, zusammen. Aber auch auf niedrigerer Ebene gab es bilaterale Polizei-Treffen.
Laut Kritzmann rühmen sich die Briten, eine dominante Rolle bei den griechischen Ter­ror­be­kämpfungs-Bemühungen zu spielen, was er mit deren weniger herablassenden Verhalten im Vergleich zu den USA erklärt und auch als profitabler für Griechenland sieht als eine Kooperation mit der EU, die, im Unterschied zu den Briten mit der IRA, wenig Erfahrung damit habe.
Auch der US-Kongreß hatte sich am 5. Juni 2000, also drei Tage vor dem Anschlag auf Saunders, zu Wort gemeldet. Er empfahl, Griechenland, ähnlich wie Pakistan, als in Sachen Terrorismus nicht “voll kooperierenden Staat” zu klassifizieren. Dieser Status hätte zur Folge, daß Griechenland keine Militärgüter von den USA kaufen kann. Er empfahl auch, Griechenland aus dem “Visa Waver”-Programm auzuschließen. Eine Sanktion, die damals laut Madeleine Albright nicht verhängt werden sollte.
Bereits im Dezember 1998 war eine permanente bilaterale Arbeitsgruppe in Sachen 17N innerhalb des FBI gegründet worden, bestehend aus amerikanischen und griechischen Offizieren. Die Ermittlungen dieser Gruppe hatten am Weihnachtsabend 1999 zur Verhaftung von Avraam Lesperoglu geführt, einem “palästinenserfreundlichen” Militanten, der verdächtigt worden war, der Gruppe Antikra­tiki Palli (Antistaatlicher Kampf) anzugehören. Ihm wurden die Ermordung des Staatsanwaltes Theophanopoulos in Thessaloniki 1985 und Ermordungen sowie Mordversuche an mehreren Privat-Wachen und Polizisten angelastet. Die Affäre hatte einigen Staub aufgewirbelt. Die Presse geiferte und die linken Intellektuellen waren empört. Alle Anklagen gegen Lesperoglu wurden fallengelassen. Bis auf eine: Der Mordversuch an dem Polizisten Psaroudakis auf dem Exarcheia-Platz 1982 in Athen, für den er in erster Instanz zu 17 Jahren verurteilt wurde. Nach 22 Monaten U-Haft wird er im Berufungsverfahren freigesprochen. Im August 2001 verwirft der Oberste Gerichtshof die Entscheidung des Berufungsgerichts. Lesperoglu wird erneut verhaftet.
Die griechische Regierung hat immer die Existenz einer griechisch-amerikanischen Arbeitsgruppe zum 17N geleugnet, nicht jedoch die “Zusammenarbeit”.
Die Zelle der Spezialisten des FBI für Täterprofile in Quantico, Virginia, wurde beigezogen. Griechische Polizisten nahmen an einem internationalen Ausbildungsseminar über Terrorismus in Quantico teil. Später gab es Kurse in Athen und im Jänner 2000 fuhr wieder eine Gruppe von griechischen Polizisten nach Quantico zu einem zweiwöchigen Seminar. Botschafter Miller war natürlich “vollständig informiert” über diese gemeinsamen Aktionen und hatte, so das FBI, “seine volle Zufriedenheit über die ausgezeichnete Arbeit der Arbeitsgruppe” zum Ausdruck gebracht.
Es gibt aber auch Elemente, die den Rahmen der griechischen Innenpolitik überschreiten: Die USA hätten gerne, daß Griechenland sie bei ihrem Vorhaben unterstützt, die an internationalen Missionen beteiligten amerikanischen Militärs von der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes auszunehmen, ein Tribunal, dessen Charta die USA nicht unterschrieben haben. Die griechische Regierung hat die Angelegenheit an die EU zurückdelegiert, mit dem Argument, daß es in dieser Frage eine koordinierte Vorgangsweise auf europäischer Ebene geben müsse. Allerdings wird Griechenland ab Jänner 2003 wieder den EU-Vorsitz übernehmen und ist bereits seit letztem Juli interimistisch für die militärischen Angelegenheiten der EU zuständig. Ob es einen Deal zwischen Griechenland und den USA gibt, welche gegenseitigen Zugeständnisse wohl bezüglich der Ermittlungen gegen 17N gemacht worden seien und auf welche Enthüllungen man sich noch gefaßt machen darf, fragt sich info-grèce, ein französischsprachiges Internet-Magazin, das immer wieder auf Spekulationen über etwaige Deckungen des 17N durch PASOK-Politiker herumreitet. Einziger Kommentar im Leserforum zum Bericht über Papandreous Protest bei Miller: “Ich unterstütze und beglückwünsche die griechische Regierung für ihre harte Haltung gegenüber den USA. Dieses Beispiel sollte insbesondere den großen europäischen Mächten als Beispiel dienen, die, aus Angst zu mißfallen, ihre Souveränität in entscheidenden Punkten nach und nach aufgeben. Armes Europa!”
In den 28 Jahren der Ermittlungen von CIA, FBI, Scotland Yard und aller möglichen internationalen Experten, hatte auch die französische DST diskret mitgemischt.
Das neue Antiterrorgesetz
Im Zuge der Vereinheitlichung des europäischen Repressionsapparats soll in Anlehnung an das britische Antiterrorgesetz und ähnlich dem deutschen §129a ein griechisches Antiterrorgesetz durchgesetzt werden.
Die Nea-Dimokratia-Regierung von Mit­sou­takis hatte anläßlich zahlreicher Attentate bereits 1991, kurz vor ihrem Sturz, versucht, ein Antiterrorgesetz durchzusetzen. Damals brachten die sensationslüsternen großen Tageszeitungen das Projekt zu Fall. Es hätte ihnen verboten, die Erklärungen des 17. November abzudrucken …
Der Text des neuen Gesetzes wurde bislang geheim gehalten, hat aber in der Öffentlichkeit nicht viele Freunde: “Das Antiterrorgesetz wird die demokratischen Rechte der Bürger außer Kraft setzen und die Strafprozeßordnung zum Nachteil des Volkes manipulieren”, befürchtet Kostas Papadakis vom Vorstand der Anwaltskammer: “Und das”, betont der Anwalt, “werden wir auf keinen Fall hinnehmen.”
Kernstück des neuen Gesetzes ist, so Papadakis, die Abschaffung der SchöffInnen in politischen Verfahren. Die vier SchöffInnen hatten in mehreren Antiterrorverfahren die drei BerufsrichterInnen überstimmt und die Anklage abgewiesen. Das Ergebnis: von den 146 Bombenanschlägen und Schußwaffenattentaten ist seit 1975 ist nur eines “aufgeklärt” – und dies nur deshalb, weil der Anarchist Nikos Maziotis nach seiner Festnahme 1998 selbst erklärt hatte, er sei für einen Bombenanschlag auf das Finanzministerium verantwortlich. Maziotis wurde in erster Instanz zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Nicht nur die Briten, auch die USA schlagen seit langem eine Änderung bestehender griechischer Antiterrorgesetze vor: Förderung der Unterstützung durch die Öffentlichkeit bei den Ermittlungen, Erhöhung des Strafausmaßes, Hebung des Niveaus und Erhöhung der “Unabhängigkeit” der Behörden bei Gutachten. Die bislang vorgeschlagenen Änderungen entsprechen sowohl den US-Empfehlungen, als auch der Anpassung der Gesetze im Hinblick auf das Abkommen zwischen GB und Griechenland.
“Teleterrorismus” – Kollaboration Medien-Polizei
Unmittelbar nach dem Anschlag auf Saunders verhieß die Regierung, dieses Phänomen “aufs Unerbittlichste” bekämpfen zu wollen. Papandreou: “Wir werden uns das Image unseres Landes nicht verpesten lassen”. Die Kampagne begann mit einer Gedenkminute in den Medien sowie der Verbreitung von Aufrufen, die die Gefahr des Terrorismus für Leib und Leben, für die soziale und politische Ordnung und daher für die Kultur und die demokratischen Werte beschworen. Saunders’ Witwe trat oftmals vor die Kamera und rief das Publikum auf, ihr beim Kampf gegen den Terrorismus und beim Aufspüren der Killer ihres Mannes zu helfen. Der erzreaktionäre orthodoxe Erzbischof von Griechenland, Chris­to­dou­los, hielt eine Totenmesse für die Opfer des Terrorismus ab.
Ganz im Sinne der britischen Vorschläge ergriff der Machtkomplex von Medien und Staat die günstige Gelegenheit und schuf nach den ersten Verhaftungen von angeblichen 17N-Mitgliedern im Juni 2002 ein Klima allgemeiner Angst und Hysterie in der Gesellschaft, da ja die meisten Mitglieder noch auf freiem Fuß seien. Die Polizei versorgte die Journalisten mit Gerüchten über Personen, die in Verdacht standen, zur Gruppe zu gehören. Wie Polizei-Ermittler befragten die Star-Kommentatoren der (privaten) Fernsehsender Leute in ihren Shows über der Mitgliedschaft Verdächtigte und Verhaftete. Die Gesellschaft als Ganze wurde aufgefordert, die Nachbarn zu bespitzeln und Polizei-Hotlines anzurufen, falls sie irgendwas Verdächtiges bemerken würden. Wobei zu bemerken ist, daß die “Berichterstattung” der privaten Fernsehsender in unterschiedlichem Ausmaß bereits vor der jetzigenTerrorhatz mit ihren Paparazzi-Methoden manch eine Existenz vernichtet hat. Die Schaffung von Lynchstimmung, die rührseligen “Interviews” mit Betroffenen und Opfern, stehen den Auftritten der Witwe Saunders um nichts nach. Unzählige Male wurden Verbrechen Albanern zugeschrieben, die sonst immer als “übliche Verdächtige” herhalten müssen, auch wenn sich nachher herausstellt, daß “Einheimische” – oft sogar Bullen – die Täter sind. Selbst in Gerichtsverhandlungen ist man, wenn man sich nicht wehrt, den Kameras ausgesetzt.
Nach der Verhaftung des “Kerns” der Gruppe begann eine neue Etappe der Kooperation von Polizei und Medien. Das Augenmerk richtete sich nun auf die “Unterstützer” oder die weniger “berühmten” Stadtguerilla-Gruppen. Nachdem die gesellschaftliche Zustimmung für die “Ausrottung des Terrorismus” erreicht schien, richtete sich die Hetze gegen einzelne Leute und ganze politische Strömungen der extremen Linken und des Anarchismus. Die Hexenjagd hatte begonnen …
Repression und “Kollateral”-Repression
Seit den ersten Tagen der neuen Anti-Terror-Ära gab es Menschen, die entschlossen waren, Bürgerrechte, Ausdrucksfreiheit und Ideale gegen den Angriff des Staates und der Medien zu verteidigen. Die aktivsten waren das “Netzwerk für die Verteidigung der sozialen und politischen Rechte”, das auch Anwälte stellt, und die “Koalition gegen den staatlichen Terrorismus”. Diese Rechtshilfegruppen haben zahlreiche Linke und Anarchisten auf politischer und legaler Ebene verteidigt, die seit vielen Jahren auf der Liste der “üblichen” Terror-Verdächtigen stehen, aber in den letzten 25 Jahren von der griechischen Justiz für unschuldig erklärt worden waren.
Diese beiden Gruppen waren zwei der wenigen Stimmen in der griechischen Gesellschaft, die faire Verfahren für die angeblichen Mitglieder des 17. November fordern und die Verletzung der Bürgerrechte der Verhafteten und die Haftbedingungen anprangern. Die Gefangenen werden allesamt in sehr kleinen Gefängniszellen gefangen gehalten, ähnlich den “weißen Zellen” in der Türkei, und werden u.a. bei der Kommunikation mit ihren Anwälten behindert. Im Unterschied zu Medien und Staat sind die beiden erwähnten Gruppen zwei der wenigen, die die Motive des 17. November als politische anerkennen, selbst wenn sie mit der Taktik nicht einverstanden sind.
Anfang September wurde Avraam Les­pe­roglu, ein altgedienter “üblicher Verdächtiger”, unter einer Anklage vor Gericht gestellt, von der er bereits freigesprochen worden war. Nach einem wochenlangen Prozeß, in dem zahlreiche Verfahrensvorschriften mit Füßen getreten wurden, sprach ihn das Schöf­fIn­nen­gericht frei. Ein peinlicher Schlag für die Antiterror-Koalition Staat-Medien. So begannen einige Fernsehkommentatoren und Zeitungen das “Netzwerk zur Verteidigung der sozialen und politischen Rechte”, das Lesperoglu mit aller Kraft verteidigt und auch die Anwältin gestellt hat, als “politische Sektion” von 17N, als Sinn Fein bzw. Batatsuna Griechenlands zu attackieren. Sie sparten auch nicht mit persönlichen Angriffen gegen die Anwältin unter der Gürtellinie. Auch andere fortschrittliche Menschen blieben von derartigen Angriffen nicht verschont. Michalis Andreoulakos, Strafverteidiger und Abgeordneter der Nea Dimokratia, erklärte in einer Fernsehshow: “Was heißt es, daß Lesperoglou freigesprochen wurde? Wissen Sie, wie viele meiner Klienten in meiner 35jährigen Karriere freigesprochen worden sind, obwohl sie schuldig waren?”
Am Höhepunkt des Medienangriffs, dem realen Terrorangriff, wird jeder als Terrorist bezeichnet, der/die die Bürgerrechte und die Ausdrucksfreiheit verteidigt. Ganz im Sinne der britischen Bemühungen, nachzuweisen, daß ein Klima geschaffen werden kann, in dem 17N allein dasteht: Verschwörungstheorien, Negierung historischer Tatsachen und Bewegungen, öffentliche Verurteilungen von Personen und Kollektiven. Die Medien operieren ihrer Rolle entsprechend mit Desinformation und der Schaffung von gesellschaftlichem Konsens: die Wahrheit verdrehen, Ideen und Tatsachen verfälschen, Rufmord.
Es traf auch Indymedia Athens. Einige Journalisten fordern die Polizei auf, das “Terroristen”-site oder gar die “Stimme des 17. November” zu schließen, in einigen Artikeln fordern sie sogar, die Verantwortlichen festzunehmen. Aufhänger war der Bericht über eine öffentliche Aktion der Gruppe Virus, die Attac nahe steht, bei der Fotos der übelsten Journalisten des griechischen Fernsehens mit Joghurts beworfen wurden. Auch die Passanten wurden aufgefordert, zu den Joghurtbechern zu greifen. Die Journalisten stellten diese Aktion als “Bedrohung für ihr Leben” dar.
Indymedia erklärt: “Ein Teil Griechenlands kehrt zurück zu den Jahren der Militärdiktatur. Aber ein anderer Teil will das nicht zulassen. Wir brauchen Unterstützung von Leuten aus der ganzen Welt, nicht nur für Indymedia Athens, sondern gegen den Terror, der die ganze griechische Gesellschaft erfaßt hat. Dieser Terror hat zwar nicht die Ausmaße, hat aber dieselben Ursachen wie in Euskal Herria, in Guantanamo, in den USA, oder in nächster Zeit im Irak. In diesen düsteren Tagen ist unsere einzige Waffe die Solidarität.”
Am 28. September 2002 versucht der Chef der Abteilung für Cyberkriminalität Manos Sfakianakis in eigener Person mail-Kontakt mit IMC-Athens aufzunehmen. Leider hatte er bei seinem eigenartig formulierten Versuch, Telephonnummern von Mitgliedern rauszukriegen, übersehen, daß es nichts nützt, mit einem Phantasienamen zu unterschreiben, wenn der volle Name des Absenders mitgesendet wird. Zwei “absolut zuverlässige” Quellen bestätigen, daß genau dieser Sfakianakis selbst der Eigner der Adresse: Sfakianakis manossfa @ath. forthnet.gr ist und eine etwaige Namensgleichheit ausgeschlossen ist. IMC-Athens: “Wir werden uns der neuen Realität nicht beugen. Im Gegenteil: Ihr entgegenzutreten ist der Grund für unsere Existenz. Indymedia ist ein internationales Netzwerk von unabhängigen und zusammenarbeitenden Informations-’Zentren’ im Internet – und nicht das einzige seiner Art. Sein Ziel ist, daß wir selbst alle Informationen in die Hand nehmen. Der erste Schritt dazu ist bereits getan: Die meisten von uns haben schon vor langer, langer Zeit ihre Fernseher abge­schal­ten.”
Am 29. September erhält Indymedia Schützenhilfe von unerwarteter Seite:
Herr Paschos Mandravelis, einer der ältesten Internet-User Griechenlands, der wohl weiß, wovon er spricht, von dem sich die Linke üblicherweise aber keine Höflichkeiten erwartet, meldet sich in der rechten Zeitung Apogevmatini bezüglich Indymedia zu Wort:
“Athens Indymedia ist eines von Millionen Websites in Griechenland … Es ist ein Experiment alternativer Information, wo jeder seine Meinung, seine Sorgen und sogar Vulgaritäten ausdrücken kann. In letzter Zeit wurden auf ihren Seiten eine Reihe mehr oder weniger höflicher Angriffe auf Journalisten lanciert. Die Tageszeitung Apogematini war eines der bevorzugten Ziele dieser Angriffe. Manche dieser Meinungen könnten von den veralteten griechischen Gesetzen als Ermunterung zu Straftaten angesehen werden. Sie sind es aber nicht. Manche dieser Meinungen sind anständig, manche weniger und manche sind einfach verrückt. Jede dieser Meinungen ist jedoch durch die Verfassung geschützt, gleich wie verrückt sie sein mögen.” … “Als Indymedia die TV-Nachrichten attackierte, wurde die Staatsanwaltschaft von einigen Seiten aufgefordert, einzugreifen und das site zu schließen. Um mit Talleyrand zu sprechen, könnten wir sagen: jede solche gesetzliche Maßnahme wäre nicht nur ein Verbrechen, sondern ein Irrtum. Praktischerweise kann das Internet aber nicht zensuriert werden. Selbst wenn Computer konfisziert werden, kommen diese Meinungen über andere Computer wieder, die dann wahrscheinlich außerhalb Griechenlands stehen werden, außerhalb der Reichweite der Herren Zerbobeakos und Diotis, jenen Justizbeamten, die die Journalisten zum Eingriff aufrufen.” … “Was aber wirklich ausschlaggebend ist, im Hinblick auf Athens Indymedia …, ist, ob wir wirklich jeden zensurieren wollen, der störende oder selbst beleidigende Meinungen äußert. Leider ist es in unserem Land leicht, die Justiz zur Intervention aufzurufen. Dabei wird vergessen, daß jegliche Intervention gegenüber der Meinungsfreiheit die Rechte aller beeinträchtigt, insbesondere die Rechte der Journalisten. Deshalb, und weil niemand entscheiden kann, welche Meinungen anständig und welche weniger anständige oder welche lächerlich sind, erlaubt der demokratische Staat die Veröffentlichung aller Meinungen. Und das ist genau, was wir tun sollten. Die Schlußfolgerung ist daher, falls eine juridische Verfolgung von Athens Indymedia gestartet wird, wird Indymedia überleben. Was verwundet würde, wäre die Demokratie.”
Ende September demonstrierten 2.500 Menschen, einem Aufruf des “Netzwerk für die Verteidigung der sozialen und politischen Rechte” folgend, gegen den Staats- und Medienterrorismus, gegen die Verleumdungen und gegen die Haftbedingungen der Gefangenen der Gruppe 17. November, gegen die Kriminalisierung der sozialen Kämpfe und gegen die zunehmende Überwachung der Gesellschaft. Die Demonstranten wurden in den Medien als “Unterstützer von Terroristen” bezeichnet. Kein Blut, nur Sprechchöre. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen “jeden, der für diese Sprechchöre verantworlich sein könnte”.
Nicht alle Reaktionen der Betroffenen sind so zahm: Am 13. September wurden mehrere Fernseh-Journalisten, die die Anwältin von zwei Angeklagten des 17N vor ihrer Athener Wohnung belästigt hatten, von ca. 30 Leuten verprügelt und ihre Kameras zerschmettert.
Reporters sans Frontières (RSF) beklagen in einer Erklärung Anfang Oktober, daß bei der Demonstration zur US-Botschaft am 26. September ein Bus des von der ND gegründeten Privatfernsehsenders MEGA zerstört wurde, ein Journalist und zwei Techniker leicht verletzt wurden, die Ausrüstung mehrerer Fotografen und Kameraleute zerstört und Solidaritätsparolen mit 17N gesprüht wurden.
Weiters habe am 2. Oktober eine Gruppe von 20 behelmten Leuten die Redaktionslokale der – rechten – Athener Tageszeitung Apogevmatini und einige Autos mit Mollies angegriffen. Die dort arbeitenden Journalisten wurden nicht verletzt. Der Besitzer dieser Zeitung, Nikos Momfertos, war 1985 einem Anschlag des 17N zum Opfer gefallen. Die Zeitung macht sich erwartungsgemäß für die Entlarvung der Gruppe stark.
In Paris wurden in der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober die Räumlichkeiten des “Netzwerk Damocles”, dem juridischen Arm von RSF, von Unbekannten verwüstet, die Schränke wurden geleert, Akten auf dem Boden verstreut, die Drähte der Computer durchschnitten und die Wände mit “mehr oder weniger verständlichen Drohungen” beschmiert, womit RSF dann der Kragen platzte und sie sich zu einer Erklärung veranlaßt sahen. Allerdings: Das “Netzwerk Damocles” arbeitet momentan an mehr als 15 verschiedenen Fällen, und es ist “unmöglich, eine Spur zu bevorzugen”. Könnte also irgendwer gewesen sein: Von RSF ins Leben gerufen, agiert Damocles “auf verschiedenen Ebenen, um der Straffreiheit von Mördern und Folterern in verschiedenen Staaten ein Ende zu bereiten” und überall auf der Welt, wo die Freiheit der Presse und der Journalisten in Gefahr ist. Soll das etwa heißen, daß Journalisten, dort, wo ihr eigenes Leben nicht in Gefahr ist, im Namen der Pressefreiheit ungestört Existenzen vernichten dürfen?
“Gewalt gegen Journalisten ist niemals gerechtfertigt, egal unter welchen Umständen. Die Polemik um die Berichterstattung über die Entlarvung des 17N, die die Gemüter in Griechenland im Augenblick erhitzt, muß die Form einer Auseinandersetzung um Ideen bewahren. Jene, die die Parteilichkeit der Presse in dieser Angelegenheit anprangern, können die Frage durchaus auf demokratischem Weg stellen”, so Robert Ménard, Generalsekretär von RSF.
“Distanzitis” und Geheimdienstparanoia in der Linken
Wie immer in Fällen verallgemeinerter Repression, bleibt der Druck sowie die Medien- und Polizei-Gerüchteküche nicht ohne Folgen für die real oder weniger real Betroffenen. Selbst für jene, die entschlossen sind, der Repression, den Konstrukten und der Hetze entgegenzutreten, ist es nicht leicht, reale Angst bis Paranoia im Zaum zu halten. Und es ist ja wirklich so, daß es noch nie eine Frage von “Schuld” oder “Unschuld” war, ob man in den Fängen der Polizei landet, ob man dem Druck und den verschiedenen Formen der mehr oder weniger versteckten Folter durch Isolation, Lügenkonstrukte der Polizei, Erpressungen bis zur physischen Folter standhält. Das gilt auch für die Leute “draußen”. Wer weiß schon, mit wem er/sie auf einer Demo fotografiert wurde, in welchem Wirtshaus er/sie was mit wem geredet hat oder ob er/sie nicht in einer Wohnung, in einem Auto einen Fingerabdruck, ein Haar oder sonstwas hinterlassen hat? Das so geschaffene Klima kommt einer Kontaktsperre gleich. Es verschleiert, daß man einer solchen Situation nur erhobenen Hauptes, mit einer offensiven Haltung und politischem Mut begegnen kann und daß man nur so der Kriminalisierungs- und Verleumdungsstrategie von Menschen und Meinungen entgegentreten kann.
Die einen versuchen, ihre Haut durch Distanzierungen zu retten, die anderen gehen vielleicht Verleumdungen und Verdächtigungen auf den Leim, die dritten sehen alle möglichen – geschickt geschürten – Verschwö­rungstheorien. Wenn man bedenkt, welche katastrophalen Folgen die Paranoia im Deutschen Herbst, im April 1977 in Italien oder mit der Hetze gegen die Palmers-Entführer in Wien für die linke Bewegung gehabt haben, könnte man leicht darauf hereinfallen und so denken wie ein Kommentar – wiederum in Athens Indymedia –, den wir hier stellvertretend für viele Verschwörungstheorien zitieren: “Was ist nun die Wahrheit über 17N? Ihr schreibt, 17N habe es nie geschafft, die politische Szene des Landes in Mitleidenschaft zu ziehen … und ein paar Zeilen weiter: ‘Meine persönliche Antwort darauf ist, daß 17N bewußt oder unbewußt als Waffe in der Hand des Staates gearbeitet hat’. Hier in Griechenland weiß man, daß jedes Auftreten von 17N auf ein politisches Moment abzielte, besonders offensichtlich, wenn eseine allgemeine politische Krise gab. Mehr als das. Viele Leute haben es als eine Strategie gesehen, die den dringenden Zielen der Regierung dient … und sie haben nicht nur die politische Szene Griechenlands schwer getroffen, sondern auch Politiker und Funktionäre, Beziehungen usw. …”
Es sind immer wieder Spekulationen aufgetaucht, daß 17N von Personen aus dem Geheimdienst oder der Politik gedeckt werden. Diese Vermutungen sind noch immer nicht beseitigt, auch wenn sie sich nie durch konkrete Beweise erhärten ließen. Es werden immer wieder Vermutungen geäußert, daß Dimitris Koufontinas seit 1984 für den griechischen Geheimdienst gearbeitet hat. Der Geheimdienst hat das aber öffentlich dementiert.
Und es ist eine beliebte Vorgangsweise der Reaktion, unbequeme Politiker aller Länder, immer wieder wegen früherer “Kontakte” oder “Aktivitäten” ins Visier zu nehmen, selbst wenn sie eh immer staatstragend waren. Solche müssen sich dann – wie die Erfahrung lehrt – als besonders staatstragend und unerbittlich gegenüber den Unterdrückten aller Länder profilieren …
Die im Europaparlament vertretene Sy­nas­pis­mos unterstützt in einer “Erklärung betreffend die terroristische Gruppe 17. November” vom 10. Juli 2002 “jeden Schritt, der sich im Rahmen der verfassungsmäßigen Legalität bewegt, gegen den Terror, der stets ein fürchterliches und kriminelles Phänomen und eine Gefahr gegen die Linke war”. Sie stellt sich aber entschieden gegen die Diffamierung von Menschen und des Kampfes gegen die Diktatur und die Anwendung von Methoden am Rande der konstitutionellen Grenzen. “Die griechische Gesellschaft wünscht, daß dieser Fall voll aufgeklärt wird, will aber nicht Zeuge und noch weniger Beteiligte bei Polizei-Szenarios werden, die Verwirrung stiften und ein Klima der Angst und der Verleumdung von Bewegungen und Militanten schaffen. Die Bemühungen, diese terroristische Gruppe zu entlarven, sollte auf keinen Fall dazu führen, die Demokratie zu schädigen und Entscheidungen in Richtung auf einen autoritären Staat und der Verschärfung von Mechanismen, die die Menschenrechte und die Freiheit beschränken. Für uns muß die Niederlage des Terrorismus ein Sieg und nicht ein Test für die Demokratie sein.”
Synaspismos wirkt am European Social Forum mit. “Synaspismos identifiziert sich mit den Ideen und Werten des demokratischen Sozialismus, der Ökologie, des Feminismus und des Anti-Militarismus. Sie glaubt an den Pluralismus und betrachtet die Verteidigung der Menschenrechte als nicht verhandelbar.” Als 150 ihrer Anhänger anläßlich der Konferenz von Genua nach Italien einreisen wollten, wurden sie beim Verlassen der Fähre zurückgewiesen und, da sie eine Sitzblockade auf italienischem Beton durchführten, wurden sie von den italienischen Bullen aufs – griechische – Schiff zurückgeprügelt, die das Schiff dann auch durchsuchten. Die griechische Regierung hatte gegen diesen Übergriff auf ihr Territorium protestiert – man erinnere sich: das Schengener Abkommen war für die Zeit der Konferenz ausgesetzt worden.
Eine kleine Chronologie des “Angstsommers” 2002
28.6.2002: Eine Bombe explodiert am Hafen von Piräus in den Händen von Savvas Ksiros (in der Nähe der Niederlassung von Minoan Flying Dolphins, die die Hauptverantwortlichen für die 76 Toten der Express Samina sind und deren Beschäftigte seither einen permanenten Arbeitskampf führen. Der Bewußtlose Savvas wird ins Krankenhaus gebracht und unter Bewachung gestellt. Die Polizei verkündet, ihn der Mitgliedschaft bei 17N zu verdächtigen. Er wäre infolgedessen seit dem 23. Dezember 1975 der erste Verhaftete dieser Gruppe. Der Medien-Mob beginnt, in Savvas’ Vergangenheit herumzuschnüffeln und seine Familie zu belästigen.
2.7.2002: Savvas kommt zu Bewußtsein. Die Polizei soll ihm nach einigem Leugnen das Geständnis entlockt haben, 17N anzugehören. Angeblich soll er Namen genannt haben. Allerdings berichtete unmittelbar nach der Festnahme ein nicht-griechischer Fernsehsender, die englischen Ermittler hätten die Nummern seines Handys verfolgt und seien dabei auf Wohnungen gestoßen, in denen Waffen und Dokumente gelagert gewesen seien, unter anderem über Truppenbewegungen der NATO. Einer der beiden Mieter ist Dimitris Koufontinas, der fortan gesucht wird. In den darauffolgenden Tagen werden Leute aus seinem Umkreis verhaftet. Auch zwei Brüder von Savvas wurden verhaftet.
18.7.2002: Der 63-jährige Alexandros Gio­to­poulos wird auf der Insel Lipsi festgenommen. Er steht schon seit Anfang der 90er Jahre auf der ominösen Verdächtigen-Liste des FBI. In der Wohnung des 1939 in Paris geborenen Professors hatte die Polizei einen Computer und Dokumente beschlagnahmt. Außer ihm, dem unterstellt wird, der Chef der Gruppe zu sein und der keine Aussage macht, sollen fast alle die Mitgliedschaft zugegeben haben bzw. ausgesagt haben, sie hätten nicht gewußt, wem sie da helfen würden.
Die Geschichte wird in den folgenden Monaten von allen Medien als Top-Story aufgeblasen. Sie holen alle möglichen Bettgeschichten hervor – wessen ex-Frau mit wem usw. Die Freundin des gesuchten Dimitris Koufontinas, Aggeliki und ihr 12-jähriges Kind, kommen besonders zum Handkuß.
21.7.2002: Die Zeitung “Eleftherotypia” berichtet, die zahlreichen Festnahmen in letzter Zeit hätten einen geplanten Anschlag auf NATO-Soldaten verhindert.
22.7.2002: Ein in Deutschland geborener, in Nordgriechenland verhafteter Busfahrer hat angeblich beim Verhör gestanden, Mitglied der Gruppe zu sein.
2.8.2002: 15 der 17 Gesuchten sind in Haft.
31.8.2002: Aggeliki versucht, einen Gerichtsbeschluß zu erwirken, damit die Medien aufhören, sie und ihr Kind zu verfolgen. Sie wendet sich auch an die “Union of Journalists of Daily Papers”. Das Gericht wird ihre Klage abweisen und die Medien können sie weiterhin verfolgen.
5.9.2002: Von allen Gejagten ist nur mehr “Lucas” Dimitris Koufontinas frei. Einigen Aussagen von Verhafteten zufolge hätte der Bienenzüchter die Verbindung zwischen den Ausführenden und den Befehls-”Gehirnen” gesichert. Auch hätte er den Großteil der Operationen des 17N organisiert und an der Mehrzahl dieser Operationen selbst teilgenommen. Wer sich bis jetzt noch nicht gefragt hat, was an der Gerüchteküche um Aussagen und Denunziationen dran ist, muß sich spätestens angesichts solcher Wortwahl fragen, wie allfällige Aussagen zustande gekommen sind … und ob nicht vielleicht die von den USA verlangte Kronzeugenregelung antizipiert werden sollte.
An diesem Donnerstag um 14h ruft Koufontinas seine Anwältin an und teilt ihr mit, daß er sich “stellen” werde. Er nimmt ein Taxi in Piräus, bezahlt die 7-Euro-Fahrt mit einem 100-Euro-Schein, verzichtet auf das Restgeld und stört um 14h45 die Nachmittagsruhe der verblüfften Anti-Terror-Einheit im 12. Stock der Polizeidirektion Athen mit den Worten: “Ich bin Koufontinas, ich bin gekommen, um mich zu stellen”.
Ihre Verblüffung ist verständlich: Millionen und Millionen Euro waren sowohl von der griechischen Polizei als auch von der britischen und der US-Botschaft für Hinweise versprochen worden. Täglich queren Dutzende Illegale die griechische Grenze, von Nord nach Süd, von Ost nach West, und der meistgesuchte Mann Griechenlands schaut bei ihnen vorbei!
JedeR Vernünftige Mensch würde seine Großzügigkeit gegenüber dem Taxler realistischerweise als politische Aussage werten und verstehen: Ich komme hier sowieso nie wieder raus, wozu brauch ich noch Geld? Die Pressemeute witterte jedoch den Beweis für ein finanzkräftiges Terrornetz.
Am Abend präsentiert seine Anwältin der Presse eine Erklärung ihres Mandanten: “Ich übernehme die volle politische Verantwortung für die Handlungen des 17. November. Meine Handlungsweise war geleitet im Sinne des Aufbaus einer revolutionären Bewegung und von der Vision einer sozialistischen Gesellschaft … Der Wert des Kämpfers in solchen Momenten ist die Würde.” Er schwärzt niemanden an, behauptet, daß die Richter von ihm nichts Essenzielles erfahren werden und erklärt seine Solidarität mit denen, die zu Recht oder zu Unrecht für 17N in Haft sind. Er entlastet Giotopoulos und weist jegliche Beziehung seiner Organisation zu politischen Parteien zurück.
Es geht das Gerücht, daß er das wohl getan hat, um seine Freundin und ihr Kind aus dem Fokus der Medienhatz zu nehmen. Leider umsonst.
12.9.2002: Die Medien-Meute fordert Aggelikis Verhaftung. In Talk-Shows werden Kommentare über ihr Intimleben verbreitet. Ein Fingerabdruck in einer der Wohnungen wird einem linken Medien-Journalisten zugeschrieben.
15.9.2002: Die Polizei gibt bekannt, daß der ominöse Fingerabdruck Aggeliki gehört und sie deshalb verhaftet worden ist. Die Medien jubeln. Sie haben gesiegt.
Ende September/Anfang Oktober: In einem nach seiner Verhaftung veröffentlichten Interview mit einer Lokalzeitung aus seiner Heimatregion Lamia, “Lamiakos Typos”, weist Giotopoulos die Beteiligung an 17N zurück und hält in einer ausführlichen Analyse über die Entwicklung terroristischer Organisationen in Griechenland fest, daß eine Organisation wie 17N keinen Führer braucht: “Die Rolle eines Führers ist ein Polizeikonstrukt. Das Hirn eines Polizisten kann sich keine Organisaton ohne Chef vorstellen. Bereits Ende 2000 hat die Polizei Verwandte verhört, die ich nie getroffen habe sowie alte Bekanntschaften in Frankreich. Es wurden die Wohnungen von Verwandten in deren Abwesenheit durchsucht und sie haben es mit Provokationen versucht. Ich wußte, daß ich verhaftet werden würde: das Sicherheitsbüro (asfalia) und ausländische Geheimdienste haben mich spätestens seit Weihnachten 2001 beobachtet. Sie haben dabei feststellen können, daß ich keinerlei Beziehungen zu illegalen Organisationen unterhalte. Sie haben die Explosion in Piräus ausgenützt, um mit vorfabrizierten ‘Funden’ ein Konstrukt zu schnüren. Die Polizei hat ihre eigenen Montagen in eine Aussage umgemünzt, mit Erpressungen an einem schwerveletzten Mitglied von 17N, das in Lebensgefahr schwebte, an den Händen verletzt, fast blind, mit vermindertem Hörvermögen … Die Aktionen von 17N wären terroristisch, wenn sie Leute undifferenziert und blind treffen würden. Das ist niemals geschehen. Auch hat sich kein Angehöriger einer volkstümlichen Schicht jemals unsicher oder verängstigt im Zusammenhang mit der Aktivität des 17 N gefühlt. Diese Aktivität war ein bewaffneter politischer Kampf, eine Stadtguerilla, deren erklärtes Ziel der Sturz des kapitalistischen Regimes ist, zugunsten eines auf der Volksmacht basierenden antibürokratischen Sozialismus. Eine Meinungsumfrage zeigt, daß zahlreiche Griechen mit den Thesen von 17N, wie sie in seinen Erklärungen dargestellt sind, einverstanden sind, nicht jedoch mit ihren Aktionen. … Ich glaube, daß solche Anschläge nur in zwei Fällen gerechtfertigt sind: als Verteidigung gegenüber Angriffen auf Kämpfer der Volksbewegung oder in einer vorrevolutionären Periode großer gesellschaftlicher Gärung. Diese Bedingungen bestehen zur Zeit nicht. Ich bin nicht einverstanden, aber ich verurteile nicht. Um verurteilen zu können, müssen vorher Dutzende ungesühnte Verbrechen verurteilt werden. Wie z.B. der Untergang der Express Samina, bei dem 80 Personen ihr Leben verloren haben, der Tod der 200 Arbeiter, die jährlich auf dem Altar des Profits und der Produktivität geopfert werden oder der Börsenskandal, bei dem Hunderttausenden Griechen 13 Milliarden Drachmen (ca. 38 Mio. Euro) geraubt wurden. Hier haben die PASOK-Minister eine wichtige Rolle gespielt, aber vor allem jene, die als die Seriösesten gelten, die großen Unternehmer, die Abgeordneten der beiden großen Parteien und die hohen Beamten des öffentlichen Sektors sowie die großen Journalisten. Die bewaffnete Gewalt schöpft ihre Legitimität aus den Verbrechen der politischen Elite.” Schließlich: “Ich muß daran erinnern, daß ich seit zwei Monaten der einzige Gefangene in einem illegalen Isolationsregime bin.”
Sein Vater, Dimitris Giotopoulos, war wohl der bekannteste Trotzkist Griechenlands. In den dreißiger Jahren hatte er die trotzkistische Bewegung “Arbeit” gegründet. Unter dem Decknamen “Vittie” soll er Stellvertreter Trotzkis gewesen sein. Er wanderte 1935 nach Paris aus. Dort brach er mit Trotzky. Er kämpfte 1936 im spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Trotzkisten und Anarchisten. 1939 kehrte er wieder nach Paris zurück und 1947 nach Athen. Er war im Besitz von Originaldokumenten von Karl Marx.
Er gründete die “Archeiomarxistische Partei Griechenlands” und starb 1965. Man sagt ihm nach, daß er im Alter die bürgerliche Demokratie zunehmend als einzige Alternative zum stalinistischen und zum faschistischen Terror gesehen hätte. Sein Sohn emigrierte nach der Machtübernahme durch die Junta erneut nach Paris. Er hatte den Mai 1968 als Student der Wirtschaftswissenschaften erlebt und arbeitete dort mit Nikos Poulantzas zusammen, einem herausragenden Marxisten seiner Zeit.
Vater Giotopoulos galt als Mentor des griechischen Trotzkisten Mikhalis Raptis (“Pablo”), Mitglied des Internationalen Sekretariats der 4. Internationale nach dem Krieg. Nach der Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich 1962 wurde Pablo Berater von Ben Bella, für dessen FLN er ein internationales Hilfsnetz aufgebaut hatte. Er brach 1963 mit der 4. Internationale, die ihn wegen der bedingungslosen Unterstützung der Befreiungsbewegungen kritisiert hatte. Was Pablo nun mit 17N zu tun haben soll, ist nicht so wirklich klar. Offensichtlich ist sein Name im Zusammenhang mit den Verdächtigungen gegen Giotopoulos jr. in den 90er Jahren aufgetaucht.
Pablo starb am 19.2.1996 im Alter von 85 Jahren. Auf der Liste seiner Freunde standen nicht nur Ben Bella, Fidel Castro, Che Guevara, Perus Velasquez, Portugals Gonsalvez, Otelo de Carvalho oder Salvador Allende. Auf seinem Begräbnis fand man Prominente des politischen Lebens Griechenlands und Diplomaten aus Algerien, Palästina, Irak. Der Vize-Präsident des russischen Parlaments Sergei Baburin und der frühere amerikanische Generalstaatsanwalt Ramsey Clark hatten Beileidstelegramme geschickt.
Mit der griechischen Sozialdemokratischen Prominenz verbindet ihn die Tatsache, daß er bei der Machtübernahme durch die Generäle 1967 ein Hilfsnetz für Regimegegner aufbaute, damit diese das Land verlassen konnten.
Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und der brasilianische Schriftsteller Jorge Amado hatten 1960 eine internationale Hilfkampagne gegen eine in Amsterdam erfolgte Verhaftung Raptis’ eingeleitet. Er war beschuldigt, falsche Papiere und Falschgeld für die algerische FLN besorgt zu haben. Trotz der prominenten Interventionen mußte er 16 Monate absitzen.
Unter den Verhafteten des 17. November findet sich angeblich auch der Name eines anderen Alt-Trotzkisten – oder ist es sein Sohn? oder eine Namensgleichheit? –, dessen Monatszeitung “Ergatiki Palli” (Arbeiterkampf) die Nicht-Kommunistische Liste Andrea Papandreous, Vater des jetzigen Außenministers und der ex-Innenministerin Vaso, nach dem Fall des Obristenregimes, bei Kommunalwahlen 1975 unterstützt hatte. Na, wenn das keine Verbindung ist! Jedenfalls hat das die Zeitschrift nicht vor der Repression bewahrt, als sie RAF-Unterstützerdemos unterstützte … Diese Gruppe hatte 1968, zur Zeit der Junta, ähnlich wie Giotopoulos heute, erklärt: “Trotz unserer Sympathie für die terroristischen Kämpfer, tragische und heroische Opfer der Diktatur, weisen wir aus politischen Gründen kategorisch ihre Methode des individuellen Terrors zurück. Der individuelle Terrorismus ersetzt den Klassenkampf durch die Rache an einer Person.” Das bewahrte sie nicht vor der Repression durch die Diktatur. Und heute dankt es ihnen auch keiner.
Quellen
Tally Kritzman, ICT August 8, 2000, Greek Counter-Terrorism, Have the Lessons been learned? http://www.ict.org
Der Spiegel: Kritik an griechischen Medienberichten – TV total, harry ladis, thessaloniki
Jungle World, 41/02 www.jungle-world.com/
www.info-grece.com/: 24.8.2002, 5.9.2002, 5.10.2002, 9.10.2002, 21.10.2002
athens.indymedia.org
thessaloniki.indymedia.org/
Synaspismos – http://www.syn.gr/index/en/en mainframe.htm
www.kke.gr/
Associated Press, 22.7.2002
Redaktionskollektiv Rowi, Quellen: AP-Meldungen, sooderso-Zeitung, FAZ vom 19. Juli 2002
www.hri.org/news/greek/mpa/1996/96-02-21_1.mpa.html
Zu Manos Sfakianakis und seiner Rolle: Eleutherotipia (3/12/2000) and NEA (7/7/2001)
Übersetzungen: Info-Verteiler, wobei es sich teilweise um Übersetzungen von Übersetzungen handelt, daher durchaus Ungenauigkeiten gegenüber den Originalen vorkommen können.