Wenn der Damm bricht1
Wenn es regnet, brechen die Dämme
Wenn die Dämme brechen, habe ich keinen Platz zum Leben mehr
Der schäbige alte Damm lehrte mich weinen und stöhnen
Er zwang mich Mensch aus den Bergen, mein Heim zu verlassen
Geht es dir nicht schlecht
Wenn du versuchst, nach Hause zu finden
Und nicht weißt, welchen Weg du nehmen sollst
Wenn du nach Süden gehst
Sie dir keine Arbeit geben
Und du Chicago nicht kennst
Das Weinen wird dir nicht helfen, beten bringt dich nicht weiter
Wenn die Dämme brechen, dann mußt du dich auf den Weg machen
Die ganze Nacht saß ich am Damm und stöhnte
Ich dachte an meine Freundin und mein glückliches zu Hause
Ich gehe nach Chicago
Leider kann ich dich nicht mitnehmen
Ich gehe
Katrina
In diesem Beitrag versuchen wir herauszuarbeiten, dass die „Katastrophe Katrina“ alles andere als eine Naturkatastrophe ist. Vielmehr erleben wir in verschärfter Form, was alltäglich geschieht. Die US-Bourgeoisie mit ihren Bütteln in Politik und Verwaltung betreibt „Krisenmanagement“ in der seit dem 11.9.2001 etablierten Form – militärisch.
Entgegen anderen Einschätzungen hat Bush getan, was er tun musste – im Interesse des Kapitals. Er hat die Steuern für die Reichen gesenkt, hat ihre Interessen gewahrt – allen voran den Schutz des Privateigentums – und er hat ihre Gegner bekämpft: die werktätigen Massen. Im Prinzip ist der Umgang mit der Katastrophe in New Orleans dem Umgang mit dem Nachkriegs-Irak sehr ähnlich.
Wie die RCP (Revolutionary Communist Party) schreibt, legte der Umgang mit dem Hurrican Katrina„auf hunderttausend Weisen die ungleichen und unterdrückerischen Verhältnisse, unter denen Schwarze in diesem System zu leben gezwungen sind, offen.“2Aus einer Naturkatastrophe, die vorhersehbar war und tatsächlich vorhergesagt wurde, entwickelte sich eine „menschliche Katastrophe“. Anders gesagt: unter den Bedingungen einer überfluteten Stadt zeigten Menschen in verschärfter Form ihre Interessen und Bedürfnisse und wie sie diese gegenüber anderen bzw. gemeinsam mit anderen durchzusetzen versuchen. Die Katastrophe liegt somit im Gegensatz der Interessen begründet, nicht im Sturm selbst.
Um sich eine Vorstellung von dieser Katastrophe zu machen, müssen wir zuvor den sozialen Hintergrund betrachten. Deshalb folgt eine kurze Charakterisierung der Bedingungen, unter denen die Menschen in Louisiana und New Orleans im Besonderen leben müssen.
Eine Stadt unter dem Meeresspiegel
Die Stadt liegt im Mississippi-Delta und hat eine Fläche von 907,0 km². 467,6 km² sind Land, 439,4 km² sind Wasser (48,34%). Wegen ihrer Lage zwischen dem Mississippi im Süden und dem Lake Pontchartrain im Norden, was ihr einen Stadtumriss in Form einer Sichel gegeben hat, erhielt New Orleans die Bezeichnung „Die Sichelstadt“ („The Crescent City“).
Bei ihrer Gründung 1718 bebauten französische Siedler ein kleines, etwas höher gelegenes Stück Land, das heute als „French Quarter“ bekannt ist. Das Gebiet des heutigen New Orleans ist erst seit 2500 Jahren aus vom Fluss angeschwemmten Sediment entstanden. Es ist größtenteils ein mehrere hundert Meter tiefer Sumpf, welcher sich unter dem Druck seines eigenen Gewichtes verdichtet und bei Ausbleiben der Sedimentablagerung weiter unter den Meeresspiegel sinken wird. Seitdem der Mississippi von den Franzosen und anschließend vom U.S. Army Corps of Engineers eingedeicht wurde, sinkt das Gebiet von New Orleans um etwa 8 Millimeter pro Jahr. 70 Prozent der Stadtfläche liegen bis zu 6 Meter unterhalb des Meeresspiegels, wobei der angrenzende 1.839 km² große Lake Pontchartrain über die Wasserstraße Rigolets Strait und die Lagune Lake Borgne mit dem Golf von Mexiko verbunden ist.
In den 1910er Jahren legte A. Baldwin Wood die Stadt, die von Sümpfen umringt war, mit zahlreichen großen Pumpen trocken. Der auf der südlichen Seite des Mississippi gelegene nahe Naturpark Barataria Preserve in Marrero, Louisiana, zeigt Reste der ursprünglichen Landschaft im Mississippi-Delta. Ein Drainagesystem von mehreren hundert Kilometern Länge durchzieht heute New Orleans und entwässert über 22 Pumpstationen die gesamte Stadt bei starkem Regen. Dabei kann eine Wassermenge pro Stunde in den See gepumpt werden, die einer Niederschlagsmenge von 30 Millimeter entspricht. Durch die Trockenlegung konnte New Orleans um erhebliche Flächen erweitert werden. Heute ist die Stadt im Norden von einem 5 bis 6 Meter hohen Deich sowie im Süden von einem 9 Meter hohen Deich gegen Wassereinlauf geschützt.3Trotz dieses Deichsystems kam es in der Vergangenheit bereits mehrmals zu Überflutungen der Stadt.
Zwangsarbeit nach der großen Mississippi-Flut von 1927
Die große Mississippi-Flut 1927 war die schlimmste Flut in der Geschichte der USA. Der Mississippi durchbrach das Deichsystem an 145 Stellen und überflutete 70.000 km2, das entspricht 7/8 von Österreich, bis auf eine Höhe von 10 Metern. Sieben Bundesstaaten waren von dieser Überschwemmung betroffen. Unterhalb von Memphis, Tennessee, erreichte der Mississippi eine Breite von 100 km. Als die Flut New Orleans erreichte, wurde der Damm bei Caernarvon, Louisiana, mit 30 Tonnen Dynamit gesprengt, um New Orleans vor einer Überflutung zu schützen. Die Sprengung wurde voreilig veranlasst, denn bereits am nächsten Tag brach ein Damm oberhalb von New Orleans, wodurch sich der Wasserdruck gegen die Stadt verminderte und sie nicht mehr bedrohte.
Während dieser Überschwemmung wurden ca. 700.000 Menschen obdachlos, darunter 330.000 Afro-AmerikanerInnen, die in 154 Lager verbracht wurden. Mehr als 13.000 Flüchtlinge wurden in Greenville, Mississippi, aus Farmgebieten zusammengetrieben und auf die Dammkrone eines gebrochenen Deichs gebracht. Hier mussten sie tagelang ohne Lebensmittel und Trinkwasser ausharren. Viele Afro-Amerikaner wurden mit vorgehaltener Schusswaffe dazu gezwungen, Ausbesserungsarbeiten am Damm durchzuführen.
Dieser Umgang mit dieser Naturkatastrophe, d.h. der angesichts extrem verschärfter Lebensbedingungen praktizierte Rassismus war mit ein Auslöser für die Jahrzehnte andauernde „great migration“, d.h. hunderttausende Afro-AmerikanerInnen verließen die Südstaaten und wanderten in die Industriestädte des Nordostens und des Mittelwestens der USA.4
Betsy
1965 suchte ein Hurrican der Stärke 3 (Katrina war von der Stärke 4) New Orleans heim. Der Sturm traf New Orleans direkt, 75 Menschen kamen dabei ums Leben. Als Konsequenz auf diese Katastrophe wurde das Dammsystem um New Orleans erneuert. Seither geschah nichts mehr, um die Sicherheit der Stadt zu erhöhen. In der Zwischenzeit hat sich aber die Intensität von Hurricans deutlich erhöht, was sich an den Hurricans Mitch im Jahr 1998 und Ivan 2004 zeigte. Für die Stadt und ihre BewohnerInnen war es somit nur eine Frage der Zeit, wann ein starker Hurrican sie direkt treffen würde. Die Behauptung von George Bush: „Ich glaube nicht, dass irgendjemand diese Katastrophe vorhergesehen hat“ist schlicht absurd. Gerade zwei Tage vor Katrina schrieb etwa „Insomnia“: „Ein starker Hurrican, der New Orleans direkt trifft, könnte die größte Naturkatastrophe auslösen, die die USA je heimgesucht hat. Einige schätzen, dass über 25.000 nicht Evakuierte sterben könnten. Viel mehr würden irgendwo stranden, und erfolgreich Evakuierte hätten nichts, wohin sie zurückkehren könnten. Der Schaden würde sich auf rund 100 Milliarden Dollar belaufen.“6
George
Im Oktober 1998 wütete der Hurrican George über Florida, nachdem er bereits Santo Domingo zerstört hatte. Angesichts dieses Alptraums gab es eine Reihe von Initiativen zur Erneuerung das Dammsystems von New Orleans. Das Ingenieurkorps der Armee, zuständig für die Deiche, forderte mehr Mittel, um das Schutzsystem auf den neuesten Stand zu bringen, denn„hätte Georges uns direkt getroffen, dann hätten unsere Dämme uns nicht geschützt“.7Die FEMA (Federal Emergency Management Agency) ist die für Katastrophenschutz in den USA zuständige Instanz, die angesichts von Katrina so jämmerlich versagt hat, nachdem die Verantwortlichen von George Bush ausgetauscht worden waren. 2001 stufte die FEMA – laut einem Artikel im „Houston Chronicle“ den Schaden, den New Orleans durch einen Hurrican erleiden könnte, als eine der drei vermutlich größtmöglichen Katastrophen in den USA ein: „Angesichts eines herannahenden Hurricans sagen Wissenschafter, dass die weniger als adäquaten Fluchtrouten der Stadt 250.000 oder mehr Menschen keine Fluchtmöglichkeit bieten würden, und vermutlich jedeR zehnte der Zurückgelassenen sterben würde, wenn die Stadt 20 Fuß [ca. 6 Meter] unter Wasser steht.“8Weiter heißt es in diesem Artikel:„Es ist 36 Jahre her, dass der Hurrican Betsy New Orleans 8 Fuß unter Wasser gesetzt hat. Seither haben das sich verschlechternde Ökosystem und weitere Verbauungen die Stadt in eine noch schlechtere Position versetzt. Und das Problem wurde von den nachlässigen Regierungen jahrzehntelang nicht angegangen, sagten Experten.“
Manmade desaster9
Im „World Socialist Web“ werden die nicht gezogenen Lehren aus den vergangenen Katastrophen beschrieben:„New Orleans war ursprünglich auf einem schmalen Streifen entlang des Mississippi errichtet worden. Durch die Trockenlegung wurde zwar Bauland erschlossen, gleichzeitig erodierte aber das Feuchtgebiet um die Stadt, das eine natürliche Barriere dargestellt hatte. Die Regulierung des Mississippi verhindert seit langem, dass der Fluss Schlamm heranführt. Deshalb trocknen die Feuchtgebiete weiter aus, und zusätzlich frisst das Meer jährlich große Küstengebiete regelrecht auf, d.h. es geht Land verloren und das Meer rückt näher an die Stadt heran.
Verschiedenste Projekte wurden entworfen, um dieser Entwicklung entgegen zu treten, mögliche Projekte waren die Wiederherstellung von Barriere-Riffs und vielleicht die Errichtung eines großen Tores, um den Lake Portchartrain daran zu hindern, die Stadt unter Wasser zu setzen. Die Dämme sollten erhöht werden, die Feuchtgebiete revitalisiert. Alle diese Projekte wurden verworfen. Bundesmittel für die Stadt, um sie vor Hurricans und Flutwellen zu schützen, die 1995 vom Kongress bewilligt worden waren, wurden gekürzt und in den letzten fünf Jahren sind sie nahezu verschwunden.
An Stelle von Katastrophenschutz trat in der Politik der USA seit dem 11.9.2001 der „Schutz vor terroristischen Anschlägen“ in Form der homeland security. Darunter ist mehr zu verstehen als die Einrichtung der gleichnamigen Behörde. Gleichzeitig mit massiven Steuersenkungen für die Reichen stiegen die Ausgaben für „Sicherheit“ in ungeahntem Ausmaß, nicht zuletzt wegen der Kriege gegen und der militärischen Besetzung von Afghanistan und des Irak: „Mindestens neun Berichte in der Times-Picayunezwischen 2004 und 2005 weisen genau auf die Kosten des Irakkrieges als Grund für den Mangel an Geld zur Kontrolle von Hurricans und Flutwellen hin.“10
Ein Ort der Kultur – und des Rassismus
Indymedia New Orleans bringt die Gegensätze der Stadt auf den Punkt: „Die, die nicht in New Orleans gelebt haben, haben eine unglaubliche, großartige, lebendige Stadt verpasst. Ein Ort mit Kultur und Energie, ganz anders als im Rest der Welt. Eine Stadt mit 70% african-american-EinwohnerInnen, in der der Widerstand gegen die weiße Vorherrschaft eine großzügige, subversive und einzigartige Kultur geschaffen hat. Von Jazz, Blues und Hiphop bis zum Mardi Gras, Paraden, Jazz-Begräbnissen und roten Bohnen mit Reis Montag abends, New Orleans ist ein Ort der Kunst und Musik und des Tanzes und der Sexualität und Befreiung, anders als der Rest der Welt.
Eine Stadt der Freundlichkeit und Gastfreundschaft, wo der Weg einen Block runter zwei Stunden dauern kann, weil man stehen bleibt und an jeder Veranda mit jemand spricht, und wo die community zusammen kommt, wenn jemand in Not ist. Eine Stadt der Großfamilien und der sozialen Netzwerke, die die Löcher stopfen, die die Stadt, das Land und der Staat gelassen haben, weil sie sich nicht um die öffentliche Wohlfahrt gekümmert haben. Eine Stadt, in der jemand, der dir auf der Strasse begegnet, dich nicht nur fragt, wie es dir geht, sondern auch auf eine Antwort von dir wartet.
Es ist auch eine Stadt der Ausbeutung und der (rassistischen) Trennung und der Angst. Die Stadt New Orleans hat eine Bevölkerung von mehr als 500.000 und 300 Morde jährlich, von denen die meisten in einer kleinen, überwiegenden schwarzen Nachbarschaft geschehen. Die Polizei wurde zitiert, sie sagte, sie brauchen die Täter nicht suchen, denn üblicherweise wird innerhalb weniger Tage nach einer Schießerei der Angreifer in einem Racheakt ebenfalls erschossen.
Es gibt eine Atmosphäre starker Feindschaft und des Misstrauens zwischen vielen im schwarzen New Orleans und der Polizei von New Orleans. In den letzten Monaten wurden Polizisten jeglicher Verbrechen beschuldigt, vom Drogenverkauf über Korruption bis zu Diebstahl. Zwei Polizisten wurden unlängst der Vergewaltigung (während sie in Uniform waren) angeklagt, und es gab einige Morde von Polizisten an unbewaffneten Jugendlichen, darunter den Mord an Jenard Thomas, der monatelange, wöchentlich stattfindende Proteste auslöste.
Die Stadt hat eine Analphabetenrate von 40%, mehr als 50% der Schwarzen in der 9. Schulstufe werden vier Jahre lang den Abschluss nicht schaffen. Louisiana gibt für die Schulbildung pro Kind durchschnittlich 4.724 Dollar aus und liegt an 48. Stelle bei den Gehältern für LehrerInnen (unter allen Bundesstaaten). Täglich brechen mehr als die SchülerInnen von zwei Klassenzimmern die Schule ab, täglich kommen rund 50.000 Studenten nicht auf das College. Viel zu viele schwarze junge Männer von New Orleans enden im Angola Gefängnis, einer ehemaligen Sklavenplantage, deren Insassen immer noch Handarbeit verrichten, und fast 90% der Gefangenen sterben im Gefängnis. Eine Stadt, verlassen von der Industrie, die meisten verbliebenen Jobs sind schlecht bezahlte, prekäre, unsichere Dienstleistungsjobs.
Die Rassenfrage war immer ein Hauptpunkt in der Politik von Louisiana. Die Katastrophe wurde vom Rassismus, der Vernachlässigung und Inkompetenz erzeugt. Katrina war der unvermeidliche Funke, der diesen Cocktail aus Grausamkeit und Korruption entzündet hat. Von den Vierteln, die den höchsten Risiken überlassen wurden, zur Behandlung der Flüchtlinge bis zur medialen Aufbereitung der Opfer, alles ist überschattet vom Rassismus.“11
Die Armut ist schwarz
David Walsh skizziert anhand der Daten der US-Zensusbehörde die wachsende Armut in großen Teilen der USA, vor allem in den Städten:„Laut dem US-Zensus-Büro (30.8.2005) ist Detroit nun die ärmste Stadt in Amerika, in der ein Drittel der EinwohnerInnen unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, lächerlichen 19.157 Dollar (jährlich) Haushaltseinkommen für eine vierköpfige Familie, lebt. Nahezu die Hälfte der Kinder der Stadt, 47,8%, lebt in armen Haushalten. 2002 wurden noch 23,2% der BewohnerInnen Detroits vom Zensus-Büro für arm eingeschätzt. In einer zweijährigen Periode sackten nach diesen Zahlen zwischen 75.000 und 80.000 Menschen zusätzlich in die Armut ab, eine schwindelerregende Steigerung.“12
In einem Gespräch mit Kurt Metzger, Direktor am Zentrum für städtische Studien der Wayne-Universität Detroit, wird das Thema Stadtflucht durch die Reichen angeschnitten:„Jeder, vor allem diejenigen mit Kindern, versucht, hier raus zu kommen. Die Bessergestellten nach Oakland County, die Ärmeren nach Eastpoint, Fraser, Hazel Park. Wer es sich nicht leisten kann, kann nirgendwo hingehen.“13
Für New Orleans (Stadt) veröffentlichte die Zensusbehörde folgende Zahlen für das Jahr 200014: EinwohnerInnen insgesamt 484.674. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung ist jünger als 18 Jahre, 2/3 der Bevölkerung sind Afro-AmerikanerInnen. 28% der Stadtbevölkerung leben unter der Armutsgrenze.
Malik Rahim, ein ehemaliger Black Panther, der im Viertel Algiers in New Orleans lebt und vor allem im Bereich Stadterneuerung (d.h. im Widerstand gegen Abrisspläne) engagiert ist, beschreibt die Situation vor Eintreffen des Hurricans:„Der Hurrican kam am Monatsende, der Zeit, da arme Leute am verletzbarsten sind. Die Lebensmittelkarten reichen nicht länger als für drei Wochen des Monats, und zu Monatsende geht allen das Geld aus. Jetzt haben sie keine Möglichkeit, ihre Lebensmittelkarten oder Geld zu erhalten, also müssen sie einfach nehmen, was sie zum Überleben brauchen.“15
Betrachten wir nun, wie Behörden und BewohnerInnen auf den Hurrican Katrina reagierten.
Ein Aufruf an Stelle einer Evakuierung
Bereits zwei Tage vor Eintreffen des Hurrican Katrina an der Golfküste der USA war klar, dass New Orleans diesmal ziemlich im Zentrum des Sturms liegen würde. Deshalb verkündete Bürgermeister Ray Nagin eine Zwangsevakuierung der Stadt. Das bedeutete, dass alle die Stadt zu verlassen hätten.
Abgesehen von dieser Ankündigung unternahmen die Behörden aber so gut wie nichts, um diese Evakuierung umzusetzen. Die Eisenbahnlinien wurden nicht genutzt: „Die wichtigsten Eisenbahnlinien bedienen den Hafen von New Orleans. Ich höre ihre kreischenden Bremsen jeden Abend in meiner Wohnung. Keine dieser Eisenbahnlinien wurde genutzt, um einen sicheren Ausgang für die Bevölkerung zu schaffen, die täglich auf öffentlichen Transport angewiesen ist.“16Im Gegenteil, die Menschen konnten zwar die Bahn nicht nutzen, aber sie konnten auch Brücken wegen der Zügenicht benutzen, um zumindest zu Fuß zu flüchten:„Ich habe gigantische Schiffe dort gesehen und sogar größere Barken voll mit Waggons, die stündlich in und aus dem Hafen geführt werden. Satellitenfotos der Brücken des Industrial Canal zeigen, das diese hochgezogen sind. Diese Brücken verbinden den Unteren 9. Ward, der jetzt 20 Fuß unter Wasser steht, mit dem Rest der Stadt und höher gelegenen Gegenden. Waren diese Brücken, angesichts der unsicheren zukünftigen Stromversorgung, hochgezogen, damit die Wirtschaft weiter floriert?17Der Hafen von New Orleans kündigte heute an, dass die kommerziellen Operationen, das Be- und Entladen von Schiffen, am Freitag wieder aufgenommen würden.1819
Auf Fotos sieht man die Flotte mehrerer hundert Schulbusse von New Orleans im Wasser versinken. Auch diese Fahrzeuge wurden nicht zur Evakuierung eingesetzt.„Wir haben hier Amtraks, die alle aus der Stadt bringen hätten können. Es gab genug Schulbusse, die leicht 20.000 Leute evakuieren hätten können, aber sie ließen sie einfach untergehen. Mein Sohn sah 40 Busse im Wasser versinken – sie haben sie einfach nicht bewegt, sie hatten Angst, sie könnten gestohlen werden.“20
Während die, die über eigene Autos verfügten, die Stadt verließen, blieb die ärmere Bevölkerung ihrem Schicksal überlassen – nur kurz, um anschließend zusätzlich drangsaliert zu werden.
Eine Hilfsaktion der BusfahrerInnen – verhindert durch das US-Militär
Private Hilfsaktionen sind den Behörden höchst verdächtig. Die wenigsten schaffen es, überhaupt bis New Orleans zu kommen. In der Stadt selbst sind HelferInnen genauso den Schikanen der Behörden ausgesetzt wie die Betroffenen des Hurricans. MitarbeiterInnen von common ground, einer Initiative aus San Francisco, werden verhaftet, während sie die Menschen in ihren Häusern ärztlich behandeln. Andere scheitern daran, die Leute aus der Stadt zu holen, wie die RCP berichtet:
Zehntausende sind noch in New Orleans unter schrecklichsten Bedingungen eingeschlossen – da entschließen sich 94 Schulbus-FahrerInnen aus Houston, diesen Leuten in New Orleans zu helfen.
Die BusfahrerInnen sehen, dass die Regierung diese Leute in New Orleans aufgegeben hat. Sie sind arm, schwarz und manche auch krank. Daher können sie auch nicht raus aus dem überfluteten New Orleans. Die, die es schaffen könnten, werden von den Ordnungskräften (Polizei und Militär) am Verlassen der zerstörten Stadt gehindert. Rassismus pur.
Die BusfahrerInnen organisieren die Nachbarschaften in Houston und beladen ihre Busse mit Wasser und Lebensmitteln, organisieren Unterkünfte für die zu Herausbringenden. Am Dienstag beginnt der bürokratische Hürdenlauf in Houston. Die FahrerInnen wollen gleich losfahren – lasst die Menschen nicht länger leiden. Sie haben nichts zu trinken, essen, keine Unterkunft, keinen Schatten (gegen die Hitze), … lasst uns die Schulen für 2 Tage schließen, dafür die Weihnachtsferien um 2 Tage verschieben, oder das Schuljahr um 2 Tage verlängern. Doch die HISD (Houston Independent School District) lehnt das ab – die FahrerInnen bieten an, ohne Bezahlung zu fahren. Das hilft aber nicht, die HISD hat viele Bedenken, weil ‚die Menschen in New Orleans stehlen, rauben und vergewaltigen…’ Nachdem die FahrerInnen aber überzeugt sind, dass sie das mit den Leuten in New Orleans schon geregelt kriegen werden, können sie die HISD überzeugen, dass die Hilfsaktion durchgeführt wird: sie glauben den Medienberichten nicht, sie gehen davon aus, wie sie in dieser Situation – falls der Hurrican Houston zerstört hätte – mit Leuten umgehen würden, die ihnen Hilfe bringen. Die Abfahrt verzögert sich dann doch bis zum Wochenende, Abfahrt ist Samstag um 4 Uhr in der Früh.
In den verbleibenden drei Tagen bis zur Abfahrt wurde Trinkwasser in Flaschen, Engergydrinks, Essen, Kekse und Eier gekocht, Kleidung gesammelt, und noch viel mehr. Für viele in Houston war es nicht so leicht, Sachen zu spenden, weil sie selbst arm sind und gerade durchkommen. Viele der BusfahrerInnen sind Alleinerzieherinnen und da reicht das Geld kaum für’s Leben: ‚Ich kann nichts geben, aber fahren kann ich. Ich kann meine Zeit für die Aktion zur Verfügung stellen, auch wenn ich nicht bezahlt werde’ sagt eine Busfahrerin und Mutter. Ein Welle der Hilfsbereitschaft wurde von den BusfahrerInnen erzeugt – die Hoffnung, den Menschen Hilfe zu bringen, versetzte die ganze Nachbarschaft in Aufbruchsstimmung.
Es geht wertvolle Zeit verloren: Die HISD übergibt die Koordination an die FEMA und Homeland Security. Kurz vor der Abfahrt wollen die FEMA und Homeland Security die ganze Aktion noch verhindern. Doch die BusfahrerInnen setzen Himmel und Hölle in Bewegung, damit sie doch fahren können und sie setzen sich durch. Mit Verspätung fahren sie am Samstagvormittag los. Auf ihrem Weg müssen sie nach Baton Rouge einige Militärcheckpoints passieren, an denen sie lange warten müssen. Endlich in New Orleans angekommen, brauchen sie 45 Minuten, um durch die Vororte zu fahren. Dabei sehen sie Militärlaster mit Leichensäcken und jede Menge Militärfahrzeuge. Die Buskolonne wird auf einen Militärstützpunkt umgeleitet. Dort warten tausende Armeeangehörige aller Waffengattungen, die mit M-16 Gewehren herumlaufen. Helikopter, Frachtflugzeuge, Panzer und unterschiedlichste Armeefahrzeuge. Die Soldaten sagen, sie sind schon 3 oder 4 Tage dort und warten. Hatten bisher nichts zu tun außer Kartenspielen. Einige von den Soldaten haben Tarnfarbe im Gesicht und sind schwer bewaffnet – wollen sie hier helfen oder töten? In Gesprächen stellt sich heraus, dass sie hier sind, um ‚die Ordnung wiederherzustellen’. Einige von den Soldaten kommen direkt aus dem Irak und geben vor zu wissen, was sie zu tun haben: „Hier haben wir es mit vielen Verbrechern zu tun, die aus den Gefängnissen befreit wurden. Sie vergewaltigen und plündern die Geschäfte. Das versteht ihr Zivilisten nicht.“ Nur wenige Soldaten verstehen, dass hier die Leute seit 5 Tagen zum Teil auf den Dächern ihrer Häuser ausharren und auf Hilfe warten. Die kommt aber sicher nicht aus den Gewehrläufen der maskierten Soldaten. Nach Stunden des Wartens stellt sich für die BusfahrerInnen heraus, das die Armee die Busse und die FahrerInnen requiriert hat. Sie werden gezwungen, Soldaten und Munition in New Orleans herumzufahren. Der Widerstand der BusfahrerInnen wird gebrochen, sie müssen unter Gewaltandrohung die Militärs und ihre Waffen befördern.
Sie fahren durch New Orleans und als sie zum Sammelplatz für die Hurricanopfer kommen – sehen sie viele Fahrzeuge der Immigrationsbehörde mit blinkenden Blaulichtern. Der ganze Platz ist voller ‚Migra’-Fahrzeuge.
Die 94 BusfahrerInnen sind am Montag um 1 Uhr früh nach 31 Stunden Fahrt wieder in Housten. Sie haben niemandin ihren Bussen.21
Die Wasserfrage22
Vor zwei Jahren hatten sich die Bürger von New Orleans erfolgreich gegen die Privatisierung ihrer Trinkwasserversorgung gewehrt. New Orleans war die einzige Region in Louisiana, in der die Bürger sehr massiv gegen die Kandidatur von George Bush stimmten. Es gab auch massiven Widerstand gegen eine von Shell Oil geplante Flüssiggasanlage und (leider vergeblichen) Widerstand gegen den Abriss städtischen Wohnraums. Sowohl was Shell als auch die Vernichtung städtischen Wohnraums angeht, hatte sich Bürgermeister Ray Nagin auf die andere Seite gestellt – auf die Seite der Ölkonzerne und der Stadtplaner.23
Die Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, ließ am Mittwoch nach Katrina das Wasser abdrehen. Nicht wegen eines Gesundheitsproblems, sondern wegen einer möglichen Kontamination. Die Einwohnerin von New Orleans Claudia Copeland schrieb:„Sie haben das Trinkwasser abgeschaltet. Sie wollen mögliche Krankheiten, verursacht durch das Trinken von verseuchtem Wasser, hintanhalten, aber wenn sie uns wenigstens verseuchtes Wasser gäben, könnten wir es abkochen.“ Trinkwasser in New Orleans kommt aus dem Mississippi, nicht verseuchter als normalerweise. In einen posting auf indymedia heißt es, während das Wasser in der Stadt abgedreht wurde, funktionierte das Gas am Donnerstag immer noch. Das Abschalten des Wassers trug zu einem der offensichtlichsten und dringendsten Probleme in der Stadt bei –dem Mangel an Toiletten und dem überfließenden Abwasser.
Directnic.com postete ein Bild von der ersten Wasserverteilung, die sie in Canal Street (einer Hauptstraße) beobachtet haben.24Sie schrieben:„Die Leute waren glücklich, Trinkwasser verfügbar zu haben“. „Ironischerweise heißt das Wasser ‚Nirvana’“. 25
„Nun suchen Feuer die Stadt heim, denn die Feuerwehr kann nicht genug Wasserdruck aufbauen, um die Feuer zu bekämpfen. Ein Feuer am Governor Nichols’ Kai, neben meinem Haus, wurde nur gelöscht, weil es gleich neben dem Fluss war und Feuerwehrschiffe es mit Wasser aus dem Fluss löschten.“26
Repression gegen HelferInnen
New Orleans wurde nicht nur das Wasser abgedreht, nachdem keine Evakuierung stattgefunden hatte. Die Behörden unternahmen nichts, um die verbliebene Bevölkerung (viele Menschen weigerten sich, die Stadt zu verlassen, weil sie wussten, dass sie damit ihr gesamtes Hab und Gut verlieren würden) mit Lebensmitteln zu versorgen. Im Gegenteil wurden private HelferInnen – teils mit Waffengewalt – daran gehindert, Menschen in Sicherheit zu bringen oder sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Das begann damit, dass die Stadt systematisch gesperrt, d.h. alle Zufahrten blockiert wurden, und setzte sich darin fort, dass alle, die etwa Busse oder Lebensmittel requirierten, um überleben zu können, mit Verhaftung und Erschießung bedroht wurden:
„Weit entfernt von der von mainstream-Medien behaupteten ‚Anarchie’ begannen die größten Probleme in New Orleans, als die Stadt den Auto- und Bootsverkehr, der in die Stadt floss, stoppte. Es gibt viele Berichte aus erster Hand von verschiedenen Hilfsorganisationen, denen der Zutritt in die Stadt per Bus und Boot verwehrt wurde. Tatsächlich gibt es derart viele, dass sie auf einer website gesammelt wurden.“27
Auf der offiziellen website des Roten Kreuzes wird erklärt: „Die staatliche homeland security-Abteilung hat verlangt – und verlangt immer noch – dass das amerikanische Rote Kreuz nicht in die Stadt New Orleans kommt nach dem Hurrican. Unsere Anwesenheit würde verhindern, dass Leute sich evakuieren lassen und andere ermutigen, in die Stadt zu kommen.“28
Zmag.org fasst zusammen: „Am Mittwoch versuchten Aktivisten der Green Party, große Mengen Wasser in den Superdome zu bringen. Sie wurden nicht durchgelassen – wie viele andere. Warum wurden Nahrung und Wasser nicht zu den zehntausenden Armen durchgelassen?
Am Donnerstag dienten der Regierung einige vereinzelte Schüsse (es gab zwei oder drei Vorfälle) als Entschuldigung. In New York City kommen an einem durchschnittlichen Tag 50 mal mehr Schießereien vor. Aber die Schüsse dienten als Rechtfertigung, um die freiwilligen Rettungsoperationen zu blockieren und nach 5.000 Nationalgardisten zu rufen – voll bewaffnet und mit ‚shoot to kill’ Order. Von den immensen ökonomischen Kosten ganz zu schweigen.
Am Donnerstag wurde sogar jenen freiwilligen Helfern, die in den Tagen zuvor über 1.000 Menschen mit Booten gerettet hatten, ihre Arbeit verboten. Die vereinzelten Schüsse (wer weiß, wersie abgefeuert hat) dienten als Erklärung: ‚Es ist zu gefährlich’. Die Freiwilligen glaubten nicht an Eigengefährdung und wollten die Rettungsoperationen fortsetzen. Sie wurden mit vorgehaltener Waffe ‚überzeugt’, ‚aufzuhören und aufzugeben’.“29
Selbsthilfe
Malik Rahim zum Verhältnis der verbliebenen EinwohnerInnen untereinander:„Rassismus? Nein, nein. Ich sage dir, das ist nur ein kleiner Teil der Weißen, die das drauf haben. Ich sage dir, ich habe viele Weiße gesehen, die ihr eigenes, privates Boot genommen haben, in eine schwarze community gefahren sind und Leute gerettet haben. Hör zu, es ist traurig, aber ich habe so viele heroische Akte gesehen zwischen unterschiedlichen Individuen. Leute, die das Eis teilen, das Wasser, und nicht wissen, wann sie wieder Wasser erhalten werden, weil die Stadt niemand gesagt hat, wann man Wasser bekommen wird.“30
Angesichts des Nichtverhaltens der Behörden blieb den Eingeschlossenen gar nichts anderes übrig, als sich selbst zu versorgen:
„In den Augen der BewohnerInnen, mit denen ich seit meiner Abreise aus New Orleans gesprochen habe, wurden die Plünderungen notwendig in einer Stadt, die kaum bis keine Verteilung von Ressourcen wie Nahrungsmittel und Wasser hat. Wenn man mit Ortsansässigen spricht, wird man herausfinden, dass die Mehrheit der Plünderungen durchgeführt wurde, um Ressourcen zu sparen.
‚Aber was ist mit den [geplünderten] Schuhen und Windeln?’ Naja, wenn man in einer solchen Situation sich die Notwendigkeit für Schuhe und Windeln nicht vorstellen kann, dann kann ich auch nicht mehr helfen. ‚Aber ein Flachbildschirm?’ Man muss verstehen, dass die EinwohnerInnen von New Orleans all ihr Eigentum in den Fluten verloren haben. In einer Situation, in der nur sehr wenig Lebensmittel und Wasser verteilt wurden und es keine glaubwürdigen Informationen darüber gab, wie man aus der Stadt rauskommen kann, können illegale Geschäfte und Flachbildschirme sehr wichtig sein, um für die Familie einen Bus aufzutreiben. Die Einwohnerin Claudia Copeland schrieb über ihre Abreise aus der Stadt. Sie und ihre FreundInnen wurden auf einem gekaperten Bus gefahren, der 50 Dollar für die Fahrt verlangte, aber der Fahrer ließ sich runterhandeln, um jedermann raus zu fahren. Das mag gefühllos klingen, aber der Fahrer half den Leuten durch die Nacht, als die Regierung und die Hilfsorganisationen das nicht taten oder nicht tun konnten.“31
Eine eindrucksvolle Zusammenfassung des Ausmaßes der gegenseitigen Hilfe geben die SanitäterInnen Larry Bradshaw und Lorrie Beth Slonsky:
„Zwei Tage, nachdem der Hurrican Katrina New Orleans getroffen hat, ist der Walgreen’s Laden Ecke Royal und Iberville-Straße immer noch geschlossen. Man konnte die Anzeige des Milch-Kühlschranks durch das Fenster gut sehen. Es waren jetzt 48 Stunden ohne Strom, Fließwasser, Installationen. Die Milch, das Joghurt, der Käse begannen in den 90 Grad (Fahrenheit) zu verderben. Die Eigentümer und Manager hatten die Lebensmittel, das Wasser, Windeln und die Medizin abgeschlossen und die Stadt verlassen.
Vor dem Fenster von Walgreen’s wurden die EinwohnerInnen und TouristInnen immer durstiger und hungriger.
Die oft versprochene Hilfe des Bundes, des Staates und der lokalen Behörden kam nie, und die Fenster von Walgreen’s gaben den Weg für die Plünderer frei. Es gab eine Alternative. Die Polizisten hätten ein kleines Fenster einschlagen können und die Nüsse, den Fruchtsaft, das Wasser auf organisierte und systematische Weise verteilen können. Aber das taten sie nicht. Stattdessen verbrachten sie Stunden damit, Katz’ und Maus zu spielen, und zeitweise die Plünderer zu vertreiben.
Schließlich wurden wir aus New Orleans ausgeflogen und kamen gestern, Samstag, daheim an. Jetzt müssen wir uns TV-Nachrichten und Zeitungsberichte ansehen. Wir glauben, es wurden keine Videoaufnahmen oder Aufmacher-Bilder von EuropäerInnen oder wohlhabenden weißen TouristInnen, die Walgreen’s im French Quarter plünderten, veröffentlicht.
Wir vermuten weiter, dass die Medien überschwemmt wurden mit ‚Helden’-Bildern der Nationalgarde, der Truppen und der Polizei, die kämpfen, um den ‚Opfern’ des Hurrican zu helfen. Was man nicht sehen wird, was wir aber bezeugen, das waren die wahren HeldInnen [‚heroes and sheroes’] der Hilfsmaßnahmen nach dem Hurrican: die ArbeiterInnenklasse von New Orleans. Die Instandhaltungsarbeiter, die einen Gabelstapler nahmen, um die Kranken und Gebrechlichen weg zu bringen. Die Ingenieure, die die Generatoren mit allen Tricks am Laufen hielten. Die Elektriker, die dicke Verlängerungskabel benutzten, die sie häuserblockweit spannten, um die wenige verfügbare Elektrizität, das wir hatten, zu teilen, um Autos flott zu kriegen, die in Hochgaragen festsaßen. Krankenschwestern, die mechanische Ventilatoren nahmen und stundenlang händisch Luft in die Lungen von bewusstlosen PatientInnen zu pumpen, um sie am Leben zu erhalten. Portiere, die ihre Leute retteten, die in Aufzügen festsaßen. Raffineriearbeiter, die in Bootshäfen einbrachen, Boote „stahlen“, um ihre NachbarInnen zu retten, die auf den Dächern der überfluteten Häuser festsaßen. Mechaniker, die halfen, jedes Auto zum Laufen zu bringen, das aufzutreiben war, um Leute aus der Stadt zu bringen. Und die LebensmittelarbeiterInnen, die die kommerziellen Küchen durchsuchten, Volksküchen improvisierten für hunderte Gestrandete.
Die meisten dieser ArbeiterInnen haben ihre Häuser verloren, und haben nichts von ihren Familienangehörigen gehört, trotzdem blieben sie und hielten die Infrastruktur für die 20% von New Orleans, die nicht unter Wasser standen, aufrecht.“32
Das Stadion als Gefängnis
Zwei Orte wurden von den Behörden genannt, an denen die Eingeschlossenen sich sammeln sollten: das überdachte Stadion „Superdome“ und das Kongresszentrum, das am Mississippi, direkt neben einer Brücke, die über den Fluss führt, liegt. Das Dach des „Superdome“ hielt der Wucht des Hurricans nicht stand, und die darin Eingeschlossenen mussten mitansehen, wie Teile der Decke herabfielen:
„Die am meisten genannte location, in der verbliebene EinwohnerInnen den Sturm in Sicherheit abwarten konnten, war der Superdome, und sie versagte in jeder Hinsicht. Zuerst brach die Decke auf, die Sonne kam rein, während der Hurrican das Dach abdeckte. Dann mangelte es an genügend Wasser und Lebensmitteln. Sogar die Toiletten waren unbenutzbar. Laut Malik Rahim ‚wurde den Leuten gesagt, sie sollten zum Superdome gehen, aber dort gab es keine Lebensmittel, kein Wasser. Und ehe sie rein durften, mussten die Leute sich 4 – 5 Stunden im Regen anstellen, denn jedeR wurde einzeln am Eingang durchsucht.’“33„Meine FreundInnen, Jordan und Christina, schrieben ein Tagebuch über ihren Aufenthalt während des Hurricans und gingen zu einem Flüchtlingslager. ‚JedeR hat eine Geschichte zu erzählen, von zerstörten Häusern, vom Schwimmen durch die Stadt, von Leichen und Kämpfen und Gewehrschüssen und Plünderungen und Angst. Die schlimmsten Geschichten sind die vom Superdome.’“34
„Das Stadion war keine sichere Unterkunft, sondern ein neues Stadtgefängnis. Die Leute wurden mit den Versprechen auf Lebensmittel und Wasser und Sicherheit in den Superdome gelockt, aber als sie ankamen, wurden sie mit den schlimmsten Bedingungen konfrontiert. Shepard Smith und Geraldo Rivera berichteten auf Fox News live vom Superdome, sie ersuchten einfach die Regierung, den EinwohnerInnen von New Orleans zu erlauben, aus dem Superdome raus zu gehen, um wegen Wasser und Lebensmitteln über die Brücke nach Gretna zu gehen.“35
Der lokale Organisator Curtis Mohhamad beschrieb die Situation im Superdome in Democracy Now:„Auf der einen Seite geht der Bürgermeister in den Superdome und er geht in das Kongresszentrum, und sagt ‚geht einfach los. Wartet nicht auf Hilfe. Geht einfach auf den Highway und raus von hier.’ Das geschah auch. Und sie stoppten sie. Sie errichteten Checkpoints und ließen die Leute nicht die Stadt verlassen, aus Angst, sie könnten die trockenen, weißen Städte Kenner, Metairie an der Straße plündern. Und sie begannen, diese Schutzräume in der Nacht zu verschließen, damit die Leute sich nicht davonstehlen konnten. Und immer noch kam keine Hilfe.“36
Kein Wunder, dass die Menschen an eine bewusst gestellte Falle dachten:„Ein Mann, der im 9. Bezirk von New Orleans aufgewachsen war – gegenüber dem Damm und den Ufern des Lake Pontchartrain – sprach mit mir. Er brach schluchzend zusammen, als er sagte, dass er immer noch nicht wüsste, wo seine Mutter, Tante und Schwestern seien. Dann erzählte er mir das: ‚Sag nicht, sie hatten keinen Plan. Das ist nicht das Problem. Sie hatten einen Plan, und das ist ihr Plan. Blockiert die Stadt und lasst die Leute, die nicht rauskommen, sterben. Sie sind arm, und sie sind schwarz. Lasst sie sterben, das warihr Plan.’“
„Sie wollen, dass wir alle sterben“
Noch schlimmer als im „Superdome“ war die Situation für die 20.000 Menschen, die zum Kongresszentrum gegangen waren. In Sichtweite trockenen Bodens am anderen Flussufer starben hier täglich dutzende Menschen. Hier der Bericht über eine Frau, die zum Kongresszentrum flüchtete:
„Ich hörte von meiner Tante letzte Nacht, dass meine Cousine Denise es geschafft hat, aus New Orleans raus zu kommen, sie ist bei ihrem Bruder in Baton Rouge. Von dem, was sie mir erzählt hat: ihre Mutter, diplomierte Krankenschwester, wurde angerufen, dass sie am Sonntag nachts im Memorial Hospital arbeiten müsse. Denise beschloss, bei ihrer Mutter zu bleiben, ihrer Nichte und ihrer Großnichte (die zwei Jahre alt ist); sie meinte, im Spital wären sie sicher. Sie gingen ins Spital, und sie mussten stundenlang warten, bis ihnen ein Schlafraum zugewiesen wurde; nachdem sie schließlich ihren Raum hatten, kamen plötzlich zwei weiße Krankenschwestern daher (zu einer Zeit, da keine Räume mehr vergeben werden), und Denise und ihre Familie wurden rausgeworfen; ihr Raum wurde den zwei weißen Krankenschwestern überlassen. Denise war wütend, und ehe sie im Spital blieb, beschloss sie, würde sie nach Hause gehen (mehrere Häuserblöcke entfernt), um den Sturm im Apartment ihrer Mutter zu überstehen. Ihre Mutter blieb im Spital.
Sie beschrieb es als die unheimlichste Zeit ihres Lebens. Drei der Räume im Apartment (es gibt nur vier) stürzten ein. Die Decken stürzten ein, die Wände stürzten ein. Sie warf sich unter eine Matratze im Vorzimmer. Sie dachte, sie würde sterben, entweder durch den Sturm oder durch einen Herzinfarkt. Nachdem der Sturm vorüber war, ging sie zurück ins Spital, um Schutz zu suchen (das war am Montag). Auch im Spital war es unheimlich; der Strom war ausgefallen, sie warfen Generatoren an, es gab keine air condition. Am Dienstag brach der Damm, und das Wasser begann zu steigen. Sie brachten die PatientInnen nach oben, sahen Boote vorbeifahren, wo früher Straßen gewesen waren. Man sagte ihnen, sie würden evakuiert werden, Busse würden kommen. Dann sagte man ihnen, sie müssten zur nächsten Kreuzung, Napoleon und St. Claiborne, um auf die Busse zu warten. Sie wateten durch hüfthohes Wasser, bloß um an der Kreuzung, auf neutralem Grund (wie man das nennt) dreieinhalb Stunden zu warten. Die Busse kamen und brachten sie zum Kongresszentrum.
Denise sagte, sie dachte, sie sei in der Hölle. Sie waren zwei Tage lang dort, ohne Wasser, ohne Essen. Kein Schutz. Denise, ihre Mutter (63 Jahre alt), ihre Nichte (21 Jahre) und die zweijährige Großnichte. Als sie ankamen, waren dort bereits tausende Leute. Man sagte ihnen, es würden Busse kommen. Die Polizei fuhr vorbei, Fenster oben, Daumen erhoben. Die Nationalgarde fuhr vorbei, völlig leere Fahrzeuge, Soldaten mit den Gewehren auf sie gerichtet. Niemand hielt an, um Wasser zu verteilen. Ein Hubschrauber warf eine Ladung Wasser ab, aber alle Flaschen zerbrachen beim Aufprall wegen der Höhe, in der der Hubschrauber flog.
Am ersten Tag (Mittwoch) starben vier Menschen neben ihr. Am zweiten Tag (Donnerstag) starben sechs Menschen neben ihr. Denise erzählte mir, die Leute um sie dachten, sie seien dort hingeschickt worden, um zu sterben. Wieder blieb niemand stehen. Die einzigen Busse, die kamen, waren voll; sie spuckten mehr und mehr Menschen aus, aber niemand wurde mitgenommen. Sie fanden heraus, dass die, die hier abgeladen wurden, von Dächern und Dachböden gerettet worden waren; sie kamen aus den Bussen delirierend, wegen Mangel an Wasser und Nahrungsmitteln. Völlig dehydriert. Die Menge versuchte, sie alle in einem Gebiet zu halten; Denise sagte, die Neuankömmlinge hätten großteils den Verstand verloren. Sie waren verrückt geworden.
Das Innere des Kongresszentrums war eine einzige Toilette. Um zu scheißen, musste man in der Scheiße von anderen Leuten stehen. Der Boden war schwarz und voll Scheiße. Die meisten Menschen blieben draußen, weil der Geruch unerträglich war. Aber draußen war es nicht viel besser: die Hitze, die Luftfeuchtigkeit, der Wassermangel, die Alten und die sehr Jungen starben an Dehydrierung … und es gab keinen Platz, um sich nieder zu legen, nicht einmal am Gehsteig. Sie schliefen Mittwoch nachts außerhalb, unter einer Überführung.
Denise sagt ja, es gab junge Männer mit Gewehren dort. Aber sie organisierten die Menge. Sie gingen zur Canal Street und ‚plünderten’, und brachten Lebensmittel und Wasser für die Alten und die Babys, weil tagelang niemand zu essen hatte. Als die Polizei die Fenster runter ließ und schrie ‚die Busse kommen’, organisierten die jungen Männer mit Waffen die Menge: alte Menschen zuerst, Frauen und Kinder danach, Männer zum Schluss. Damit, wenn die Busse kamen, es Prioritäten geben würde, wer zuerst weg darf.
Denise sagt, die Kämpfe, die sie zwischen den jungen Männern mit Waffen gesehen hat, waren Faustkämpfe. Sie sah, wie sie ihre Waffen weglegten und kämpften, anstatt in der Menge herum zu schießen. Aber sie sagte, dass eine Handvoll Menschen im Kongresszentrum erschossen wurden; ihre Leichen waren drinnen liegen gelassen worden, zusammen mit denen anderer toter Babys und alter Menschen.
Denise sagte, die Leute dachten, sie wären hergeschickt worden, um zu sterben. Viele Leute wurden hier abgeladen, niemand mitgenommen. Die Polizisten kamen vorbei, und beschleunigten. Die Nationalgarde rollte vorbei, die Waffen auf sie gerichtet. Und ja, einige Männer schossen auf die Polizei, weil an einem bestimmten Punkt alle Leute dachten, die Polizisten seien gekommen, um sie zu verletzen, sie alle zu töten. Sie sah einen jungen Mann, der ein Auto gestohlen hatte, die Bullen verfolgten ihn; er fuhr das Auto zu Schrott, kam raus und rannte, und die Polizisten schossen ihn in den Rücken. Vor der gesamten Menge. Sie sah viele Gruppen von Leuten, die beschlossen, über die Brücke zu gehen zur West Bank, und dieselben Gruppen kamen zurück, sagten, dass sie oben auf der Brücke von Polizisten aufgehalten worden seien, die ihnen befahlen, kehrt zu machen, dass es ihnen nicht erlaubt sei, zu gehen.
Deshalb dachten alle, dass sie hier hergeschickt worden seien, um zu sterben.
Denise’s Nichte fand ein Handy und versuchte, den Freund ihrer Mutter in Baton Rouge anzurufen, und schließlich schaffte sie es und erzählte ihm, wo sie waren. Der Freund und Denise’s Bruder fuhren von Baton Rouge her und holten sie ab. Sie mussten mehrere Polizisten bestechen, und viel reden, damit sie in die Stadt gelassen wurden (‚Komm, Mann, meine zweijährige Nichte ist beim Kongresszentrum’), dann nahmen sie Nebenstraßen, um zu ihnen zu gelangen.
Nach ihrer Ankunft im Apartment meines anderen Cousins in Baton Rouge sahen sie diese Bilder im Fernsehen, und sie konnten nicht glauben, wie die Medien die Menschen von New Orleans zeigten. Sie wiederholte am Telefon letzte Nacht: ‚Du musst allen sagen, dass sie uns zum Sterben dort gelassen haben. Niemand kam. Diese jungen Männer mit Waffen schützten uns. Ohne sie hätten wir nicht einmal das bisschen Wasser und Lebensmittel gehabt, die sie gefunden haben.’“38
Organisierung
Die Verhältnisse, die an „Sammelplätzen“ herrschten, waren bald stadtbekant. Viele Menschen weigerten sich deshalb, dorthin zu gehen. Sie sammelten sich in Gruppen, versuchten, das Lebensnotwendige zu organisieren und die Stadt gemeinsam zu verlassen. Sie scheiterten an den bewaffneten Repressionskräften:
„Wir gingen zur Polizeistation Harrah’s Ecke Canal Street und man sagte uns das selbe, dass wir auf uns gestellt seien, und dass sie kein Wasser für uns hätten. Jetzt waren wir mehrere Hundert. Wir hielten ein Plenum ab, um zu entscheiden, wie es weiter gehen soll. Wir kamen überein, außerhalb der Polizeistation zu campieren. Wir wären gut sichtbar für die Medien und würden die städtischen Behörden so gut sichtbar in Verlegenheit bringen. Die Polizei sagte uns, wir könnten hier nicht bleiben. Trotzdem blieben wir und errichteten ein Lager. Kurz darauf kam der Polizeichef über die Straße zu unserer Gruppe. Er sagte, er hätte eine Lösung: wir sollten zum Pontchartrain Expressway gehen und über die größere New Orleans Brücke, wo die Polizei Busse aufgestellt hätte, die uns aus der Stadt bringen würden. Die Menge war begeistert und setzte sich in Bewegung. Wir riefen alle zurück und erklärten dem Kommandanten, dass es eine Menge von Desinformation gegeben hätte und ob er sich sicher sei, dass dort Busse auf uns warteten. Der Kommandant drehte sich zur Menge und erklärte eindringlich: ‚Ich schwöre euch, dass dort Busse sind.’
Wir organisierten uns selbst und 200 von uns gingen zur Brücke, erwartungsvoll und voller Hoffnung. Als wir am Kongresszentrum vorbei marschierten, sahen viele EinwohnerInnen unsere entschlossene und optimistische Gruppe und fragten, wohin wir gingen. Wir erzählten ihnen die großartigen Neuigkeiten. Sofort suchten Familien ihre Habseligkeiten zusammen und rasch verdoppelte sich unsere Anzahl, und dann noch einmal. Leute mit Babies in Kinderwagen schlossen sich uns an, Leute verwendeten Krücken, Ältere hakten sich unter, andere fuhren in Rollstühlen mit. Wir marschierten 2 – 3 Meilen zur Freeway und dann die steile Rampe zur Brücke rauf. Nun begann es zu regnen, aber das dämpfte unseren Enthusiasmus nicht.
Als wir an der Brücke ankamen, formierten sich bewaffnete Sheriffs zu einer Linie über den Eingang zur Brücke. Ehe wir nahe genug waren, um sie anzusprechen, begannen sie, über unsere Köpfe hinweg zu schießen. Deshalb floh die Menge in verschiedene Richtungen. Als die Menge sich zerstreute und verteilte, gingen einige von uns weiter vor und schafften es, einige Sheriffs in Gespräche zu verwickeln. Wir erzählten ihnen von unserem Gespräch mit dem Polizeikommandant und dessen Versicherung. Die Sheriff erklärten uns, dass hier keine Busse warteten. Der Kommandant hatte gelogen, um uns los zu werden.
Wir fragten, warum wir nicht trotzdem die Brücke überqueren könnten, vor allem, weil hier kaum Verkehr war. Sie antworteten, dass die West Bank nicht New Orleans werden solle und dass es keinen Superdome in ihrer Stadt gäbe. Das waren für uns Codewörter dafür, dass, wenn du arm und schwarz bist, den Mississippi nicht überqueren darfst und nicht aus New Orleans raus darfst.“39
Desinformation
Fassen wir an dieser Stelle kurz zusammen: nach wie vor waren Zehntausende in der Stadt, die zu einem großen Teil unter Wasser stand. Sie wurden weder mit Trinkwasser noch mit Lebensmitteln versorgt. Sie wurden mit Waffengewalt am Verlassen von New Orleans gehindert. Sie wurden daran gehindert, sich in größeren Gruppen zu organisieren. Und zusätzlich wurden sie als Plünderer etc. diffamiert. Es gab Gerüchte von Schießereien, Vergewaltigungen, die mancheN an frühere Katastrophen erinnerten:
„Rassenunruhen im Überschwemmungsgebiet? Tausende, meist Schwarze, kämpfen ums Überleben und fühlen sich von den Mächtigen verlassen – nicht zum ersten Mal.
Überflutete Häuser, Chaos in den Notunterkünften, Leichen in den Straßen, Plünderungen – der Mensch des Menschen Wolf. Türen wurden aufgebrochen, Geschäfte leer geräumt, marodierende Schwarze schnitten Leichen Finger ab, um Eheringe zu stehlen. Die Meldungen aus dem Katastrophengebiet an der amerikanischen Golfküste lassen die Öffentlichkeit schaudern. New Orleans August 2005? Nein, Galveston, im Jahre 1900. Ein Sturm hatte große Teile der texanischen Hafenstadt zerstört und mehr als 6.000 Menschen getötet. Soweit die Fakten.
Was die Schändung der Leichen betraf: Sie hatte nie stattgefunden. Gerüchte waren mit rassistischen Vorurteilen verrührt und zu Horrorgeschichten hochgekocht worden – ähnlich wie elf Jahre zuvor, als eine horrende Flut in Johnstown, einer Arbeiterstadt in Pennsylvania, unzählige Menschen in den Tod riss. Auch damals dichtete die Presse der Umwelttragödie menschliche Schurken dazu. In diesem Fall waren es ungarische Immigranten, die ‚betrunken, tanzend, fluchend und prügelnd’ durch die Ruinen gezogen sein und Frauenleichen die Ringfinger abgeschnitten haben sollen.
David Brooks, Kolumnist der New York Times, hatte kurz nach den ersten Fernsehbildern aus dem ruinierten New Orleans an Johnstown und Galveston erinnert; und damit an einen journalistischen Merksatz, den die Medien bei Katastrophen allzu schnell vergessen: Nichts glauben, was man nicht selbst gesehen hat – und alles für möglich halten.
Wie viel Gewalt sich die Zurückgebliebenen in dieser Flut tatsächlich angetan haben, wird, wenn überhaupt, erst in ein paar Wochen oder Monaten zu überprüfen sein. Es wurde geplündert – meist wahrscheinlich aus schierer Not. Es hat Schüsse auf Helikopter gegeben – nach Aussage eines Polizisten von Männern abgefeuert, die eine Rettung ihrer Familien erzwingen wollten. Es hat Gewaltkriminalität gegeben – oft verübt von Drogenabhängigen, die plötzlich von ihrem Nachschub abgeschnitten waren. Es hat ebenso unzählige Akte der Hilfe, der Solidarität untereinander gegeben. Bloß wusste man beim Geschrei so vieler Politiker nach ‚Kriegsrecht’ und ‚Schießbefehl’ oft nicht mehr, worum es eigentlich ging: um die Not von Hurrikan-Opfern oder um den Ausbruch von ‚Rassenunruhen’.
Nein, die überwiegend schwarzen Flutopfer von New Orleans waren beileibe nicht so diszipliniert, engagiert und eloquent vor der Kamera wie die New Yorker nach dem 11. September 2001, mit denen sie verglichen worden sind. Sie sind bitterarm, sind nach Tagen und Nächten im eigenen Müll gedemütigt und sie sind wütend. Sie verfluchen die Gouverneurin, den Präsidenten, den Bürgermeister, und sagen oft ‚Fuck’ vor der Kamera.
Sie haben eine ganze Stadt verloren. Sie kämpften – und kämpfen immer noch – um ihr Überleben. Sie waren von der Außenwelt völlig abgeschnitten und sind es teilweise immer noch. Die Versprechungen der Politiker, die Anteilnahme der Öffentlichkeit konnten sie weder sehen noch hören, weil kein Fernseher, kein Radio, kein Telefon mehr funktionierte. Sie fühlten sich ihrem Schicksal überlassen.“40
Selbstversorgung
Les Evenchick, ein unabhängiger Grüner aus New Orleans, lebt in einem dreigeschossigen Gebäude des French Quarter. Les berichtet, rund 90 Prozent der sogenannten „Plünderer“ seien Leute, die sich Wasser, Lebensmittel, Windeln und Medizin nehmen, da Bundes- bzw. Landesregierung ihnen die Grundversorgung verweigern.
Les:„Die Nichtplünderer – Alte, Kranke und Kinder – überleben nur dank der Plünderer.“
Jene, die TV-Geräte und andere größere Nichtnotfall-Waren klauen, verkauften sie, so Les, weil sie das Geld brauchen, um die Gegend zu verlassen (Les hat einige dieser „Deals“ mit eigenen Augen gesehen).41
Mike Howell, ein „holdout“ (so werden diejenigen genannt, die sich weigern, die Stadt zu verlassen), gibt einen realistischen Blick auf die Plünderungen und weist darauf hin, dass alle sich selbst versorgten – ob weiß oder schwarz, arm oder wohlhabend:
„Dieses Geschäft, vor dem ich stehe, ist Circle K, ein lokaler Minimarkt wie Stop N’ Go. Und ich ging jeden Morgen in dieses Geschäft um Kaffee, Zigaretten, Eistee, was immer ich und Angela wollten. Und ich denke an die Geschichte dieses Ladens, was das Plündern betrifft, das zeigt ganz gut die Geschichte von New Orleans, diese Plünderungen. Als ich die Leute diesen Laden plündern sah, und ich sah Leute mehrmals den Laden plündern, fünf Tage lang, da war dieser Laden offen, möglicherweise nicht, um Geschäfte zu machen, aber er war offen zum Einkaufen. Und die Leute kamen rein und nahmen, was immer sie mitnehmen konnten, aber was ich bemerkte hier, ist, dass die große Mehrheit der Leute, die diesen Laden plünderten, Weiße und Leute aus der Mittelschicht waren. Okay?
Ich sah diese eine Frau Sachen hier raustragen, und sie lebt eindeutig in einem Haus, als Eigentümerin, offensichtlich hatte sie kein Problem damit, sie ist um die 70, um sie das Flair einer Patrizierin. Und sie war vor dem Hurrican immer sehr feindselig gegenüber den Straßenkünstlern. Sie war immer eine von diesen ‚Law and order’-Leuten. Aber jetzt bemerkte ich, dass sie aus diesem Laden kam mit geplünderten Sachen, und ich ging rüber zu ihr und hatte einen kleinen Spaß, ich sagte: ‚Ist das nicht illegal, diese Waren einfach zu nehmen?’ Und sie sagte: ‚Gut, ich habe sie mir verdient, und ich werde sie behalten.’ Das war eine Frau, die sich über die Obdachlosen beschwerte, die Tarotkarten-Leser, die Straßenmusikanten, die jungen Schwarzen, die herum rannten. Nun ging sie zurück in ihr 500.000 Dollar-Haus mit ihren geplünderten Sachen. Okay?
Bei einer anderen Gelegenheit, das war ein Bekannter von uns, ein Freund, ein ehemaliger Chirurg, er sieht aus wie Alfred Hitchcock, und wir sahen ihn aus dem Laden kommen. Er drehte sich um und sah uns an. Er sagte: ‚Ich habe niemals gedacht, dass ich ein Plünderer würde. Jetzt bin ich ein Plünderer.’ Also stell’ dir Alfred Hitchcock vor, der deinen lokalen Stop N’ Go oder Minimarkt ausräumt. So war das. Das zeigt einiges. Wir haben Leute aus der Nachbarschaft, denke ich, sie sahen aus wie Leute aus der Nachbarschaft, die gehen rein und plündern.
Nun, so weit ich weiß, hatte das nichts mit der Rasse zu tun – also was ich beobachtete, jetzt beim Plündern, wenn man die Rampart Street runter geht und in andere Gegenden, du sahst Weiße und Schwarze, miteinander. Und ich habe bisher von keinen Zwischenfällen gehört, dass es irgendwelche Rassenprobleme oder so dabei gegeben hätte. Jeder war damit beschäftigt, in New Orleans einzukaufen. Und ich denke, das könnte auch in Santa Monica geschehen, in Florida. Das könnte an der Gold Coast der Michigan Avenue geschehen, wenn sie, die Leute, merken würden, dass ihnen Lebensmittel und Wasser ausgehen.“42
Bezeichnend dafür, wie notwendig das „illegale“ Beschaffen von Ressourcen wurde, zeigt, dass sogar das NOPD (New Orleans Police Department) dabei per Video „ertappt“ wurde, wie sie einen Wal-Mart plünderten.43Die Arizona Republic berichtete, dass ihre lokalen Sheriffs„die Polizei von New Orleans beobachteten, wie sie ihre Autos mit Sachen belud, die aus verschiedenen Geschäften, darunter Wal-Mart, stammten, aus Apotheken, Eisenwarenladen, Autoersatzteilgeschäft und einem Greißler.“ Das wurde von ihrem Chef rasch erklärt, er sagte„das Schlimmste wäre zu verurteilen, was geschah. Sie waren belagert.“44Wenn Plünderungen durch PolizistInnen erklärbar und akzeptabel sind, die doch die volle Unterstützung des Staates haben, dann ist es sicherlich auch akzeptabel für die BewohnerInnen von New Orleans, die während der Krise ihre Grundbedürfnisse stillen müssen.45
Militäreinsatz
Die „Hilfe“ der US-Regierung bestand darin, umgehend das Kriegsrecht über New Orleans zu verhängen. Die Gouverneurin von Louisiana erläuterte dann die Details:
„Anstatt sich auf die Dringlichkeit von Transport und Lebensmitteln zu konzentrieren, schickte die Gouverneurin Kathleen Blanco 300 Nationalgardisten, die frisch aus dem Irak in New Orleans landeten, und meinte ‚sie haben M-16-Gewehre und die sind geladen. Diese Truppen wissen, wie man schießt und tötet, und sie werden mehr als gewillt sein, das zu tun, und ich erwarte, dass sie es tun werden.’ Wie beim Massaker in Kent State und am Tienanmenplatz hoffte sie, Truppen von weit weg zu schicken, weil die lokalen Truppen nicht auf ihre ihnen bekannten MitbewohnerInnen schießen würden. Bisher scheint es, dass die Nationalgarde weniger Leute umgebracht hat als die lokalen SWAT, aber diese Situation muss weiter beobachtet werden.“46
Militär und Nationalgarde ließen keinen Zweifel daran, dass sie in New Orleans einen „Kampfauftrag“ auszuführen hätten und keineswegs gekommen waren, um zu helfen:
„‚Dieser Ort beginnt auszusehen wie Klein-Somalia’, erklärte Brigadegeneral Gary Jones, der Kommandant der Nationalgarde von Louisiana, am Freitag, als hunderte von bewaffneten Soldaten unter seinem Kommando sich darauf vorbereiteten, eine massive, stadtweite Sicherheitsmission von einer Basis außerhalb des Superdome zu beginnen. ‚Wir werden da raus gehen und die Stadt zurück erobern. Das wird ein Kampfeinsatz, um die Stadt unter Kontrolle zu bringen.’
Jones sagte, das Militär müsse zuerst die Sicherheit in der ganzen Stadt durchsetzen. Militär- und Polizeivertreter sagten, dass es mehrere große Gebiete in der Stadt gebe, in der volle Anarchie herrsche. Dutzende Militär-LKWs und bewaffnete Humvees verließen das Aufmarschgebiet um 11 Uhr vormittags am Freitag, während hunderte weitere Soldaten gleichzeitig im Aufmarschgebiet in der Stadt mittels Black Hawk- und Chinook-Hubschraubern abgesetzt wurden.“47
Schießereien
Warum Menschen schießen – und wohin, ob und auf wen sie schießen – mag viele Gründe haben. Hier ist eine. Menschen schießen, um auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam zu machen:
„Eine Menge dieser jungen Männer verloren die Nerven, weil die Hubschrauber über uns flogen und nicht anhielten. Wir signalisierten mit unseren Taschenlampen ‚SOS’, wir unternahmen, was wir konnten. Und es kam so weit. Es kam wirklich so weit, dass diese jungen Männer so frustriert waren, dass sie zu schießen begannen. Sie versuchten nicht, die Hubschrauber zu treffen. Vielleicht sahen die uns nicht. Vielleicht hätten sie das Gewehrfeuer gehört, hätten angehalten. Aber sie halfen uns nicht. Niemand von denen half uns.“48
Obwohl Malik Rahim betont hat, dass Weiße und Schwarze zusammen arbeiteten, erzählt er auch über andere Begebenheiten. Vor allem betont er den Rassismus der New Orleaner Polizei, daneben kennt er aber auch Geschichten von Weißen, die einfach Jagd auf Schwarze machen:
„Denn sie erlauben diesen weißen Aufpassern, mit einem Freibrief hier herum zu fahren. Ich meine, wenn ein Weißer etwas nahm, dann nahm er Lebensmittel für seine Familie. Aber wenn ein Schwarzer etwas nahm, dann plünderte er. Weißt du? Und du siehst überall hier diese Zeichen: ‚Wir töten Plünderer. Wir erschießen Plünderer.’ Einige von ihnen haben damit sogar geprahlt. Wir – in der ersten Woche hatten wir hier LKW-Ladungen voll mit Weißen, weißen Prahlern, die hier herum fuhren, darüber sprachen, dass sie das Viertel schützten. New Orleans war so nahe an einem Rassenkrieg wie noch nie. Weißt du, denn obwohl sie sogar in Algier, dem Teil, in dem ich lebe, Schwarze erschossen, aber Algier ist umgeben von lauter schwarzen communities. Und die Jungs begannen darüber zu reden, wenn sie hören, dass irgend jemand erschossen wird, dann erschießen sie jeden Weißen, der in ihre community kommt. Es war anstrengend für uns, das zu stoppen. Aber wir hatten keine Unterstützung von der Regierung. Weißt du? Und das ging so weiter, wenn Weiße – ich meine, wir sitzen hier und beobachten sie. Sie fahren in ihren Kübelwagen herum, ich meine, Pickups mit Gewehren und Hochgeschwindigkeitsgewehren. Und wenn ein Schwarzer auch nur ein Messer zeigte, sprangen sie ihn sofort an. Ich meine, es gab einfach zwei Arten von Gerechtigkeit. Ich meine, das macht mich wirklich fertig. Weißt du, dass ... aber es hätte nicht geschehen sollen. Ich meine, wir hätten als allererstes nicht die 120.000 Leute in der Stadt lassen dürfen, die wir hier gelassen haben. Ich meine, wir haben die Armen hier gelassen und ihnen gesagt: ‚hey, ihr sorgt selbst für euch.’ Als sie dann für sich selbst gesorgt haben, wurden sie verhaftet.“49
Die beiden SanitäterInnen (s.o.) beschreiben anschaulich das Selbstverständnis der Behörden, die jederzeit bereit sind, auf Menschen in Not zu schießen. Sie benennen auch den Grund für dieses Verhalten: Ansammlungen von Menschen, die selbstbestimmt agieren, sind schlicht gefährlich, sprich kriminell und daher zu zerschlagen:
„Gerade als die Dämmerung hereinbrach, zeigte sich der Sheriff, er sprang aus seinem Fahrzeug, zielte mit seinem Gewehr auf unsere Gesichter, und schrie ‚schleicht euch von dem verdammten Freeway’. Ein Hubschrauber kam und mit dem Wind seiner Rotorblätter verblies er unsere Infrastruktur. Als wir uns weigerten zu gehen, lud der Sheriff unsere Lebensmittel und Wasser auf seinen Wagen.
Wieder einmal wurden wir mit vorgehaltener Waffe vom Freeway vertrieben. Alle Sicherheitsabteilungen schienen sich bedroht zu fühlen, wenn wir uns in Gruppen von 20 oder mehr Menschen versammelten. In der Gruppe von ‚Opfern’ sahen sie ‚Mob’ oder ‚Aufstand’. Wir fühlten uns in großer Anzahl sicherer. Unser Ansatz ‚wir müssen beisammen bleiben’ war unmöglich durchzusetzen, weil die Sicherheitsagenturen uns in kleine, atomisierte Gruppen zerschlagen würden.
In dem Chaos, dass unser Lager überfallen und zerstört worden war, wurden wir wieder einmal zerstreut. Auf eine kleine Gruppe von acht Leuten reduziert, suchten wir Zuflucht in einem verlassenen Schulbus, unter dem Freeway auf der Cilo Street. Wir versteckten uns vor möglichen kriminellen Elementen, aber zugleich und vor allem versteckten wir uns vor der Polizei und den Sheriffs mit ihrem Kriegsrecht, der Ausgangssperre und den shoot-to-kill-Polizisten.“50
Ein großer Teil der PoilizistInnen von New Orleans war während des Hurrican einfach desertiert. Von den 1.600 Mitgliedern des New Orleans Police Department sind am Dienstag 1.000 übrig geblieben, sagte Warren J. Riley, der stellvertretende Superintendent des NOPD.51Es gibt weit verbreitetes Misstrauen gegenüber dem NOPD, mit gutem Grund. Nicht nur ist es allgemein bekannt für seine lange Geschichte der Korruption, es hat auch während der letzten Jahre eine miserable Politik und Verhalten gezeigt. Dutzende EinwohnerInnen wurden 2005 bereits von Polizeibeamten umgebracht, es gab heuer nicht nur eine, sondern sogar zwei voneinander unabhängige Anklagen, dass Uniformierte Frauen vergewaltigt haben.
Polizeibeamte fahren nun hoch oben in Pickups herum, ihre Waffen hoch erhoben mit dem neu designeten NOPD/Piraten-Logo, mit Totenkopf und gekreuzten Knochen.52Während die Nationalgarde mit Einwohnern des weißen French Quarter scherzt53, überfallen SWAT-Teams die Häuser der Schwarzen. Nach so einem SWAT-Team-Einsatz am 5.9. gegen das Haus von Leonard Thomas, 23, schreit dieser,54sie schießen auf Schwarze bzw. verhaften sie.55
Die Sicherheitskräfte haben völlig ihr Hirn verloren. Einige Leute tragen Khaki-Uniformen und schwarze Westen, auf denen „Polizei“ steht, sie haben ihre Gesichter mit schwarzen Skimasken vermummt und wacheln mit M4-A1 herum – sie wirken wie Delta Force-Angehörige, die darauf warten, ein Haus zu stürmen. Sie patrouillieren an den vier Ecken um das Bell South-Gebäude und schreien laut herum. Und wieso müssen sie ihre Identität geheimhalten? Bitte schön. Ihr könnt sagen, einige von ihnen waren noch nie draußen. Jetzt haben sie die große Gelegenheit, Armee zu spielen.56
Privatisierung
Einleitend haben wir das Verhalten der US-Behörden in New Orleans mit dem Irak verglichen. Abgesehen davon, dass Halliburton sich bereits um die Verträge für den Wiederaufbau der Stadt bemüht, gibt es weitere Paralellen:
„Wir sprachen mit 2 Polizisten aus New York, als ein Auto ohne Nummerntafeln zu uns fuhr und anhielt. Drinnen saßen 3 Männer in Khaki-Uniformen, schusssicheren Westen und mit bedrohlichen automatischen Waffen. ‚Wisst ihr, wo die Blackwater-Leute sind?’ fragten sie uns. Einer der Polizisten antwortete ‚eine Menge von ihnen sind da unten’ und deutete die Straße hinunter.
‚Blackwater?’ fragten wir. ‚Die Jungs, die im Irak sind?’
‚Ja’, sagte der Polizist. ‚Sie sind hier überall.’
Kurz darauf, als wir die Bourbon Street weiter runter gingen, trafen wir auf die Männer aus dem Auto. Sie trugen Blackwater-ID-Anstecker auf ihren Armen.
‚Als Sie New Orleans zu mir sagten, sagte ich: in welchem Land liegt das?’, sagte einer der Blackwater-Leute. Er trug seine ID-Karte um den Hals in einem Täschchen mit der Aufschrift
‚Operation Iraqui Freedom’. Nach einer Prahlerei darüber, wie er im Irak mit einem ‚explosionssicheren BMW des Außenministeriums’ herumfährt, sagte er, er habe ‚gerade versucht, nach Kirkuk zurück zu kommen (im Norden des Irak), wo die wirkliche action läuft.’ Später hörten wir, wie er sich am Handy beschwerte, dass Blackwater nur 350 Dollar am Tag bezahlt. Das ist bedeutend weniger, als die Männer unter den gefährlicheren Bedingungen im Irak verdienen. Zwei Männer, mit denen wir sprachen, sagten, sie planen, im Oktober wieder in den Irak zu fahren. Aber, so sagte einer der Söldner, es sei ihnen mitgeteilt worden, dass sie bis zu 6 Monate in New Orleans bleiben müssen. ‚Das ist ein Trend’, erzählte er uns. ‚Ihr werdet in Zukunft eine Menge mehr von uns in solchen Situationen sehen.’
Blackwater ist eines der führenden ‚Sicherheits’-Unternehmen, das die Besetzung des Irak und Afghanistans bedient. Es hat mehrere Verträge mit der US-Regierung und die Sicherheit für viele US-Diplomaten gewährleistet, für ausländische Würdenträger und Unternehmen. Die Firma wurde international bekannt, als im März 2004 vier ihrer Männer in Falluja getötet wurden und zwei der Leichen von einer Brücke gehängt wurden. Diese Tode lösten den massiven Vergeltungsschlag der US-Streitkräfte gegen die Zivilbevölkerung von Falluja aus, der zu zahlreichen Toden und zehntausenden Flüchtlingen führte.
Während in New Orleans nun die Evakuierungen verstärkt mit Gewalt durchgeführt werden und die Stadt sogar legale, registrierte Waffen von Zivilisten konfisziert, patrouillieren die Blackwater-Söldner mit ihren M-16-Gewehren und anderen Angriffswaffen auf den Straßen. Und das, obwohl der Polizeikommissar Eddie Compass behauptet, dass ‚nur Sicherheitskräfte Waffen tragen dürfen’.
Offiziell behauptet Blackwater, ihre Kräfte seien in New Orleans, um ‚sich an den Aufräumarbeiten nach dem Hurrican zu beteiligen’. Auf ihrer website vom 1.9.2005 preist die Firma Lufttransporte, Sicherheitsdienste und die Kontrolle von Menschenansammlungen an. Nach Medienberichten hat die Firma seither private Verträge abgeschlossen, um Hotels, Firmen und anderes Eigentum zu bewachen. Aber was bisher öffentlich nicht bestätigt wurde, ist die Behauptung zweier Blackwater-Söldner, dass sie derzeit mit öffentlichen Sicherheitsaufgaben beschäftigt seien, darunter ‚die Sicherung der Nachbarschaften’ und ‚die Bekämpfung der Kriminellen’.
Für welche Behörde operieren die Blackwater-Leute? Ein Sprecher der homeland security, Russ Knocke, sagte zur Washington Post, er kennt keine Pläne seitens des Bundes, Blackwater oder andere private Sicherheitsunternehmen zu engagieren. ‚Wir glauben, wir haben den richtigen Mix an Personal für die Sicherheitsdienste, um die Bedürfnisse der öffentlichen Sicherheit zu befriedigen’, sagte er.
Aber in einem stundenlangen Gespräch mit mehreren Blackwater-Söldnern hörten wir eine andere Geschichte. Die Männer, mit denen wir sprachen, sagten, dass sie einen Vertrag mit homeland security und dem Büro der Gouverneurin von Louisiana hätten und dass einige von ihnen in Lagern schlafen, die von homeland security in New Orleans und Baton Rouge eingerichtet wurden. Einer von ihnen trug den goldenen Anstecker der Sicherheitskräfte von Louisiana und sagte, er sei von der Gouverneurin ‚ernannt’ worden. Sie erzählten uns, dass sie nicht nur ermächtigt seien, Leute zu verhaften, sondern auch, zu töten.
Wenn der Ruf von Blackwater wegen dem Irak ein Hinweis auf die Art von ‚Dienstleistungen’ ist, die die Firma anbietet, dann müssen die Leute in New Orleans viel Angst bekommen.“57
„Nicht unser Job“
Während eines Interviews der Reporterin Amy Goodman mit dem ehemaligen Black Panther Malik Rahim treffen die beiden auf eine auf der Strasse liegende Leiche:
„Malik Rahim: Also dieser männliche Körper liegt hier seit fast zwei Wochen. Und dafür gibt es keinen Grund. Ich meine, es ist nicht überschwemmt. Es gibt keinen Grund, dass dieser Körper hier liegt. Das ist völlig respektlos. Jeden Tag ersuchen wir sie, herzukommen und ihn weg zu schaffen. Sie weigern sich. Ihr seht, der Körper zersetzt sich bereits. Mitten in der Sonne. Jeden Tag machen wir uns auf und fragen sie. Denn ich meine, das ist das tropischste Klima, das ihr in Amerika findet. Und sie tun überhaupt nichts deswegen.
Goodman: Mit welchen Behörden hast du darüber gesprochen, dass diese Leiche abtransportiert wird?
Malik Rahim: Wir haben mit allen gesprochen, von der Armee über die Polizei von New Orleans, mit den Truppen des Landes – ich meine, wir haben mit allen gesprochen, die wir erreicht haben. Ich habe sogar mit Oliver Thomas gesprochen, einem Stadtrat, gestern. Er sagte, er sei überrascht zu sehen, dass dieser Körper immer noch hier ist. Aber das geht seit zwei Wochen so. Zwei Wochen, dass dieser Mann hier liegt.
Goodman: Während Malik Rahim sprach, fuhren, wie auf ein Stichwort, Vertreter jeder Behörde, die er erwähnte, vorbei. Hier liegt ein toter Körper. Wer sind Sie?
Goodman: Hier liegt ein toter Körper. Könnten Sie ihn wegschaffen?
Soldat: Wir können ihn nicht wegschaffen, aber wir können die lokalen Behörden verständigen, damit sie ihn abholen.
Louisiana State Trooper: Sie müssen sich an den Informationsoffizier wenden, meine Dame.
Goodman: Glauben Sie, jemand sollte diesen Körper wegbringen?
Soldat Robert Gonzalez: Ja, sollte man. Wenn wer vorbeikommt. Wahrscheinlich liegen hier eine Menge Körper, die weg sollten.
Polizist aus New Orleans: Also, was ich in meiner Position tun kann – ich kann meine Befehlskette verständigen und es ihnen überlassen, größere Entscheidungen zu treffen. Dann wäre es nicht mehr in meiner Hand. Ich bin ja bloß ganz unten.
Goodman: Herr Leutnant, hier liegt eine Leiche. Könnte die Armee sie wegbringen?
Polizeileutnant aus New Orleans: Nein. Das liegt nicht wirklich in unserer Kompetenz. Wir können keine Polizeiarbeit machen. Also das ist nichts für uns. Wir können einen Bericht machen und hoffen, dass die Polizisten sich darum kümmern, sonst können wir nichts tun.
Offizier Jeremy Fowler: Ich kann Ihnen nur sagen, was ich unternommen habe. Wir sind nur hier, um ein wenig Stabilität in diese Gegend zu bringen und wir helfen der Gemeinde wirklich, wieder auf die Füße zu kommen. So – mehr kann ich Ihnen nicht sagen.
Goodman: Und was genau ist Ihre Einheit? Sie sind von der US Army, oder Nationalgarde?
Jeremy Fowler: Zur Zeit bin ich Kompaniekommandant der Charlie-Kompanie, 1. Bataillon 5. US-Kavallerie. Wir sind in Fort Hood, Texas, stationiert. Wir wurden vor rund einer Woche aktiviert, um hierher zu kommen und dem großartigen Volk von Louisiana zu helfen.
Goodman: War vielleicht jemand von Ihnen im Irak?
Jeremy Fowler: Waren wir. Waren wir beide. Das ist mein Executive Officer.
Soldat Matthew Cohen: Ich sage Ihnen, meine Dame, es ist großartig, hier herunten zu sein. Es ist großartig, dass wir herkommen und Amerikanern helfen können.“58
Anmerkungen
Zusammenstellung, Übersetzung und (kursive) Kommetare von Info-Verteiler
1When the levee breaks, Led Zeppelin. Original: Memphis Minnie McCoy, 1929
2rwor.org/a/014/carldix-slaveshipssuperdome.htm, 4.9.2005
3de.wikipedia.org/wiki/New_Orleans
4en.wikipedia.org/wiki/Great_Migration_%28African_American%29
5ABC „Good Morning America“, 30.8.2005
6Aus: www.livejournal.com/users/insomnia/599039.html
7Zitat Al Naomi, Projektmanager des Ingenieurkorps in der Times Picayune (New Orleans), 17.3.2001
8Houston Chronicle, 1.12.2001
9Generelle Quelle für diesen Abschnitt: http://www.wsws.org/articles/2005/sep2005/prep-s02.shtml, 1.9.2005
10Will Brunch, 30.8.2005
11Aus: neworleans.indymedia.org/news/2005/09/4043.php, 2.9.2005, Jordan Flaherty (Mitarbeiter von Left Turn Magazine)
12Workers World – http://www.wsws.org/articles/2005/sep2005/detr-s02.shtml
13Workers World – http://www.wsws.org/articles/2005/sep2005/detr-s02.shtml
14quickfacts.census.gov/qfd/states/22/2255000.html
15neworleans.indymedia.org/news/2005/09/4209.php
16neworleans.indymedia.org/news/2005/09/4845.php, 8.9.2005
17Fotos: www.spaceimaging.com/gallery/hurricanes2005/katrina/default.htm
18today.reuters.com/investing/financeArticle.aspx?type=bondsNews&storyID= 2005-09-07T204405Z_01_N07166197_RTRIDST_0_FOOD-KATRINA-PORT-UPDATE-2.XML
19neworleans.indymedia.org/news/2005/09/4845.php, 8.9.2005
20neworleans.indymedia.org/news/2005/09/4209.php
21Revolution (früher: Revolutionary Worker), Nr. 16, 10/2005
22Der ganze Abschnitt (Ausnahmen sind angemerkt) aus: http://neworleans.indymedia.org/news/2005/09/4845.php, 8.9.2005
23www.zmag.de/artikel.php?id=1566
24www.nola-intel.org/pictures3/Picture074.jpg
25www.nola-intel.org/pictures3/
26www.nola.com/cgi-bin/prxy/photogalleries/nph-cache.cgi/cache=3000;/nola/images/3804/07_Fireworld1.jpg
27amsam.org/2005/09/refused-help-why.html
28www.redcross.org/faq/0,1096,0_682_4524,00.html
29www.zmag.de/artikel.php?id=1566
30neworleans.indymedia.org/news/2005/09/5074.php
31Aus: neworleans.indymedia.org/news/2005/09/4845.php, 8.9.2005
32www.metamute.com/look/article.tpl?IdLanguage=1&IdPublication= 1&NrIssue=24&NrSection=5&NrArticle=1523
33neworleans.indymedia.org/news/2005/09/4209.php
34neworleans.indymedia.org/news/2005/09/4559.php
35Video: www.crooksandliars.com/2005/09/02.htmla4763
36www.democracynow.org/article.pl?sid=05/09/07/1415225
37rwor.org/a/014/voicesfromlouisiana.htm, 4.9.2005
38citypages.com/databank/26/1294/article3694.asp?page=15
39www.metamute.com/look/article.tpl?IdLanguage=1&IdPublication= 1&NrIssue=24&NrSection=5&NrArticle=1523
40www.zeit.de/online/2005/36/neworleans_gesellschaft, Andrea Böhm
41www.zmag.de/artikel.php?id=1566
42www.democracynow.org/article.pl?sid=05/09/12/1426224, 12.9.2005
43www.zippyvideos.com/8911023771013466/countdown-looting-in-walmart/
44www.azcentral.com/news/articles/0907katrina-looting07.html
45www.democracynow.org/article.pl?sid=05/09/12/1426224, 12.9.2005
46www.democracynow.org/article.pl?sid=05/09/12/1426224, 12.9.2005
47www.boingboing.net/2005/09/03/alcajun_army_times_c.html, 3.9.2005
48neworleans.indymedia.org/news/2005/09/5075.php
49www.democracynow.org/article.pl?sid=05/09/12/1426218
50www.metamute.com/look/article.tpl?IdLanguage=1&IdPublication= 1&NrIssue=24&NrSection=5&NrArticle=1523
512theadvocate.com/stories/090605/new_holdouts001.shtml
52www.nola.com/cgi-bin/prxy/photogalleries/nph-cache.cgi/cache=3000;/nola/images/3775/05_NOPD.jpg
53www.nola.com/cgi-bin/prxy/photogalleries/nph-cache.cgi/cache=3000;/nola/images/3788/2088123.jpg
54www.nola.com/cgi-bin/prxy/photogalleries/nph-cache.cgi/cache=3000;/nola/images/3785/08.jpg
55neworleans.indymedia.org/news/2005/09/4845.php, Kate EP@hotmail.com, 8.9.2005
56www.volkert.com/Awards/Industrial%20Canal%20Bridge%20Danziger.htm
57www.truthout.org/docs_2005/091005A.shtml, Jeremy Scahill (Journalist für Democracy Now!) und Daniela Crespo, 10.9.2005
58www.democracynow.org/article.pl?sid=05/09/12/1426218